Читать книгу Mygnia - Die Begegnung - Thomas Linz - Страница 11
Berlin
ОглавлениеDas Wasser kochte endlich, und Renate goss sich ihren Frühstückstee auf. Sie hatte gestern Abend lange versucht, über das Internet zumindest ein paar Anhaltspunkte oder Ideen zu bekommen, mit was sie es hier zu tun haben könnte. Aber außer ein paar Artikeln, die sie für sich in die Kategorie „Science Fiction“ packte, war nichts Brauchbares zu finden. Zwischendurch kamen ihr immer wieder die Tränen, wenn sie an Alfi denken musste. Würde sie sich wieder einen Hund zulegen? Er war ihr wie ein Freund, ja fast ein Partner, mit dem sie durch dick und dünn gehen konnte. Aber erst einmal lag noch etwas vor ihr, das sie um alles in der Welt aufklären wollte.
Nach dem Frühstück rief sie in der Uni an. Sie wollte Andreas Tamm nach dem aktuellen Stand fragen. Nach dem dritten Klingeln hob er ab. „Hallo Andreas“, grüßte sie. „Habt ihr schon die Ergebnisse des DNA-Tests?“
„Guten morgen, Renate“, begann er. „Ja, schon. Aber wir grübeln noch, wie wir das interpretieren sollen. Am besten, du kommst selber her und siehst dir das an“, schlug er vor. „Ich meine, ich habe schon etliche Chromatogramme gesehen und verglichen, aber das hier kommt mir komisch vor. Wir sind gerade dabei, die DNA chemisch zu analysieren. Vielleicht hilft uns das weiter.“
„Das klingt ja spannend. Aber gut, ich mache mich auf den Weg. Wird aber etwas dauern. Bis nachher“, schloss sie das Gespräch und legte auf.
Mit einem unguten Gefühl räumte sie den Tisch ab und zog sich ihre Jacke über. Was ging hier vor? Waren sie einer Sensation auf der Spur? Oder spielte ihnen hier jemand einen bösen Streich? Auf jeden Fall wollte sie persönlich dabei mitmachen. Nicht aus einem wie auch immer gearteten Geltungsbedürfnis hinaus. Das hatte sie in den langen Jahren abgelegt. Vielmehr erwachte in ihr wieder die Forscherin, und außerdem sagte sie sich, dass sie es ihrem Alfi schuldig war.
Die U-Bahn fuhr um diese Zeit alle paar Minuten, und so stand sie nach knapp einer Stunde mit Andreas im Labor und betrachtete die Gelchromatogramme, die die einzelnen Bruchstücke der DNA zeigten. Durch ein spezielles Anfärbeverfahren konnten sie die einzelnen Bestandteile gut auseinander halten. Bei dem Verfahren wird die isolierte DNA durch spezielle Enzyme aufgespalten. Die einzelnen Fragmente werden in einem Gel durch Anlegen eines Stromes verschieden weit transportiert und ergeben so ein charakteristisches Muster.
„Sieht ja auf den ersten Blick ganz normal aus. Aber die Färbung ist an manchen Stellen anders. Das passt doch nicht. Wer hat die Analyse gemacht?“ wollte Renate wissen.
„Das war Martin. Er hat die meiste Erfahrung auf dem Gebiet. Und er ist sehr gewissenhaft. Er war es, der mich sofort angerufen hat, als er die Platte fertig hatte.“ Andreas ging nervös langsam auf und ab. Er grübelte, ob es vielleicht doch einen Fehler gegeben hat, ob die Reagenzien vielleicht verwechselt wurden, oder ob der Chromatograph plötzlich fehlerhaft arbeitete. Aber das gesamte Bild sah irgendwie richtig aus. Bis auf die entscheidenden Details.
In diesem Moment klang der Anfang von „Smoke on the water“ aus seiner Kitteltasche. Er holte sein Smartphone heraus und nahm mit einem „Entschuldigung“ in Renates Richtung den Anruf an.
„Tamm hier. Was gibt´s? .... Seid Ihr sicher? .... Moment. Wir reden von derselben Probe? .... Ja ja, genau. ... Nein, kann ich so nicht sagen. Ich komme rüber.“
Geistesabwesend steckte er das Telefon wieder ein. Er schüttelte den Kopf, so, als ob er wieder einen klaren Gedanken fassen müsste. Er spürte Renates neugierigen Blick auf sich ruhen und sah sie direkt an.
„Das war Martin vom chemischen Labor. Sie haben die DNA aufgespalten und die Einzelstücke per Massenspektroskopie untersucht. Das Kuriose ist, dass sie nicht nur die bekannten Basen gefunden haben, sondern zwei neue dazu. Ich muss mir die Spektren selber ansehen. Und mir ist deine Meinung wichtig“, sagte er zu Renate gewandt.
Kurz darauf standen sie vor den Ausdrucken der Analysen.
„Das sind die vier üblichen Basen, die in jeder DNA vorkommen: Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin“, erläuterte Martin. „Aber hier sind noch zwei weitere Substanzen, die in dieselbe Stoffklasse passen und durchaus ein DNA-Baustein sein könnten.“ Renate las die handschriftlichen Anmerkungen auf den Papieren: „Isopropyluracil“ und „Methyl-hypoxanthin“.
„Ja, aber das gibt es doch bei keinem uns bekannten Lebewesen“, warf Andreas ein. „Waren die Gefäße, in denen Ihr die Probe aufbereitet habt, sauber?“ Die Frage war total überflüssig und Martin gegenüber eigentlich fast beleidigend, aber er wollte einfach nicht wahrhaben, was er hier schwarz auf weiß sah.
Martin nahm es sportlich. Er kannte seinen Chef, und er konnte diese Reaktion bei solch befremdenden Ergebnissen nachvollziehen. „Ja klar. Immer frisch aus der Spülmaschine. Und bei einer so einzigartigen Probe haben wir sogar komplett neue Gläser genommen.“
„Dann haben wir hier etwas ganz Besonderes“, warf Renate überflüssigerweise ein. So eindeutig wie diese Feststellung war, so rätselhaft kam ihr alles vor. „Ist euch sonst noch was aufgefallen? Vielleicht etwas an der chemischen Zusammensetzung?“
Martin zögerte. „Ich hatte auch so ein Gefühl und habe deshalb vorhin eine kleine Probe zur AAS gegeben. Mit der Atomabsorptionsspektroskopie können wir ermitteln, welche Elemente darin enthalten sind.“
Renate lachte. „Na, soviel weiß ich selber gerade noch. Aber im Ernst: gibt´s schon Ergebnisse davon? Ich meine mich zu erinnern, dass das ziemlich schnell geht.“
„Dann fragen wir doch einfach mal. Kommen Sie.“ Martin ging voran, Renate und Andreas im Schlepptau, und zwei Türen weiter bog er in ein Labor ab. Dort sprach er kurz mit seiner Kollegin, die gerade die Ausdrucke von der AAS-Analyse studierte. Sie sah ihn mit einem erstaunten Gesichtsausdruck an: „Bist Du sicher, dass das die Blutprobe war?“
Martin war überrascht. „Ja klar. Von dem Zahn, den ich dir gezeigt habe. Stimmt was nicht?“
„Ganz und gar nicht. Wenn das normales Blut gewesen wäre, hätte ich Eisen finden müssen. Ich kann aber nur Mangan nachweisen.“
„Mangan?“ riefen Andreas und Martin gleichzeitig.
Renate hörte nur stumm zu. In ihrem Kopf begann ein Bild zu entstehen. Noch war es sehr vage und verschwommen, aber diese beiden Analysenergebnisse brachten sie auf eine Idee. Die DNA war offenbar ähnlich oder sogar gleich aufgebaut wie alles, was die Biologie bislang kannte. Auf jeden Fall hat die Sequenzierung, deren Methode ja die typische Struktur der DNA voraussetzt, funktioniert. Auch das Ergebnis sah auf den ersten Blick sehr ähnlich aus, wenn da nicht die beiden anderen Basen wären. Sie grübelte, ob sie irgendetwas Vergleichbares von exotischen Bakterien kannte. Mittlerweile waren viele neue Bakterienstämme an ungewöhnlichen, zum Teil lebensfeindlichen Orten mit noch ungewöhnlicheren Eigenschaften entdeckt worden. Mit Stoffwechselvorgängen, die völlig von dem der Säugetiere abwichen. Aber sie alle wiesen dieselbe Zusammensetzung ihrer DNA auf.
Dann die Entdeckung mit dem Mangan. Hämoglobin, der rote Blutfarbstoff, der für den Sauerstoff- und Kohlendioxidtransport im Blut zuständig war, enthält in der Mitte einer Ringstruktur ein zentrales Eisenatom. Durch eine chemische Veränderung ist die Bindung und Ablösung der Gasmoleküle möglich. Aber das sollte auch mit Mangan gehen? Offenbar hatten sie hier ihren ersten Beweis. Klar, Mangan steht im Periodensystem direkt neben dem Eisen, und viele Eigenschaften sind durchaus vergleichbar. Aber in einem biologischen System kannte sie Mangan nur als Bestandteil unterschiedlichster Enzyme und als Spurenelement, das für die Herstellung von Glucose im Körper notwendig ist.
Die Frage, die sie am meisten beschäftigte: ist das hier möglicherweise kein irdisches Wesen, sondern ein ... Alien? Den Begriff „Alien“ mochte sie eigentlich nicht. Sie wurde dabei automatisch an das Filmmonster aus den gleichnamigen Horrorfilmen von Ridley Scott erinnert. Hinzu kam, dass einfach zu viel in den Medien darüber berichtet wurde, zu viele allein der Phantasie entsprungene Begegnungen im Internet gepostet wurden. Denen ging es doch nur darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sie glaubte nicht an diese Geschichten. Aber sie war fest davon überzeugt, dass auch außerhalb der Erde das Leben es geschafft hat, sich zu entwickeln. Dafür hatte sie in ihrem Berufsleben zu viele und vor allem zu vielfältige Entdeckungen gemacht.
In der Evolution gab es sicherlich mehr als einmal, ja mehr als tausende Male eine Entscheidung, welche biologische Entwicklung sich schließlich in Konkurrenz zu anderen durchsetzen würde. Das irdische Leben ist nun einmal und ausschließlich so, wie wir es heute kennen. Es waren nur wenige ernsthafte Wissenschaftler, die auch über mögliche Alternativen nachgedacht und diese auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse theoretisch fortgeführt haben. Dabei kamen sie zu erstaunlichen Möglichkeiten und Varianten des Lebens. Warum also nicht in diesem Fall auch?
War dieses Wesen also eine völlig neue Art, die sich im Verborgenen gehalten hatte und so unbemerkt geblieben worden war? Nein, das konnte sie schnell ausschließen, denn ein solch großes Tier wäre sicherlich schon viel früher entdeckt worden, besonders in einer Großstadt wie Berlin.
Also gab es nur die Möglichkeit, dass es wirklich nicht von der Erde stammte. Sie wehrte sich gegen den Gedanken, aber so sehr sie auch überlegte, ihr fiel keine bessere Erklärung ein. Wie aber kam es auf die Erde?
„Renate, ist alles ok mit dir?“ erkundigte sich Andreas. Er hatte ihren leeren Blick bemerkt.
„Jaja, ich habe nur gerade überlegt, wie das alles hier zusammen passen kann. Ihr werdet mich zwar jetzt für verrückt erklären, aber ich glaube, das Wesen ist nicht von hier. Nicht von der Erde.“
Andreas und Martin sahen sich an. Zu Renates Überraschung meinte Andreas: „das klingt wirklich verrückt, aber ich gebe zu, dass ich momentan auch keine bessere Idee habe. Was machen wir denn jetzt?“
„Nichts“, beschloss Renate. „Und ich will nicht, dass ihr irgend jemandem davon erzählt. Auch diesem Polizisten nicht. Ich kann nicht sagen warum, aber ich traue ihm nicht. Der würde uns vielleicht sonst wen auf den Hals hetzen, und wir hätten keine Chance, der Sache in Ruhe auf den Grund zu gehen. Und das werde ich, glaubt mir.“ Ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Sie wandte sich zum Gehen.
„Äh, Renate ...,“ begann Andreas vorsichtig. „Einen habe ich noch.“
Sie drehte sich ruckartig um. „Was sagst du da? Was meinst du damit? Reicht das noch nicht?“
„Nun ja, wir haben ...“
„Was habt ihr?“ Ihre Ungeduld war greifbar. „Dieses Viech gibt schon genug Rätsel auf.“
„Das ist es ja. Es ist eben nicht nur ein Viech.“
„Wie bitte??“
„Wir haben bei der Obduktion natürlich auch den Mageninhalt untersucht. Neben den fast zu erwarteten Resten, die von dem Wildschwein, einem Hund und hiesigen Fischen stammen, gab es da noch etwas anderes. Etwas, was womöglich auch nicht von hier ist.“
Renate sah ihn durchdringend an, sagte aber nichts.
Andreas nahm das als Aufforderung, weiter zu sprechen. „Es hat die gleichen anatomischen Eigenschaften wie unser Monster. Nur dass es kleiner ist und offenbar so etwas wie Hörner trug. Aber viel ist davon nicht mehr übrig. Wir konnten das nur aus den wenigen Resten zusammen stückeln, die wir isoliert hatten. Aber bevor du fragst: Ich bin sicher, dass es kein Tier ist, was wir kennen.“
„Was sagt die DNA-Analyse?“
„Die läuft noch, ebenso die AAS. Ich gehe davon aus, dass wir die gleichen Ergebnisse bekommen wie vermutet.“
„Gut, wir müssen warten. Bitte gib mir sofort Bescheid, wenn ihr die Ergebnisse habt. Und wie gesagt: kein Wort zu wem auch immer, ok?“
„Klar doch.“ Andreas grinste. „Ich habe auch keine Lust auf dumme Fragen und Presserummel. Ich melde mich bei dir. Bist du zuhause oder soll ich dich per Handy anrufen?“
„Am besten mobil. Da kriegst du mich sicher. Bis später dann.“ Sie drehte sich erneut zum Gehen, sah dann aber nochmal zurück. „Das war´s nun wirklich?“
Andreas lachte: „Ja, mehr hab ich wirklich nicht. Noch nicht. Bis später.“
Renate schüttelte den Kopf und hatte kurz darauf das Institut verlassen.