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Elisabeth hatte nicht vor, ziellos im Schlosspark herumzuwandern. Mit schnellen Schritten ging sie hinter dem Schloss Richtung Obeliskenallee. Als sie und ihr Hund die ersten Bäume der Allee erreichten, schnupperte Houseguard an den Stämmen und hob bei jedem das Bein.

Von der Seite des Schlosses, an der ihr Gartenappartement lag, kam ein Mann in einem unauffälligen grauen Anzug. Er trug einen Hut und hielt den Kopf gesenkt.

»Flott«, trieb sie den Wolfshund an. »Es gibt auch oben Bäume.«

Houseguard löste sich ungern von der interessanten Duftmarke und kam ihr nach. Elisabeths Vorsprung wuchs, weil sie mehr lief als ging.

Die Kaiserin war auf Latours Bericht gespannt. Sie konnte sich noch immer nicht vorstellen, was genau geschehen war. Allerdings zweifelte sie nicht daran, in Latour einen verlässlichen Erzieher gefunden zu haben.

Elisabeth hatte Josef Latour während ihres zweijährigen Aufenthalts auf Madeira kennen und schätzen gelernt. Er war mehrmals als Gesandter des Kaisers zu ihr gekommen. Seine Aufgabe war es, die Briefe des Kaisers zu überbringen und die Rechnungen einzusammeln, die während des Aufenthalts von Elisabeth und ihrem fast hundertköpfigen Hofstaat angefallen waren.

Der Landsitz Quinta Vigia war von ihr gemietet worden, weil sie den Blumengarten liebte, der ihn umgab. Außerdem hatte sie von der Terrasse den schönsten Blick auf das Meer. Elisabeth hielt sich mehrere Hunde und in einer Voliere bunte Papageien. Sie fühlte sich wie damals in ihrer Kindheit auf Schloss Possenhofen in Bayern.

Mit Latour saß sie meistens im Freien und genoss die milde Seeluft Madeiras. Ihr Arzt meinte, sie würde eine heilende Wirkung auf Elisabeths angegriffene Lunge haben.

Verschämt hatte Latour einmal erwähnt, dass die milde Wärme Madeiras für ihn in den Wintermonaten eine willkommene Abwechslung zur Kälte in Wien war. Er berichtete bei jedem Besuch von Neuigkeiten aus der Hauptstadt des Reiches. Die meiste Zeit redete er vom Kaiser und den Kindern. Obwohl er es nie aussprach, verstand Elisabeth, dass sie nicht nur ihr Mann, sondern auch der Hof und die Menschen des Landes vermissten.

Im Laufe der Zeit besserte sich nicht nur ihre Gesundheit, vor allem fühlte sich Elisabeth sicherer und stärker.

Aus dem Spiegel in ihrem Ankleidezimmer blickte ihr nicht länger Sisi entgegen, das süße Mädchen, in das der Kaiser so verliebt war, über das aber seine Mutter Sophie, sein Bruder Ludwig Viktor und viele andere bei Hof den Kopf schüttelten. Sie war kein Kind mehr, das sich von ihnen belehren oder erziehen ließ, wie es in den ersten Jahren ihrer Ehe mit Franz Joseph geschehen war.

Aus Sisi war Kaiserin Elisabeth geworden, eine erwachsene Frau von einzigartiger Schönheit. Auf ihren Spaziergängen in der Hauptstadt Madeiras, Funchal, hatte sie die bewundernden Blicke der Menschen gespürt. Ihre Hofdamen berichteten, dass Elisabeths Anmut Gesprächsthema auf der ganzen Insel war.

Die Unterhaltungen mit Josef Latour hatten zu Elisabeths neuem Selbstbewusstsein beigetragen. Sie redete mit ihm über Poesie, Philosophie und die Kunst der alten Griechen. Elisabeth spürte seinen Respekt für ihre Bildung.

Sie begriff, dass er zwischen dem Kaiser, dem Hof und ihr vermitteln wollte. Er achtete dabei ihre Zurückhaltung und zeigte, wenn auch auf stille Weise, Verständnis. Besonders hoch rechnete sie ihm an, dass er sie mit keiner Silbe zur Rückkehr mahnte. Latour erwähnte höchstens die Spekulationen der Presse über ihre Abwesenheit, die zuerst Monate, nun aber schon zwei ganze Jahre andauerte.

Das leise Bellen ihres Hundes holte Elisabeth in die Gegenwart zurück. Sie sah sich nach Houseguard um und bemerkte dabei fünfzig Schritte hinter sich den Mann im grauen Anzug. Er blickte zu Boden und schlenderte zur Seite hinter den Stamm einer hohen Kastanie. Elisabeth verdrehte die Augen.

Für wie dumm hielten sie ihre Bewacher eigentlich?

Der Wolfshund erschien hechelnd neben ihr. Nebeneinander schritten sie auf das Ziel von Elisabeths Spaziergang zu: die kleine Gloriette.

Sisis schöne Leichen

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