Читать книгу Mygnia - Die Begegnung - Thomas Linz - Страница 10
Mygnia
ОглавлениеIm Sternbild der Cassiopeia kann man von der Erde aus bei guter Sicht außerhalb der großen, lichtdurchfluteten Städte und bei Neumond einen verschwommenen Fleck sehen. Mit einem Teleskop wird daraus eine wunderschöne Spiralgalaxie, die auf länger belichteten Aufnahmen in wunderbaren Farben erscheint. Diese Galaxie ist in dem Sternenkatalog nach Messier mit der Nummer 31 gelistet. Bekannt ist sie unter dem Namen Andromeda-Galaxie. Im Randbereich dieser Galaxie, 2,5 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, umkreisen sich zwei Sterne. Der eine ist unserer Sonne nicht unähnlich und etwas größer als unser eigenes Zentralgestirn. Der andere ist mit nur einem Zehntel der Masse deutlich kleiner. Dieses Doppelsternsystem wird von sieben Planeten umkreist. Vergleichbar mit unserem Sonnensystem kreisen die kleineren und kompakteren auf ihren elliptischen Bahnen dichter und schneller um beiden Sonnen als die äußeren Gasplaneten. Durch die Bewegung der beiden Sterne umeinander und die damit verbundene wechselnde Einwirkung auf die Trabanten herrscht auf ihnen ein extremes und lebensfeindliches Klima. Lediglich der mittlere, also der vierte Planet, etwa so groß wie der Mars, hat eine Bahn gefunden, auf der er, verbunden mit der eigenen Rotation, relativ gleichmäßig der Strahlung der beiden Sonnen ausgesetzt ist. Lediglich die Pole trugen wie auf der Erde dicke Eispanzer, da hier die Strahlen der größeren Sonne so gut wie nie den Boden trafen. Der Rest des Planeten aber war gleichmäßig warm, und so konnten sich wie auf unserem Mutterplaneten Ozeane bilden, die überwiegend aus Wasser bestanden. Aus den gelösten Mineralien und Gasen bildeten sich durch chemische Prozesse, die durch die Strahlung aus dem All und die Blitzeinschläge der ständigen Gewitter stark beschleunigt wurden, einfache chemische Verbindungen als Grundlage allen Lebens.
Im Laufe hunderter Millionen von Jahren entwickelten sich aus diesem Cocktail einzellige Lebewesen. Dieser Weg war sehr lang und endete oft in einer Sackgasse, denn gerade zu Beginn wurden die ersten komplexeren Moleküle durch die harte UV-Strahlung zerstört, kaum dass sie entstanden waren. Lediglich in den vor der Strahlung geschützten Bereichen der Tiefsee kam die Evolution langsam in Gang. Im Laufe der Zeit bekamen auch größere und komplexere Lebewesen, die weit über den einzelligen Status hinausgingen, eine Chance, sich zu entwickeln. Sich so weit zu entwickeln, dass sie auch das Land eroberten und am Ende mehrere intelligente Zivilisationen entstanden, die ihrer Heimat den Namen Mygnia gaben.
Das Klima auf Mygnia war dem auf der Erde recht ähnlich, da der Planet eine vergleichbare Evolution durchlaufen hatte. Die anfänglich hohen Konzentrationen an Kohlendioxid wurden durch die Pflanzen nach und nach in Sauerstoff umgewandelt, selbst wenn der biochemische Mechanismus ein anderer war als der irdische. Auch das Erscheinungsbild von Mygnia ähnelte dem der Erde. Es gab Kontinente und Ozeane, weite Ebenen und Berge, die allerdings mit einer Höhe von über 20 Kilometer die der Erde wie kleine Hügel erscheinen ließen. Sattgrüne und nährstoffreiche Waldgebiete wechselten sich ab mit endlosen Wüsten und kargen Savannen. Einzig die chemische Zusammensetzung der Oberfläche unterschied sich bezüglich der Vorkommens einzelner Elemente. So kamen die Platinmetalle in deutlich größeren Mengen vor, während beispielsweise Titan und Chrom, die auf der Erde eine große Rolle spielten, auf Mygnia kaum zu finden waren. Die Tier- und Pflanzenwelt war jedoch ähnlich vielfältig und kurios wie bei uns.
Eine Spezies nannte sich selber „Ylim-Yr“, was am besten mit „Lichtschwingen“ übersetzt werden könnte. Sie waren zart gebaut und hatten wie Vögel ein leichtes, aber sehr stabiles Innenskelett. Im Gegensatz zu den irdischen höheren Lebensformen hatten sie drei Paar Gliedmaßen, von denen die untersten unseren Beinen ähnelten und die mittleren, nach vorne gerichteten, unseren Armen entsprachen. Die Hände hatten fünf Finger, von denen drei nach vorn und zwei nach hinten gerichtet waren. Damit waren sie extrem geschickt, konnten aber auch sehr kraftvoll zugreifen. Die Füße waren eher verkümmert, denn sie dienten nur dem Stehen oder für kurze Wege zu Fuß. Das wichtigste Paar Gliedmaßen waren ihre Flügel. Sie setzten am oberen Rücken an und bestanden aus einem sehr feinen Knochensystem, zwischen dem sich zarte Flughäute von fast vier Metern spannten. Sie waren sehr geschickte Flieger, und es war Bestandteil des Erwachsen-Werdens, eine komplizierte Prüfung in der Luft zu bestehen. Der Kopf war angesichts ihrer Körpergröße von etwa 1,80 Metern eher klein, bot aber ausreichend Platz für ein hoch entwickeltes Gehirn, das durchaus in der Lage war, auch einfache abstrakte Dinge mühelos zu erfassen und zu durchdringen. Die wichtigsten Sinne waren ihre großen, seitlich am Kopf sitzenden, aber nach vorn gerichteten Augen und ein ausgezeichnetes Gehör.
Vor einiger Zeit waren die Lichtwesen auf ihre Welt gekommen. Fremde Wesen mit gedrungenen Körpern, zwei Armen und zwei Beinen. Sie gaben merkwürdige, völlig unverständliche brüllende Laute von sich. Offenbar war das ihre Sprache.
Einmal war es eine ganze Gruppe von etwa zehn Exemplaren. Sie hatten lange Metallrohre mit sich, die mit lautem Donner kleine, aber tödliche Geschosse von sich gaben. Anfangs waren die Ylim-Yr unsicher, ob sie nicht doch in friedlicher Absicht kamen. Sie hatten einen von ihnen gefangen genommen, ihn dann aber vor den Augen der anderen Wesen wieder frei gelassen. Derjenige von ihnen, der offenbar die Anführer war, hatte Xa´ron, dem Anführer der Ylim-Yr, ein Geschenk gegeben, als Zeichen des Friedens. Mit dem kleinen Kästchen konnte man Feuer machen, wenn man es denn richtig anstellte. Der Anführer hatte es ihm gezeigt. Es sah alles so einfach aus.
Als sie wieder zurück in ihrer Stadt waren, wollte Xa´ron das Kästchen benutzen, um allen seine Macht zu demonstrieren. Er erzeugte tatsächlich ein kleines Flämmchen. Aber auch für ihn war Feuer, das so nah war, völlig unbekannt, und er verbrannte sich seine Hand. Vor Schreck ließ er das Kästchen fallen, und es entstand ein verheerender Brand, der ihre gesamte Stadt, die Stadt des Windes, vernichtete. Viele kamen ums Leben, da sie diese Gefahr einfach unterschätzten. Xa´ron rächte sich an den Fremden, denn er gab ihnen die Schuld an ihrem Verderben. Sie töteten alle.
Nur eine kleine Gruppe der Ylim-Yr hatte als einzige von ihrem Volk am Rande der Berge überlebt. Nach dem Feuer hatte eine Krankheit nochmals viele Opfer gefordert, so dass nur ein Dutzend der Zähesten von ihnen übrig geblieben waren.
Es war Abend geworden. Sie waren den ganzen Tag geflogen und müde von den ungewohnten Anstrengungen. Bisher war es nicht notwendig gewesen, viele Stunden in der Luft zu bleiben. Eine Jagd war meistens gut vorbereitet, so dass es selten länger als eine Stunde (nach unserer Zeitrechnung) dauerte, bis sie erfolgreich heimkehrten. Diese Situation war vollkommen neu für sie, und die Vorteile ihrer schlanken Statur für das Fliegen erwiesen sich nun als nachteilig, weil sie so gut wie keine Kraftreserven hatten.
Die Ylim-Yr waren nicht wählerisch, was die Nahrung anging. Aber sie kannten bisher nur die Gegend, die maximal eine Stunde von dem Berg, an dem ihre „Stadt des Windes“ lag, entfernt war. In diesem Bereich mit seinem feucht-warmen Klima gab es mehr als genug essbare Pflanzen und Tiere, die sie erbeuten konnten. Nicht umsonst hatten sie sich vor unzähligen Generationen dort niedergelassen. Aber das Feuer war für sie ein Zeichen, ihre bisherige Heimat zu verlassen. Sie spürten es alle tief in sich, dass sie hier nicht bleiben durften. Niemand konnte es erklären, und niemand sprach offen darüber. Und so machten sie sich auf die ungewisse Reise in der Hoffnung, eine neue Heimat zu finden.
Sie waren nun schon den vierten Tag unterwegs. Die Landschaft hatte sich komplett verändert. Anstelle des dichten Grüns unter ihnen wurde die Vegetation im Laufe ihres Fluges immer spärlicher, und die Luft war merklich trockener. Sie hatten soeben an einem Fluss gehalten, um zu trinken und sich ein wenig im Schatten der wenigen großblättrigen Ramsfarne auszuruhen.
Dan´iod, der größte unter ihnen, der von allen als Anführer anerkannt wurde, fühlte sich angesichts der fast aussichtslosen Situation kaum der Verantwortung und der Erwartungen, die sie an ihn hatten, gewachsen. Aber er ließ sich nichts anmerken. Lediglich Nirion, die er schon seit seiner Kindheit kannte und der er vertraute, wusste um die Last, die er trug.
Die beiden saßen etwas abseits der Gruppe. „Was meinst du, wie lange wir noch unterwegs sein werden?“, fragte sie ihn in ihrer von Pfeif- und Zischlauten durchsetzten Singsprache.
Er überlegte kurz, ob er die Frage überhaupt beantworten sollte. Wie konnte er das wissen? Er kannte sich doch genauso wenig aus wie alle anderen und flog eigentlich ins Ungewisse.
Er sah sie an. Im Laufe der letzten Tage hatte er gespürt, dass er zunehmend mehr für Nirion empfand. Weitaus mehr, als er sich eingestehen wollte.
Sein missmutiger Gesichtsausdruck entspannte sich. „Ich weiß es nicht. Aber ich habe einmal gehört, dass es auch im Westen Berge geben soll, die unseren ähnlich sind. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Es waren eben nur Geschichten. Aber es ist ein Anhaltspunkt. Besser als gar nichts.“
Sie nickte nur stumm. Sie fühlte sich leer und ausgelaugt. Aber hier zu bleiben würde in kurzer Zeit den sicheren Tod bedeuten. Und nicht nur den eigenen, sondern damit wäre der gesamte Stamm mit all seinen Traditionen und seiner Kultur ein für alle Mal Geschichte.
„Ich werde bei dir bleiben und für dich da sein. Solange ich nur kann.“ Sie sah im tief in die Augen. Auch sie merkte, dass zwischen ihnen mittlerweile weitaus mehr passierte als nur bloße Freundschaft, auch wenn diese bereits sehr lange bestand.
Er nahm ihre Hand. „Danke.“ Das war alles. Für den Moment. Sein Blick hingegen sprach Bände.
Sie hatte ihn verstanden und lächelte. „Dann los. Lass uns weiterfliegen. Ich vertraue deinem Instinkt.“
Die Gruppe erhob sich lautlos und flog in Richtung der langsam untergehenden großen Sonne weiter. Lange würden sie heute nicht mehr durchhalten können. Aber auf der Ebene war es zu gefährlich, die Nacht zu verbringen. Zu viele Raubtiere hatten sich auf die Jagd in der kurzen Dunkelheit spezialisiert, und sie konnten sich keine weiteren Verluste erlauben. Zu ihrem Glück erspähte Nirion nach einer Weile eine Gruppe Felsen, die nur leicht rechts von ihrer Richtung lagen. Hier konnten sie sich zumindest notdürftig gegen Überraschungen schützen. Sie gab der Gruppe ein entsprechendes Zeichen, und das Bedürfnis nach Ruhe führte dazu, dass alle ihre letzten Kräfte mobilisierten und kurze Zeit später ihr Ziel erreichten.
Dan´iod rief alle zusammen. „Wir bleiben heute Nacht hier. Wir werden uns mit wachen abwechseln. Wir sind zwar hier oben auf den Felsen halbwegs sicher, aber wir müssen jegliches Risiko ausschließen. Ak´lia und Kelnin, ihr übernehmt die ersten zwei Stunden nach Sonnenuntergang.“ Ak´lia war die zweite der beiden weiblichen Mitglieder der Gruppe. Sie und Nirion mussten unbedingt überleben, wenn es für ihr Volk eine Zukunft geben sollte.
Sie hatten sich unterwegs mit ein paar Früchten und Pilzen versorgt, die sie nun langsam verzehrten. Es war eine karge Mahlzeit, aber jegliche Nahrung war in ihrer Lage überlebenswichtig. Nachdem die Hauptsonne untergegangen war und kurz darauf auch die Nebensonne, wurde es stockdunkel. Die ständigen Rufe und Geräusche der tagaktiven Lebewesen, die sie auf ihrem Flug begleitet hatten, verstummten mit Einbruch der Dunkelheit, um anderen Lauten Platz zu machen. Dieses eintönige Zirpen, Kollern, leise Pfeifen und Grunzen wiegte die Gruppe schnell in einen tiefen Erschöpfungsschlaf. Selbst Ak´lia und Kelnin hatten erhebliche Probleme, ihre großen Augen aufzuhalten. Sie unterhielten sich leise, um sich gegenseitig wach zu halten.
„Ich hoffe, wir finden morgen etwas, wo wir länger bleiben können“, flüsterte Ak´lia. „Ich kann nicht mehr.“
„Ich weiß nicht. Ich vertraue zwar Dan´iod vollkommen, aber ich glaube, dass auch er nicht weiß, wohin wir eigentlich wollen. Unsere einzige Chance ist, zusammen zu bleiben.“
„Ja, und das wissen Dan´iod und Nirion auch. Selbst wenn sie so distanziert tun, glaube ich, dass mittlerweile alle mitbekommen haben, was zwischen den beiden läuft.“ Ak´lia musste lächeln. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie sich in Kelnin hals über Kopf verliebt, und kurz danach wurden sie vom Clan offiziell vereint.
„Ak´lia, selbst wenn das eine gute Nachricht sein sollte, so haben wir alle zusammen andere Probleme. Wir müssen eine neue Heimat finden. Und wenn das nicht bald geschieht, ...“
Er hob plötzlich den Kopf und lauschte in die Dunkelheit. Ein leises Schleifgeräusch schien von allen Seiten näher zu kommen. Ak´lia rückte näher an ihn heran. Auch sie hatte es gehört. „Was ist das?“, flüsterte sie.
„Ich weiß es auch nicht.“ Er sah sie an. „Wir müssen die anderen wecken. Ich will nicht, dass wir überrascht werden.“
Er wandte sich um und wollte Dan´iod wecken, als unvermittelt neben ihm ein schwarzer Schatten auftauchte und sich auf ihn stürzte. Nur seine ausgezeichneten Reflexe bewahrten in davor, von einem Maul voller nadelspitzer Zähne gepackt zu werden. Er stieß einen schrillen Pfiff aus, um alle anderen zu wecken. In der Dunkelheit war kaum etwas auszumachen, aber er sah mehrere große Tiere, die sich alle in ihre Richtung bewegten. Sie erschienen plump und unbeholfen, aber er hatte gerade selber erfahren, wie schnell sie waren. Mittlerweile waren alle aufgesprungen und wollten sich in die Luft erheben. Aber durch die Kälte der Nacht waren ihre Flügel nicht in der Lage, sie zu tragen, da sie ihre Spannung erst bei höheren Temperaturen erhielten. So griffen sie zu ihren Blasrohren und begannen, die Wesen mit ihren in Krallgift getauchten Pfeilen zu beschießen.
Kelnin stand mit dem Rücken an einem flachen Felsen und sah, dass eines nach dem anderen dieser weit verbreiteten Raubtiere dem schnell wirkenden Nervengift erlag. Zu spät hörte er ein Geräusch über sich. Ein weiteres dieser kräftigen, krokodilartigen Wesen war auf den Felsen gekrochen und stürzte sich nun von oben auf ihn. Bevor irgendjemand aus der Gruppe reagieren konnte, hatte ihn das Wesen gepackt und ihm den linken Arm und Flügel abgebissen. Er schrie auf, aber das schien den Angreifer nur noch aggressiver zu machen. Es schoss erneut vor, und bevor ein Hagel von Pfeilen ihm den Garaus machen konnte, hatte es ihn bereits mit seiner armdicken Fangzunge gepackt, zu sich hingezogen, seinen Kopf gepackt und zugebissen. Zusammen sanken sie auf die steinige Erde.
Wie gelähmt standen alle anderen um die beiden Leichen herum. Ak´lia saß abseits und starrte in die undurchdringliche Dunkelheit. Es war absolut still geworden. So als ob alle nachtaktiven Tiere mittrauerten. Eine unwirkliche Situation. Sie zählten sieben dieser Bestien, die vor nichts halt machten. Über vier Meter lang, auf kurzen Beinen unterwegs, auf dem Rücken schwer gepanzert mit einem Dornenkamm. Das Gefährlichste war ihre mehrere Meter lange Fangzunge, die mit Widerhaken besetzt war und aus deren Griff es kein Entrinnen gab. Sie war ein einziger, sehr starker Muskel, der nur den Zweck hatte, alle in Reichweite befindlichen Lebewesen in das zähnestarrende Maul zu befördern. Dagegen hatte auch Kelnin nicht die Spur einer Chance.
Nach einer kleinen Ewigkeit ergriff Dan´iod das Wort. „Ak´lia, es tut mir furchtbar leid um Kelnin. Er war auch für mich ein guter Freund.“ Seine Stimme brach. Er drehte sich um und atmete ein paar Mal tief ein, bis sich sein Innerstes beruhigt hatte. Er wusste, dass die Zukunft von ihm und seinen Entscheidungen abhing. Wenn er jetzt Schwäche zeigte, würde das mit Sicherheit das Ende der Gruppe bedeuten. Angesichts dieses Gedankens fühlte er sich, als ob eine unfassbar schwere Last auf seinen Schultern ruhte, die er nicht abwerfen konnte. Aber er sagte sich, dass ihn das auch stark machen würde und ihm für alle Zukunft ungeteilten Respekt bringen würde.
Mit festerer Stimme fuhr er fort. „Wir sind nun noch elf. Die Zeit zum Trauern wird kommen. Aber nicht jetzt. Es steht zu viel auf dem Spiel. Für uns alle. Heute Nacht wird keiner mehr schlafen. Ich glaube zwar nicht, dass noch mehr von diesen Kreaturen kommen werden, aber ich muss jedes Risiko ausschließen. Lasst uns Kelnin für seine letzte Reise vorbereiten. Ich weiß, dass uns hier die richtigen Mittel fehlen, aber ich will ihn nicht den Tieren hier überlassen.“
Er blickte in die Runde. Keiner erwiderte etwas. Alle wussten, dass er Recht hatte. Schließlich trat Ak´lia einen Schritt auf ihn zu.
„Kelnin ist tot. Ich weiß, dass du es nicht hättest verhindern können. Du bist hier genauso fremd wie wir alle und kennst die Gefahren nicht. Du bist unser Anführer. Du hast die Verantwortung für uns und unser Volk, das, was von ihm übrig geblieben ist. Ich spüre, wie sehr dich das belastet. Daher sollst du wissen, dass ich dir keine Schuld geben werde an seinem Tod. Ich vertraue dir.“
„Danke.“
Das war alles, was Dan´iod erwiderte. Aber aus diesem einen Wort war enorme Erleichterung herauszuhören. Er blickte zum Himmel, der sich langsam heller färbte. Diese schreckliche Nacht würde gleich zu Ende sein. Während dessen begannen die anderen, Kelnins Wunden mit Pflanzen abzudecken und ihn in eine bestimmte, aufrecht sitzende Stellung zu bringen. Dann errichteten sie eine flache Pyramide aus Steinen über seinen sterblichen Überresten und dichteten die Lücken dazwischen sorgfältig mit Flechten ab. Dann zerrieben sie die Blätter der Steinlilie, die hier überall wuchs und einen intensiven Geruch ausströmte. So konnte der Leichnam weder gesehen noch von einer empfindlichen Raubtiernase gewittert werden. Zum Schluss stellten sie sich alle um die Grabstätte herum auf und Ak´lia begann einen leisen Gesang, der Kelnin den Weg in die Ewigkeit begleiten würde.
Immer wieder trafen die Blicke der anderen auf Dan´iod. Aber darin lagen keinerlei Misstrauen oder Furcht. Sie wussten alle, dass sie nur gemeinsam überleben würden. Wenn es innerhalb der Gruppe zu Streit oder Machtkämpfen kam, wäre das das Ende. Als die ersten Strahlen der Sonne über die Landschaft strichen und die Luft spürbar erwärmten, erhob sich die Gruppe wieder in die Luft, um ihre Reise ins Unbekannte fortzusetzen.