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2.2 Unsichtbarkeit und Paranoia

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Den im vorhergehenden Abschnitt genannten Blickperspektiven ist gemeinsam, dass sie eine SichtbarkeitSichtbarkeit (von Ganzheit) generieren, die natürlich nicht gegeben ist. Nun ist zusätzlich auf einige weitere Ansätze einzugehen, die sich der Thematik der Sichtbarkeit von GanzheitGanzheit aus anderen Richtungen annähern. Fredric Jameson geht explizit von einer ‚Unzugänglichkeit‘ von stark raumgreifenden Zusammenhängen aus, ohne diese über die Metaphorik des Sehens (oder Nicht-Sehens) zu konzipieren. Zweitens soll – unter Bezug auf Emily Apter – auf eine ‚hypersensible Allsichtigkeit‘ im Kontrast zur These der ‚Unsichtbarkeit‘ des Ganzen hingewiesen werden.

Jameson führt in Cognitive Mapping aus:

[G]lobal realities are inaccessible to any individual subject or consciousness– […] –which is to say that those fundamental realities are somehow ultimately unrepresentable or, to use the Althusserian phrase, are something like an absent cause, one that can never emerge into the presence of perception. Yet this absent cause can find figures through which to express itself in distorted and symbolic ways: indeed, one of our basic tasks as critics of literature is to track down and make conceptually available the ultimate realities and experiences designated by those figures, which the reading mind inevitably tends to reify and to read as primary contents in their own right. (350; Hervorhebung T.E.)

Die Abwesenheit der Metaphorik des Sehens ist – gerade im Kontrast zu den bisher untersuchten Ansätzen – auffallend. Jameson spricht betont neutral von einer „unzugänglichen Realität“, von deren Nicht-Repräsentierbarkeit, und einer sehr allgemein gehaltenen „Wahrnehmung“. Laut Jameson steht die individuelle Erfahrung und Wahrnehmung in einem Verhältnis völliger Disjunktion zu den „global realities“, der maßgeblichen sozialen Totalität. Die von Jameson beschriebenen Zusammenhänge (bezogen auf die aktuelle, spät-kapitalistische Stufe der GlobalisierungGlobalisierung) sind nicht unmittelbar wahrnehmbar oder evident, und bedürfen daher erheblicher – literaturwissenschaftlicher – Arbeit, um sie erkenn- und wahrnehmbar werden zu lassen. Die von ihm so genannte ‚konzeptuelle Arbeit‘ kann, so Jameson, „global realities“ verfügbar machen. Auch wenn Jameson hier eine Analyse der Gegenwart bespricht, ist die vorliegende Studie zu einem gewissen Grad diesem Ansatz beizuordnen, insofern hier durch ‚konzeptuelle Arbeit‘ die Verschränkungen von FdG mit Körpern als „figures“ gelesen werden, die stark raumgreifende Zusammenhänge wahrnehmbar werden lassen.

Auch auf David McNallys Monsters of the Market kann hier verwiesen werden, in dem er, mit Bezug auf Marx, von einer – diesmal explizit so genannten – ‚Unsichtbarkeit‘ des „capitalist market system“ (5) ausgeht. Er beendet dabei seine literarischen Analysen, die bis zu Shellys und Shakespeares Texten zurückgehen, mit einer Untersuchung des Verhältnisses zeitgenössischer afrikanischer Zombieliteratur zur ‚GlobalisierungGlobalisierung‘. Seiner Hauptthese zufolge lassen MonsterMonster in der Literatur das kapitalistische System sichtbar werden.1 Mittel zur Sichtbarmachung eines stark raumgreifenden Zusammenhangs – des besagten capitalist market systems – sind demnach literarisch auf spezifische Weise inszenierte Körper (vgl. hierzu genauer III.4.4). Hier ist nur festzuhalten, dass auch McNally, ganz wie Jameson, von einer Unverfügbarkeit des Ganzen ausgeht, wobei beide Autoren eine marxistische Perspektive verbindet, auf die die These von der Unsichtbarkeit kapitalistischer Zusammenhänge zurückzuführen ist (vgl. McNally 5–9).

Doch kann der Prozess der ‚konzeptionellen Verfügbarmachung globaler Realitäten‘ auch völlig anderes eingeschätzt werden. So schlagen Apters Ausführungen zu der von ihr so genannten ‚oneworldedness‘ vor, einen Extrempunkt des Nachdenkens über die GanzheitGanzheit als ‚ParanoiaParanoia (Oneworldedness)‘ zu beschreiben. Paranoia ist damit die Steigerung von Vorstellungen, wie sie Netzwerktheorien oder der Slogan „everything is connected“ transportieren, hin zu einer Vorstellung vom Ganzen, in der jedes größere politische Ereignis und jeder relevante Handlungsträger mit allen anderen Ereignissen und Handlungsträgern verknüpft werden kann. Interessant ist dabei vor allem Apters Beobachtung, dass die Größe einer solchen ‚Welt‘ der oneworldedness gleichzeitig sehr groß und sehr klein ist, insofern sie alle Ereignisse und Handlungsträger enthält und verknüpft, und die gesamte Welt auf einen Erklärungszusammenhang reduziert (namentlich den vom paranoiden Denken gewählten):

In this picture, as the world expands to include everybody, it paradoxically shrinks into a claustrophobic all-inclusiveness. Paranoid oneworldedness obeys a basic law of entropy that posits that increased disorder diminishes available energy within the confines of a closed system. (370)

Die Darstellung oder Konzeption von GanzheitGanzheit setzt notwendig voraus, dass ein großer Zusammenhang auf eine (wörtlich und übertragen verstanden) überschaubare Größe reduziert wird (s.o. bei Arendt). Steigert sich diese Reduktion ‚zu weit‘ und gerät ‚zu nah‘ an eine „claustrophobic all-inclusiveness“, dann läßt sich mit Apter von paranoider „oneworldedness“ sprechen. Die Grenzen verlaufen hier nicht trennscharf, denn die Beschreibung als ‚zu weit‘ bezieht sich nicht auf eine sichere Skala. So gesehen laufen alle Vor- und/oder Darstellungen von Ganzheit Gefahr, paranoid zu werden, bzw. sind es alle zu einem gewissen Grade notwendigerweise. Am anderen Ende des Spektrums steht jedoch eine Perspektive auf die Ganzheit, in der sich diese als chaotische, unmöglich zu überschauende Menge an Informationen und Ereignissen präsentiert, die unmöglich zu deuten ist, und die – mit Jameson gesprochen – gänzlich absent bleibt. Anders gesagt: ‚Konzeptuelle Arbeit‘ mit dem Anspruch größere Zusammenhänge zu fassen, kann immer in paranoide Erklärungsmuster verfallen. Die Alternative jedoch erscheint mindestens ebenso unattraktiv: mit einer unbegreiflichen Menge an Ereignissen und Informationen konfrontiert zu sein, die nicht als ‚Welt‘ gefasst (oder: zu einer solchen reduziert, geordnet) und damit nicht verständlich werden kann.

Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint auch Wallersteins Ansatz als potenziell paranoid – und nicht umsonst geht Apter am Beginn ihres Textes von Wallersteins Welt-SystemWelt-System aus: „Wallerstein’s central idea of the world as one but unequal is easily extended to a paradigm of planetary paranoia marked by cyber-surveillance, cartographies of cartels, and webs of international relationality within and outside the nation, and on the edges of legality.“ (365) Apter will damit jedoch nicht gesagt haben, Wallersteins Beschreibungen seien tatsächlich paranoid:

ParanoiaParanoia (Oneworldedness), I am suggesting, underwrites a one-worldist paradigm that differs from transnational or global ascriptions of world-systems theory in fully realizing the psychotic dimension of planetarity. (370)

Das Risiko der ParanoiaParanoia (Oneworldedness) anheimzufallen ist unumgänglich, doch gleichzeitig ist Reduktion der unvermeidbare Grundmodus des Sprechens über GanzheitGanzheit, vorausgesetzt es will „global realities“ (Jameson, „Mapping“ 350) zur Darstellung bringen.

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