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Prolog Frühsommer 1798

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MacCarthy fühlte sich in dieser Nacht beschwingt, als er Judy Conlons Hütte in den Acres von Killala verließ. Nicht betrunken, sondern beschwingt. Er hatte ein oder zwei Fingerbreit Whiskey in einer festverkorkten Taschenflasche aus grünem Glas bei sich, und das Bild, das ihn seit einer Woche verfolgte. Mondlicht, das auf eine harte, flache Oberfläche fiel, Sense oder Schwert oder Stein oder Spaten. Es war kein Bild, aus dem ein Gedicht entstehen konnte, aber es konnte als glänzende, angemessene Verzierung an ein bereits geformtes Gedicht angehängt werden. Die Herausforderung seines Handwerks.

Auf halbem Wege zum Strand von Kilcummin, auf seiner rechten Seite toste die düstere Bucht, auf seiner linken befand sich eine niedrige Steinmauer, zog er die Flasche aus der Tasche seines langschößigen Mantels. In dem farbigen Glas, im klaren Licht des Sommerabends, war der Whiskey ein ertrunkener Mond. Als die Flasche leer war, warf er sie in hohem Bogen ins Wasser. Wie das Funkeln des Mondlichtes auf dem Meer. Oder sein Leuchten auf ihrer runden Brust. Nein, das Bild verlangte eine flache Oberfläche. Bis er das Bild hatte, würde er sein Sklave sein.

Bei Matthew Quigleys Schenke, einer langen, niedrigen Hütte auf der anderen Seite der engen Straße, die am felsigen Strand vorbeiführte, klopfte er mit der Faust an die Tür und wartete. Quigley öffnete ihm, ein kleiner, O-beiniger Mann, kahl, mit einem großen Kopf, so rund wie ein Vollmond.

»Du kommst spät«, sagte er.

»Stimmt«, antwortete MacCarthy. »Ich hatte etwas Besseres zu tun.«

»Aber sicher doch«, meinte Quigley. »In den Acres von Killala.«

»Da wohne ich«, erwiderte MacCarthy. Quigley trat zurück, und MacCarthy betrat die Schenke, wobei er in der niedrigen Tür den Kopf einzog. Er war ein schwerfällig gebauter Mann, groß und grobknochig, mit langen Armen, die ihm von den schweren, gebeugten Schultern fast bis an die Knie reichten. Es waren Körper und Kopf eines Pflügers, eine Matte aus borstigen roten Haaren wie ein Signalfeuer auf einem Hügel, lange, dünne Lippen.

Drei Männer, die am erloschenen Kamin saßen, schauten zu ihm herüber, und einer von den dreien richtete das Wort an ihn. Malachi Duggan, ein schwerer Bulle mit nach vorn gebeugten Schultern. »Du kommst spät.«

»Sieht so aus«, sagte MacCarthy. »Ich habe keine Uhr.«

Tatsächlich besaß er eine Uhr. Eine schöne Golduhr, dick wie eine Rübe, die einige Gentlemen aus Nord-Kerry ihm vor einigen Jahren nach einem Wettdichten überreicht hatten, Zweige und Blumen waren in das Gehäuse eingraviert. Jetzt war sie unbrauchbar, eines Nachts in Newcastle West zerschlagen, das Gehäuse verbogen, ein Wirrwarr von Rädchen und Schrauben und Federn unter dem zersplitterten weißen Zeiger, ein zerbrochener Mond.

»Du trinkst doch sicher einen«, sagte Quigley und füllte ein Glas für ihn.

»Der hat doch noch nie ein Glas abgelehnt«, sagte Phelim O’Carroll. »Stimmt das nicht, Owen?«

»Das ist eine bescheidene Prahlerei«, meinte MacCarthy und setzte sich zu ihnen. O’Carroll, der Witwer, mit einem großen Hof, den er vom Hohen Lord persönlich gepachtet hatte; er bearbeitete ihn mit seinem Neffen, einem harmlosen, geistesschwachen Geschöpf, und einem halben Dutzend Landarbeitern. Der vierte war Donal Hennessey, er hatte weniger Land, aber er hatte zwei heranwachsende Söhne und eine dralle, schöne Frau mit langen Beinen und sanften, wohlgeformten Hüften. Sie war einwandfrei zu einem Zweck geschaffen worden, aber Hennessey hatte wenig Ahnung von solchen Dingen. Sie gab ihm Kinder, und darauf kam es an.

Hennessey spielte keine Rolle, auch nicht O’Carroll oder Quigley. Duggan war wichtig. Er saß MacCarthy gegenüber, die Hände auf den schweren Knien. Seine Augen waren blaßblau, wachsam; rund wie Monde.

»Wir warten schon eine Stunde«, sagte er. »Eine Stunde lang haben wir in einen toten Kamin gespuckt und auf einen Schulmeister gewartet.«

»Für Donal und Phelim wird das nicht so hart gewesen sein, wo Matthew Quigleys Whiskey sie doch trefflich unterhalten konnte. Es war schlimmer für einen Mann wie dich, der niemals Durst verspürt.« MacCarthy prostete Quigley zu.

»Wir haben dich nicht hergebeten, um Witze zu machen«, sagte Duggan.

»Wir brauchen deine Hilfe«, erklärte Hennessey vermittelnd.

Rauher Whiskey brannte in MacCarthys Kehle und verbreitete dann seine Wärme in seinem Körper. Vom unverglasten Fenster fiel Licht auf sein Glas; gefangenes Feuer.

»Nur einen Brief«, sagte Duggan. »Wir möchten, daß du einen Brief auf englisch für uns schreibst. Einen Brief an einen Grundbesitzer. Du weißt, was für einen Brief wir brauchen, und keiner von uns kann ihn schreiben.«

»Das meinst du doch nicht ernst«, antwortete MacCarthy. »Unbarmherziger Tyrann, hüte dich. Zu lange schon lastet deine Ferse auf unserem Nacken.«

»Wir meinen das durchaus ernst«, sagte Hennessey.

MacCarthy sagte auf englisch: »Eine schreckliche Rache wird über dich kommen. Tyrann, hüte dich!«

»Bei Gott, das muß wunderbares Englisch sein. Du schüttelst das aus dem Ärmel wie ein Verwalter. Was bedeutet das, Owen?«

MacCarthy gab keine Antwort. Er wandte sich an den wachsamen Bullen, Duggan, mit dem schweren dunklen Kopf, der leicht auf einem muskulösen Nacken balancierte.

»Was soll es denn sein, eine Warnung an den Verwalter des Hohen Lords? Der würde damit sein Feuer anzünden.«

Matthew Quigley, in fettiger Schürze, beugte sich vor, um ihre Gläser neu zu füllen, Hennesseys, O’Carrolls, MacCarthys, sein eigenes. Duggan hatte kein Glas.

»Diesmal ist es keine Warnung«, sagte Hennessey. »Und der Brief geht nicht an den Verwalter des Hohen Lords. Er ist für Captain Cooper hier in Kilcummin und soll ihm sagen, was wir getan haben, wenn wir es getan haben. Wir wollen das Vieh abstechen, das er auf der neuen Weide stehen hat.«

Zerfetzte Sehnen und blutiges Gebrüll in der Nacht.

»Schreibt euren Brief selber«, sagte MacCarthy.

»Du hast gut reden Owen«, widersprach O’Carroll. »Du hast kein Land, um das du dir Sorgen machen mußt. Ein Schulmeister hat nur seine Bücher, und wer würde ihm die schon wegnehmen!«

»Du zum Beispiel«, antwortete MacCarthy. »Du würdest die schönen Wörter nehmen, die darin stehen. Meinst du nicht, das Gericht würde sich fragen, wer Cooper einen Brief in gutem Englisch geschickt hat?« Er sah sich vor den Richtern stehen, die seinen Brief herumreichten. »Es wäre viel besser, wenn ihr den Brief selber hinkritzeln würdet, ungebildete Männer, die ein ungebildetes Verbrechen gestehen. Zeichnet darauf einen Sarg, wie die Whiteboysa in den alten Zeiten. Cooper ist Ire genug, um einen Sarg zu verstehen.«

»Es ist kein Verbrechen«, sagte Quigley, »wenn Sklaven um simplen Anstand bitten.«

»Nicht? Die Richter würden dir da widersprechen, und Hussey in der Kapelle von Killala auch.« Whiskey schwappte an den Rändern seines Bewußtseins. Er trank weiter.

»Ein Priester kennt sich in diesen Dingen nicht aus«, meinte O’Carroll.

»Weiß ich«, sagte MacCarthy. »Er hat kein Land. Wenn ihr gegen Sklaverei protestieren wollt, dann solltet ihr für eure Leute auch ein gutes Wort einlegen. In dieser Baronie gibt es keine elenderen Sklaven als die armen Burschen, die ihr von den Gesindemärkten anschleppt und die ihr mit Kartoffeln, die ein ehrlicher Mann nicht einmal seinen Schweinen hinwerfen würde, halb verhungern laßt.«

»Jetzt gehst du aber zu weit, Owen«, widersprach Hennessey. »Der arme Phelim tut sein Bestes für diese Jungs. Der Verwalter des Hohen Lords quetscht ihm fast das Leben aus, und mir geht’s nicht anders. Und das weißt du sehr gut.«

MacCarthy leerte sein Whiskeyglas. »Aber du brauchst dich nicht draußen nach Sklaven umzusehen, Donal, nicht wahr? Die werden für dich zu Hause gezüchtet.«

Verwirrung. »Meinst du meine Söhne?«

»Nennst du sie so? Die Ähnlichkeit ist nicht groß.« In einer Ecke seiner Vorstellung stand die Mutter von Hennesseys Söhnen mit gespreizten Beinen neben der Tür ihrer Hütte.

»Du wirst diesen Brief schreiben«, sagte Duggan. Die anderen sahen ihn an. MacCarthy beobachtete ihre Augen. Sie folgten, wohin er sie führte, harter Bauer, Tyrann, Dorfkämpfer. Vor drei Jahren, zu einem Jahrmarkt, hatte er die Männer von Tyrawley gegen die von Erris geführt, einen dicken Knüppel in der Hand, weder Vergnügen noch Zorn hatten sein zerknittertes, ungerührtes Gesicht gezeichnet. An die Stirnwand der Kneipe von Belmullet gelehnt, hatte MacCarthy zugesehen, verächtlich und voller Bewunderung. »Du wirst dein feines Englisch für diesen Brief benutzen, und es wird ein langer Brief sein. Du wirst schreiben, daß dasselbe passieren wird, wann immer irgendein Grundbesitzer oder Mittelsmann Weideland aus einem Gehöft macht. Und daß es keine weiteren Warnungen geben wird. Das wollen wir bekanntgeben.«

»Das wollt ihr bekanntgeben«, wiederholte MacCarthy. Er hielt Quigley sein Glas hin, und der füllte es wieder. Privileg des Poeten. »Vier Männer in einer Schenke wollen das bekanntgeben.«

»Wir sind mehr als vier, Owen«, erwiderte Hennessey. »Da kannst du ganz sicher sein.« Er war ein Wunder. Beleidigungen prallten von ihm ab wie Regen von der Flanke einer Kuh.

»Die Whiteboys von Killala«, sagte Duggan. »Damit unterschreibst du. Die Whiteboys von Killala.«

»Die Whiteboys von Claremorris sind vor zwei Jahren öffentlich ausgestellt worden«, sagte MacCarthy. »Zwei von ihnen vor dem Gericht in Castlebar. Gehenkt und geteert.« Hinter dem Fenster eine Ecke des Mondes. Elegant, zurückhaltend.

»Von wie vielen?« fragte Hennessey. »Die Leute werden zu uns halten.«

»Bei Gott, das werden sie«, stimmte Duggan zu. Zum erstenmal lächelte er.

»Nicht meine Leute«, widersprach MacCarthy. »Ich bin aus Kerry.« Klares Wasser und helle Klippen, Vogelgesang.

»Jetzt bist du hier«, sagte Duggan. »In der Baronie Tyrawley. Vergiß das lieber nicht. Es geht nicht um vier Männer in einer Schenke. Es geht um die Männer in allen Gemeinden.«

»Das glaube ich nicht«, meinte MacCarthy. »Ihr habt mit Cooper ein Hühnchen zu rupfen, weil er die O’Malleys vom Land gejagt hat, um Weideland daraus zu machen, und nun habt ihr euch einen großartigen Namen gegeben, die Whiteboys von Killala.«

»Der Name ist gut genug«, sagte O’Carroll.

Was machte es schließlich aus? Die Whiteboys von Macroom, die True Men von Bruff, die Honest Men von Tralee. Seit dreißig Jahren tauchten sie immer wieder hier und dort auf, und das Ende war immer gleich, Körper an einem Galgen. Aber es war ein seltsames Jahr für Whiteboys, da jeder Hausierer und Wanderer Berichte über die großen Kämpfe in Ulster im Norden und in Wexford im Süden nach Mayo brachte. Und diese United Irishmen waren keine Whiteboys gewesen. Jetzt waren sie gar nichts mehr. Vor zwei Monaten hatten Englands Armeen sie zerschlagen.

»Es ist ein sehr guter Name«, sagte Duggan. »Jeder Grundbesitzer in Irland kennt ihn und weiß, was er bedeutet. Daß Vieh getötet und Felder abgebrannt werden, und danach könnte es noch schlimmer kommen. In den Mooren von Belmullet sind die Leichen von Verwaltern und Gerichtsdienern versenkt worden, mit ausgequetschten Augen, mit von den Dornbüschen zu Riemen geschnittenen Rücken.«

Seine Stimme war ausdruckslos, aber seine Lippen glänzten vor Speichel. Das will er. Die dicken, eckigen Finger könnten sich um die Kehle eines Verwalters schließen, könnten strafenden Dornbusch aus dem Boden reißen.

»Ach, wir haben keine Wahl, Owen«, sagte O’Carroll. »Wenn die Grundbesitzer sich auf Viehzucht verlegen, dann sind wir erledigt. Das ist überall so. Wir haben kein anderes Argument als den Brief der Whiteboys.«

MacCarthy wandte sich an Quigley. »Ein Gastwirt hat kein Land. Was bedeutet dir das alles?«

»Nun ja, Owen. Es stimmt schon, ich habe kein Land, genausowenig wie ein Schulmeister. Da hast du recht.« Er nahm MacCarthys Glas und füllte es wieder mit ruhigem, farblosem Whiskey. »Aber man sollte sich mit seinen Nachbarn gut stellen. Das schadet nie, egal, welchen Beruf man hat.«

MacCarthy drehte das Glas in seiner Hand. Der Raum wurde langsam dunkel. Hinter dem Fenster hatte das Abendlicht die Weichheit eines Hänflingsflügels angenommen, die den Anfang der Nacht ausmacht.

»Es ist ein törichtes Geschäft, was ihr da vorhabt«, sagte er zu Duggan. »In Ulster und in Wexford sind große Aufstände niedergeschlagen worden. Letzte Woche war ein Wanderer in Killala, der erzählt hat, daß die Galgen von einem Ende von County Wexford bis zum anderen stehen, wie auch die abgebrannten Hütten. Und niemand wird jemals all die zählen können, die mit Gewehr und Schwert getötet worden sind. Er sagt, jetzt sind mehr englische Soldaten im Land als seit der Schlacht an der Boyne. Sie stehen zu Tausenden in Tuam und auch zu Tausenden in Galway City.«

»Ich habe mit diesem Mann gesprochen«, sagte O’Carroll. »Er hatte noch mehr zu berichten. Er sagte, die Gälische Armee habe im County Wexford einen Monat lang gesiegt.«

»Das ist ein großer Trost für sie gewesen, als sie unter dem Galgen standen«, meinte MacCarthy.

»In Tyrawley gibt es keine Tausende von britischen Soldaten«, sagte Duggan. »Hier gibt es nur Captain Cooper und seine Zwergmiliz. Protestantische Ladenbesitzer und Steuereintreiber. Was weit weg in Wexford oder Ulster passiert, ist hier völlig uninteressant.«

»Tausende hatten sich erhoben«, erzählte MacCarthy. »Der ganze County Wexford, ganz Carlow, ganz Wicklow und Teile von Kilkenny. Sie haben versucht, sich aus Wexford herauszukämpfen. Sie wollten ganz Irland ihre Rebellion bringen. Sie liefen hierhin und dorthin, aber auf allen Straßen standen englische Soldaten. Und als sie nicht mehr wußten, wo sie hin sollten, kletterten sie auf einen Hügel und warteten darauf, von den englischen Kanonen in Fetzen geschossen zu werden.«

Es überstieg seine Vorstellungskraft. Die Straßen von Wexford, verstopft von Menschen, ihre Piken ein Winterwald vor dem Horizont. Priester fuhren in ihrem Troß mit. Dorfkämpferb trieben sie auf Miliz und Landwehr zu. Sie jagten Vieh vor sich her in die Schlacht. Wieder hörte er die Worte des Wanderers. »In den Ebenen und an den Flüssen gab es riesige Lager. Sie haben eine Stadt nach der anderen eingenommen, Camolin und Wexford und Enniscorthy. Sie haben Enniscorthy niedergebrannt.« Erst zwei Monate her. Und jetzt vorbei.

»Die Leute von Wexford waren Idioten«, sagte Duggan. »Mir reicht Captain Cooper. Und nach ihm Gibson.«

»Gibson ist dein eigener Grundbesitzer, nicht wahr?« fragte MacCarthy. »Ich dachte mir schon, daß du dir für Gibson die Zeit nehmen würdest.«

»Dann Gibson«, stimmte Hennessey zu. »Aber nach ihm kommt der Verwalter des Hohen Lords. Bei Gott, ich hasse diesen Creighton. Der ärgste Tyrann in ganz Tyrawley.«

»Der tut doch nur, was ihm befohlen wird«, sagte MacCarthy. »Der Hohe Lord in London schickt ihm seine Befehle. So wird das gemacht.«

»Ich werde ihm einen Brief schicken, bei Gott«, sagte Duggan. »Die Whiteboys von Killala werden ihm einen Brief schikken.«

»So soll es also sein«, sagte MacCarthy. »Und dann einen vierten und dann einen fünften. Da habt ihr ja wirklich viel Arbeit für mich.«

»Dir wird schon nichts passieren, Owen«, sagte Hennessey. »Niemand von uns wird etwas passieren. In Tyrawley wird es fünfhundert Whiteboys geben.«

»Es wird nicht an den Grenzen der Baronie haltmachen«, meinte Duggan. »Ich kenne Männer in Erris und auf der anderen Moyseite in Sligo.«

»Wir sind keine Idioten«, erklärte Quigley. »Wir haben mit diesem und jenem gesprochen. Und wir haben einen Eid.«

»Aber sicher habt ihr einen Eid«, sagte MacCarthy. »Ein Eid ist die erste Amtshandlung eines Whiteboys. Je mehr er den Mund füllt, desto besser.« 1779, eine Scheune in der Nähe von Tralee in Kerry, MacCarthy gerade achtzehn geworden. Verängstigte, prahlerische Gesichter um eine Kerze versammelt. Er würde Teile seiner Vergangenheit verbrennen, wenn er das könnte, alle die Nächte des Monats der Whiteboys. Männer mit geschwärzten Gesichtern, weiße Kittel über grobem Fries, ausgebeulte Strümpfe schauten darunter hervor, krochen durch nasse Felder zum Vieh. Die Nacht plötzlich von Schreien und Gebrüll erfüllt.

»Wir sind keine Idioten«, sagte Duggan. »Wir wissen, was wir tun.«

»Aber sicher doch«, sagte MacCarthy und leerte abermals sein Glas. »Ihr seid großartige Burschen. Meine lange Wanderung von Kerry bis hierher in den Norden hat sich doch wirklich gelohnt, wenn ich so großartige Burschen kennenlerne.«

»Korn und Hafer werden den Grundbesitzern gutes Geld bringen«, erklärte Hennessey, »aber Viehzucht bringt noch mehr. Die Grundbesitzer werden einen Hof nach dem anderen zu Weideland machen, wie Cooper es mit dem Hof der O’Malleys gemacht hat.«

Die Grundbesitzer hatten keine andere Wahl, und die Leute hatten keine andere Wahl, und die Gerichte würden auch keine andere Wahl haben, als sie zu jagen und zu hängen. Es war wie ein Lehrsatz von Euklid, gerade Linien strebten auf einen Punkt zu. Es war zwanzig Jahre zuvor in Kerry und in West Cork geschehen. Er hatte gesehen, wie die Whiteboys ihren Sieg vor der Kapelle begossen, und er hatte sie am Ende des Stricks baumeln sehen. Und was ist mit mir, dachte er, habe ich eine Wahl?

»Wir haben dich nicht kommen lassen, um mit uns zu streiten, MacCarthy«, sagte Duggan. Damit war die Frage beantwortet.

»Ich will auch gar keinen Streit«, antwortete MacCarthy. Er nahm Quigleys Krug mit übelschmeckendem Whiskey und füllte sein Glas bis an den Rand. Das Glas zum Abschied.

»Das stimmt nicht«, widersprach Duggan. »Du würdest mit Begeisterung so lange streiten, wie noch etwas im Krug ist. Du bist dessen Sklave, und das weiß hier jeder.«

»Wir sind alle Sklaven«, sagte MacCarthy. Es schmeckte jetzt besser, weich und kühl. »Sklaven von diesem, Sklaven von jenem. Ich werde den Brief für euch schreiben, und ich werde ihn mit meiner linken Hand schreiben. Aber sonst werde ich nichts mit euch oder für euch tun, und ich werde keinen Eid ablegen. Ihr werdet auf den Straßen von Killala und Kilcummin Blut vergießen, und es wird nicht das Blut von Grundbesitzern sein.«

»Einiges doch, bei Gott«, widersprach Quigley. »Wenn unser Blut vergossen wird, dann auch ihres. Wir werden ihnen schon das helle Ende des Messers zeigen.«

MacCarthy sah ihn an und verachtete das runde, selbstgefällige Gesicht. Der Raum war jetzt dunkel. Das Gesicht schwamm im sterbenden Abendrot, ein einfältiger Mond. MacCarthy schleuderte sein Glas plötzlich in die Ecke; Whiskey spritzte über seine Hand.

»Hör ihn dir an«, sagte er zu Duggan. »Hör dir diesen Mann an. Das ist die Sorte Mann, die du an deiner Seite haben wirst, die niemals Blut gesehen hat, außer von Kühen und Schweinen. Er wird seinen eigenen miesen Whiskey trinken und prahlen, und er wird dich bis an den Fuß des Galgens trinken und prahlen.«

»Aber du hast Blut gesehen«, sagte Duggan mit seiner humorlosen Ironie.

»Ich war Schulmeister in Macroom, als Paddy Lynch mit fünf seiner Anhänger gehenkt wurde. Ich sah seine Füße in der Luft strampeln, und ich sah sein Gesicht. Das war Blut genug für mich.«

»Bei Gott, das könnte einem den Appetit verderben«, sagte O’Carroll zu Duggan, lächelte aber nervös, um seinen Worten die Spitze zu nehmen.

Duggan drehte sich zu ihm um. »Wenn wir vorsichtig und verschwiegen sind, dann wird in Tyrawley niemand gehenkt werden.«

»In Castlebar«, korrigierte MacCarthy. »Sie werden euch mit auf den Rücken gefesselten Händen auf einen Karren laden und euch nach Castlebar schaffen und euch dort vor Gericht stellen und hängen. Wenn ihr hundert Männer habt, dann habt ihr zehn Denunzianten, und wenn ihr fünfhundert Männer habt, dann habt ihr fünfzig.«

»Müssen wir uns diesen Mann anhören?« fragte Duggan O’Carroll, seine Stimme war rauh vor Verachtung. »Einen Mann, der auf dieser Welt nichts besitzt außer einem Sack Bücher und der Hälfte von Judy Conlons Bett. Hört auf ihn, und in zwei Jahren wird es in Tyrawley nur noch Viehzüchter und Kuhhirten geben. Und Judy Conlon.«

»Hüte deine Zunge, Duggan«, sagte MacCarthy und erhob sich. Was könnte ich gegen ihn schon ausrichten, mit seinen Händen wie riesige Schinken, geräuchert und gebeizt von Schlehdorn und Stechpalme seiner Dorfkämpfe. »Bei Gott«, sagte er zu den anderen. »Ab und zu ist es ein großer Trost, kein Land zu haben.«

»Das stimmt«, sagte Matthew Quigley. »Wenn wir nicht vergessen, was wir unseren Nachbarn schuldig sind.«

»Owen würde das nicht vergessen«, sagte Hennessey. »Was hätte denn ein Schulmeister für ein Leben, wenn er sich mit seinen Nachbarn nicht gut stünde?«

»Überhaupt keins«, antwortete Duggan. »Gar kein Leben.«

MacCarthy blieb stehen. »Ich danke dir für den Whiskey, Matthew. Wem soll ich den Brief geben, wenn ich ihn geschrieben habe?«

»Du kannst ihn ruhig mir geben«, antwortete Quigley. »Ich komme morgen zu dir und hole ihn ab.«

»Nicht zu mir«, sagte MacCarthy. »Und auch nicht zu meinem Schulhaus. Wir treffen uns in Tobins Schenke.«

»Nun hab es doch nicht so eilig, Owen«, sagte Hennessey. »Hast du kein Lied für uns?«

»Ein Lied wollt ihr? Schade, daß Paddy Lynch nicht hier ist, um euch das Tanzen in der Luft beizubringen. Der arme Paddy, er war ein wahrer Künstler. Er hat die Geheimnisse dieses Handwerks gelernt, aber er hat sie niemandem verraten.«

Nur Quigley lachte. »Du bist ein Mann von Geist, Owen. Ein Mann von Geist, wenn du etwas getrunken hast.«

»Das ist oft genug der Fall«, sagte MacCarthy.

»Komm gut nach Hause, Owen«, sagte Hennessey.

Er warf einen letzten Blick auf sie, schwer zu erkennen jetzt, in dem dunklen Zimmer. Was können sie schon Schlimmes anrichten, vier Männer in einer Schenke am Strand von Kilcummin? Nein, drei Männer und ein Bulle mit Gehirn. Ein Bulle mit Augen so rund wie Monde.

Vor der Schenke machte sich der Mond über ihn lustig. Voll, vollkommen. Sein Licht fiel auf Fels, Strand und schwarze Bucht. Die Nachtluft war kalt. Weit im Westen, Downpatrick Head, grimmig-schnäuzige Halbinsel, und die einsame, wilde Baronie Erris. Im Süden die Nephin Mountains, die sich bis Achill Island hinzogen. Im Osten, die Ox Mountains im sanfteren County Sligo. Wirklich ein hartes Land, nach dem süßen Königreich Kerry und der fröhlichen Geschäftigkeit von Cork. Der wildeste und ärmste County Irlands, behaupteten die Leute von Galway über Mayo. Und sie konnten das wirklich beurteilen, die armen Geschöpfe.

Sein Pfad folgte den Umrissen der Bucht, eng, uneben. Vor ihm Killala, überragt von niedrigen Hügeln. In ihrer Mitte, auf Steeple Hill, der uralte hochgereckte Arm eines Rundturms, schwarz vor dem dunklen Himmel. Wer konnte das Alter solcher Türme wissen? Viel älter als der Däne, sagten manche; älter als die Söhne des Milesius und die Ankunft der Gälen. Vielleicht. Es war ein Land, in dem die Geschichte an Ruinen gemessen wurde, an gälischen Forts und normannischen Wachttürmen. Und die Rundtürme stellten nicht einmal die letzte Linie des Verfalls dar, denn gab es nicht auch noch die Dolmen und die seltsamen unterirdischen Grabkammern, riesengroß, wie für Giganten gebaut?

Er betrat Killala vom Westende her, ging an Hütten vorbei, an deren Mauern Fischernetze zum Trocknen hingen, durch enge, gewundene Straßen. Er blieb an der offenen Tür von Tobins Schenke stehen, deren Schild er mit Hilfe des Mondes sehen konnte: das Zeichen des Wolfshundes. Sogar die Namen, die sie den Orten des Frohsinns gaben, waren leicht drohend: steifborstige Bulldogge, die Lippen von den gebleckten Fangzähnen zurückgezogen. Er war Ovid, verbannt ins wilde Tomi. Aus der Schenke strömte eine Flutwelle von Gemurmel in die Straße. Vielleicht hatte der Wanderer noch mehr über den Aufstand in Wexford zu erzählen. Tausende von Männern auf den Straßen von Wexford. Städte waren von ihrem Ansturm überrannt, Landwehr und Miliz waren geschlagen worden, verstreute Körper, in roten Uniformen, im dichten Gras. Hausierer und Landstreicher waren nur ihre Homers und ihre Vergils, Geschichten wurden in entfernt gelegene Schenken getragen.

MacCarthy wäre fast eingetreten, ging dann aber weiter, vorbei an Husseys katholischer Kapelle, frisch gebaut und unbeholfen vor Verlegenheit neben den ordentlichen Läden der protestantischen Händler, Bassett, Beecher, Reeves, Stanner. Einst waren sie wohlhabend gewesen; einst war Killala eine blühende Stadt. Nun ging aller Handel in Ballina vor sich, im Süden unten an der Bucht gelegen, an der Straße nach Castlebar. Die armen protestantischen Händler von Killala; armer Reeves, armer Stanner. Im rechten Winkel zur Straße, gegenüber der Markthalle, die protestantische Kirche und das Wohnhaus von Broome, ihrem Pastor. In seinen alten Tagen der Blüte war Killala ein Bischofssitz gewesen; Broomes Haus wurde immer noch »der Palast« genannt, ein großes, windgepeitschtes Gebäude aus behauenem grauen Stein mit hohen, schönen Fenstern. Er ging an Kirche und Bischofspalast vorbei, dann verließ MacCarthy die Stadt, vorbei an zerstreut liegenden Hütten, vorbei an der großen, niedrigen Hütte, in der er von Spätherbst bis Frühling seine Schule abhielt. Jeglicher Unterricht wurde in Grammatik und Navigation, Euklids Elementen, Ovid und Vergil, Buchhaltung und Metaphysik angeboten. Angeboten, aber nicht angenommen. Nur von einigen der aufgeweckteren Knaben, die das Priestertum im Auge hatten. Die anderen wollten nur Rechnen und Katechismus, ein wenig Englisch. Aber sie liebten den Wohlklang des Latein, die Ovidschen Wechselbälger, die Geschichten, die MacCarthy während seiner Wanderjahre in Munster aufgelesen hatte. Mit dem Honig der Anekdote zum Wissen gelockt. Er kletterte einen niedrigen Hügel hoch und erreichte die Acres, zwei Reihen von Hütten, Mauern aus rauhem Stein, weiß getüncht, farblos gewordenes Strohdach.

Er stieß eine Tür auf. Vor einer Mauer, auf einer Strohmatratze auf hohem Rahmen, lag Judy Conlon und schlief. Er zündete eine Talgkerze in einer Tonschüssel an und trat dann neben sie. Er kniete sich kurz hin, ließ einen Finger sanft über ihre Wangenknochen fahren. Sie bewegte sich, und eine kleine Hand streckte sich nach dem Gewirr der schwarzen Haare aus. Er stellte die Kerze auf einen Tisch an der gegenüberliegenden Wand. Am hinteren Ende waren seine zwei Dutzend Bücher aufgebaut: die Aeneis, Keatings Geschichte Irlands, die Eklogen und die Georgica, einige Bände Shakespeare, das Verlorene Paradies, eine Schachtel, die seine Abschriften der Gedichte von O’Rahilly und O’Sullivan enthielt.

Er öffnete die beiden Schachteln, die sein Handwerk enthielten. In der größeren lagen seine eigenen Manuskripte, die fertigen Gedichte, die zu überarbeitenden Gedichte, seine Übersetzung der ersten beiden Bücher der Metamorphosen ins Irische, seine Bögen blanken Papiers. In der anderen Schachtel bewahrte er ein kleines Tintenfaß aus Messing auf, ein scharfes Messer, seine Federsammlung, Graugans für Poesie, schwarze Krähe fürs Geschäft. Er legte sich Papier und Tinte zurecht und tunkte eine schwarze Feder in die Tinte.

Am frühen Morgen, als er spürte, daß Judy neben ihm stand, saß er immer noch am Tisch, bewegte eine graue Feder über die Seite, strich hier ein Wort, fügte eins hinzu, strich jenes aus. Abwesend ließ er seine Hand ihr Bein hinauffahren, umfaßte ihre Hüfte. Sie war klein, die Hand brauchte keine weite Reise zu machen.

»Wo warst du heute nacht?«

»Das ist nicht deine Sache.«

»Es könnte meine Sache sein.«

»Es könnte sein, ist es aber nicht. Ich war bei Matthew Quigley.«

»Was hat dich denn dazu gebracht, wo es in Killala drei schöne Schenken gibt?«

»Das Zeichen des Wolfshundes. Das würde schließlich jedem Durst machen. Ich brauchte die ruhige Schönheit vom Strand von Kilcummin.«

Sie fuhr mit der Hand durch seine roten Haare. »Du kannst ein schrecklicher Lügner sein, Owen.«

»Stimmt. So suchen die Dichter die Wahrheit.«

»Du begehst wirklich keine Sünde, für die deine Dichtung nicht die Entschuldigung liefert. Schreibst du da ein Gedicht?«

»Vielleicht ist es der Anfang von einem. Aber das werde ich erst in einer Weile wissen.«

»Du schreibst gerade auf irisch. Ich kann jetzt den Unterschied sehen.«

»Alle meine Gedichte sind auf Irisch. Dies hier wird seltsam werden, wenn es jemals Form annimmt.« Er legte es beiseite und griff zu einem neuen Blatt Papier. »Ich sitze schon die ganze Nacht daran. Mein Hintern ist taub. Letzte Nacht war ein feiner, schöner Mond. Wirklich ein lohnender Anblick.«

»Hast du an mich gedacht, als du ihn gesehen hast?«

»Natürlich.«

»Lügner.«

Sie schnitt Brotscheiben ab, bestrich sie mit Butter und reichte ihm eine. Es war durchaus kein schlechtes Leben, dachte er. Jeden Tag Brot und Butter, wie es sich für sein Handwerk und sein Metier gehörte. Er stand hoch über den armen Burschen, die nur ihre Kartoffeln und vielleicht ein Stückchen gesalzenen Fisch hatten. Und er hatte ein hübsches kleines Mädchen, das für ihn Brot abschnitt und ihm ihr Bett offenhielt. In Munster hatte er bessere Zeiten erlebt, aber es hatte auch schlechtere gegeben. Als er sein Brot gegessen hatte, wischte er sich, aus Respekt vor dem Papier, sorgfältig die Hände an der Hose ab.

»Judy, hat es, ehe ich hierhergekommen bin, viele Räumungen gegeben, so, wie die O’Malleys von Captain Cooper verjagt worden sind?«

»Wann hat es denn jemals keine Räumungen gegeben? Ist nicht sogar der Bruder meines armen Mannes von seinem Land gejagt worden und hockt jetzt oben am Berg?«

»Wer war sein Grundbesitzer?«

»Der Hohe Lord selber. Der Hohe Lord hat aus London befohlen, und Mr. Foster, der damals sein Verwalter war, hat Hughey und seine Familie verjagt. Er muß irgend etwas gemacht haben, das dem Hohen Lord nicht gefiel, und deshalb mußte er gehen.«

»Er muß eine gewaltige Wut auf den Hohen Lord haben.«

»Ach, was hätte das denn für einen Sinn? Aber er wüßte ja doch gern, was er denn eigentlich falsch gemacht hat.«

Geduldiges Vieh. Wie ihre eigenen Kühe werden sie ohne zu klagen herumgeschoben. Weniger wert als die Kühe, denn sie können nicht auf den Markt getrieben werden. Wie Vieh stehen sie bewegungslos in den Feldern, fürchten sich in der einen Jahreszeit vor Regen und in der nächsten vor Wind. Werden vertrieben und streifen durch das Land oder ziehen auf die Hügel. Duggan hatte sich die richtige Aufgabe gesucht. Im Süden, weit weg in Wexford, und in Antrim im Norden, vor nur zwei Monaten, hatten solche Männer Städte und Regimenter geschlagen. Nicht hier.

Zögernd, bedauernd berührte seine Hand die Arbeit dieser Nacht. Graugans und schwarze Krähe, verstümmeltes Vieh und der jungfräuliche Mond. Er zog den Bogen blanken Papiers dichter zu sich heran und griff zu einer der schwarzen Federn.

Ein Traum von Freiheit

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