Читать книгу Mygnia - Die Begegnung - Thomas Linz - Страница 8
Berlin
Оглавление„Und so was am Sonntag morgen. Wir waren gerade so schön beim Frühstücken“. Hauptkommissar Rainer Michels war stinksauer und machte daraus keinen Hehl. Sein Mitarbeiter Dietmar Junghans kannte ihn schon lange genug und wusste mit seinen Launen umzugehen. „Ach komm. Das wird bestimmt nicht lange dauern. Danach kannst Du in Ruhe weiteressen,“ meinte er mit einem Seitenblick auf seinen Chef. Dass dieser ungern eine Mahlzeit ausließ, stand nicht unbedingt im Widerspruch zu seiner Figur. Ansonsten war Rainer schon allein aufgrund seiner Größe von fast zwei Metern eine imposante und Respekt einflößende Persönlichkeit. Fachlich war er unerreichbar, was sicherlich auch seiner fast dreißigjährigen Berufserfahrung zu verdanken war. Aber er hatte wie alle anderen auch seine Macken, und wenn ihm jemand sein Essen streitig machte, sank seine Laune um etliche Zehnerpotenzen ab.
Er parkte den Wagen unmittelbar vor der Schranke am Ende der Straße und achtete nicht auf das Parkverbotsschild. Um diese Zeit waren ohnehin kaum Leute unterwegs, und sie wären ja auch in ein paar Minuten zurück. Rainer zwängte seinen fülligen Körper aus dem Auto und folgte seinem wesentlich sportlicheren Kollegen. Als sie in Richtung See gingen, kam ihnen bereits eine Streifenpolizistin entgegen.
„Guten Morgen, die Herren. Kommen Sie bitte, ich zeige Ihnen, warum wir von dem zuständigen Förster hergerufen wurden.“
Vor den Büschen, die das Seeufer an dieser Stelle säumten, stand ein älterer Herr mit Hund und unterhielt sich mit dem anderen Streifenpolizisten. Als Rainer näher kam, hörte er gerade, wie er zu Protokoll gab: „… wie immer morgens meine Runde mit dem Hund. Sie wissen ja, er braucht seinen Auslauf. Normalerweise ist er ruhig und geht nie weiter als fünf, sechs Meter weit weg. Aber vorhin war das anders. Er blieb erst stehen und rannte dann wie besessen da rein. Und fing an zu bellen. Er ließ sich nicht beruhigen. Naja, und als ich nachgesehen habe, fand ich es.“
Es. Es? Rainer sollte sofort erfahren, was damit gemeint war. Etwa zwei Meter vom Wasser entfernt lag ein Wildschein. Oder vielmehr das, was man mit viel Fantasie einem Wildschwein zuordnen könnte. Der total zerfetzte Kadaver war offenbar auch ein paar Meter weit gezogen worden, wie er an dem rundherum blutverschmierten Gras und den tiefen Spuren auf dem sandigen Boden feststellen konnte.
Zögernd ging er näher heran. Er musste nicht so aufpassen wie bei einem Verbrechen, bei dem Menschen zu Schaden kamen, war aber doch vorsichtig genug, um keine Spuren zu verwischen. Direkt an der Wasserlinie sah er einen Abdruck, einen weiteren, etwas verschwommen, im seichten Wasser. Er stutzte, denn offenbar hatte das Tier drei Zehen, die nach vorne zeigten, und zwei, die nach hinten wiesen. Er kramte in seinen bescheidenen Biologiekenntnissen, welche Art von Tier das gewesen sein könnte, aber ihm fiel nichts Vergleichbares ein. Die ihm bekannten hatten doch alle drei oder vier Finger und nur einen Daumen. Aber so ganz sicher war er sich dann doch nicht.
In dem Moment kam Dietmar triumphierend auf ihn zu und zeigte ihm etwas in einer Tüte.
„Sieh mal. Ich glaube, unser Wildschweinmörder hat uns einen Teil von sich dagelassen.“
Es war ein Zahn. Rainer sah ihn sich genau an. Er war sechs bis sieben Zentimeter lang, leicht gebogen und hatte in der Innenseite des Bogens eine Einkerbung, die längs fast über den ganzen Zahn verlief. Er schien sehr scharf zu sein und gehörte definitiv einem Raubtier, einem großen Raubtier. An der Zahnwurzel waren kleine Reste Zahnfleisch und getrocknetes Blut zu sehen.
„Was war das für ein Vieh?“, fragte er. „Hier, sieh Dir mal diese Spuren an. Hast Du so etwas schon mal gesehen?“
Dietmar folgte mit seinem Blick der Richtung, in die Rainer zeigte. „Er zögerte erst, ging dann aber näher und betrachtete den Abdruck eine ganze Weile. „Nein. Ich habe keinen blassen Schimmer, was das war. Das ist wirklich komisch. Ich fürchte, da kommen wir allein nicht weiter. Aber geht uns das überhaupt was an?“
„Sag mal, wie lange bist du schon bei der Polizei?“, brauste Rainer auf. „Wir haben es hier mit etwas zu tun, was sich offenbar frei bewegt und verdammt gefährlich ist. Diesmal war es ein Schwein, aber was ist mit den Spaziergängern? Gerade heute am Sonntag. Willst du nachher zurückkommen müssen und eine menschliche Leiche untersuchen? Wir sperren den Bereich ab, bis wir eine Idee haben, was hier los ist. Sag den Kollegen Bescheid. Und ich werde mal rumtelefonieren, wer uns hier weiterhelfen kann.“
Ärgerlich stapfte er in Richtung Auto davon. Das war´s also erstmal mit der Fortsetzung des Frühstücks. Er wollte gerade einsteigen, als ihn jemand ansprach.
„Sind Sie von der Polizei?“, wollte eine ältere Frau wissen. „Vielleicht können Sie mir sagen, was hier los ist.“
Rainer hatte keine Lust, sich mit den Problemchen alter, vereinsamter Leute zu beschäftigen. Die ganze Sache wurmte ihn ohnehin, zumal er keine Idee hatte, wie er schnell aus der Sache heraus kommen konnte.
„Wissen Sie,“ fuhr die Frau fort, „gestern nachmittag ist mein Hund von einem Tier im See gefressen worden. Und nun überlege ich die ganze Zeit, was das sein kann.“
Rainer stutze und drehte sich zu der Frau um. „Was sagen Sie da? Ein Tier hat Ihren Hund gefressen? Hier im See?“
„Ja. Wenn ich es Ihnen doch sage. Ach ja, Entschuldigung. Obermeier ist mein Name, Renate Obermeier. Ich wohne hier gleich ein paar Häuser weiter. Wenn ich Ihnen helfen kann, würde es mir helfen. Ich habe doch so an Alfi, meinem Hund, gehangen.“
„Vielen Dank.“ Rainer bemühte sich, freundlich zu sein. „Aber wir kommen schon klar. Das ist alles nur Routine.“
„Routine? Entschuldigen Sie, aber das glaube ich nicht. Ich kenne mich mit Tieren sehr gut aus, ich bin Biologin. Allerdings seit zwei Jahren im Ruhestand. Wissen Sie, mein Hund ist von einem monströsen Tier gefressen worden. Ich habe es mit ansehen müssen.“ Sie schloss die Augen, um ihre Tränen zu unterdrücken. „Ich habe gestern Abend lange gegrübelt, um herauszufinden, was das gewesen sein könnte. Aber ich bin ziemlich ratlos. Sowas habe ich noch nie gesehen.“
Rainers Interesse stieg schlagartig an. „Sie sind Biologin?“ Er blickte zurück zum See und sah dann eine ganze Weile auf seine Schuhe, die schon lange eine gründliche Reinigung verdient hätten. „Vielleicht können Sie uns doch helfen.“
In dem Moment kam Dietmar zu den beiden. „Guten Tag“, grüßte er höflich. Dann, an Rainer gewandt: „so, wir können jetzt. Ich habe alles veranlasst.“
„Hast Du die Tüte noch?“, fragte ihn Rainer. „Hier ist jemand, der uns vielleicht einen Tipp geben kann. Frau Obermann ist Biologin.“
„Obermeier“, korrigierte sie ihn. „Ja, das stimmt. Und wenn ich das noch erwähnen darf: ich habe noch Beziehungen zur Humboldt Uni.“
Dietmar gab ihr die Tüte mit dem Zahn. Sie betrachtete ihn lange, schüttelte dann langsam den Kopf und sagte: „Tut mir leid. Das kann ich auf die Schnelle nicht zuordnen. Könnte von einem Krokodil sein. Vielleicht hat ein Hobby-Terrarienfreund seinen Liebling nicht mehr unter Kontrolle gehabt und ihn ausgesetzt.“ Sie drehte den Zahn hin und her. Es war ihr regelrecht anzusehen, dass sie in diesen Sekunden ihr gesamtes Wissen durchforstete. „Nein, doch nicht. Dafür ist er zu groß. Und diese Biegung und die Kerbe passen auch nicht.“
„Kennen Sie jemanden, den wir noch fragen könnten?“, wollte Dietmar wissen.
„Nein, so spontan fällt mir niemand ein. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Kommen Sie morgen um neun in die Humboldt-Universität. In das Institut für vergleichende Zoologie. Das ist in der Philippstraße. Ich warte dort auf Sie. Heute ist da keiner, aber glauben Sie mir, morgen ist da jemand, den das genauso brennend interessieren wird wie uns.“
„Gut. Dann bis morgen. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Drücken Sie uns die Daumen, dass wir herauskriegen, was das war.“
* * *
Kurz vor neun Uhr sah Rainer auf seine Uhr. Er hatte schlecht geschlafen, und der leichte Nieselregen führte auch nicht gerade dazu, dass sich seine Laune merklich besserte. Aber seine Neugier war doch stärker. Was war das für ein Monster? Den ganzen Sonntag musste er daran denken, malte sich alle möglichen Tiere und Untiere aus, die so etwas anrichten konnten. Vielleicht gab es doch eine Art übrig gebliebene Dinosaurier, die im Verborgenen lebten, wie er es schon einmal in schlecht gemachten Filmen gesehen hatte. Aber er verwarf diesen absurden Gedanken schnell wieder, denn wo sollte sich ein solch großes Tier mitten in der Stadt so lange versteckt halten? Außerdem hätte man sicherlich schon viel früher Spuren entdeckt oder ähnliche Situationen wie vorletzte Nacht erlebt. Wie also kommt es, dass dies so plötzlich auftritt? Und dann gleich zwei Mal. Einmal der Hund von Frau Oberdingsda und dann das Wildschwein. Er würde auf jeden Fall seine Kollegen in den benachbarten Bezirken ansprechen, ob sie dazu etwas sagen können.
Er machte die Autotür auf. „Mann, pass doch auf!“, rief ein Radfahrer, den er nicht gesehen hatte, und der sich nur mit einem gekonnten Schlenker vor einer Kollision mit der Tür rettete. Zu Glück war nichts passiert. Was hatte der auch auf der Straße zu fahren, wo es doch mittlerweile so viele Radwege in der Stadt gab, dachte Rainer. Er schloss den Wagen ab und ging zum Eingang. Er war heute allein, Dietmar musste sich noch um einen anderen Fall kümmern. Die Tüte mit dem Zahn hatte er in der Manteltasche. Es fühlte sich komisch an. So ein Ding, so fremdartig, dass bislang keiner eine Antwort darauf wusste, von was für einem Tier das war. Die einzige Expertin bis jetzt war eine pensionierte Biologin, die früher wahrscheinlich nur Kaninchen und Erbsen untersucht hatte. Heute würde er bestimmt jemanden treffen, der wirklich etwas davon verstand.
Renate Obermeier wartete im Eingangsbereich. „Pünktlich wie die Maurer,“ begrüßte sie ihn. „Kommen Sie, wir müssen in die erste Etage. Dort wartet mein ehemaliger Mitarbeiter Dr. Tamm auf uns. Er leitet jetzt das Institut und wird uns so gut es geht helfen. Wir haben hier viele Möglichkeiten und sind technisch auf dem neuesten Stand.“
Rainer sah sie skeptisch von der Seite an. Mitarbeiter, Institutsleiter? Was ist das für eine Frau? Ihn beschlich das Gefühl, dass er sie trotz seiner Menschenkenntnis, die er sich selber zugestand, wohl doch mächtig unterschätzt hatte. Sie strahlte in dieser Umgebung eine gewisse Autorität aus, die für ihn nicht greifbar war. Und er konnte sich mit einem Mal gut vorstellen, dass es sehr unklug wäre, sich bei diesem Thema mit ihr auf eine Meinungsverschiedenheit einzulassen.
Er hatte sichtbar Mühe, der agilen Frau die Treppe hinauf zu folgen. Durch eine Glastür ging es in einen endlos erscheinenden Flur. Aber bereits an der zweiten Tür links hielt sie an. „Dr. Andreas Tamm. Institutsleitung“ stand auf dem Türschild. Sie klopfte und trat ohne abzuwarten ein.
„Hallo Andreas. Hier sind wir. Das ist übrigens ... ach, ich weiß ja noch gar nicht, wie Sie heißen“, sagte sie zu Rainer gewandt.
„Hauptkommissar Rainer Michels“, stellte er sich vor. Er versuchte, eine gewisse Autorität auszustrahlen, indem er seinen Ausweis vorzeigte. Aber so richtig gelang ihm das nicht. Andreas beachtete die Marke nicht einmal und fragte stattdessen: „tja, ich habe gehört, dass ich Ihnen eventuell helfen kann. Ist schon eine merkwürdige Geschichte, die mir Frau Dr. Obermeier vorhin am Telefon erzählt hat. Ich habe auch erfahren, dass Sie etwas gefunden haben. Nun, wenn ich etwas untersuchen soll, müssten Sie mir es schon geben.“
Rainer passte seine Art überhaupt nicht. Was bildete sich dieser Halbgott im weißen Kittel ein? Aber vielleicht waren die alle so, und er musste es einfach akzeptieren. Also kramte er die Tüte aus seiner Tasche. „Hier, das haben wir am, jetzt hätte ich fast Tatort gesagt, gefunden. Offenbar ist das ein großes Tier, das ...“
„Ich weiß“, unterbrach ihn Andreas. „Renate, also Frau Dr. Obermeier, hat es mir bereits gesagt. Zeigen Sie mal her.“ Er griff nach der Tüte, die ihm Rainer herüber reichte. „Hhmm. Ich fürchte, das müssen wir uns genauer ansehen. Darf ich den Zahn hier behalten?“
Die Frage war eigentlich überflüssig, aber Andreas war in dieser Hinsicht Profi genug, um sich ausreichend abzusichern. Er hatte schon in einigen Fällen mit der Polizei zusammengearbeitet. Nur waren das bislang immer nur Kollegen der Mordkommission gewesen. Mit Rainer Michels hatte er bis heute nichts zu tun gehabt.
„Ja, wenn Sie mir das bitte hier quittieren. Sorry für die Formalität, aber Sie kennen das ja vielleicht.“
„Klar. Was sein muss, muss sein“, murmelte Andreas, während er unterschrieb. Er gab Rainer die Quittung und nahm die Tüte. „Wollen Sie mich begleiten oder reicht es Ihnen, wenn wir Sie anrufen, sobald wir etwas herausgefunden haben?“
Rainer hatte vormittags nichts weiter zu tun als langweilige Büroarbeit. Er ließ sich diese willkommene Abwechslung nicht entgehen. „Ich komme mit. Ich habe zwar keine Ahnung von alldem hier, aber ich möchte schon gern wissen, was Sie vorhaben.“
Renate hatte bisher nur zugehört. „Wie willst du anfangen, Andreas?“, fragte sie.
„Am einfachsten ist, erstmal einen Scan zu machen und damit unsere Datenbank zu fragen. Das geht relativ schnell, und wir haben dann zumindest eine grobe Idee, vielleicht aber auch schon die Lösung. Wenn das nichts hilft. machen wir eine Genanalyse. Das wird sicher zu einem Treffer führen.“ Und zu Rainer gewandt: „ist aber deutlich aufwändiger, deshalb fangen wir mit der einfachen Methode an.“
Diese Logik konnte Rainer nachvollziehen. Die Art, wie dieser Doktor ihn behandelte, passte ihm zwar überhaupt nicht. Aber schließlich wollte er etwas von ihm, und so schluckte er seinen Ärger hinunter. Wenn er hier raus war, würde er sich erstmal in Form eines ordentlichen zweiten Frühstücks entschädigen.
Renate nickte. „Ich lass euch dann mal allein. Ich will die Gelegenheit nutzen, den alten Kollegen guten Tag zu sagen. Ich komme nach. Bis später.“
„Kommen Sie.“ Andreas war schon ein paar Meter entfernt auf dem Weg ins Labor. Rainer fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Allein mit diesem arroganten Schnösel. Diese ungewohnte Umgebung, alles sah so modern aus und roch irgendwie nach Wissenschaft. Er wusste zwar nicht, wie Wissenschaft eigentlich riecht, aber in seiner Vorstellung war das eben so.
„So, bitte hier hinein.“ Andreas ging vor und setzte sich vor einen kompliziert aussehenden Apparat. Rainer schlurfte hinterher und sah sich staunend um. Bis auf ein paar Notebooks kannte er keines der vielen Geräte auch nur annähernd. Ein leises Summen und Rauschen war zu hören. Das kommt bestimmt von den Lüftern, sagte sich Rainer. Aber das war auch schon alles, was er sich erklären konnte.
„Ich vermute, hier machen Sie jetzt Ihren Scan“, meinte er.
„Stimmt. Das ist nichts weiter als eine 3D-Aufnahme. Wir tasten das Objekt, also in diesem Fall den Zahn, mit einem Laser ab. Der Computer errechnet ein dreidimensionales Bild, welches wir mit den anderen in unserer Datenbank vergleichen können. Früher musste man das mühsam mit Fotos oder sogar Zeichnungen machen.“
„Nur aus Neugier: wie viele Bilder haben Sie denn hier gespeichert?“
„Genau kann ich es Ihnen nicht sagen, da es täglich mehr werden. Aber es sind wohl einige Zehntausend. Da haben wir guten Chancen, was zu finden.“
Er hatte den Zahn mittlerweile mit einer Pinzette vorsichtig auf einen speziellen Halter, der sich in einem grauen Kasten befand, gesteckt. Dann schloss er den Deckel und tippte einige Informationen in den Computer ein. Schließlich drückte er die Return-Taste. „So, jetzt dauert das eine Weile“, meinte er.
„Und was passiert da jetzt?“, wollte Rainer wissen. Ihn hatte nun die Neugier richtig gepackt.
„Im ersten Schritt wird der Zahn, wie eben schon gesagt, mit einem Laserstrahl abgetastet. Das reflektierte Licht wird über Sensoren erfasst, und am Ende erhält man von dem Punkt die genauen Koordinaten im Raum, also beispielsweise wie weit vorn, rechts und oben er ist. Auf diese Weise errechnet der Computer eine so genannte Punktwolke, die die Oberfläche des Objektes darstellen. Damit wir das dann besser sehen können, folgt dann die Triangulierung, das heißt, die Punkte werden mit Linien verbunden, so dass lauter kleinste Dreiecke entstehen. Für uns sieht das dann wie eine glatte Oberfläche aus.“
„Ah ja.“ Rainer versuchte den Eindruck zu vermitteln, als ob er alles verstanden hätte. „Aber wie der Zahn aussieht, wissen wir doch schon“, meinte er.
„Wir schon, aber nicht der Computer. Er braucht die Daten, um sie mit den anderen in der Datenbank zu vergleichen. Hier.“ Er deutete auf den Bildschirm. „Sehen Sie, wie das Bild entsteht? Es ist gleich fertig.“
Rainer betrachtete stumm, wie rasend schnell ein Punkt nach dem anderen erschien. Dann erstarb das Geräusch aus dem Kasten, und aus den vielen Punkten entstand plötzlich das Bild des Zahns.
Andreas nahm die Maus und bewegte sie hin und her. In gleichem Maß drehte sich das Bild in jede beliebige Richtung. „So, dann wollten wir mal sehen.“
Er rief ein anderes Menü auf und startete die Suche. Bereits nach zwei Sekunden tauchte die Meldung auf: „ no match found “.
„So schnell geht das?“ wunderte Rainer sich.
„Ja, mit den neuen Prozessoren kein Problem“, sagte Andreas geistesabwesend. Er war erstaunt, dass es keine Übereinstimmung gab. Das war früher oft so, weil einfach noch nicht so viele Einträge verfügbar waren, mit denen man hätte vergleichen können. Aber das letzte Mal hatte er einen solchen Fall vor fast einem Jahr. Er rief das Menü noch einmal auf, änderte eine Zahl und startete die Suche erneut. Wieder mit dem selben Ergebnis: no match found .
„Das ist sehr merkwürdig. Sind Sie sicher, dass er wirklich vom Flughafensee in Tegel stammt?“ fragte er Rainer.
„Ja, definitiv. Er lag neben einem völlig zerfetzen Wildschwein.“ Bei dem Gedanken daran wurde ihm mulmig. Er sah den Kadaver wieder vor sich liegen. Nach Frühstück war ihm nun nicht mehr zumute.
„Tja, dann bleibt wohl doch nur die Genanalyse. Aber da wollen Sie sicherlich nicht warten, denn das dauert ein paar Tage“, meine Andreas.
Rainer war enttäuscht. Er hatte sich eine schnelle Antwort erhofft und keinen ratlosen Wissenschaftler. Aber zumindest hatten sie hier ja noch ein paar Methoden zur Verfügung, um das Rätsel doch noch zu lösen. Missmutig meinte er zu Andreas: „Sie werden schon wissen, was zu tun ist. Hier ist meine Karte. Wenn Sie etwas herausgefunden haben, Sie wissen schon. Auf Wiedersehen.“ Mit diesen Worten verließ er das Labor.
In diesem Moment kam ihm Renate entgegen. „Und, was gefunden?“ rief sie schon von weitem.
„Nein, nichts vergleichbares. Ihre Datenbank ist wohl doch nicht so vollständig.“ Er wunderte sich über seinen eigenen Sarkasmus und entschuldigte sich dann. „Ähm, ich meine, Ihr Kollege hat auf jeden Fall sein Möglichstes getan. Vielleicht ist es ja doch eine neue Art, die Sie noch nicht registriert haben.“
„Wir werden sehen“, antwortete Renate knapp. „Ich rufe Sie an, wenn wir mehr wissen.“