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Aus: Ein unparteiischer Bericht über die Ereignisse zu Killala im Sommer 1798 von Arthur Vincent Broome, M.A., (Oxford).

Nichts erscheint dem liberalen und aufgeklärten Geist entsetzlicher als die primitive Gewalttätigkeit, die bisweilen aus gesellschaftlichen und konfessionellen Widersprüchen entspringen kann. Und doch wurde es mein tristes Los, solche Gewalttätigkeiten mit ansehen zu müssen, als der Juli in den August überging und als sich das Land zu der durchscheinenden Schönheit des Spätsommers sammelte. Es ist in dieser Jahreszeit, daß das große Rad der Arbeit des Landmannes bewegungslos verharrt, ehe es sich zu Geschäftigkeit und Mühsal der Ernte weiterdreht. Die heidnischen Freudenfeuer des vergangenen Monats hatten die Geisterwelt angerufen, die einst dieses Land beherrscht hatte und die niemals gänzlich verschwunden war. Und Mr. Hussey in seiner Kapelle und ich in meiner Kirche hatten mit weitaus größerer Schicklichkeit den Segen des Schöpfers auf die reifende Ernte herabgerufen und Ihm gedankt, weil Er unserem schwer beladenen Volk das Geschenk überreichen Wachstums gemacht hatte.

Aber ach, auch andere Ernten reiften unter der Sonne heran. Noch während des Festes der mittsommerlichen Johannisnacht, als die Freudenfeuer loderten und junge Männer und Frauen vor den Flammen tanzten, unternahmen die selbsternannten Whiteboys von Killala einen weiteren Überfall, diesmal auf den Besitz von Mr. Saunders. Und in den Juliwochen folgten darauf weitere nächtliche Ausschreitungen, die schließlich, wie das in diesen Fällen immer geschieht, auch zum Vergießen von Menschenblut führten.

Wenn ich mir überlege, daß es in einer Festnacht geschah, dann bin ich sicher, daß die Männer, die Saunders’ Gut überfielen, sinnlos betrunken waren, ein Umstand, der kommentiert werden muß, auch wenn das eine Abschweifung bedeutet. In den meisten Ländern, wobei ich England nicht einmal ausschließen will, sind starke Getränke die Ursache von großem gesellschaftlichen und privatem Unglück, während dieses Übel in Irland jegliche Vorstellung überschreitet, und das behaupte ich nicht nur aufgrund eigener Beobachtung, sondern auch der aller Besucher. Die Bauern halten sich an den Whiskey, um ihre Sorgen zu erleichtern und um sich auf ihren häufigen Festen und Märkten zu berauschen. Die Bettler geben dafür die zusammengeschnorrten Pennies aus. Wer nach Einbruch der Dunkelheit durch irgendeine große Stadt geht, wird entsetzt sein über den Anblick und den Lärm herumbrüllender und torkelnder Männer. Männer und auch Frauen liegen bewußtlos in Türen und Durchgängen. Die Trunksucht beschränkt sich nicht auf die Armen, denn die Junker (wenn ungebildete Tölpel so genannt werden dürfen) benehmen sich noch tadelnswerter, und sei es nur, weil sie einen besseren Zugang zu alkoholischen Getränken haben. Ein Bericht über einen Ball oder eine Jagd oder sogar eine Gerichtsverhandlung, die diesen Mangel an Nüchternheit unerwähnt ließe, würde unwahrscheinlich klingen. Starke Getränke, die zuerst für eine gehobene Stimmung sorgen und dann für Streitsucht, schließlich für Tränenseligkeit und zuletzt für restlose Betäubung, sind die konstanten Begleiterinnen aller Gelegenheiten, wie unpassend diese auch sein mögen. Ich bin selber nun wirklich alles andere als ein geifernder Puritaner, und Wein bei der Mahlzeit, spätabends ein Schnaps, heißer Punsch, um die winterliche Kälte zu mildern, sind mir eine Freude. Bei den Iren liegen die Dinge ganz anders. Die bloße Atmosphäre dieser wasserreichen Insel, ihre regenschweren Wolken und triefenden Äste, Seen und Sumpfboden werden drainiert, destilliert und konsumiert.

Gegen Ende Juli geschah etwas Entsetzliches, von viel schlimmerer Art als alle Überfälle auf fremdes Eigentum, die sich bisher zugetragen hatten. Sam Pryor, ein Verwalter, wurde aus seiner Hütte in ein benachbartes Moor geschleppt und dort von einer Gruppe maskierter Männer aufs grausamste mißhandelt. Sie schnitten ihm mit einem Schermesser die Ohren vom Kopf und begruben ihn dann bis an den Hals in einer Grube, die sie zur Hälfte mit Dornen gefüllt hatten. Dort steckte er für den Rest der Nacht und bis weit in den nächsten Tag hinein, ehe sein Geschrei die Aufmerksamkeit einiger Samariter erregte.

Natürlich besuchte ich diesen unglückseligen Mann, als er entstellt und in Verbände gewickelt in seiner Hütte saß, die kaum besser ist als die der Bauern. Ich fand mich dort in der Gesellschaft von sechs meiner Pfarrkinder, Ladenbesitzer aus Killala und Männer, deren Höfe in der Nähe liegen. Sie waren traurig und wütend. Alle waren Mitglieder der Miliz von Tyrawley, und einer, Bob Tompkins, war ihr Sergeant.

Es machte mir große Sorgen, daß sie die Verantwortlichen für diese Schandtat nicht als »Whiteboys«, sondern als »Papisten« bezeichneten. Ich argumentierte mit aller mir zur Verfügung stehenden Vehemenz, daß von den vielen tausend Papisten der Baronie wahrscheinlich höchstens fünfzig Whiteboys waren, aber meine Argumente stießen auf taube Ohren. Diese Männer, die ernst und grämlich dasaßen und mit ihren Händen ihre Knie umklammerten, sahen sich von gewalttätigen und abergläubischen Feinden umzingelt, und sie waren überrascht und empört, als ich ihre zornigen Befürchtungen nicht teilte.

Die Geschichte, die die Grundlage ihrer Gedanken bildet, ist eine Serie von grausigen Szenen, im Stil der Holzschnittillustrationen in Foxes Buch der Märtyrer – die Protestanten von Ulster 1641 nackt auf die Straßen gejagt, Mönche und Brüder, die in ihren Predigten zum Massaker an den Ketzern aufrufen, trunkene papistische Horden mit affenhaften Gesichtern. Und sie haben auch ihre Heiligengeschichte – tapfere englische Siedler, die ihr Heim verteidigen, die Lehrlinge von Londonderry, die die Stadttore vor den belagernden Jakobitern verriegeln, William, der protestantische Sieger an der Boyne auf seinem weißen Schlachtroß, und vor allem Cromwell, zornig und unversöhnlich in seiner schwarzen Rüstung, der durch das Land marschiert und bei jedem Schritt seiner Eisenstiefel Rebellion und Papsttum zertritt. Meinen englischen Lesern wird es lächerlich und pathetisch vorkommen, daß solche Buhmänner die Ängste der Männer beeinflussen, die sich in einer Hütte versammelt haben, um einen geschundenen Freund zu trösten, wobei König William und König James wie Geister in der drückenden Luft schweben.

Ich fühle mich hier versucht, wie auch in anderen Teilen meines Berichtes, meinen Lesern ihre genauen Worte, oder zumindest so viel davon, wie ich noch weiß, wiederzugeben. Dennoch behindert mich mein Mangel an selbst den einfachsten Grundlagen der Schriftstellerkunst. Diese Menschen, Protestanten wie auch englischsprechende Papisten, verständigen sich in dem, was wir in England »Brogue« nennen, einer Sprachform, die nicht unmusikalisch ist, aber höchst verschroben und natürlich ausländisch. Und es vergrößert die Schrekken des irischen Lebens nur noch, daß die beiden Gemeinden einander mit identischem Akzent anreden, daß sie einander in einer gemeinsamen Sprache verfluchen und beleidigen. Mein guter Freund Mr. Falkiner hat mir versichert, daß meinem Ohr das notwendige Training von Kindheit an fehlt und daß kein Ire protestantische und papistische Rede verwechseln würde. Das mag wohl so sein.

»Das ist der Anfang«, sagte Jack Stanner. »Gott gebe, daß wir das Ende noch erleben.«

»Für mich ist es ein Wunder, daß ich diesen Tag noch erlebe«, erwiderte der arme Pryor. »Und daß ich nicht im Moor in meinem eigenen Blut erstickt bin.« Tompkins hatte ihm zu seinem Trost einen Krug Whiskey gebracht, zu dem er nun ab und zu sparsam seine Zuflucht nahm. »Ich lag da und brüllte wie ein verletztes Lamm, und ich wäre umgekommen, wenn MacMahon nicht zufällig vorbeigekommen wäre.«

»Ist MacMahon kein Papist?« fragte ich.

»Ist er«, antwortete Pryor. »Ein anständiger armer Hirte. Wenn alle so anständig wären wie MacMahon, dann würde es uns allen gut gehen.«

»Es gibt natürlich auch anständige«, sagte Tompkins. »Einige von ihnen sind schon seit zwei, drei Jahren in meinem Laden in der Kreide, und sie bringen mir ab und zu einen Schilling, wenn sie einen auftreiben können. Die ärmsten sind die anständigsten, die Hirten und die Landarbeiter mit ihren Spaten.«

»Um so anständiger von ihnen«, sagte Pryor, »wenn Hussey ihnen in der Kapelle erzählt, daß sie bei Ketzern nicht ihr Wort zu halten brauchen.«

Ich kannte Mr. Hussey als einen Mann von tadelloser Moral und ergebener Loyalität der Krone gegenüber. Über Murphy, seinen hassenswerten Kaplan konnte ich nicht dasselbe sagen, und im Verlauf der folgenden Ereignisse bestätigte er unseren Argwohn dann auch aufs Gröbste. Er war in der Tat ein Erzrebell, dem es nach dem Triumph seines Glaubens gelüstete und dem ein Menschenleben gleichgültig war. Und doch hatten die Männer in Sam Pryors Hütte keinen Blick für die tiefgreifenden Unterschiede zwischen beiden Männern. Ihr Haß auf ihre papistischen Landsleute war umfassend und wechselhaft zugleich. Owen MacCarthy, der Schulmeister, war ein Objekt ihrer besonderen Verwünschungen, denn an vielen Orten haben die Schulmeister als die Ziehväter der Zwietracht fungiert, und MacCarthy war ein unvorsichtiger Mann, zänkisch und prahlerisch, wenn er betrunken war. Sie haßten die papistischen Grundbesitzer – Bellew, Blake, Treacy, Moore, Nugent, MacDonnell, Burke. Es ärgerte sie, daß diese Handvoll Männer wohlhabender war als sie selber und sich als Gentlemen aufspielten. Tompkins und einige andere sprachen nostalgisch über die Tage ihrer Großeltern, als Cromwells harter Stiefel die Nacken der Papisten zu Boden gepreßt hatte. Und es war durchaus nicht unwichtig, daß die Whiteboys sie alle verschont hatten, obwohl etliche von ihnen als Pachtwucherer berüchtigt waren.

»Wenn sie sich über die Pacht ärgern«, sagte George Standish, »warum kümmern sie sich nicht um William Burke in Crossmolina, den miesesten Bastard in diesem Teil von Mayo, seit Mick Mahoney gestorben ist? Nein, nein. Es ist so klar sichtbar wie diese Hand hier vor meinem Gesicht. Einem Mann, der der Bruder eines Priesters ist, würden sie kein Haar krümmen.«

»Es ist der Anfang«, wiederholte Jack Stanner.

»So hat es auch in Wexford angefangen, und schaut euch an, wie es geendet ist«, sagte Sam Pryor. Gastfreundlich teilte er seinen Whiskey mit uns anderen, und ich hielt es für angebracht, ein Glas anzunehmen. Es war ein elender Fusel, aus irgendeiner Bergbrennerei, und brannte in meiner Kehle wie Feuer.

Als ich wieder sprechen konnte, sagte ich: »Sicher nicht. In Wexford haben die United Irishmen rebelliert. Hier bei uns sind es bloß Whiteboys, elende, unwissende Bauern.«

»Ach, Mr. Broome«, erwiderte Stanner. »Ihr kennt sie nicht. In ganz Irland gibt es keinen Priester, der nicht in Frankreich ausgebildet worden ist, und Leute wie William Burke haben in König Louis’ Armee gedient, um die armen französischen Protestanten zu hetzen und zu massakrieren.«

Pryor entfernte seinen Verband und entblößte einen entsetzlichen Blutklumpen an der Stelle, wo einst sein Ohr gewesen war. »Da seht Ihr, Mr. Broome, noch ein Tropfen für die Flüsse von christlichem Blut, das seit Elizabeths Tagen auf dieser Insel vergossen worden ist. Und trotzdem müssen die loyalen Männer von Tyrawley weiter auf ihren Hintern sitzen bleiben.«

Ich ignorierte diesen unschicklichen Ausdruck, wie der Leser, das hoffe ich zumindest, meine Wiederholungen ignorieren wird, und versicherte ihm und den anderen, daß die Gerichte meines Wissens mit äußerster Entschiedenheit ihre Untersuchungen durchführten, und ich erinnerte sie daran, daß ihre eigene Miliz bereitstand, um die Beschlüsse der Gerichtsbarkeit in die Tat umzusetzen.

»Ah«, sagte Stanner. »Das wird sich zeigen.«

»An der Miliz gibt es nichts auszusetzen«, meine Pryor, »außer daß wir einen Captain mit einer papistischen Frau und papistischen Freunden wie Randall MacDonnell haben.«

»Nun, Sir! Nun, Sir!« sagte ich scharf. »Auf dieser Insel gibt es keinen eifrigeren Offizier als Captain Cooper. Wenn überhaupt, dann ist er eher zu eifrig. Was soll er denn tun?«

»Was er tun soll?« fragte Pryor und berührte abermals seinen blutigen Schädel. »Jeder Protestant sollte wissen, was jetzt zu tun ist.«

»Vorsichtig jetzt«, sagte Sergeant Tompkins und warf mir einen Blick zu, dessen Bedeutung ich damals nicht begriff. »Ich verwette mein Wort für Captain Cooper. Mr. Broome beurteilt ihn ganz richtig. Captain Cooper wird tun, was richtig ist.«

Ich kann ihnen nicht nur Vorwürfe machen. Wie wenig können wir in England ihre Ängste und ihre Loyalitäten verstehen! Und doch verlassen wir uns seit Jahrhunderten auf solche Männer. In jedem Moment der Krisis oder der drohenden Gewalt halten wir in England kühne und großzügige Reden über die loyalen irischen Protestanten, zu jedem anderen Zeitpunkt dagegen empfinden wir nur eine nachlässige Verachtung für sie, als eine Art von Wilden, die denen, von denen sie umgeben sind, nur wenig überlegen sind.

Ich verließ sie mit dem Versprechen, daß meine liebe Eliza am nächsten Tag vorbeischauen würde, um sich nach Pryors Befinden zu erkundigen und um ihm ein paar tröstende Lekkerbissen zu bringen, und sie verabschiedeten sich höflich von mir. Pryor bedankte sich für mein Interesse an seinem Zustand. Und doch bin ich sicher, daß sie, sowie ich die Tür hinter mir zugemacht hatte, ihre Unterhaltung mit weniger Zurückhaltung fortsetzten, als meine Anwesenheit ihnen auferlegt hatte. Ich kannte diese Männer nicht gut, obwohl sie zu meiner Pfarre gehörten und jeden Sonntag meine Kirche besuchten. Sie waren natürlich keine Gentlemen und hatten auch keine entsprechenden Ambitionen. Sie hegten tiefes Mißtrauen ihrem eigenen Landadel gegenüber, den sie für zu schlaff hielten. Und doch waren sie und ihr Landadel durch ihren Glauben miteinander verbunden und bildeten eine einzige Gemeinde, zahlenmäßig schwach, aber dennoch allmächtig.

Ich weiß noch genau, daß mir, als ich Sam Pryors Hütte verließ und zur Stadt zurückging, etwa ein halbes Dutzend Spalpeens begegnete, wandernde Landarbeiter, die wohl wegen der bevorstehenden Ernte nach Killala gezogen waren. Sie waren so grob gekleidet, wie man sich das nur vorstellen kann, in Friesjacken, so alt und verwittert, daß sie ein Teil der Landschaft hätten sein können, und ohne Hüte, um ihre verfilzten und zerzausten Haare zu bedecken. So könnten die rauhen Söldner ausgesehen haben, die in den historischen Stücken des erhabenen Shakespeare erwähnt werden. Sie unterhielten sich höchst angeregt auf irisch, und einige lachten über die Bemerkungen einer wilden Kreatur, die noch größer war als MacCarthy. Als wir uns begegneten, unterbrachen sie sich jedoch und grüßten mich äußerst höflich und mit jeglicher Ehrerbietung, wobei sie an den Straßenrand traten. Als ich an ihnen vorübergegangen war, nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf und zogen sich damit in ihre Welt zurück, die für mich ein einziges, in ihrer Sprache eingeschlossenes Geheimnis war.

Ich schien in meinen Händen zwei ausgezackte Mosaikstücke zu halten – die Welt von Pryors Hütte und die der papistischen Arbeiter auf der Straße. Die Stücke paßten nicht zusammen, und ich konnte mir auch das Muster, zu dem sie gehörten, nicht vorstellen.

Zwei Nächte darauf wurde der Leichnam von Phelim O’Carroll, einem kleinen Bauern auf dem Gut von Lord Glenthorne, nackt in einem seichten Moorweiher gefunden. Er war auf grausamste Weise mißhandelt worden, sein Rücken war nichts als rohes Fleisch. O’Carroll, obwohl ein Mann in mittleren Jahren, war ein berüchtigter Dorfkämpfer und deshalb als Whiteboy in Verdacht gewesen. Zweifellos war versucht worden, ihm Informationen abzupressen, was aber offenbar vergebens gewesen war. Seine Totenwache wurde in seiner Gemeinde abgehalten, aber über diese Zeremonie kann ich glücklicherweise nichts schreiben. Der Brauch der Totenwachen im ländlichen Irland ist einfach obszön, und eine Beschreibung würde nur Ekel erwecken. Es ist hinlänglich bekannt, daß diese Wachen keine nüchternen Nachtwachen am Leichnam eines verschiedenen Vaters oder Freundes sind, sondern eher Anlässe für Trunkenheit und Ausschweifungen. Die Art dieser »Wachspiele«, wie sie auch genannt werden, kann uns nur am Los des Christentums verzweifeln lassen, auf so entsetzliche Weise wird die heidnische Vergangenheit in ihnen verewigt. Über Spiele wie »Kraftprobe«, »Bulle und Kuh«, »Kerzenhalten« und »Schweineverkaufen« möchte ich lediglich erwähnen, daß Männer und Frauen daran teilnehmen, daß bei einigen die Männer nackt sind, daß in anderen alle Vorkommnisse einer Hochzeitsnacht gemimt werden. Die Volksweisheit, daß bei Totenwachen mehr Ehen geschlossen werden als auf Jahrmärkten oder Tanzfesten, hat viel Wahres an sich, so hemmungslos führen sich jung und alt auf. Und doch geschieht alles in einem Geist der Unschuld und ohne gotteslästerliche Absichten, nicht einmal dann, wenn der Leichnam auf seine leblosen Füße gestellt und der Travestie eines unzüchtigen Tanzes unterworfen wird. Dieses Land ist wahrlich im Sumpf einer uralten Vergangenheit versunken. Aber ich schweife ab.

Ein weitaus größeres Maß für Trauer und Leidenschaft der Menschen wäre bei der Beerdigung des armen O’Carroll auf dem Friedhof von Killala zu beobachten gewesen, denn dem Sarg folgte schweigend ein langer Trauerzug, der, wie der Brauch gebietet, den weitesten Weg nahm und einen großen Kreis in Richtung der Sonnenlaufbahn beschrieb. Ich nahm an der Bestattung teil, hielt mich in respektvoller Entfernung und war zutiefst bewegt. Als der Sarg in die Erde gesenkt worden war, trat eine Gruppe von verhüllten Frauen vor und begann mit der Totenklage, über die so viel geschrieben worden ist und die, wenn auch unleugbar barbarisch, nicht ohne Musikalität ist und die tiefste Trauer auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck bringt. Es ist eine Art Geheul, und ich beobachtete, daß Mr. Hussey offenbar mit kühler Abneigung lauschte und mich mehrmals voller Verlegenheit ansah, während sein Kaplan, Murphy, zutiefst gerührt war und O’Carrolls Neffen, einem schwatzhaften Grünschnabel, voll Mitgefühl den Arm um die Schultern legte. Ansonsten aber lauschte die riesige Trauergemeinde regungslos und hatte nur Augen für das grobe Holz des Sarges.

In die Erde, die auf den Sarg geschaufelt wurde, wurde O’Carrolls Blut gemischt, das sein Neffe aus einer kleinen Flasche goß, denn unter den Leuten hier hieß es, daß auf einer Beerdigung Blut vergossen werden muß. Wenn es einem rituellen Zweck diente, dann war es ein verschwendetes Symbol, denn das von Pryor und O’Carroll vergossene Blut sollte sich in den kommenden Monaten vervielfacht über uns ergießen.

Am folgenden Abend, als Mr. Gibson von einer geschäftlichen Besprechung in Killala zurückkehrte, wurde aus einer Hecke gegenüber seiner Einfahrt auf ihn geschossen. Gibson ist ein kühner Mann und reitet niemals unbewaffnet aus. Er zog seine Pistole, lenkte sein Pferd auf die Hecke zu und schlug vier Männer in die Flucht, die er weder gefangennehmen noch identifizieren konnte, obwohl er später erklärte, einer habe große Ähnlichkeit mit seinem Pächter Malachi Duggan gehabt. Gibson war als Grundbesitzer und als Richter unbeliebt, und alle wußten, daß er wie Cooper energisch darauf gedrängt hatte, mit Gewalt gegen die Whiteboys vorzugehen. Und doch behauptete Duggan, als er vor Gericht verhört wurde, energisch seine Unschuld und bot an, zwanzig Zeugen zu bringen, die sie beschwören konnten.

Wir hatten nun in Killala einen kleinen Krieg, mit Verletzungen auf der einen und einem Todesfall auf der anderen Seite. Es wimmelte von Gerüchten, entstanden aus Angst und einem natürlichen Argwohn. Unter den Papisten hieß es, daß es ihnen ergehen würde wie den Bauern von Wexford unter dem Kriegsrecht in den Monaten vor dem Aufstand. Landwehr und reguläre Truppen würden eingesetzt werden, um Auspeitschungen vorzunehmen und Ernten und Hütten niederzubrennen, wobei die Miliz von Tyrawley als ihre röhrenden Hunde fungieren sollte. Und viele Protestanten, vor allem die der unteren Stände, glaubten, daß ein allgemeines Massaker stattfinden würde, sowie die Franzosen gelandet wären. Angst und Feindseligkeit waren in den schäbigen Straßen von Killala fast greifbar. Ein Bauer, der groß und unheildrohend in einem kleinen protestantischen Laden aufragte, deutete auf das Stück Seil oder das Zinngeschirr, das er brauchte, und der Kaufmann reichte es ihm schweigend und reserviert, mit zusammengekniffenen Lippen.

Die Ängste der Menschen haben immer schon die Tore ihrer Phantasie geöffnet, noch kuriosere Vorstellungen konnten ihren Einzug nehmen. Die Iren sind ein sehr phantasievolles Volk und haben Erde und Luft mit unsichtbaren Lebewesen bevölkert, jedem Hügel und Cairn eine liebliche oder groteske Vorstellung zugeschrieben. Aber das heißt nur, daß sie in ihren Aberglauben versunken sind und daß ihr Verhalten von den dunklen Reden alter Frauen und wandernder Wahrsager gelenkt wird. In den besten Zeiten bedeutet das ein Hindernis auf ihrem Weg zur Zivilisation, und ich muß einfach glauben, obwohl das vorurteilsvoll erscheinen mag, daß der römische Glaube dem Unglaublichen Schutz gewährt. Wenn sich große Ereignisse regen, kann diese Neigung zum Träumen gefährliche Formen annehmen.

So war es auch jetzt. Die Unruhen, die Ulster und Wexford verheert hatten, hatten Mayo bisher verschont, waren jedoch nicht unbemerkt geblieben. Hier, wie auch an anderen Orten in Irland, hatten Wahrsager und herumziehende Gaukler und Geschichtenerzähler übertriebene und reichgefärbte Darstellungen dieser elenden Auseinandersetzungen mitgebracht. Prophezeiungen wurden von Kneipe zu Kneipe, von Dorf zu Dorf getragen und hatten den großen Tag der Befreiung vorausgesagt, der die Knechtschaft des gälischen Volkes aufheben würde. Solange Mayo ruhig blieb, wurde solchem Unsinn kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Aber nun lauschte eine aufmerksame Landbevölkerung der apokalyptischen Dichterei unwissender Menschen und wiederholte sie am Torffeuer. Die Frau eines Müllers in Athlone hatte einen Sohn mit vier Daumen geboren, und dieser Müller würde die Gälische Armee anführen. Die entscheidende Schlacht würde irgendwo hinter dem Shannon geschlagen werden, im Tal des Schwarzen Schweines. Schwarze Schiffe mit hohen Masten eilten aus Frankreich und Spanien herbei, an Bord befanden sich die Kämpfer Erins. Wie sich feststellen läßt, bezogen die glorreichen Prophezeiungen Mayo nicht mit ein. Die Schlachten sollten in sicherer, sogar legendärer Entfernung von der Moy stattfinden. Und in ihrer wolkigen Großartigkeit (falls vier Daumen als großartig gelten können) hatten sie wenig mit unseren schäbigen Sorgen zu tun – ein Mann ermordet und ins Moor geworfen, ein Mann verstümmelt und gefoltert.

Am 1. August wurde die Miliz von Tyrawley in Bereitschaft versetzt, während die Richter der Baronie eine Untersuchung der aufrührerischen und kriminellen Handlungen durchführten, mit dem Ziel, die Organisation, die sich selber als die Whiteboys von Killala bezeichnete, niederzuschlagen. Es gab am Ort vier Richter, Captain Cooper, Mr. Gibson, Mr. Saunders und meinen Freund Mr. Falkiner. Captain Cooper habe ich bereits erwähnt und werde noch mehr über ihn zu sagen haben. Mr. Gibson und Mr. Saunders, obwohl ehrlich auf ihre schroffe und bündige Weise, waren grobe und übereilige Männer. Nur Mr. Falkiner entsprach in seinem Betragen dem, was wir in England unter einem Richter verstehen, also einem Mann von gelassenem Wesen und Respekt für die Regeln von Beweisführung und gesundem Menschenverstand. Die Richter schlugen vor, alle zu verhören, die etwas von den Verbrechen der Whiteboys wissen könnten, und die, deren Aussagen unbefriedigend ausfielen, vor Gericht zu stellen. Damit handelten sie jedoch nur gemäß der ihnen durch Eid übertragenen Verantwortung. Die Verhöre wurden unter äußerster Gewaltanwendung durchgeführt, die Verdächtigen wurden auf grobe und rücksichtslose Weise von Gruppen bewaffneter Miliz aus ihren Hütten gezerrt. Es kam mehr als einmal zu Fällen von extremer Brutalität, gegen die kein Protest half. Schlimmer noch, Mr. Falkiner erkannte, daß die anderen eine Anklage anstrebten, ob es dafür nun genügende Indizien gab oder nicht, um auf diese Weise die Bauern in Panik zu versetzen. Während der Verhöre wehrte er sich energisch, aber ohne Erfolg gegen diesen schockierenden Gesetzesbruch, dessen Folgen, wie wir sehen werden, unheilvoll waren.

Auf Mr. Falkiners Drängen hin nahm ich auf der Bank der Richter Platz, obwohl ich mich natürlich nicht an den Verhören beteiligte. Mr. Falkiner, dieser gute und unschuldige Mann, glaubte, die Anwesenheit eines Geistlichen würde seine Kollegen zu bestem Betragen veranlassen. Es war eine triste und traurig stimmende Geschichte. Ich habe gerade noch einmal die Protokolle gelesen, die Mr. Josiah Greene, der Anwalt aus Ballina, der als Sekretär fungierte, aufgeschrieben hat, aber er hat die Fragen und Antworten zu kleinen Häufchen von trokkenem Hafermehl zusammengestellt, die mir diese endlosen Abende nur höchst unvollständig wieder in Erinnerung rufen können. Die meisten der Verhörten sprachen kein Englisch. Cooper übersetzte die Fragen für den Zeugen ins Irische und übertrug dann dessen Antworten für uns. Ich habe keinen Zweifel daran, daß er dabei tadellose Vorsicht und Diskretion walten ließ. Ein Zeuge sagte unklar aus, schleuderte in den von Kerzen beleuchteten Raum einen Strom von barbarischen Worten, gestikulierte wild und beteuerte seine Unschuld zweifellos unter Anrufung des gesamten Heiligenkalenders. Captain Cooper reduzierte das dann zu einem lakonischen »er behauptet immer noch, nichts zu wissen«.

An dieser Stelle möchte ich die Aussage eines englischsprechenden Zeugen einfügen, um dem Leser eine Kostprobe von Mr. Greenes höchsten Fähigkeiten zu geben.

Ein Traum von Freiheit

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