Читать книгу Welt als Körper - Thomas Erthel - Страница 15

2.3 ‚Welt‘ und Literatur

Оглавление

Wie ist die Literatur in das Problemfeld der Darstellung von GanzheitGanzheit einzuordnen? Aus der hiesigen Perspektive ist auf die weitverbreitete Vorstellung einzugehen, dass Literatur fiktive Welten erzeugt, bzw. auf den Gemeinplatz, literarische Texte erzeugten/seien ‚Welten im Kleinen‘. Christian Moser und Linda Simonis äußern sich wie folgt zum Verhältnis zwischen ‚Welt‘ und Literatur:

Indem Literatur fiktive Welten entwirft, verfehlt sie nicht etwa ihren Weltbezug, sie stellt ihn allererst her. Die Bedeutung, die Literatur für Globalisierungsprozesse gewinnen kann, beruht gerade auf ihrer Fähigkeit, fiktive Welten zu produzieren. Wenn GlobalisierungGlobalisierung ein Bewusstsein von der EinheitEinheit der Welt beinhaltet, dann ist sie auf die Existenz von Bildern und Narrativen angewiesen, die diese Einheit vorstellig machen. Das Ganze der Welt ist der Wahrnehmung nicht zugänglich – es bedarf imaginärer (literarischer und künstlerischer) Weltentwürfe, um diese zu veranschaulichen. (12)

Einerseits entsprechen diese Darstellungen zu weiten Teilen dem von Jameson als ‚konzeptueller Arbeit‘ gefassten Vorgang, insofern Moser und Simonis „Bildern und Narrativen“, die sich in der Literatur finden, die Funktion zuschreiben, die „EinheitEinheit vorstellig [zu] machen“. Der Fokus auf dem Problem der Sichtbarmachung und Veranschaulichung, das hier genannt wird, lässt sich ebenfalls in die bisherigen Ausführungen eingliedern, insofern mehrfach beschrieben wurde, dass das „Ganze der Welt […] der Wahrnehmung nicht zugänglich“ ist.

Andererseits illustriert die zitierte Passage ein Verständnis der Relation zwischen Literatur und ‚Welt‘, von dem ich mich absetzen möchte. Denn im Passus werden zwei grundverschiedene Bedeutungen der FdG ‚Welt‘ gleichgesetzt: ‚Welt‘ als Wort zur Beschreibung der ‚sozialen Realität‘, wie „Globalisierungsprozesse“ sie hervorbringen einer-, und ‚Welt(en)‘ als Wort zur Benennung des von Texten hervorgebrachten ‚abgeschlossenen Ganzen‘ andererseits (dessen Status, wie zu zeigen ist, alles andere als unmittelbar evident ist; vgl. Hutchinson 174–177; Hayot 44–47). Durch das Gleichsetzen dieser beiden Bedeutungen wird die Relevanz von Literatur für „Globalisierungsprozesse“ postuliert: Insofern Literatur selbst ‚Welten‘ generiere, könne sie gar nicht anders, als ‚welthaltig‘ zu sein. Die vermeintliche Evidenz der Tautologie dieser Behauptung verdeckt dabei, dass das Verhältnis zwischen fiktiven ‚Welt(en)‘ und ‚unserer Welt‘ nicht schlicht auf das doppelte Auftauchen des Wortes ‚Welt‘ reduziert werden kann. Denn, dass literarische Texte eine Welt, oder Welten, generieren, sagt noch nichts über das Verhältnis dieser Einzelwelten zu der Welt (im Sinn der ‚GanzheitGanzheit der sozialen Realität‘) aus. Auch wenn sich ein solcher Zusammenhang zwischen literarischen Welten und der ‚Welt‘ natürlich untersuchen lässt (und von der Literaturwissenschaft weiter untersucht werden sollte), so wird er hier, unzulässig, mittels einer nur scheinbar stimmigen Entsprechung – ‚Welt‘ hier und ‚Welt‘ da – gesetzt.

Stattdessen müsste man genauer die Frage stellen, wie Literatur fiktive Welten generiert – denn diese Annahme wird allzu leicht als Gemeinplatz hingenommen (vgl. Pavel 43–72). Zunächst wäre dazu die „tension between world as whole world and world as self-contained unity“ (Hayot 45) zu adressieren. Hayot führt außerdem aus:

Literary critics have usually, however, focused on the artwork’s world-content, not world-form, trusting the general concept of aesthetic or generic form to address the work’s relation to worldedness. This pattern of thought means that the world-forming quality of the work, though often sensed or felt, has rarely been directly looked at. Novels, we all know, have certain kinds of worlds. But what kinds? (25)

So wäre also weiter zwischen ‚Welt-Form‘ und ‚Welt-Haltigkeit‘ zu unterscheiden. Erst nachdem man dieses Verhältnis geklärt hat, ließe sich die anschließende Frage stellen, wie sich das literarische Generieren von Welten zu der Welt verhält. Fraglich ist jedoch ob Hayot, obwohl er das Problem immerhin sehr akkurat benennt, eine eindeutig bessere Konzeption vorzuweisen hat.1 So führt er aus: „Aesthetic worldedness is the form of the relation a work establishes between the world inside and the world outside the work. The history of aesthetic worldedness is thus always, simultaneously, a history of the idea of the world as such“ (45). In Abgrenzung zu Moser und Simonis lässt sich – mit Bezug auf Hayot – festhalten, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Literatur zu der Welt nicht auf dessen ‚Entwerfen von fiktiven Welten‘ (s.o.) reduzieren lässt, zumindest nicht ohne den Zusammenhang zwischen der Welt einerseits und fiktiven Welten andererseits genauer darzulegen.2 Die intuitive Einschätzung, das Verhältnis gestalte sich in Form einer Synekdoche – die ‚Welt‘ eines Romans also sei eine ‚Welt im KleinenWelt im Kleinen (Synekdoche)‘ – ist also mit einiger Vorsicht zu genießen, denn sie fußt auf einer Tautologie, und übergeht mehr Fragen als sie beantwortet. Steven Hutchinsons Ausführungen zum Verhältnis zwischen ‚Welt‘ und Literatur zeigen, wie schwierig es ist, ‚Welt‘ im Sinne eines überschaubaren, kleineren Ganzen klar zu definieren:

In its most elementary use, “world” evokes an identifiably complex, autonomous community or society of beings with its own culture and economy, its own patterns of behavior and interaction and modus vivendi, spread out in a more or less extensive spatial domain. To conceive of the world or a world necessarily involves thinking in terms of territory, time, nature, life, and sociocultural order and infusing these with specific characteristics and principles. The notion of “world,” then, comprehends any isolable environment in which culture, society, economy, politics, and history–or a plurality of these–are thought to be enacted. This notion need not imply human inhabitants since there maybe worlds of gods, or dogs for that matter, or of any other real or imaginary species, as long as these are anthropomorphized to the extent that they are capable of at least the rudiments of culture. Nor need it imply any ontological grounding: a world lacking such grounding is a utopia. Since no text is cast in a total void, it could be argued that any text whatsoever somehow conveys some sense of “world,” however fragmentary or diffuse this might be, insofar as it reveals perspective and value while opening up and characterizing an illusory ambient space. (Hutchinson 174f.)

Die äußerst weite Definition von ‚Welt‘ als „any isolable environment in which culture, society, economy, politics, and history–or a plurality of these–are thought to be enacted“ illustriert, wie schwer das Verhältnis zwischen der Welt und den Welten in Texten zu bestimmen ist. Und auch die Formulierung „it could be argued that any text whatsoever somehow conveys some sense of ‘world,’ however fragmentary or diffuse this might be“ legt offen, auf welch unsicherem Fundament (oder: Allgemeinplatz) die angenommene Beziehung zwischen der Welt einerseits und Welten in Texten andererseits fußt.

Abhilfe schafft hier die Arbeit von Edward Said, der in The World, the Text, and the Critic darauf aufmerksam macht, dass es in der Literaturwissenschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Trennung zwischen „der Welt“ („the world“, mit bestimmtem Artikel) und dem Text kommt.

American literary theory of the late seventies had retreated into the labyrinth of “textuality,” dragging along with it the most recent apostles of European revolutionary textuality–Derrida and Foucault–whose trans-Atlantic canonization and domestication they themselves seemed sadly enough to be encouraging. It is not too much to say that American and European literary theory now explicitly accepts the principle of noninterference, and that its peculiar mode of appropriating its subject matter (to use Althusser’s formula) is not to appropriate anything that is worldly, circumstantial, or socially contaminated. “Textuality” is the somewhat mystical and disinfected subject matter of literary theory. (3)

Dieser Trend zur ‚Textualität‘ und deren Analyse als ausschließlicher, d.h. von „der Welt“ nicht „kontaminierter“ Gegenstand, wird von Said scharf kritisiert. Weiter erläutert Said sein Verständnis von ‚Welt‘ ausdrücklich, welches sich durch eine Ersetzung dieser durch ‚Realität‘ und/oder ‚Geschichte‘,3 wie er selbst vorschlägt, annäherungsweise beschreiben lässt. Außerdem versteht er hierbei den jeweiligen Text als Ergebnis eines eigenen Produktionsprozesses, und/oder als Reaktion auf einen spezifischen historischen Kontext. Von der Fähigkeit ‚Welten zu erzeugen‘ spricht er nicht, und vermeidet somit eine Vermischung dieser beiden Aspekte. Deutlich macht er dies durch eine simple Adjektivbildung: Texte sind – seiner Terminologie nach – „worldly“, womit er folgende Haltung beschrieben wissen will: „My position is that texts are worldly, to some degree they are events, and, even when they appear to deny it, they are nevertheless a part of the social world, human life, and of course the historical moments in which they are located and interpreted.“ (World 4) Das Adjektiv ‚worldly‘ steht somit ein für die Positionierung von Texten in ihrem historischen Kontext, und für ihre gesellschaftliche Rolle als (potenzielle) ‚Ereignisse‘. Said öffnet somit den Raum für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Texten und ihrem historischen Kontext.4

Welt als Körper

Подняться наверх