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Für den Weg zu Amalie Buback hatte Ida einen Fiaker genommen. Die Kaiserin hatte ihr angeboten, beim Obersthofmeister eine Kutsche für sich zu bestellen, aber Ida hatte dankend abgelehnt. Denn die Kutscher redeten untereinander. Sie tratschten darüber, wo sie die Hoheiten, Erzherzöge und die Hofangestellten hinbrachten. Idas Besuch bei der Photographin war nichts Verbotenes, könnte aber trotzdem zu unangenehmen Fragen führen. Am Hof wurde das Ablichten ausschließlich von Ludwig Angerer durchgeführt, dem k.k. Hof-Photographen. Auf private Bilder wollte Ida sich nicht ausreden. Der wahre Grund für ihren Besuch bei Amalie Buback musste unter allen Umständen geheim bleiben.

Der Tag war kühl, die Wolken am Himmel machten den Eindruck, als wollten sie demnächst ihre Regenlast abwerfen.

Ein Geruch, der Ida schon lange nicht mehr in die Nase gestiegen war, schlug ihr entgegen, als sie das Atelier betrat. Der Geruch löste in Ida eine Erinnerung an ihre Kindheit aus. Sie saß als kleines Mädchen beim Gutsverwalter ihrer Eltern. Er trug immer dicke Arbeitshosen und weite Hemden, die von breiten Hosenträgern gehalten wurden. Ida suchte ihn auf, weil es bei ihm die besten Würste gab. Es war fettige Wurst, die er mit einem Taschenmesser in dicken Scheiben schnitt. Mit einem breiten Grinsen reichte er ihr die Wursträder, die sie mit Genuss verspeiste. Ihre Mutter hatte sie deshalb gescholten. Sie solle nicht dem Mann sein Essen wegnehmen, sondern essen, was bei ihnen auf den Tisch kam.

Das war gesünder als die grobe Wurst, schmeckte Ida aber nicht so gut.

Der Verwalter, ein rotwangiger, korpulenter Mann, hatte Pfeife geraucht und in seiner kargen Wohnung neben den Ställen hing immer Rauch in der Luft.

An diesem Tag schwebten genau die gleichen dünnen Rauchschwaden im Licht, das durch das Glasdach ins Atelier fiel.

»Haben Sie Kundschaft?«, wollte Ida von Peter wissen.

»Nein.«

»Der Rauch…?«

Peter zeigte auf einen Lehnsessel. Er stand mit dem Rücken zu Ida. Dahinter stieg der Pfeifenrauch auf. Sie ahnte, wer da rauchte. Ida trat vor den Sessel.

Amalie hielt eine gebogene Pfeife mit weißem Kopf in der Hand, sah beim großen Fenster hinaus und paffte. Als sie Ida bemerkte, stieß sie den Rauch wie eine Dampflokomotive aus dem Mund aus. Ihr Lächeln hatte etwas Spitzbübisches.

»Schickt sich nicht, was?«, fragte sie mit provokantem Unterton.

»Die Kaiserin raucht auch Zigarette«, antwortete Ida kühl.

Interessiert setzte sich Amalie auf. »Die Kaiserin von Österreich tut etwas so Unschickliches? Das erlaubt ihr unser ehrwürdiger Kaiser?«

»Nein. Er verabscheut es. Die Kaiserin nimmt darauf Rücksicht. Sie raucht nur auf Kutschenfahrten.«

»Da sieht es keiner«, spottete Amalie.

»Im Gegenteil. Sie sitzt am Fenster der Kutsche und bläst den Rauch hinaus, damit es jeder sehen kann.«

Amalie Buback richtete sich nun interessiert auf. »Tatsächlich?«, fragte sie misstrauisch. »Woher wollen Sie das wissen?«

»Ich bin Hofdame der Kaiserin.«

»Jetzt einmal langsam.« Ida konnte sehen, wie sich Verständnis in die Augen der Photographin schlich. Sie erkannte, für wen ihre Aufnahmen der schönen Leichen bestimmt waren.

Ida weidete sich an Amalies Erstaunen. Sie sollte nicht meinen, die einzige Frau in Wien zu sein, die unkonventionell leben konnte.

Ihre Aussage brachte die gewünschte Wirkung. Die Photographin erhob sich und klopfte über die Hosenbeine, als müsse sie Staub entfernen. »Ich neige mein Haupt in Ehrfurcht und Bewunderung.« Für ihre Verhältnisse klang es nicht zynisch. »Leider habe ich noch keine neuen Aufnahmen von Leichen.«

»Das ist nicht der Grund meines Besuches.« Ida holte aus der Tasche das Foto von Alfred Oberland. Sie sah sich um. »Können wir uns irgendwo setzen?«

Amalie schnippte mit den Fingern. »Peter. Zwei Sessel. Und den Tisch!«

Wie ein Piccolo im Kaffeehaus schleppte der Bursche einen kleinen runden Tisch mit Marmorplatte herbei. Solche Tische waren typisch für Wiener Kaffeehäuser. Die Sessel waren aus dem neumodischen Bugholz der Firma Thonet, die gerade sehr in Mode war. Ida gefielen die Sessel überhaupt nicht.

Die Frauen nahmen Platz. Amalie verlangte Kaffee, Ida Wasser.

Peter brachte eine Karaffe und zwei einfache Gläser. »Der Kaffee dauert noch«, sagte er.

Ida legte das Foto vor Amalie auf den Tisch.

»Keine gute Aufnahme«, meinte die Photographin. »Das Licht kommt zu steil von oben. Die Konturen sind nicht markant.«

»Ihr Helfer hat erzählt, Sie hätten dem Mann den Mund geöffnet.«

»Habe ich das?«

»Er behauptet es. Und Sie fanden etwas eigenartig.«

Amalie nahm einen Schluck Wasser und nickte. »Richtig. Der Tod durch Bienenstich erscheint mir eigenartig.«

»Der Kaiserin wurde aber berichtet….« Ida brach im Satz ab.

Amalie hob eine Augenbraue. »Wieso interessiert sich die Kaiserin für einen toten Imker?«

Warum hatte sie den Mund nicht halten können? »Der Kronprinz und Erzherzogin Gisela waren von ihrem Lehrer zu dem Mann geführt worden, um die Tätigkeit eines Imkers kennenzulernen. Sie waren anwesend, als er starb«, berichtete Ida.

»Ein Bienenstich war jedenfalls nicht der Grund für seinen Tod«, sagte Amalie.

»Woher wollen Sie das wissen?«

Peter kam mit einer großen Henkeltasse Kaffee. Als Amalie daran nippte, verbrannte sie sich die Lippen. Schnell nahm sie einen Schluck Wasser.

»Sie meinen, der Mann wäre nicht an einem Bienenstich gestorben? Was bringt Sie zu diesem Schluss?«, hakte Ida nach.

»In meiner Familie sind alle verrückt nach Bienen. Mein Onkel betreibt Imkerei. Auch mein Großonkel und sogar meine Großmutter. Ich bin mit Bienen aufgewachsen. Ich kenne mich aus. Deshalb wollte ich in den Mund sehen. Der Mann hatte an der Nase einen Stich, aber der kann nicht tödlich gewesen sein.«

»Hatte er einen Stich im Mund?«

»Nein. Den Stich an der Nase wird er kaum bemerkt haben. Vielleicht wurde er überhaupt erst nach dem Tod dort gestochen.«

Dabei war Ida als Mädchen immer gewarnt worden, in der Nähe von Blumenwiesen und blühenden Klee zu spielen. »Ein Bienenstich an einer empfindlichen Stelle im Gesicht oder im Mund kann zum Ersticken führen«, wandte sie ein.

»Imkern tut das Gift nichts. Weil sie oft gestochen werden, verliert das Gift seine Wirkung.« Amalie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Der Mann hatte doch nicht eben erst mit der Imkerei begonnen, oder?«

»Ich glaube nicht, nein.«

Amalie blies auf den Kaffee, um ihn zu kühlen. »Wenn ein Imker gestochen wird, schwillt die Stelle nicht mehr so heftig an. Dafür habe ich den dreifachen Beweis in der Familie. Mein Großonkel ist einmal von mindestens zehn Bienen gestochen worden. Er hatte rote Flecken am Arm und am Hals, aber das war es auch schon.«

»Einem Imker kann das Gift der Biene nichts anhaben«, wiederholte Ida nachdenklich. »Aber woran ist er dann gestorben? Ich habe gehört, er wäre tot umgefallen.«

»War er sonst gesund?«

Das wusste Ida nicht genau.

»Schwaches Herz?«, fragte Amalie weiter.

»Davon war nie die Rede.«

»Wer so schnell stirbt, hat einen Hirnschlag oder das Herz setzt aus.«

Ida rutschte auf dem harten Sessel herum. Sie konnte sich an diese Möbel von Thonet nicht gewöhnen. »Woher wollen Sie das so genau wissen?«

»Das habe ich von meinem Cousin.«

»Wieso hat er darüber Kenntnis?«

»Er ist Mediziner. Pathologe.«

»Welche Aufgabe hat ein Pathologe?«

»Er untersucht Tote.«

Ida überlegte, ob sich die Photographin einen Scherz mit ihr erlaubte.

»Mein Cousin untersucht Leichen, um mehr über die Todesursache zu erfahren. So gewinnt er Erkenntnisse über Ursachen von Krankheiten und ihren Verlauf.«

»Ach, so ist das.« Ida spielte mit dem kleinen Beutel an ihrem Handgelenk. Das Gespräch machte sie nervös.

»Mein Cousin sagt, es sterben mehr Menschen eines unnatürlichen Todes, als wir annehmen würden.«

»Meint er damit, sie werden ermordet?«, fragte Ida entrüstet.

Amalie nickte und trank ihren Kaffee.

»Mord ist ein Verbrechen und Mörder bezahlen mit dem Leben. Die Todesstrafe ist ihnen gewiss.«

»Mein Cousin redet von Morden, bei denen es keine Wunden oder Würgemale gibt. Morde, die aussehen wie natürliche Todesfälle.«

»Hat dieser Cousin auch einen Namen?«, fragte Ida.

»Ernstl.«

»Ich brauche einen Nachnamen!«

»Ernst Holler.«

»Und er behauptet tatsächlich, dass Leute umgebracht werden und es der Justiz entgeht?«

Amalie nickte. »Der Verdacht ist eine Sache, der Beweis für den Mord eine andere. Ernstl besucht die Vorträge eines Gerichtsmediziners, bei denen es darum geht, wie man einen Mord beweisen kann.«

Auch dieser Begriff war Ida neu.

»Ein Gerichtsmediziner untersucht auf Anweisung des Gerichts die Ursache des Todes. Er versucht herauszufinden, ob der Tote auf natürliche Weise gestorben ist oder nicht«, erklärte Amalie, noch bevor Ida fragen konnte. »Er kann sogar einen ungefähren Todeszeitpunkt feststellen. Er kennt Methoden, um herauszufinden, welche Person hinter einer verkohlten oder stark verunstalteten Leiche steckt.«

Ida konnte sich nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte. »Nach einem Brand haben die Flammen das Opfer doch völlig unkenntlich gemacht?«

»Diese Frage habe ich Ernstl auch gestellt. Er erwähnte Knochenbrüche und den Zustand der Zähne. Besteht ein Verdacht, um wen es sich bei der Leiche handeln könnte, werden die Hinterbliebenen befragt, ob der Verwandte sich Knochen gebrochen hat und wie es um seine Zähne bestellt war. Ihre Aussagen vergleicht man dann mit der Leiche.«

Ida war fasziniert von dem, was sie von Amalie erfuhr. Trotzdem war sie noch nicht überzeugt. »Der Arzt, der den Totenschein für Alfred Oberland ausgestellt hat, wird die Leiche doch untersucht haben. Er müsste wissen, dass der Bienenstich nicht die Todesursache sein konnte.«

Amalie trank den Rest ihres Kaffees und schnalzte mit der Zunge. »Der Arzt hat bloß das Offensichtliche gesehen. Ein plötzlicher Tod in der Nähe von Bienen. Also ziemlich sicher ein tödlicher Bienenstich. Oder ein Herztod. Der Verstorbene war weder eine hohe Persönlichkeit noch sonderlich reich, also vermutet niemand einen Mord. Wieso auch?«

»Er war Lehrer des Kronprinzen und hat in der Hofbibliothek gearbeitet.«

»Eben. Weder sehr wichtig noch sehr einträglich.« Amalie klopfte mit der Tasse auf den Tisch und rief Peter zu, mehr Kaffee zu kochen.

Ida nahm ein Spitzentuch aus ihrem kleinen Beutel und tupfte sich die Lippen ab. Sie dachte an das Päckchen, um dessen Schutz Oberland die Kaiserin bitten wollte. Hatte er damals schon Angst um sein Leben gehabt? Ida fühlte sich noch immer schuldig, weil sie ihn abgewiesen hatte. »Wie kann man…«, begann sie zögerlich. »Wie kann man jemanden ermorden, ohne eine Spur zu hinterlassen?«

»Gift!« Amalie sagte es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

»Gift löst Krämpfe aus«, widersprach Ida. »Gift bringt schreckliche Leiden. Über Giftmorde ist in den Zeitungen zu lesen und immer wird erwähnt, welchen fürchterlichen Todeskampf das Opfer durchmachen musste.«

»Ernstl hat einmal bei einem Familienessen erzählt, die feinste Art jemanden zu ermorden, sei Gift. Das Opfer riecht und schmeckt nichts. Es ist ein schneller und leiser Tod.«

»Und so etwas gibt es?«, fragte Ida mit einem Anflug von Angst in der Stimme.

Amalie nickte bloß.

Sisis schöne Leichen

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