Читать книгу 2030 - Thomas Flichy De La Neuville - Страница 12
Großmütterchen Europa
ОглавлениеIm Jahr 2030 steht es schlecht um die europäische Wettbewerbsfähigkeit, deren Grundpfeiler die Jugend, die Kreativität und das hohe Bildungsniveau der aktiven Bevölkerung, die Hochschulen und die Forschung bildeten. Die europäischen Gesellschaften sind überaltert, halten krampfhaft an ihren alten Gewissheiten fest und kultivieren die Freizeit als letzten Sinn und Zweck. Durch den zunehmenden Konkurrenzdruck insbesondere seitens der indischen, chinesischen, russischen, iranischen, brasilianischen, algerischen und mexikanischen Eliten gehen den europäischen Volkswirtschaften immer mehr Marktanteile verloren. Da die Exportverträge an einen signifikanten Technologietransfer in Richtung der Abnehmer gebunden sind, sehen sich die europäischen Industrien zur „Exzellenz“ gezwungen, um einen nennenswerten Vorsprung zu halten. Der Fachkräftemangel und das Fehlen einer proaktiven Politik lassen die Kunden von gestern, die den ethischen Arbeitsstandards inzwischen Folge leisten, 2030 zu aggressiven Konkurrenten werden. Die Verträge der Unternehmen der Flugzeug-, Raumfahrt-, Pharma-, Rüstungs-, Energie- und Transportindustrie werden nicht mehr auf Englisch, sondern auf Chinesisch und Arabisch abgefasst. Obwohl dies strategische Industriezweige sind, können die Golfstaaten ungehindert einzelne oder sogar sämtliche Flaggschiffe der europäischen Industrie mit Staatsfonds in ihren Besitz bringen – Hauptsache, die Defizite werden ausgeglichen und der immer weniger attraktive Euro wird gestützt.
Der Grexit, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, und das damit verbundene Ende der Währungsunion würden unmittelbar zum Verlust der europäischen Einlagen in Athen und zum Anstieg der Defizite um mehrere Prozentpunkte führen. Die kolossalen Verluste würden nicht nur die ohnehin kränkelnden Volkswirtschaften der Länder zusätzlich schwächen, die Folge wäre auch eine Vertrauenskrise in die europäische Währung.
Angesichts des Versagens sämtlicher politischer Lösungen wenden sich die Europäer massiv von der Politik ab. Das Machtwechselspiel auf nationaler Ebene und das demokratische Defizit der Europäischen Union nähren den Populismus und den Euroskeptizismus. Das Problem der Kontrolle der EU-Außengrenzen durch die Mitgliedstaaten zur Eindämmung der illegalen Einwanderung mit „Müll-Schiffen“ über das Mittelmeer wird so drängend, dass Länder wie Italien mit einem Austritt aus dem Schengenraum drohen.
Die Alterung der europäischen Bevölkerung führt zu einer Überrepräsentation der Senioren in der Gesellschaft. Die auf Umlageverfahren beruhenden Rentensysteme kollabieren und stürzen die „Oldie-Boomer“ in prekäre Verhältnisse oder in eine – nicht nur finanzielle – Abhängigkeit von den jüngeren Generationen. Alt werden ist eine Sache, dabei gesund zu bleiben eine andere. Durch Umweltverschmutzung und elektromagnetische Strahlung, der die Menschen fast permanent ausgesetzt sind, nehmen die Krebsraten zu; nicht alle Hilfsbedürftigen können sich die Dienste eines Roboters, der in der Anschaffung sehr teuer ist und dafür vergleichsweise wenig kann, oder einer der seltenen Pflegekräfte leisten. Die wenigen vorhandenen Senioreneinrichtungen können sich nur einige Privilegierte leisten, gleichzeitig müssen viele öffentliche Einrichtungen schließen, weil die Finanzierung nicht mehr gesichert ist. Nicht selten ist das in harter Arbeit ein Leben lang erworbene Vermögen schon nach wenigen Jahren für die Finanzierung eines eher traurig zu Ende gehenden Lebensabends verbraucht.