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Killala, 20. Juni.
ОглавлениеMacCarthy beobachtete die Tanzenden.
Er stand neben dem Geiger, sein langer, unvorteilhafter Körper lehnte an der Wand von Donal Hennesseys Bauernhaus, einem der größten in Killala, zwei große, breite Zimmer, von denen eines einen echten Kamin hatte. Nichts in der Welt war quälender für ihn als ein Bild, das noch nicht zu einem Gedicht geworden war. Er war wie eine Frau, die ein Kind mit einer Glückshaube zur Welt bringt. Der Mond und die Oberfläche, die sein Licht wiedergab, klebten in seiner Vorstellung zusammen, vom Regen verhüllt.
Die Geige kämpfte gegen die anderen Geräusche des Zimmers, die Füße auf dem Boden, die Stimmen und das Lachen der Männer und Frauen, die an der Wand standen, zu alt oder zu müde zum Tanzen. Die Geige sprach zu den trampelnden nackten Füßen der Tanzenden auf dem Lehmboden und erhielt von ihnen Antwort. Das ist ein hübsches Mädchen, dachte er, während er eine der Tänzerinnen beobachtete. Wer ist dieses Mädchen, Maire Spellacy? Ein großes, dralles Mädchen, Rindfleisch an den Hacken, wie es in Mayo heißt, wo die Leute immer an Vieh denken. Er beobachtete sie, zu einer leichten Sinnlichkeit angeregt, aber das Bild quälte ihn weiter. Seit einer Stunde ließ es ihm schon keine Ruhe. Er leerte sein Glas Whiskey zur Hälfte und prostete dem Geiger damit zu, dessen Lippen lächelten, während seine Augen nach innen schauten, auf seine Musik. Schreckliche Leute, diese Musiker, verheiratet mit ihrem Holz und ihren Katzendärmen, liebkosten sie wie Liebhaber. Irgendwer füllte sein Glas. Trinken wurde von ihm erwartet.
Bald war Johannisnacht. Auf Steeple Hill war bereits Holz aufgetürmt worden, und nach Anbruch der Nacht würden von hier bis Downpatrick Head die Freudenfeuer aufleuchten. Es würde Tanz und Spiele unter freiem Himmel geben, und junge Männer würden als Mutprobe durch die Flammen springen. Auch junge Mädchen würden das versuchen, denn es half, einen Mann zu bekommen, wenn sie durch das Johannisfeuer sprangen, das Feuer des Mittsommers. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, und die Feuer sprachen zu ihr, riefen sie auf die Ernten herunter. Es war der Wendepunkt des Jahres, und die Luft bebte von Geistern. Wenn die Feuer erloschen waren, wurde das Vieh durch die Asche getrieben, und Haselstöcke, die in der letzten Glut angezündet worden waren, versengten ihre Rücken. Asche aus dem Feuer wurde beiseite gestellt, um im nächsten Jahr mit dem Saatkorn vermischt zu werden.
Hussey hatte wirklich allen Grund, auf seiner Kanzel zu stehen und gegen die Freudenfeuer zu predigen, denn sie hatten wenig genug mit dem heiligen Johannes zu tun. Sie waren älter als Christus, älter noch als die Druiden, die St. Patrick vertrieben hatte. In MacCarthys Heimat Kerry kroch am Johannisabend die älteste Frau der Gemeinde dreimal ums Feuer und betete um eine gute Ernte. Und wer einen brennenden Stock mit nach Hause brachte, hatte im ganzen kommenden Jahr Glück. Der Johannisabend jagte MacCarthy Angst ein, weil er andeutete, wie alt die Geschichte der Menschen war, die entfernte Vergangenheit warf ihren Schatten aus dem Feuer, verdüsterte die flammengeröteten Gesichter. Aber es richtete keinen Schaden an, und dieses Jahr konnte es eine der größten Ernten in der Geschichte Mayos geben, das Wetter war gut, sanfter Regen und heller Sonnenschein, das Korn wurde dichter. Es schadete nichts, die Sonne zur Verbündeten zu machen. O’Sullivan hatte ein Gedicht über den Johannisabend geschrieben, ein Gedicht, dessen Konstruktion zu weich und leicht war, aber es war durchaus kein schlechtes Gedicht. Es hatte keinen Zweck, sich mit diesem Mann zu messen, auch wenn er am faulsten war, war er besser als die meisten.
Als der Tanz beendet war, gesellte sich Ferdy O’Donnell, einer der Tänzer, mit einem Krug in der Hand zu MacCarthy an der Wand.
»Nun, Owen, es ist wohl Zeit, daß wir an einem der nächsten Abende wieder einen Versuch mit Vergil machen. Komm früh, dann essen wir etwas und machen uns ans Werk.« Er war kurze Zeit in einem Seminar gewesen, und nun hatte er vor, mit MacCarthys Hilfe die sechs Bücher der Aeneis durchzuarbeiten.
»Das machen wir, Ferdy. Ich war vor ein paar Abenden in Kilcummin und habe mir gedacht, ich müßte bald mal bei dir und Maire vorbeischauen.«
»Du hattest etwas anderes in Kilcummin zu erledigen, habe ich gehört«, sagte O’Donnell und senkte die Stimme. Er nickte zum anderen Zimmer hinüber.
»Ich hatte etwas Idiotisches zu erledigen. Mußte für ein Quartett von Erpressern den Sekretär spielen.«
»Das ist kein Quartett mehr. Jetzt gibt es in der Baronie über vierzig Whiteboys, eingeschworene Whiteboys. In Kilcummin führt Duggan sie an und hier in Killala Hennessey.«
»Aber du bist nicht dabei?«
»Ach, mein Stil ist das auch nicht, Owen. Was haben Leute wie du und ich mit den Whiteboys zu tun? Ich würde ja nicht einmal, um mir einen Dorfkampf anzusehen, bis ans Ende der Straße gehen. Aber ich will nicht sagen, daß sie im Unrecht sind. Vielleicht wird jetzt weniger von Räumungen die Rede sein.«
»Wenn du keinen Eid ablegen willst, wird Duggan nicht weinen«, sagte MacCarthy. »Du bist ein geachteter Mann in Kilcummin, und diese Achtung hast du dir nicht mit dem Knüppel erworben.« Das war keine Schmeichelei. Ein ruhiger, verständiger junger Mann und Bauer. Sie respektierten sein Wissen und erinnerten sich daran, daß er zu den alten O’Donnells gehörte. Dann wandte sich ihr Gespräch der Aeneis zu. O’Donnell hatte eine brauchbare Seminaristenkenntnis des Lateinischen, aber nicht die geringste Ahnung von der Aeneis als Gedicht. Jeden Tag dreißig Zeilen übersetzen und dann aufhören, egal, wo man sich befindet. Was war es, das Männer wie O’Donnell am Lateinischen liebten? Vielleicht die Sätze, gebaut wie gute Zäune, jedes Wort solide an seinem Platz, jedes gab den anderen Stärke. Sprache von Mysterium und Wunder, die Christus zur Erde brachte und Seinen Leib auf die Zunge der Menschen legte.
Als Hennessey kam, um ihn in das westliche Zimmer zu holen, ging er nur äußerst ungern. Was hatte blutendes Vieh mit dem fernen Mond zu tun, mit den Klängen einer Geige oder mit Aeneas, der an Didos Küste angespült wird, ein Königreich hinter ihm verbrannt, eines noch aufzubauen, den nun eine Königin ruft, fromm und verliebt. Troja brannte wie die Freudenfeuer des Johannisabends.
»Du bist jetzt einer von uns, Owen, mein Junge«, sagte Hennessey und schlug ihm auf die Schulter. »Dieser Brief war scharf wie ein Messer.«
»Verdammt will ich sein«, sagte MacCarthy. »Ich habe euch doch gesagt, daß ich nicht zu euch gehöre.«
»Duggan möchte sicher nur, daß du einen mit uns trinkst. Du solltest dich mit Malachi lieber gut stellen. Er wird die Baronie regieren.«
»Die Richter regieren die Baronie«, sagte MacCarthy. »Die Richter und die Miliz.«
»Cooper reitet seit zwei Tagen zu allen anderen Grundbesitzern«, fuhr Hennessey fort. »Er wird ihnen eine Höllenangst einjagen. Er ist sogar zu den papistischen Grundbesitzern gegangen.«
»Grundbesitzer haben ihre eigene Religion«, erwiderte MacCarthy.
Im westlichen Zimmer hatten sich Quigley und O’Carroll und neun oder zehn andere Männer versammelt, einige in den Dreißigern, die anderen wesentlich jünger. Einige waren Bauern, einige Landarbeiter. Was hatten Spalpeens sich in einen Streit zwischen Bauern und Grundbesitzern zu mischen? Der Raum war von ihrem Geruch erfüllt. O’Carroll reichte ihm ein großes Glas Whiskey, und Duggan begrüßte ihn, ohne zu lächeln.
»Du bist ein Mann, der sein Wort hält«, sagte MacCarthy. »Du hast in dieser ruhigen Ecke von Mayo einen Whiteboy-Krieg entfacht.«
»Die Whiteboys von Killala«, sagte Duggan. Der pompöse Name verstopfte seinen Mund. Wir werden die Leute dieser Baronie vor den protestantischen Grundbesitzern schützen.«
»Ein religiöser Krieg, ja? Du bist ehrgeiziger geworden.« Guter Whiskey, perlfarben, mit in sich begrabenem Feuer.
»Was war es denn jemals anderes?« fragte einer der Spalpeens. Achtzehn oder neunzehn, gebaut wie MacCarthy selber, lange Arme und schwere, gebeugte Schultern. Wir sind ein eigener Stamm, dachte MacCarthy, für den Spaten geformte Körper. Er setzte zu reden an, überlegte es sich dann jedoch anders.
»Das kannst du wohl sagen«, sagte Duggan und nickte zu dem Spalpeen hinüber. »Er ist einer von den armen Leuten, die letztes Jahr von den protestantischen Orangemen aus Ulster vertrieben worden sind. Er und seine ganze Familie, und ihre Hütte ist abgebrannt worden.«
»Tut mit leid«, sagte MacCarthy zu dem Jungen. »Du hast eine harte Zeit hinter dir.«
»Das könnte hier auch passieren«, sagte Duggan. »Das wissen wir alle.« Er richtete seine Bullenaugen auf die anderen, und sie nickten.
»Schlimmeres könnte passieren«, sagte MacCarthy.
»Oder besseres«, meinte Hennessey. »Trinkt schon, Jungs.« Er deutete mit seinem Krug auf sie. »Diese Jungs haben gerade den Eid abgelegt, Owen. Du solltest das auch tun. Der Schulmeister sollte zum Volk halten.«
MacCarthy leerte sein Glas, damit es leer wäre, wenn der Krug bei ihm ankam.
Quigley streckte seinen kahlen Mond von einem Kopf vor. »Der Schulmeister in Kilcummin hat den Eid geschworen.«
MacCarthy sah zu, wie der Whiskey sein Glas füllte. »Der Schulmeister von Kilcummin ist ein unwissender, verdreckter Mann, eine Schande für die Bildung. Er ist wegen seines Unwissens aus Ballintubber vertrieben worden, und das weiß jeder Schulmeister in Mayo. Die Leute in Ballintubber sind keine Idioten. Sie sind anständige Männer mit Respekt vor der Bildung. Aber für Kilcummin ist er sicher gut genug. Sie haben nichts besseres verdient.«
»Er ist ein Mann, der Bücher in seinem Haus hat«, widersprach Quigley hitzig. »Und er hat ein ungeheures Wissen über die Geschichte der Gälen seit Noahs Zeiten.«
»Noah, mein Arsch«, sagte MacCarthy. »Warum habt ihr euren Brief denn nicht von diesem Wunderkind schreiben lassen?«
»Du bist mehr als ein Schulmeister, Owen. Du bist ein Dichter und der Verfasser berühmter Verse.«
»Und ihr wollt meine Feder an euren groben Pflug schirren«, erwiderte MacCarthy. Er spürte den Whiskey, sein Kopf tanzte.
»Es hat doch keinen Sinn«, sagte Duggan, »daß so jemand herumläuft, ohne den Eid zu schwören, und unsere Namen alle weiß. Er würde uns für einen Krug verkaufen.«
»Ich bin kein Denunziant«, widersprach MacCarthy. »Ich will nichts mit euch zu tun haben.«
»Es würde dir doch nichts schaden, den Eid abzulegen, Owen«, sagte Hennessey. »Es gibt gute Männer in Kilcummin und Killala, die ihn geschworen haben, und andere werden ihnen folgen. Diese Männer hier sind so gut, wie du es dir überhaupt wünschen kannst, und sie sind Männer mit Freunden.«
»Was du neulich getan hast«, sagte MacCarthy, »war, einem schamlosen, gemeinen kleinen Bastard Gottesfurcht einzujagen. Laß es darauf beruhen.«
Duggan schüttelte den Kopf. »Wenn du den Eid nicht ablegen willst, dann brauchen wir auch deinen Rat nicht. Unsere Pläne stehen fest.«
»Bei Gott, das tun sie«, stimmte ein Bauer zu. »Wir werden die Baronie regieren.«
»Schinderkarren und Galgen werdet ihr nicht regieren«, sagte MacCarthy. »Und so wird es enden, eure schwarzen Zungen werden euch aus dem Mund hängen, und eure Hosen werden besudelt sein.«
Wieder setzte die Musik ein, und das Getrampel der Füße auf dem festgestampften Lehmboden war zu hören. Ich sollte da draußen sein, dachte MacCarthy. Meinen Kopf mit Musik und Whiskey füllen, nicht mit Streitigkeiten. Er trank noch einen Schluck.
»Bei Gott, Owen«, sagte ein Bauer, »du solltest ein Gedicht über den Überfall der Whiteboys von Killala auf Cooper machen.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte MacCarthy zornig. »Meine Gedichte handeln nicht von Knechten, die durch die Felder kriechen, um Rindern die Beine durchzuschneiden. Meine Kunst hat edle Themen und edle Sprache.«
»Vielleicht bist du zu gut für uns«, meinte Duggan. »Du solltest deine Tage und Nächte mit Treacy in Bridge-end House verbringen, mit deinen Gedichten über die gälische Glorie.«
Die Gälische Armee. In Wexford hatten sie gegen Armeen gekämpft, Städte eingenommen, waren hinter ihren Bannern hermarschiert, und ihre Signalfeuer waren auf Hügeln aufgelodert. Weit weg in Frankreich wurden große Schiffe bereit gemacht. Nicht hier, nicht in diesem nassen, sumpfigen Land unter düsteren Hügeln.
»In Bridge-end House werde ich immer willkommen geheißen«, sagte er, »und bekomme Branntwein und Silbermünzen in die Hand gedrückt. Thomas Treacy weiß, welche Ehren einem Dichter gebühren, der sein Handwerk meistert.«
»Es ist keine große Ehre, in Killala eine Schule zu halten«, meinte Duggan verächtlich. »Du lebst so wie wir. Schlechter als manche von uns.«
»Was kannst du denn schon wissen?« fragte MacCarthy. »Verkriechst dich in einer Ecke von Mayo. Ich habe die ganze Welt gesehen. Ich bin ein weitgereister Mann, und ich bin ehrenvoll empfangen worden. Ich habe das große Wasserrrad von Clonmel und Dunboy Castle an der Küste von Cork gesehen, wo Murtough O’Sullivan die Soldaten des englischen Königs abgewehrt hat, und Dunluce Castle in Antrim inmitten der schwarzen Presbyterianer.« Leere, leere Worte klapperten wie Muscheln in seinem Kopf. Ich bin betrunken, dachte er gleichgültig. Musikklänge zwängten sich zwischen die Muscheln.
»Du hast das alles vielleicht gesehen«, erwiderte Quigley. »Aber du wirst es nicht wiedersehen. Es heißt, du wärest nicht überall, wo du gewesen bist, willkommen.« Mondkopf nickte. »Ich will kein Wort gegen deine Poesie sagen. Aber Malachi hat recht. Es ist ein seltsamer Ort für einen Mann, der sich so wichtig nimmt wie du.«
»Ein Dichter findet immer sein Willkommen«, sagte MacCarthy. »In den Häusern des alten Landadels und in den Betten der jungen Frauen. Ohne Dichter wären wir ein Volk ohne Stimme, und wer würde sich schon die eigene Zunge herausschneiden?«
»Es ist ein Wunder, daß du deine Tage damit vergeudest, Kindern das Rechnen beizubringen.«
»Das ist mein Gewerbe«, antwortete MacCarthy. »Ein Dichter hat sein Gewerbe, und er hat sein Handwerk.« Und einen Mond, den nicht einmal die Musik erreichen konnte. »Ich bin ein Dichter und ein MacCarthy. Ehe wir nach Kerry vertrieben wurden, waren meine Leute Lords von Clancarty.«
»Und wie seid ihr dorthin getrieben worden?« fragte Quigley. »In einer Kutsche aus feinem Holz, auf die rechts und links in Grün und Gold das Wappen der MacCarthys gemalt war, wie der protestantische Landadel?«
Duggan lachte. Felsen, die einen Abhang herunterkullerten. Zwei Spalpeens schauten ihn und dann einander an und stimmten in sein Gelächter ein. Flegel, von Flegeln geboren. MacCarthy wandte sich ihnen zu.
»Warum helfen Jungen wie ihr diesem Mann?« fragte er und zeigte auf Duggan. »Wenn dieses Land sicher gemacht wird, wird euer Leben dann leichter sein? Wer macht bei den Gesindemärkten die niedrigen Preise für euch, der Landadel oder die Bauern?« Aufgereiht wie Vieh oder Nigger, während die jungen Stutzer des County vorüberritten und mit ihren Peitschen auf sie zeigten.
»Vielleicht werden wir uns nicht immer auf dem Markt verkaufen«, sagte der Junge aus Ulster.
»O doch«, widersprach MacCarthy. »Ihr wart schon Sklaven auf diesem Land, bevor Christus gekreuzigt wurde.«
»Du bist mir der richtige, um über Christus zu sprechen«, sagte Duggan, »wenn die Christen in dieser Baronie Hilfe brauchen.«
MacCarthy leerte sein Glas. Er haßte den Raum und die Menschen darin. Die Musik zog an ihm, verkündete seine entfernte Identität.
»Seht ihn euch an!« sagte Quigley. »Der wäre wirklich für jeden eine gute Hilfe. Er kann ja nicht einmal aufrecht stehen.«
MacCarthy wollte sich auf ihn stürzen, trat fehl und packte ihn an der Jacke. Der Raum tanzte.
»Trennt sie«, befahl Duggan verächtlich.
Als sie auseinandergezogen waren, drückte Quigley seine Hand auf eine aufgekratzte Lippe. MacCarthy starrte sie blöde an.
»Geh zu deiner Frau zurück«, sagte Duggan. »Was immer die von dir haben mag.«
»Es ist eine Schande für Killala«, schimpfte O’Carroll. »Der Schulmeister lebt offen in Sünde. Die Hälfte der Frauen wechselt kein Wort mehr mit Judy Conlon, und früher war sie doch eine anständige Frau. Vor deiner Zeit.«
»Du wärst glücklich, wenn du auch nur eine Nacht im Jahr an meiner Stelle sein könntest«, sagte MacCarthy. »Kein Mann ist tugendhafter als der Neider.«
»Nun, nun«, sagte O’Carroll und trat einen Schritt zurück.
»Geh zu deiner Frau zurück«, wiederholte Duggan.
»Mach ich auch«, antwortete MacCarthy. »Ich werde diesen miesen, geistlosen Ort verlassen.«
»Der Whiskey war dir gegönnt, Owen«, sagte Hennessey. »Geh jetzt nach Hause und schlaf.«
»Gut gesprochen. Du bist ein besserer Mann als deine Gesellschaft, Donal Hennessey. Deine schöne langbeinige Frau hält dich bei guter Laune.«
Hennessey legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es ist eine Ehre, einen Mann wie dich in der Pfarre zu haben.«
»Ich werde eine Satire über die geizigen, undankbaren Leute von Killala verfassen. Und dich dabei ausnehmen, Donal. O Christus, wie leid tun mir die Leute von Killala, die sich den Zorn von Owen MacCarthy zugezogen haben.«
»Schafft ihn raus hier«, befahl Duggan.
Im anderen überfüllten Zimmer hielt MacCarthy seinen Krug hoch und rief: »Welche Frau geht mit Owen MacCarthy, dem Dichter, nach Hause?«
Er hörte sie kichern, die Hand züchtig vor den Mund geschlagen. Ein Mädchen, hemmungsloser als die anderen, rief: »Diese Frau hätte aber einen Höllenärger, wenn sie sich in Judy Conlons Haus sehen ließe.«
Er spürte eine Hand auf seinem Arm. Ferdy O’Donnell.
»Soll ich dich ein Stück begleiten, Owen?«
»Und warum solltest du das?« fragte Owen und machte seinen Arm frei. »Ich kenne den Weg. An diesen langen Sommerabenden werden wir Vergil lesen, Ferdy. Ich bin ein sehr guter Gelehrter.«
»Das weiß ich, Owen.«
»Und du bist keiner. Du sprichst nur das niedrige Seminarlatein. Du wirst niemals sehen, wie die Bedeutung sich um eine Zeile schlingt und windet. Aber wir müssen unser Bestes für dich tun, Ferdy. Besser als nichts, Ferdy. Besser als nichts.«
»Viel besser«, sagte O’Donnell, der in der offenen Tür neben ihm stand. »Du hast dich mit diesen Burschen doch nicht gestritten, oder?«
»Wer von ihnen hätte denn verdient, mit mir zu streiten? Sie sind ein mieser Haufen, Ferdy, ein mieser Haufen. Du darfst dich nicht mit diesem Haufen einlassen, vergiß das nicht. Denk an Vergil. Diesem Haufen da drinnen würde Vergil nicht einmal den Schweiß von seinen Eiern geben.«
O’Donnell sah ihm nach, als er die Straße hinaufging, wakkelig auf den Beinen, betrunken, ein unbeholfener Pflüger auf dem Heimweg.
Er saß auf einem kleinen, grasbewachsenen Hügel. Die Luft war klar und kalt, und die Welt tanzte nicht mehr vor seinen Augen. Er war von sich selber angeekelt. Er konnte sich kaum an die Hälfte von dem, was er gesagt hatte, erinnern, und wollte die andere Hälfte vergessen, was ihm jedoch nicht gelang.
Er war kein MacCarthy von Clancarty, sondern der Sohn eines Landarbeiters, wie vor ihm sein Vater, wie die Spalpeens in der Hütte. Wie er selber einer wäre, wenn sein Vater nicht die Pennies gefunden hätte, mit denen er ihn zur Heckenschule bei Tralee schicken konnte. Die Wörter in der stockfleckigen und zerrissenen Fibel hatten eine rätselhafte Macht gehabt, eine lichte Existenz irgendwo hinter der Seite. Er wäre jetzt ein Landarbeiter, wenn sein Lehrer nicht gewesen wäre, auch er ein Dichter, der ihm sorgfältig Formen und Konventionen erklärt hatte. Als er älter war und schon selber angefangen hatte, Wörter zusammenzusetzen, hatte sein Lehrer ihn in die Schenken mitgenommen, wo die Dichter sich trafen. MacCarthy hockte dann weit entfernt vom winterlichen Feuer, an dem die Dichter saßen, hielt einen Becher Bier in Händen, ein übergroßer Junge mit langen Armen und Beinen. Nach und nach erhoben sich die Dichter und rezitierten, der Klang der Worte erscholl durch das komplexe Netz der Metren, Bilder sammelten sich, ein Ring hinter dem nächsten hellen Ring. Hinter der verschlossenen Schenkentür lag der kalte Winter von Westmunster, die Atlantikwinde umtosten Brandon und die beiden Buchten.
Sein Zuhause war eine elende Hütte an der Landstraße nach Fenit, so schlecht wie eine jede in Kilcummin, ein dunkler, fensterloser Raum, in dem sein schwerer, erschöpfter Vater einfach umfiel und eingeschlafen war. Vor dieser Dunkelheit der Glanz, ein Gedicht zu formen, Klang und Bild, ineinander verschlungen. Es wurde sein eigenes, auch wenn es mit hundert anderen Gedichten von lebenden und längst toten Dichtern zusammenhing. Es war eine Welt von Luft und Sonnenlicht. Überall sonst gab es Hütten und Kotgeruch, die Schweine wühlten neben dem Bett, die Kinder schlugen sich um die Kartoffeln unten im Topf. Clownischer Knecht, kümmerst dich nicht um Kinderleben, nur um Kühe. Aber Dämmerung entsprang der Finsternis in einem Gedicht, eine Wiese in lichter Blüte, eine Jungfrau, die darüberging, wunderschön und in Licht gebadet. Der dunkle Tag der Gälen geht zu Ende, sagte sie dem Dichter, und ihre Schönheit erfaßte ihn wie die Macht der Wahrheit. Schiffe tragen den Befreier über das Meer, einen O’Neill oder einen O’Donnell, oder den kühnen jungen schottischen König. Das lichte Schwert des Befreiers zerschlug die Dunkelheit, und Licht strömte in die fensterlosen Hütten.
Im Laufe der Zeit, zuerst als Lehrling eines Heckenlehrers, dann selber Schulmeister, verließ MacCarthy die elenden Hütten, wanderte von Dorf zu Dorf. Kündigte seinen Unterricht an Kapellentüren an, traf sich mit seinen Winterklassen in Scheunen, in die jedes Kind pro Tag zwei Torfsoden mitbrachte. Hühner und Pennies waren zuerst sein Lohn, dann Hühner und Schillinge. Es war sein Gewerbe, ein Dichter hatte ein Gewerbe und ein Handwerk. Sein Gewerbe konnte Lehren sein, Gastwirtschaft, sogar, wie Owen Ruagh O’Sullivan, Landarbeit als Tagelöhner. Sein Handwerk war die Artikulation von Klang und Leidenschaft. Später, er war noch immer keine fünfundzwanzig, wurden MacCarthys Gedichte auch anderen Dichtern bekannt, wurden in Schenken aufgesagt, die er nie besucht hatte, von Männern, deren Gedichte er selber kannte, verbunden im Freimaurertum der Sprache. Er war in den Häusern des alten Landadels willkommen, wo immer noch Irisch gesprochen wurde und wo Bienenwachskerzen Wände erleuchteten, an denen Schwerter hingen, die hundert Jahre zuvor mit Sarsfield in die Schlacht gezogen waren. Harfen und Sackpfeifen verstummten, und MacCarthy wurde hervorgerufen, um seine Verse zu zitieren, und der Landadel, O’Connors und Frenches und MacDermots, die auf irgendeine Weise ihr Land hatten behalten können, nickten beifällig. Silber und Goldmünzen für einen Dichter, der eine dünne Brücke aus Worten in die Vergangenheit baute, in eine Welt, die am Boyneufer und am Shannon verlorengegangen war, die unter dem blutigen Schlamm von Aughrim begraben lag. Er hatte seine Aislinge und Klagen für die großen katholischen Häuser und Lieder für die Schenken, Liebeslieder und Trinklieder, das lockere kupferne Wechselgeld seiner Kunst. Seine häufige Betrunkenheit, sein lockerer und leichtlebiger Umgang mit Frauen, sein unbeherrschtes Temperament, seine sardonische Art wurden akzeptiert, gewissermaßen als Nebenwirkungen seines Handwerks. Er und seine Dichterkollegen waren die Überlebenden eines alten Ordens, wie der verarmte katholische Landadel mit seinen verblassenden Ahnentafeln und seinen nutzlosen, verzierten Schwertern.
Es gab Zeiten, wenn die Gänsefeder neben der Talgkerze kratzte, da MacCarthy in einem kalten, perfekten Schweigen lebte, das nur vom Klang der Worte in seiner Phantasie gebrochen wurde. Aber es gab auch andere Momente von kaltem Zweifel, die die Hand schlugen, die die Feder hielt, die die Finger gefrieren ließen. Seine Gedichte feierten die alten Herzöge, die O’Neills und O’Donnells, aber was hatten die am Ende denn getan, außer sich mit ihren Familien nach Spanien einzuschiffen und ihre Leute im Dreck steckenzulassen, wo sie noch heute saßen? Sie machten schöne Gedichte über Irlands Liebling, Patrick Sarsfield, der nach der Niederlage von Limerick mit seiner irischen Armee nach Frankreich segelte, aber kaum jemand sprach von ihren Frauen, die schreiend und heulend hinter den Schiffen herliefen und ihre Kinder hoch über ihren Köpfen hielten. Schöne Gedichte über König James, den königlichen Stuart, aber nicht eines sagte, was jeder Dichter wußte, nämlich daß die Bauern, die mit den Bajonetten in die Schlacht getrieben worden waren, ihn »Séamus den Scheißer« genannt hatten, weil er so schnell von der Boyne geflohen war, daß er den Boten, der die Nachricht von der großen Niederlage in den Süden bringen sollte, weit hinter sich zurückgelassen hatte. Rubine im Dreck, die legendären Namen, O’Neill, Maguire, Sarsfield. Die Dichter hoben sie auf, polierten sie und setzten sie in ein Filigran aus Worten, um ein Volk ohne Hoffnung zu trösten.
Es stimmte, daß MacCarthy weit durch seine Welten von Munster und Connaught gereist war, aber er log, wenn er behauptete, in Antrim gewesen zu sein, und er war nie in die Nähe von Dublin gekommen. Ein Netz von Schenken stand einem guten Dichter offen, und MacCarthy hatte in Bantry und Macroom und Ballyvourney, in Limerick und Ennis und Galway gesprochen und getrunken. Aber er kannte seine Welt gut genug, um zu wissen, daß es dahinter noch eine andere Welt gab, von der er überhaupt nichts wußte. In seiner Jugend und zur Zeit seines Vaters, seines Großvaters und seines Urgroßvaters, waren irische Jungen auf Schmugglerschiffen nach Frankreich gereist, um König Louis zu dienen, und jetzt war der letzte König Louis tot, sein Kopf war in ein Faß gerollt, abgehackt von einer großen Maschine mit einer riesigen Klinge in der Mitte. Keine Lieder würden mehr über die irischen Brigaden in französischen Diensten geschrieben werden, und in den Häusern des katholischen Landadels, der sich jetzt genauso vor Frankreich fürchtete wie die Cromwellschen Junker, wurde nicht mehr auf König Louis angestoßen.
»O the French are on the sea, says the Sean Bhean Bhocht«, die arme alte Frau, die Irland personifizierte. Auf irgendeine Weise war dieses dämliche Liedchen nun schon über ein Jahrhundert im Umlauf. Und jetzt waren die Franzosen vielleicht tatsächlich auf dem Meer, aber durchaus nicht dieselben Franzosen. Es waren die Franzosen, die König Louis Kopf abgehackt hatten und vielleicht für König George dasselbe planten. Vor zwei Jahren war ihre große Invasionsflotte in die Bucht von Bantry gesegelt, war aber von den protestantischen Winden an der Landung gehindert worden. MacCarthy kannte diese Bucht gut, ein langer, dünner Arm der See; Männer mußten in den Türen der Hütten gestanden, den Abhang hinunter auf Schiffe mit hohen Masten gestarrt haben, eine fast erfüllte Prophezeiung. Nun, wo Teile der Insel im Aufstand waren, hieß es, daß sie wiederkommen würden. Rebellenlieder waren den ganzen Frühling über nach Connaught geströmt, schienen aber im Shannon zu ertrinken. Unvorstellbar die Rebellion im Süden, viel mehr als die in Ulster, eine Schar von Tausenden auf den Straßen, mit Piken bewaffnete Bauern. Was hatte das mit O’Neill in leuchtendgelben Kleidern zu tun, mit von Juwelen funkelndem Gürtel, oder mit Patrick Sarsfield in weißem Satin, mit roter Seidenschärpe, mit Silbergriff am Schwert? Und was hatte die Geschichte überhaupt mit den zerklüfteten Stränden von Mayo zu tun? Mayo drehte seine eigenen Kreise, Geisel seiner eigenen weiten Felder, seiner Steine, seines Grases und seines Torfs.
Was war mit MacCarthy selber, einem Mann, der niemals Land haben würde, nicht mehr als sein Vater? In alten Zeiten, hieß es, hatten die Dichter an den Tafeln von Clanhäuptlingen und Lords gesessen, aber Irland war dreimal gebrochen worden, von Elisabeth, von Cromwell und von William. Alle Dichter waren jetzt Heckendichter, die ihre Ehre suchten, wo sie sie finden konnten. Einmal in West Cork, in der Nähe von Macroom, war er eines warmen Nachmittags um eine Kurve gebogen und hatte vor sich ein großes Haus aus behauenem Portlandstein mit großen weißen Säulengängen und acht hohen Pfeilern gesehen, die auf der Veranda aufragten. Eine Kutsche kam die Allee entlang, und MacCarthy trat beiseite, um sie vorüberzulassen: Ein Gentleman in feinstem Samt, mit weißer, glänzender Wäsche, mit weißem, glänzendem Gesicht, präsentierte sich der Sonne. Nun, dachte MacCarthy, wenn ein Dichter für die Herren schreibt, dann müßte ich für diesen Junker Jenkins oder Colonel Bumpkin schreiben. Aber wenn er mich überhaupt sieht, dann sieht er einen einfältigen Spalpeen, der auf Arbeitssuche die Straße entlangwandert. Und was mich betrifft, ich schreibe von Clanhäuptlingen, deren zerfallene Wachttürme, im Moor oder auf Landzungen, heute als Kuhställe dienen.