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Ballina, 1. Juli/Ballycastle, 2. Juli
ОглавлениеSehr früh am ersten Morgen im Juli bestieg John Moore sein Jagdpferd und ritt nach Norden auf die Baronie Tyrawley zu. Er ließ sich Zeit für diese Reise und schlug nicht die kürzesten Wege ein. Um elf erreichte er Castlebar, wo er mit Brian Peters, einem in dieser Stadt ansässigen Kaufmann, zwei Krüge Bier leerte. Um drei war er in Foxford und führte ein langes Gespräch mit Michael O’Hara, einem wohlhabenden Farmer. Gegen Sonnenuntergang traf er in Ballina ein, wo er die Nacht bei Malcolm und Judith Elliott in Moat House verbrachte.
Sie genossen ein langes, ruhiges Abendessen, sprachen von Dublin und fernen Freunden. Nach dem Essen setzte sich Judith im Salon an ihre Harfe und sang den beiden Männern in ihrem klaren, silberhellen Sopran vor. Elliotts Jockeykörper saß auf der Kante eines zierlichen Stuhls, beim Zuhören preßte er die Hände auf seine Knie, John dagegen war tief im Sofa versunken und streckte die langen Beine aus. Judith hatte ein kleines Repertoire an französischen und italienischen Liedern, die sie, so weit John beurteilen konnte, sehr anerkennenswert sang, aber sie zog die Lieder der Sammlung Hibernian Airs vor, die vor kurzen in Dublin von Miss Owenson veröffentlicht worden waren. John kamen sie französisch vor, Elliott hatte kein Ohr für Musik. Dann zogen Elliott und John sich ins Büro zurück, wo sie bis spät in die Nacht redeten, mit einer Flasche Schnaps neben ihnen auf dem Schreibtisch.
Am nächsten Morgen ritt er weiter. Landarbeiter auf den Feldern links der Straße hoben zum trägen Gruß für einen Fremden die Arme, und Moore berührte die Krempe seines flachen Hutes mit der Reitpeitsche. Rechts von ihm, auf die Bucht zu, erstreckten sich die hohen Mauern von Glenthornes Gut. Moore, ein großer junger Mann auf einem großen Pferd, konnte nur ab und zu, durch die dichtstehenden Bäume hindurch, einen Blick auf Glenthorne Castle werfen, das weiß und undeutlich im Dunst des frühen Morgens lag.
Eine Meile vor Killala schlug er eine Nebenstraße ein, die zur Hauptstraße nach Ballycastle führte. Vier Meilen weiter überquerte er einen Bach und ritt durch ein Eingangstor auf Bridgeend House zu. Es war ein schlichtes, zweistöckiges Bauernhaus, bescheidener als seine prächtigen Tore, errichtet mit dem Rücken zu seiner Allee, mit Blick nach Norden auf einem Hügelkamm. Als er näherritt, konnte er in der Ferne die Bucht erkennen.
Er stieg ab, band die Zügel an einen Pfahl und ging über einen gewundenen Kiesweg auf das Haus zu. Ein Diener führte ihn in den Salon, wo er fast sofort von Thomas Treacy begrüßt wurde, einem großen, gebeugten Mann in den Fünfzigern, dessen weiße Haare ihm voll und locker in den Nacken fielen. Er nahm Moores Hand zwischen seine beiden Hände.
»Ihr seid höchst willkommen, John. Höchst willkommen.«
»Und ich bin sehr glücklich, Euch zu sehen, Sir. Ich habe in Killala mit Randall MacDonnell etwas zu besprechen, aber nichts könnte mich daran hindern, mein Pferd auf die Straße nach Ballycastle zu lenken, um Euch meine Aufwartung zu machen.«
»Ihr werdet die Nacht hier verbringen«, sagte Treacy. »Ich kann Euch ein viel saubereres Zimmer anbieten, als Ihr bei den MacDonnells finden werdet.«
»Ich will nicht widersprechen«, erwiderte Moore, »und es ist angenehm, sich auf ein sauberes Bett freuen zu können.«
»Sie sind eher Pferd denn Mensch«, sagte Treacy. »Wie die heidnischen Zentauren.«
»Sie kennen sich aus mit Pferden«, meinte Moore. »Besser als jede andere Familie in Mayo.«
»Das mag wohl so sein«, gab Treacy zu. »Aber dieses Wissen haben sie sich ehrenhaft erworben. Ein MacDonnell hat eine Schwadron von König James’ Kavallerie kommandiert. Er hat sich nicht ausgezeichnet. Setzt Euch, John. Setzt Euch. Wir werden sofort Tee bekommen, wenn diese faule Dirne von einem Mädchen sich überhaupt um meine Befehle kümmert. Geht es George gut?«
»Durchaus. Er ist mit seinen Kritzeleien beschäftigt.«
»Es ist eine Ehre für den County, daß ein Gelehrter wie Euer Bruder hier residiert. Vielleicht wird er eines Tages seine Forschungen über die französischen Königsmörder abschließen und sich der Geschichte seines eigenen Landes zuwenden.«
»Ich glaube nicht, daß George jemals mit seinen Franzosen fertig werden wird. Er weiß viel Kluges über sie zu sagen, und Klugheit entzückt ihn. Er würde in Mayo sicher wenig finden, über das er Kluges sagen könnte.«
»Da irrt Ihr Euch aber sehr, John. Vielleicht seid Ihr zu lange fort gewesen, George und Ihr selber. Euer Vater war dieser Ansicht, Gott habe seine Seele gnädig. Unsere tiefsten Wurzeln stecken in der Erde unserer Kindheit.«
»Aber ich habe Mayo von Kindheit an gekannt«, sagte John. »Vater hat mir oft davon erzählt. In all den Jahren in Spanien hatte er Heimweh. Er hat oft über Euren Vater gesprochen.«
»Ah«, erwiderte Treacy lächelnd. »Zwischen unseren Familien hat immer eine innige Freundschaft bestanden. In den schwarzen Tagen hatten wir viel zu leiden, wir alten Familien von Mayo. Das wäre ein passendes Thema für Georges Feder, nicht die pöbelhaften Königsmörder von Paris. Ein schwarzes Jahrhundert, das mit der Katastrophe von Aughrim begonnen hatte. Sie haben sich alle Mühe gegeben, uns zu Barbaren zu machen und auseinanderzubringen. Aber wir sind zäh, ein zähes Volk, John. Euer Vater ist der Beweis.«
Treacy lächelte grimmig, ein bißchen selbstzufrieden, stolz auf sein Überleben. Dazu hat er auch allen Grund, dachte John. Aber wie viele andere Familien waren untergegangen, verschwunden, ihre Namen existierten nur noch als sinnlose Bezeichnungen für Gemeinden und Hügel. Die Brownes hatten überlebt, weil sie Protestanten geworden waren, die Moores im Exil; O’Dowds und MacDonnells waren zu Bauern geworden, zu verlegenen Tölpeln. Und bei den Bauern gab es Familien, die ihren alten Adel vergessen hatten, die aber vielleicht eine zerbeulte silberne Teekanne aufbewahrten, ein Kleid aus verschlissenem und speckigem Satin, das von der Mutter an die Tochter weitergereicht wurde. Ein passendes Thema für einen Künstler des Pathetischen und Pittoresken, zu gering für die Feder seines Bruders.
»Ein uraltes Rittertum«, fuhr Treacy fort, der sich für dieses vertraute Thema erwärmte. »Vernichtet von Cromwells Pöbel und von William, dem Holländer. Mayo war einst für seine Frömmigkeit und seine Gelehrsamkeit berühmt.« Seine Hand gestikulierte vage, versuchte, Jahrhunderte zu fassen zu bekommen. »Unsere frühe Geschichte. Ihr habt die Ruinen unserer Kirchen, unserer Klöster gesehen. Eine der schönsten steht dachlos auf Eurem eigenen Land. Ballintubber.«
»Auf dem Land meines Bruders«, korrigierte John.
Treacy hörte ihn nicht. »Wir waren Vogelfreie auf unserem eigenen Land. Unsere Söhne wurden zum Abfall vom Glauben aufgefordert. Sergeants und Corporals, der Bodensatz der englischen Städte, wurden als Richter über uns gesetzt. Das ist der Stoff für ein Epos, Junge, ein passendes Thema für einen Vergil. Aber wir haben überlebt. Wir wurden nicht ins Moor gezwungen.«
»Es waren schlimme Zeiten für uns«, sagte Moore. »Traurige Zeiten. Vielleicht ändert sich das jetzt. In Wexford ...«
»Wexford! Bauern, brutale Bauern haben mit Piken und Sensen um sich geschlagen und gemordet. Betrunkene Whiteboys haben gesengt und gemetzelt!«
Er war hoffnungslos, Moore hatte es gewußt. Er zelebrierte einen tröstlichen Mythos, zählte die Kettenglieder seiner Knechtschaft wie die Perlen des Rosenkranzes.
»Die Zeiten könnten sich ändern«, sagte er. »Wenn die Franzosen vor zwei Jahren gelandet wären ...«
»Mit zehntausend von solchen Schurken und Waffen für fünfzigtausend Whiteboys? Nein, nein, es hat eine Zeit gegeben, die Zeit meines Großvaters, als Schiffe aus Frankreich die Irischen Brigaden bedeutet hätten, die Rückkehr der Wild Geese. Das ist vorbei. Diese blutrünstigen Schurken sind genauso schlimm wie Cromwells Leute. In Mayo hat es auch angefangen. Wir haben jetzt unsere eigenen Whiteboys. Sechs Güter sind überfallen worden.«
»Sechs?« fragte Moore verblüfft. »Doch sicher nur zwei?«
»Sechs«, wiederholte Treacy. »Und das letzte Mal war das schlimmste von allen. Saunders’ Scheunen sind letzte Nacht überfallen worden, die Strohdächer wurden angesteckt und die Wände dem Erdboden gleichgemacht.«
»Das ist eine ernste Angelegenheit«, meinte Moore nachdenklich. »Sechs Güter in zwei Wochen. Das ist eine kleine Rebellion.«
»Ach, das sind doch bloß Whiteboys. Cooper wird sie mit seiner Miliz jagen. Es ist höchste Zeit, daß diese kleinen protestantischen Bastarde etwas anderes tun als ihre Trommeln zu schlagen.«
»Und alles, weil Cooper ein Stück Land zur Weide machen wollte. Mysteriös.«
»Sie wissen nicht, was sie wollen«, sagte Treacy. »Es hat schon vor dreißig Jahren in Killala Ärger mit Whiteboys gegeben, als ich jung war. Damals ging es um Steuern und hohe Pacht, jetzt um Weideland. Aber dahinter steckte eine dumpfer, schwarzer Haß: Sie wußten nicht, was sie wollten, aber sie wußten, was sie haßten. Kneipenpoeten und Wahrsager hatten sie aufgestachelt. In Galway und Mayo gab es eine Prophezeiung, Irland würde befreit werden, wenn rotes Blut im Mühlbach von Oranmore flösse. Und diese Prophezeiung haben sie in ihren Briefen erwähnt.«
»Ihr Brief ist jetzt so ähnlich«, sagte Moore. »Cooper war damit in Ballintubber und hat ihn George gezeigt.«
»Aber sicher doch«, meine Treacy. »Die sind immer so. Immer gibt es irgendeinen schurkischen Schulmeister mit Unsinn im Kopf. Es war eine schlimme Zeit für meinen Vater. Wir hatten das Land damals nur gepachtet, und einige Felder hatten wir unterverpachtet und nahmen genausoviel dafür wie alle anderen in der Baronie, aber wir hatten niemals Ärger, ebensowenig wie die Blakes, die kaum besser waren als Pachtwucherer. Sie hatten es nur auf die Protestanten abgesehen, und viele Protestanten glaubten, es gäbe eine Verschwörung unter allen Katholiken, an der auch wir beteiligt wären. Mein Vater hat eines Nachts gesagt, er würde am liebsten eine von unseren Scheunen abbrennen, als Zeichen seines guten Willens.« Treacy lachte bei dieser Erinnerung. »Aber so weit ist es nicht gekommen. Am Ende haben sie vier Burschen gehenkt. Einer davon war ein MacMahon, Pádraic MacMahon, ich kannte ihn gut, das reine Pferd von einem jungen Burschen und der beste Hurleyspieler in der Baronie. Damals gab es hier keine Miliz. Sam Coopers Vater jagte ihn bis Nephin und führte Pádraic dann an einem Strick hierher zurück. Mit einem seiner Augen stimmte etwas nicht, aber ansonsten war er der beste Hurleyspieler der Baronie.«
Als er sich die Vergangenheit vorstellte, die vor seiner Geburt gekommen und vergangen war, sah John zwei Gestalten nach Killala kommen, den Vater eines Miliz-Captains, ein Krautjunker nach der Jagd, rotangelaufen und selbstzufrieden, hinter ihm, angebunden wie eine verirrte Kuh, ein großer junger Mann in Fries, der seinen Kopf hierhin und dorthin verdrehte.
»Jetzt gibt es ein Lied über ihn«, fuhr Treacy fort. »Ein elendes Kneipenmachwerk in Knittelversen. So geht es zu bei einem führerlosen Volk. Ihre Helden sind Whiteboys und Dorfkämpfer und Hurleyspieler.«
»Unser Volk«, sagte John. »Eures und meins.«
»Ach nein«, widersprach Treacy. »Wir sind ein geschlagenes Volk. Die Geschichte hat uns ihren Fuß in den Nacken gesetzt. Schade, daß Ihr meinen Vater nicht gekannt habt, und erst recht schade, daß auch George ihn nicht gekannt hat. Er war ein großer Gelehrter. Er hatte sich zwar alles selber beigebracht, aber er war ein großer Gelehrter in beiden Sprachen. Er korrespondierte mit Charles O’Conor aus Belnagare, dem Historiker und Vorkämpfer der irischen Katholiken. Ich habe hier einen Stapel Briefe von Charles O’Conor. Sie würden George sehr interessieren. Lest Charles O’Conors Gedichte, John, und ihr werdet das Schicksal des irischen katholischen Landadels begreifen. Wir sind von Verleumdern und Meineidigen angeschwärzt worden. König George hat heute keine loyaleren Untertanen, und wir verlangen nichts weiter als die vollen Bürgerrechte.«
»Pádraic MacMahon der Hurleyspieler verlangte etwas anderes, nehme ich an«, sagte John.
»Ich weiß nicht, was er verlangt hat«, erwiderte Treacy. »Ich weiß, was er bekommen hat.«
»Den Strick«, sagte John.
»Jawohl. Den Strick und ein schlechtes Lied, das er nie zu hören bekommen hat.«
Die Tür wurde geöffnet, und ein Mädchen von vielleicht achtzehn brachte das Teeservice. Sie war schlank und außergewöhnlich groß für ein Mädchen, fast so groß wie Moore selber.
Er sprang auf und sagte: »Dein Vater hat mir gesagt, eine faule Dirne von einem Mädchen würde wohl den Tee bringen. Ich wußte nicht, daß du damit gemeint warst, Ellen.«
»Ich auch nicht«, meinte Treacy. »Ich auch nicht. Hattest du denn sonst nichts zu tun, mein Kind?«
Sie stellte das Tablett auf den langen Eichentisch und nahm davor Platz. »Ich muß dafür sorgen, daß sich ein Gast willkommen fühlt, und ich habe gelernt, daß das wichtiger ist als alles andere.«
»Ich kam gerade an eurem Tor vorbei«, erklärte Moore, »und ich hatte schrecklichen Durst auf eine Tasse Tee. Ansonsten wäre ich gleich zu den MacDonnells weitergeritten.«
»Zu den MacDonnells, ja?« fragte sie. »Um diese Tageszeit könntest du dich freuen, wenn du bei den MacDonnells etwas anderes bekämst als eine Schüssel Buttermilch oder eine Eierschale Whiskey.« Ruhig und geschickt goß sie den Tee ein, gab in zwei Tassen sehr viel Zucker und reichte Moore die dritte. »Du wirst hier ein Ausländer bleiben, John, bis du genauso versessen bist auf Süßes wie wir anderen.«
»Ich habe langsam den Verdacht, daß ich immer ein Ausländer sein werde«, erwiderte John. »Mit oder ohne Zucker.«
»John wird bei uns übernachten«, sagte Treacy. »Wenn du Zeit hast, ihm ein Bett zu beziehen.«
Einen Moment lang sahen sie und Moore einander an. »Das könnte schon möglich sein«, sagte sie. »Eines Tages. Übernachtest du denn nicht bei den MacDonnells, John? Wo sie doch solche Gastfreundschaft anbieten können. Ich habe gehört, daß es dazu gehört, Pistolen gegen die Decke abzufeuern, wenn sie junge Gentlemen aus Ballintubber zu Besuch haben.«
»Sie sind eine wilde Bande«, sagte Treacy. »Das liegt ihnen im Blut. Habe ich euch erzählt, wie sich ihr Major MacDonnell vor der Schlacht von Aughrim benommen haben soll?«
»Hast du, Vater«, antwortete Ellen. »Zweimal.«
»Ich habe unseren Gast gefragt.«
»Du hast es zweimal John erzählt. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie oft ich es gehört habe. Jedesmal, wenn die arme Grace MacDonnell mich besuchen kommt, muß ich es hören, als ob sie selber irgendeine wilde Straßenräuberin wäre, die von Aughrim herbeigeritten kommt.«
Treacy nickte. »Man würde nie auf die Idee kommen, daß ihre arme Mutter eine Dillon ist, so, wie sie da in dieser kahlen, zugigen Scheune von einem Haus dahinvegetieren muß. Eine wilde Bande.«
»Sie ist eine sehr hübsche junge Frau«, sagte John.
»Das ist sie allerdings«, stimmte Ellen zu. »Wir mögen uns auch sehr. Grace MacDonnell hat die schönste Stirn in Mayo und wunderschöne grüne Augen.«
»Ich glaube, sie sind blau«, widersprach John. »Dunkelblau wie deine eigenen.«
»Meinst du? Vielleicht ändern sie bei Tageslicht ihre Farbe.«
»Dürfen wir Euch zum Essen erwarten?« fragte Treacy.
»Das wäre sehr angenehm«, antwortete John. »Ich habe etwas mit Randall zu besprechen, und dann komme ich nach Bridge-end zurück.«
»Randall redet wirklich gern«, sagte Treacy. »Vor allem, wenn er ein bißchen gebechert hat.«
»Stimmt«, meinte John. »Ein offener Mann.«
»Ich habe ihn letzten Monat auf dem Markt getroffen«, erzählte Treacy und rührte seinen Tee um. »Er sagte mir, Ihr beide hättet bis spät nachts über Politik gesprochen.«
Moore schwieg ein Weilchen, dann antwortete er: »Das stimmt. Ich habe Euch gegenüber aus meinen Gefühlen nie einen Hehl gemacht, Sir.«
»Und ich habe nicht vor, Euch in dieser Sache unter Druck zu setzen, solange es eine Frage des Gefühls bleibt und nicht mehr wird. Ich mag Euch sehr, John, wirklich sehr, und würde es sehr bedauern, Euch kompromittiert zu sehen.«
»Aber was kann Randall MacDonnell denn schon von Politik verstehen«, warf Ellen rasch dazwischen. »So wenig wie ich selber. Randall MacDonnell kennt nur eins, und das sind Pferde.«
»Er ist ein wilder Schurke und zu jeder Schandtat bereit«, sagte Treacy. »Wie sein Vater. Sie sind schon halb zum Bauern herabgesunken.«
»Grace nicht«, widersprach Ellen. »Es tut mir leid, so ein prächtiges Mädchen in einem so schlampigen Haus zu sehen.«
»Ihre Mutter ist eine Dillon«, erklärte Treacy. »Randall und die anderen sind die Kinder der ersten Frau. Sie war eine Lally aus Tuam, eine ausgesprochen widerborstige Person. Ich weiß nicht, was sich Aeneas Dillon gedacht hat, als er seine Tochter in die MacDonnells von Ballycastle einheiraten ließ. Ein Vater hat in dieser Hinsicht eine schwere Verantwortung, nicht wahr?«
»Die hat er in der Tat«, sagte John.
»Nehmt einmal mich zum Beispiel. Ellen kann zwar nicht hoffen, einem Mann eine große Mitgift zu bringen, aber sie ist mein einziges Kind, und Bridge-end und die anderen Stücke Land werden durch Natur und Gesetz irgendwann ihrem Mann zufallen. Es ist ein ordentliches kleines Gut, auch wenn ein so schönes wie Euer eigenes es natürlich weit in den Schatten stellt.«
»Nicht mein eigenes«, erwiderte John. »Meines Bruders.«
»Das kommt aufs selbe heraus«, meinte Treacy. »George scheint wohl nicht heiraten zu wollen, und selbst wenn, so ist er doch kein Mann, der seinem Bruder Schaden zufügt. Aber ich sprach über mich und natürlich nicht über George. Wir sind eine umsichtige Familie, wir mußten vorsichtig sein. Das steckt uns in den Knochen. Es wäre doch sehr falsch von mir, wenn ich Ellen in Gefahr brächte, indem ich einen sprunghaften oder unvernünftigen Mann für sie akzeptierte, nicht wahr?«
»Das wäre es natürlich.« Moore stellte seine Tasse auf den Tisch. »Aber in stürmischen Zeiten könnten Kühnheit und Vernunft dasselbe sein.«
»Manchmal vielleicht. Manchmal. Aber in den heutigen Zeiten ist es zum Beispiel für die katholischen Gentlemen von Mayo das Vernünftigste, ruhig sitzen zu bleiben und zu beten, daß diese Winde sich bald erschöpfen. Stimmst du mir nicht zu, Ellen?«
»Ich habe über diese Dinge noch nicht viel nachgedacht«, sagte sie. »Das müssen die Männer entscheiden. Aber wenn es darum geht, mir einen Mann auszusuchen, dann hoffe ich, du wirst dich auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen, für den du mich so oft gelobt hast.«
»Nun ja«, sagte Treacy. »In Zukunft haben wir noch genug Zeit, um diese Fragen zu entscheiden.«
»War es vernünftig von Eurem Urgroßvater«, fragte Moore, »sich der Stuartarmee anzuschließen?«
»Das war vor hundert Jahren«, antwortete Treacy. »Die Zeiten ändern sich. Der katholische Landadel hat an der Boyne und in Antrim für seinen König, für seinen Glauben gekämpft.«
»Und für sein Land«, fügte Moore hinzu.
»Vielleicht«, meinte Treacy. »Es war eine andere Welt. Sie waren Gentlemen, John, Eure Ahnen und meine. Sie hätten die United Irishmen verachtet. Wir reden schon viel zu lange über die Angelegenheit. Gibt es noch mehr Tee, mein Kind?«
Ellen brachte ihn zu seinem Pferd, und dort blieben sie stehen. Er beugte sich zu ihr herüber, aber sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nicht hier.«
»Er ist eigensinnig«, sagte Moore. »Höflich und eigensinnig.«
»Er ist besonnen«, sagte sie. »Was geht es denn dich an, wenn ein paar Männer in Dublin Ärger machen wollen?«
»Ärger machen!« wiederholte er. »Sie wollen eine Revolution, und ich habe ihren Eid geschworen.«
»Und die Hälfte von ihnen sitzt jetzt im Gefängnis, hast du mir das nicht erzählt? Wenn du das willst, dann kannst du es viel leichter haben, du brauchst bloß Schafe zu stehlen oder mit den Whiteboys Vieh abzustechen.«
Moore schlug mit der Handfläche auf seinen Sattel.
»Was hat es denn für einen Sinn, mit einer Frau über solche Dinge zu reden?«
»Gar keinen. Frauen müssen sich über wichtigere Dinge Gedanken machen. Da gehört dir nicht einmal genug Land, um ein Kalb darauf weiden zu lassen, und mein Vater würde dir Bridge-end geben. Warum sollte er sich wünschen, daß ich einen Mann heirate, der am Ende wahrscheinlich im Gefängnis landet? Mein Vater ist doch nicht dumm. Es wäre ein großes Vergnügen für die Protestanten von Mayo, einen Moore im Gefängnis von Castlebar zu sehen.«
»Dein Vater braucht sich keine Sorgen zu machen. In ganz Mayo gibt es nicht mehr als zwanzig eingeschworene Rebellen. Die Franzosen werden landen und Schlachten werden geschlagen und gewonnen werden, und Mayo wird nichts damit zu tun haben. Mayo ist die rückständigste Provinz der ganzen Christenheit.«
»Aber jetzt reitest du los, um aus Randall MacDonnell einen United Irishman zu machen, wenn du kannst. Du könntest mehr erreichen, wenn du seinem Pferd einen Vortrag hieltest.«
Moore zuckte die Schultern. »Ich habe Malcolm Elliott versprochen, mich bei einigen der katholischen Junker umzuhören. Anderswo sind gute Männer eingeschworen worden, Papisten und Protestanten.«
»Protestanten, ja? Und wieso brauchen die Protestanten eure Revolution? Die bestimmen doch ohnehin schon alles, oder?«
»Einige von ihnen. Dieses verdammte System bestimmt über uns alle, während England uns ausbluten läßt.«
»Ach«, sagte sie. »Geh und halte Randall deinen Vortrag. Ich gebe die Hoffnung für dich auf.«
»Tust du nicht«, sagte Moore. »Du liebst mich, und ich liebe dich.«
»Das zeigst du auf eine hübsche Weise.«
»Ich weiß eine bessere.«
»Bei hellichtem Tage unter dem Fenster meines Vaters. Wenn du mich besuchst, solltest du nur dieses Ziel haben und kein anderes. Du wirst mich zu Tränen und Verzweiflung treiben. Eines Tages wirst du zu irgendwem ein unbedachtes Wort sagen, und er steigt auf sein Pferd und reitet nach Westport, um Dennis Browne darüber zu informieren, und das ist dann das letzte, was wir von dir sehen. Und die ganze Zeit könntest du mich und die Aussicht auf Bridge-end haben, und keinem jungen Mann in Mayo ist je eine bessere Farm angeboten worden. Und mich gibt’s noch obendrein.«
»Glaub ja nicht, ich würde nicht freien kommen«, sagte Moore. »Nichts macht mir größeres Vergnügen.«
»Stimmt nicht« widersprach sie. »Dein größtes Vergnügen ist, mit Malcolm Elliott und Randall MacDonnell zu reden. Da hab ich mir wirklich einen seltsamen Verehrer gesucht. Viel besser würde es mir mit Tom Bellew gehen, den ich in meiner Verblendung verschmäht habe.«
Rasch faßte John sie um die Taille und küßte sie. Sie schmiegte sich an ihn.
»Mit mir wird es dir am besten gehen«, sagte er. »Und das weißt du genau.«
»Vielleicht«, antwortete sie. Sie berührte seine Lippen leicht mit ihren und trat dann einen Schritt zurück. »Das wird sich zeigen.«
Er stieg auf sein Pferd und blickte auf sie hinab. »Für eine Schönheit bist du zu groß, Miss Treacy. Ein kleines zierliches Mädchen wie Grace MacDonnell, die einem nicht mal bis an die Schultern reicht ...«
»Sie ist wirklich das Beste im ganzen MacDonnell-Wurf«, erwiderte Ellen. »Ich glaube, sie ist gar keine MacDonnell. Sie wäscht sich.«
»Du bist einen Kopf zu groß«, sagte Moore. »Und dann hast du eine scharfe Zunge.«
»Stimmt. Und daran solltest du dich besser gewöhnen.«
»Ich muß Irisch lernen«, sagte er. »Es ist eine weiche und anschmiegsame Sprache.«
Sie lachte. »Was du schon weißt. Paß auf, was du Randall MacDonnell sagst, John.«
»Mach ich. Ich werde so vernünftig sein wie ein Treacy.«
Auf einem niedrigen Hügel hinter der Hecke der Domäne machten zwei Kätner Kartoffeln aus. Ellen beobachtete sie, ihr gerader, schlanker Rücken war Bridge-end House zugekehrt. Es war ein fester Brauch, daß vor Ende Juli keine Kartoffeln ausgemacht wurden. Diese Männer hatten früh angefangen. Das lag am seltsamen Wetter. Wenn dieses Wetter sich hielt, dann würde es die reichste Ernte seit Menschengedenken sein. Aber Paddy Lacy und sein Sohn Owen hatten trotzdem nicht vor Ende Juli Kartoffeln auszumachen! Es gab für alles, was mit Saat und Ernte zu tun hatte, einen Zeitpunkt und eine Methode. Der Pflüger muß im Frühling seine Pferde von links nach rechts führen, mit der Sonne, und wenn er sie abschirrt, müssen sie nach Süden blicken. Freitag ist der Tag, um mit der Saat oder jeglicher Arbeit zu beginnen, für die kein Eisen benötigt wird, der beste Tag von allen ist der Karfreitag. Und wenn der Sämann losgeht, muß er sagen: »In Gottes Namen« und über die Kruppe jedes Pferdes eine Handvoll Torf werfen. Es gab hundert ähnliche Aberglauben, von denen die Ernten abhängig waren.
John Moore hatte von diesen Dingen keine Ahnung, und sein Bruder auch nicht, aber Mayo wußte sie, sogar die Protestanten. John und George hatten einfach keinen Sinn für die praktischen Fragen des Lebens. Man hat nur Pech auf dem Markt, wenn man nicht als erstem einem blonden Menschen begegnet, und wenn man ein Pferd kauft, muß man ihm einen Erdklumpen auf den Rücken legen. John Moore wußte das, weil sie es ihm gesagt hatte, aber er richtete sich nicht danach. Das Tier, das er ritt, konnte ihm kein Glück bringen, und eines Tages würde es ihm ein Mißgeschick bescheren. Warum hatte sie sich in einen Mann verliebt, der so wenig wußte?
»Ein herrliches Tier«, sagte Randall MacDonnell und ließ seine Hand über die Flanke von Moores Jagdpferd gleiten. »Ein herrliches Tier. Aus welcher Zucht?«
»Steward aus Foxford«, antwortete Moore. Sie standen auf dem Hof der MacDonnells, zwischen einem Wirrwarr von Farmkarren und Geschirr.
»Eine ketzerische Dame, doch sie ist trotzdem sehr verläßlich. Steward hat dich nicht hereingelegt. Aber komm jetzt mit herüber, John, und sieh dir eine papistische Dame an.« Er führte Moore zu den Stallungen, öffnete eine Tür und führte eine schwarze Stute heraus. »Das ist Vixen. Ich will sie nächsten Monat in Castlebar beim Rennen reiten. Unsere Zucht.« Er hatte die richtige Größe für einen Reiter, war aber mit seinen weiten, kantigen Schultern und dem beginnenden Bauch zu breit, obwohl er erst Anfang dreißig war. »Du kommst doch auch, oder?«
»Ich komme«, antwortete Moore. »Wenn ich nicht wichtigere Geschäfte habe.«
»Du solltest dich nicht durch Geschäfte von Castlebar fernhalten lassen. In dieser Woche werden in ganz Mayo bestimmt nur bei den Rennen Geschäfte gemacht. Und wenn du dich von mir beraten läßt, dann setzt du ein paar Pfund auf Vixen. Bisher haben sie nur wenige rennen sehen, aber wenn du über Nacht bleibst, kannst du das morgen früh tun.«
»Das ist freundlich von dir«, erwiderte Moore. »Aber ich muß nach Bridge-end zurück und von dort zu Tom Bellew.
»Unterwegs im Namen der Republik, nehme ich an?«
»So ähnlich«, antwortete Moore. »Ich hoffe, du gibst mir eine Nachricht für Elliott mit.«
MacDonnell wühlte in seinen Taschen nach Zuckerstücken, die er zwischen seinem und Moores Pferd verteilte.
»Elliott und ich haben zusammen gejagt«, sagte MacDonnell. »Er ist wirklich ein anständiger Bursche.«
»Stimmt«, erwiderte Moore. »Ein vernünftiger Mann. Und die Gesellschaft hat ihn zu ihrem Sekretär für Mayo ernannt.«
»Natürlich«, meinte MacDonnell, »hat es auch eine Zeit gegeben, als Sam Cooper und ich uns nahegestanden haben, so nahe, wie du einem Protestanten überhaupt stehen kannst. Er war in den ersten Jahren nach dem Tode seines Vaters ein wilder Bursche. Meine Güte, was hatten wir für Feste auf Mount Pleasant! Sie dauerten manchmal tagelang. Ich weiß noch, wie ich einmal an einem Wintermorgen mit George Blake von Ballycastle weggeritten bin, es war kurz nach Weihnachten, und wir beide waren vom Alkohol völlig benebelt. Wir hatten drei Tage durchgemacht. Dann mußten wir und haben gewettet, wer von uns weiter pissen könnte. Nicht wer mehr pissen könnte, weißt du. Da hätte George jedenfalls gewonnen. Weiter.«
Im Reden nahm er Moore beim Arm und ging mit ihm zum Haus. Als seine ermüdende Anekdote ein Ende genommen hatte, lachte er plötzlich wiehernd auf und schlug Moore auf die Schulter.
»Das ist genau sieben Jahre her. Mein Gott, was ist Sam Cooper doch für ein verdammter Idiot geworden. Er war ein verdammter Idiot, als er Squint O’Malley auf die Straße gesetzt hat. Er wollte Ärger, und jetzt hat er ihn. Und es war verrückt von ihm, die Miliz zu übernehmen, eine Aufgabe, für die jeder andere Protestant zu beschäftigt oder zu vornehm war. Was bringt ihm das denn, außer viel Scherereien und Ausgaben?«
»Er bewahrt den Frieden des Königs«, antwortete Moore, »und beschützt Mayo vor den Franzosen.«
„Ha!« rief MacDonnell entzückt. »Hast du sie je exerzieren sehen? Das ist der komischste Anblick, den ich je gehabt habe. Verwalter und Kaufleute.«
»Du hast hier eine gute Gerste«, sagte Moore. »In Ballintubber ist es dasselbe. Wenn sich das Wetter hält, gibt es eine gewaltige Ernte.«
»Gewaltig«, wiederholte MacDonnell. »Das ist genau das richtige Wort. Einer von meinen Kätnern, ein alter Kerl namens Flaherty, sagt, zu Lebzeiten meines Vaters, Gott hab ihn selig, hätte es schon einmal eine solche Ernte gegeben, aber in meinem oder deinem Leben ist so etwas noch nicht vorgekommen. Aber dich interessiert sicher nicht die Ernte, und auch nicht, wie weit George Blake pissen kann. Komm ins Haus, wo wir wie Gentlemen reden können und nicht bis zu den Knöcheln im Stallmist stehen.«
Treacy hatte recht gehabt, als er das Haus als große, zugige Scheune bezeichnete, mit Schieferdach und schmalen Fenstern, mit willkürlich angebauten Nebenräumen, ausufernd und ohne Eleganz. MacDonnell führte Moore mit unbefangenem Stolz hinein, bahnte mit Fußtritten einen Weg durch ein Gewirr von Pferdegeschirren und Kornsäcken in der Diele und brüllte nach Punsch. Er räumte zwei Sessel am Kamin frei und winkte Moore, in einem davon Platz zu nehmen.
Zehn Minuten später erschien eine dunkelhaarige Frau in einem roten Hemd und bloßen Füßen, brachte den Punsch und stellte ihn auf den Kaminsims. »Braves Mädchen«, sagte MacDonnell und streichelte ihr lässig die Hinterbacken, als sie an ihm vorbeiging. »Braves Mädchen, Nora. Bei Gott, John, eine bessere hat noch nie in diesem Haus gearbeitet.« Er schenkte Punsch in zwei Tassen ein und reichte eine Moore, der feststellte, daß der Rand verschmiert war. Die Tasse fühlte sich klebrig an.
»Jetzt werde ich dir eine klare, offene Antwort geben, John.«
Moore wußte, daß das der ortsübliche Vorspann für eine weitschweifige, ausweichende Darlegung war. »In Ordnung, Randall. Falls du mir keinen Vortrag hältst, wie wenig ich von Mayo weiß. Den habe ich schon in Bridge-end House bekommen.«
»Vom alten Treacy, ja? Das ist ein gerissener alter Fuchs. Man könnte denken, man hört ein Gedicht, wenn der Alte von der alten Welt erzählt, die bei Aughrim zerstört worden ist. Und dabei geht es ihm in dieser Welt gar nicht schlecht, und seinem Vater vor ihm auch nicht. Mein Vater hat ihn immer ›dieser alte Fuchs in Ballycastle‹ genannt.«
»Wir kommen durchaus gut miteinander aus«, sagte John. »Ich mag ihn leiden.«
MacDonnell warf ihm einen scharfen Blick zu. »Da in Bridge-end wartet ein schönes Gut auf den richtigen jungen Burschen, und darauf steht ein schönes Mädchen. Sie ist eine gute Freundin meiner Schwester Grace. Ihre Hüften sind zwar ein bißchen schmal zum Kinderkriegen, aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, wie das Sprichwort sagt.«
»Ich suche eine Frau«, wandte Moore ein. »Keine Zuchtstute.«
»Ach ja? Treacy hat wirklich recht, du kennst Mayo nicht. Also gut, John.« Moores Tasse war noch voll, aber MacDonnell füllte seine eigene aufs neue. »Ich habe mit einigen Männern gesprochen, die wir beide diskutiert hatten, mit Corny O’Dowd und George Blake und Tom Bellew und einigen anderen. Die alte Zucht, wenn du verstehst, was ich meine. Und ich glaube, dir sagen zu können, daß wir durchaus geneigt sind. Ja, das ist der richtige Ausdruck. Durchaus geneigt.«
»Ich bin sehr froh, das zu hören«, sagte Moore. »Und Malcolm Elliott wird es auch so gehen.«
»Ach«, erwiderte MacDonnell und rieb sich mit einer kurzen, plumpen Hand den Nacken. »Du redest immer von Elliott, aber ich erzähle das dir.«
»Elliott ist Mitglied des Direktorats von Connaught, ich nicht«, erklärte Moore. »Das Direktorat ist in Kontakt mit Dublin. Du hast keinen Grund, Elliott zu mißtrauen.«
»Ich glaube nicht, daß das Direktorat so überwältigend ist«, sagte MacDonnell sanft. »Es gibt ein paar United Men in Sligo und in Galway, und hier in Mayo nur ganz wenige. Das alles ist allgemein bekannt. Aber ich glaube nicht, daß wir genug für eine gute Jagd zusammenbekommen. Du könntest vielleicht die Stadtwiese von Castlebar mit United Men füllen, aber die ist schließlich auch sehr klein.«
»Ich gebe zu, daß wir jetzt noch sehr wenige sind«, sagte Moore. »Deshalb spreche ich doch mit dir. Elliott hat mich für das Direktorat empfohlen, und er würde auch dich und O’Dowd vorschlagen, wenn ihr den Eid ablegt.«
»Wäre das nicht eine große Ehre! Unten in Wexford warten gerade Mitglieder des Direktorats von Leinster auf ihren Prozeß, und einige baumeln auch schon am Galgen. Das ist wirklich eine allzu hohe Ehre für einen armen Krautjunker aus Mayo.«
Moore schüttelte den Kopf. »Niemand will etwas unternehmen, solange die Franzosen nicht gelandet sind und Munster sich erhoben hat. Jetzt müssen wir nur Vorbereitungen treffen. Männer wie Corny O’Dowd und du haben einen guten Namen bei den Pächtern. Sie würden euch zuhören und sich von euch den Eid abnehmen lassen.«
»Kann schon sein«, erwiderte MacDonnell. »Kann schon sein. Aber es ist eine andere Frage, ob sie kämpfen würden. Und womit würden sie kämpfen? Soll ich sie denn Piken herstellen lassen?«
»Das haben sie in Wexford gemacht«, antwortete Moore.
»Ach, erzähl mir nichts von Wexford. Das spricht nun zu sehr gegen deine Sache.«
»Die Franzosen werden kommen«, sagte Moore. »Darauf können wir uns verlassen. Dann wird der Kampf sich lohnen.« Er nippte am Punsch. Der war süß, wie er befürchtet hatte. Aber er trank weiter und nahm einen größeren Schluck.
»Bei Gott, das klingt gut. Dieses Land braucht einen Kampf. Trink aus, John, trink aus.«
»Es wird ihn bekommen«, sagte John. »Und wenn der Kampf vorbei ist, dann ist es ein Land und nicht mehr Englands Kornkammer. Wird das Volk von Mayo dafür kämpfen?«
MacDonnell lachte und kippte alles, was sich noch in der kleinen Schüssel befand, in ihre Tassen. »Nora«, rief er. »Mehr Punsch!« Er wartete einen Moment, dann rief er wieder: »Nora!« Er nickte Moore zu. »Sie hält ihn schon bereit. Das Geheimnis bei Punsch ist, ihn heiß zu halten. Noch am heißesten Sommertag würde ich eher Punsch trinken als Whiskey. Er macht einen klaren Kopf.«
»Werden sie kämpfen?« wiederholte Moore.
»In diesem County gibt es wildere Burschen als in beiden Königreichen zusammengenommen«, sagte MacDonnell. »Jesus, bei den letzten Dorfkämpfen von den Männern aus Ballycastle und denen aus Killala haben sie Schädel aufgeschlagen, wie du oder ich ein Ei öffnen würden. Einige hatten Schlehenknüppel, so dick wie das Handgelenk eines dicken Mannes. Zwei Männer sind glatt getötet worden, und dabei haben diese Männer um nichts anderes gekämpft als die Ehre ihrer Städte. Jesus, die Ehre von Killala!«
»Ich kenne Dorfkämpfe«, sagte Moore. »Eine blöde, brutale Angelegenheit. George hat sie in Ballintubber verboten.«
»Auch nicht blöder, als eine Republik einem Dorfkämpfer vorkommen würde. Oder einem Whiteboy. Sie haben keine Vorstellung davon. Aber sie hassen gut. Sie werden gegen das kämpfen, was sie hassen.«
Nora brachte eine neue Schüssel mit Punsch und setzte sie neben die leere. Ehe sie sich wieder aufrichten konnte, hatte MacDonnell den Arm um ihre Taille gelegt und sie auf seine Sessellehne gezogen. »Habt ihr so was in Ballintubber, John?« Er legte die Hand auf ihre Rippen, dann schob er sie nach oben und preßte eine ihrer Brüste auf ihren Hemdrand zu. »Sieh dir so ein Geschöpf an, und es verdrängt jeden anderen Gedanken aus deinem Gehirn.« Sie lehnte sich an seine Schulter und lächelte John schüchtern an.
MacDonnell legte die Hand auf ihre Brust und streichelte sie sanft. »Geh jetzt«, sagte er. »Wir haben Geschäfte zu besprechen.«
Als sie gegangen war, warf MacDonnell einen Blick auf die geschlossene Tür. »Aber trotz allem ist sie eine verdammt faule Magd. Sie heißt Nora Duggan und ist die Nichte eines dicken Farmers namens Malachi. Er ist einer von Gibsons Pächtern. Die Männer in Kilcummin halten sich an Duggan. An Duggan und einen Burschen namens Ferdy O’Donnell. Ferdy ist in Ordnung. Wir sind irgendwie verwandt, schon seit Jahrhunderten. Du kannst dich darauf verlassen, daß diese beiden in der Whiteboygeschichte mit drinhängen. Bei Gott, wenn dieser Ärger auf Ballycastle übergreift, dann werde ich ihnen dankbar sein, wenn sie sich auf Protestanten beschränken.«
»Ich wüßte gern«, sagte Moore ruhig, »ob wir uns nicht bei diesen Whiteboys nach Rekruten umsehen sollten.«
MacDonnell nickte. »Ich hab mir schon gedacht, daß wir zu dieser Frage kommen würden.« Er beugte sich vor und berührte die Schüssel, zog die Hand aber schnell zurück. »O Jesus, ich hab mich verbrannt. Wie zum Teufel hat dieses Mädchen sie getragen? Sie muß Hände aus Leder haben.« Er zog ein schmutziges Taschentuch hervor und wickelte es sich um die Hand. »Weißt du, diese Burschen da unten in Wexford; nach allem, was wir gehört haben, müssen das doch Tausende gewesen sein, und ich kann mir nicht vorstellen, daß das allesamt United Men waren. Vielleicht haben sie denselben Eid geschworen wie du, aber im Herzen waren sie alle Whiteboys. Ein Bauernbursche in Wexford ist auch nicht anders als einer aus Mayo, und ich kann mir nicht vorstellen, daß er für ein Ding namens Republik gekämpft hat. Er hat seine Pike genommen und gegen das gekämpft, was er haßt – gegen Miliz, Landwehr, protestantische Richter.«
Moore schüttelte den Kopf. »Ich würde es wirklich sehr bedauern, wenn ich das hier oder sonst irgendwo in Irland miterleben müßte. Es ist das erste Ziel der Gesellschaft, diese elenden religiösen Schranken abzubauen.«
MacDonnell lachte, als er Punsch einschenkte. »Bei Gott, wir haben Jahrhunderte gebraucht, um sie aufzurichten. Da habt ihr euch wirklich eine Riesenaufgabe gestellt. Ich weiß nicht viel über Rebellionen, aber ich weiß, daß man mit dem arbeiten muß, was man hat. Vor hundert Jahren war das noch anders, als jemand wie Corny O’Dowd einfach losreiten konnte und seine Bauern folgten ihm. Wenn es jetzt eine Rebellion gibt, dann machen die Bauern sie, und sie werden einen Whiteboykrieg machen.«
Moore schüttelte wieder mit zusammengepreßten Lippen den Kopf. »Nein. Die Gesellschaft muß alles unter Kontrolle haben. Die Franzosen kommen nicht herüber, um Bauernpöbel zu unterstützen.«
»Die Franzosen! Die haben sich doch nie um uns gekümmert. Wenn die Franzosen kommen, dann, weil sie England einen Dorn in die Flanke bohren wollen. Ich habe auch ein bißchen was von einem Whiteboy, John, und wenn ich mit dir reite, dann deshalb. Seit über hundert Jahren haben diese protestantischen Bastarde hier den großen Mann markiert, machen sich auf Feldern breit, die von rechts wegen den Iren gehören, reißen alle Macht und alles Land an sich. Die alten Leute können sich noch immer an die Zeit erinnern, wo ein Sohn seinem Vater das Land abnehmen konnte, wenn er Protestant wurde. Die Priester wurden wie wilde Wölfe gejagt, auf ihren Kopf war ein Preis von fünf Pfund ausgesetzt, und die Leute mußten in wilden Höhlen mit Wachtposten die Messe besuchen. Warum, glaubst du, besteht die Miliz von Tyrawley nur aus Protestanten? Ich kann Sam Cooper in Castlebar beim Rennen treffen, und dann trinken und wetten wir zusammen, aber wenn es zum Kampf kommt, dann mache ich ihn fertig, oder er mich.«
Er sprach mit einer, wie Moore fand, beeindruckenden und beunruhigenden Gelassenheit, als ob er Tatsachen ausspräche, die so klar waren, daß sie nicht mehr extra betont zu werden brauchten. Moore wandte seinen Blick von ihm ab und ließ ihn durch den kahlen, schmucklosen Raum wandern. An den Wänden hingen nur einige unbeholfene Portraits, die Arbeit wandernder Maler, die auf Auftragssuche mit Leinwand und Farben von County zu County zogen. Es gab eine starke Familienähnlichkeit, lange, hervortretende Kiefer, hohe, grobe Wangenknochen. Der Groll, den MacDonnell hegte, war ererbt, ein Familienerbe, vom Vater auf den Sohn. In diesem Zimmer waren 1641 und 1691 so neu wie gestern, bestimmten das Verhalten und beeinflußten die Leidenschaften. Es war eine Geschichte ohne Triumphbögen oder nach Siegen benannten Plätzen. Diese Geschichte hing an den kargen, baumlosen Mooren und den niedrigen, schroffen Hügeln, eine Geschichte von Niederlagen und Enteignungen, vom Rauch, der sich über ausgebrannten Häusern erhob.
»Die Franzosen sollen unten in Munster landen«, sagte MacDonnell. »Und die Leute hier werden sich erheben. Wenn dann niemand als die Tyrawley-Miliz Mayo verteidigt, dann, bei Jesus, werden wir sie verprügeln. Damit mußt du dich zufrieden geben, John.«
»Blake, Bellew«, sagte Moore. »Sprichst du auch für die?«
»Sicher«, antwortete MacDonnell. »Wir haben darüber gesprochen, weißt du, hin und her. Wir haben nichts dagegen, den Eid deiner Gesellschaft abzulegen, und mir ist ziemlich egal, was darin steht. Ich bin sicher, daß es ein sehr schöner Eid ist. Aber deine Gesellschaft sollte verdammt noch mal begreifen, daß hier in Mayo nicht viel auszurichten ist.«
»Das wissen wir«, sagte Moore. »So gut wie du.« Er lächelte, ein junger Mann, der sich aufs tiefe Wasser gewagt hatte. »Dann bin ich nicht umsonst hergekommen. Das hättest du mir auch gleich sagen können.«
»Ach« erwiderte MacDonnell. »Hier, laß uns den Punsch austrinken. Viel hast du nicht – vier Junker und vielleicht ein paar andere, die Corny und ich auftreiben können.«
»Die beiden Männer, die du erwähnt hast – Duggan und dieser andere.«
»Ferdy O’Donnell. Warte noch ein bißchen. Wir sind zwar alle Papisten, aber diese Burschen sind Bauern, und wir sind Grundbesitzer. Vielleicht wird Cooper für uns ein guter Anwerber, wenn er die Miliz auf die Baronie losläßt.«
Moore schaffte es, seine dritte Tasse Punsch mit einem Ausdruck des Vergnügens auszutrinken.
»Ja«, sagte er nachdenklich. »Das könnte ihm durchaus gelingen, wenn er so töricht ist, wie er zu sein scheint. George verachtet ihn.«
»George verachtet uns alle«, sagte MacDonnell und hob die Hand, als Moore etwas sagen wollte. »Uns alle. Und wer kann ihm das übelnehmen? Sieh mich an, ein Mann in meinem Alter, und ich war ein dutzendmal in Dublin, und damit kennst du alle meine Reisen. Ich habe in den letzten sechs Monaten ein Buch gelesen, eine triviale Romanze, die ich in Tom Bellews Haus gefunden habe. Es ging um einen englischen Lord, der in die Tochter eines spanischen Herzogs verliebt war, etwas Tristeres kannst du dir überhaupt nicht vorstellen. Irgendeine Frau hat es geschrieben. Keiner in Connaught kennt sich so gut mit Pferden aus wie ich, aber was bedeutet das im Grunde denn schon?«
Als Moore mit MacDonnell zu den Ställen zurückging, spürte er mit Verzagen, wie wahr diese Bemerkung doch war. MacDonnell war zweifellos ein fähiger Mann, wie leichthin er auch reden mochte, aber wie die Dornbüsche an den Hängen war er von den Winden von Mayo geformt worden, und wie die Dornbüsche war er im Land verwurzelt.
MacDonnell sagte, wie um das zu bestätigen: »Vergiß nicht, das Rennen in Castlebar. Die beste Woche im Jahr, und es wird ein schöner Einstieg in die Ernte werden. Bei Gott, es geht doch nichts über ein gutes Rennen.«
Moore zog die Reithandschuhe aus der Rückentasche seiner Jacke. »Du willst einer umstürzlerischen Gesellschaft beitreten und kannst doch nur an das Rennen von Castlebar denken.«
»Nun ja«, sagte MacDonnell und holte Moores Pferd aus dem Stall. »Die Franzosen kommen doch sicher erst nach dem Rennen, oder? Sonst werden sie einige Freunde verlieren.«