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1.4 Asymmetrie und Ein(s)heit

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Franco Moretti ist ausgewiesener Rezipient der Arbeiten Wallersteins und versucht deren Beiträge zu den Literaturwissenschaften wiederholt auszuloten (vgl. „World-Systems“ 67–71). Entsprechend konzis ist seine Zusammenfassung der grundsätzlichsten Eigenschaften der aus der ExpansionExpansion des Welt-SystemWelt-Systems hervorgehenden ‚Welt‘:

The world becomes one, and unequal: one, because capitalism constrains production everywhere on the planet; and unequal, because its network of exchange requires, and reinforces, a marked power unevenness between the three areas [Zentrum, Peripherie, Semiperipherie; T.E.]. („World-Systems“ 70)1

Das Welt-SystemWelt-System bringt also einen Zusammenhang hervor,Einsheit (Unicity)2 „because capitalism constrains production everywhere on the planet“, und spannt ein globales ‚NetzNetz‘.3 Diese bewusst gewählte Metapher darf jedoch nicht missverstanden werden, wie Osterhammel und Petersson in Bezug auf ihre Konzeption von ‚GlobalisierungGlobalisierung‘ ausführen:

Das Bild des Netzes darf nicht den banalen Eindruck erwecken, als hänge alles mit allem zusammen. Interaktionen sind gerichtet. Manche von ihnen verlaufen tatsächlich reziprok und interaktiv, Tauschakte zum Beispiel, andere nicht. Der transatlantische SklavenhandelSklavenhandel der Frühen Neuzeit kannte nur eine Richtung: fast keiner der verschleppten Afrikaner kehrte je in seine Heimat zurück. (Osterhammel u. Petersson 22)

Wallerstein spricht von „deep inequalities of the world-system“ (World-Systems xi).4 Dementsprechend ist die ‚Einheitlichkeit‘ des Zusammenhangs nicht falsch zu verstehen als ‚harmonischer Zusammenhalt‘. Genau dies tut jedoch ein spezifisches (man kann auch sagen: naives) Verständnis von ‚GlobalisierungGlobalisierung‘, wie ein weiterer Leser Wallersteins, Roland Robertson, ausführt:

In the mid-1980s some people got the impression that the move in the direction of what I now tend to call global unicity entails some kind of utopian view of global unity. Whereas the first term is, in my usage, neutral with respect to the risks, costs, benefits and dangers of rapidly increasing interdependence, interpenetration, global consciousness and so on, ‘unity’ and closely related terms imply – even when placed in quotation marks – social integration in quite a strong sense. […]. Indeed this misleading view of globalization as constituting a definite move to ‘world peace’ and integration is still to be found (and, of course, actively promoted by certain sociocultural movements). […]. Globalization is, at least empirically, not in and of itself a ‘nice thing,’ in spite of certain indications of ‘world progress.’ (6; Hervorhebungen T.E.)

Um dieses Missverständnis auszuschließen, wird hier im Folgenden von ‚EinsheitEinsheit (Unicity)‘ anstelle von ‚EinheitEinheit‘ gesprochen, womit ich Robertsons Unterscheidung zwischen „unicity“ und „unity“ übertrage und umsetze. Gemeint sein soll damit der Charakter des Welt-SystemWelt-Systems als „a single, continuous geography all over the planet“ (Moretti, „World-Systems“ 71), und eben nicht jene „‘unity’“, die Robertson mit Recht empirisch als nicht gegeben ansieht. Denn dass die Kompression der GanzheitGanzheit zunehmend einen geschlossenen Zusammenhang hervorbringt, bedeutet noch lange nicht dessen Homogenität oder Harmonie. Im Gegenteil zeichnet sich das Welt-System durch ein Gefälle aus, eine AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems):5 „The world of capitalist civilization is a polarized and a polarizing world.“ (Wallerstein, Capitalism 137)

Es ist also die bereits oben von Arendt erwähnte Installation von „production everywhere“ (s.o.), die die EinsheitEinsheit (Unicity) und AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) hervorbringt. Pheng Cheah spricht von

a fundamental contradiction of the modern capitalist world-system. As Marx pointed out, the globalization of capital creates the material conditions for a community of the greatest possible extension. However, the capitalist world-system also radically undermines the achievement of a human community of global reach, that is, a genuine unity of the world. For Marx, the world is a normative category that exceeds the global market. (2)

Das kapitalistische Welt-SystemWelt-System generierte also seine Ausbreitung bis zur „greatest possible extension“ (von Arendt beschrieben als: „the limitations of the globe itself“, 250, s.o.), verhindert eine „genuine unity of the world“ jedoch aufgrund seiner inhärenten Struktur. Cheah schlägt mit Bezug auf Marx die Unterscheidung zwischen der FdG ‚world‘ und dem „global market“ vor, um den ‚normativen‘ Gehalt der FdG ‚world‘ von der Tatsache des globalen Marktes zu trennen. Wiederum scheint hier die – von Wallerstein genannte und oben analysierte – Problematik der FdG ‚world‘ auf.

Die zwei Eigenschaften des Welt-SystemWelt-Systems – einen geschlossenen Zusammenhang darzustellen, der eine AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) einschließt – sind also als zwei Seiten des gleichen expansiven Prozesses anzusehen.6 Der beschriebene Prozess der ExpansionExpansion verschränkt demnach zwei Konstellationen miteinander: Aus der Expansion geht eine Kompression hervor (s.o.), die EinsheitEinsheit (Unicity) des Welt-Systems schließt eine Asymmetrie ein. Die Expansion hat räumlich eine natürliche Begrenzung in der endlichen Ausdehnung der Oberfläche der Erde; mit der Akkumulation von Kapital ist dagegen ein potenziell unendlicher Prozess in Gang gesetzt, der mit der räumlichen Expansion nicht zum Erliegen kommt.

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