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Genf

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Francois Delandre rührte in seinem Espresso. Es war ein sonniger Frühlingstag, und alle Menschen um ihn herum waren bester Laune. Er saß zusammen mit Richard Forster in einem kleinen Straßencafé an einem runden Bistrotisch, der gerade groß genug war für zwei Personen. Von den anderen Tischen im Raum war nur ein anderer besetzt, während draußen kein Platz mehr frei war.

Richard war früher einmal beim CERN beschäftigt gewesen. Er hatte Physik studiert sich dann auf theoretische Physik spezialisiert. Ihn zeichnete eine ungewöhnliche Beharrlichkeit aus, die bei Forschungsarbeiten normalerweise von immensem Vorteil ist. Genauso ausgeprägt war seine Disziplin sich selber gegenüber. Sowohl bei seinen Arbeiten als auch beim Sport. Seine mittelgroße, drahtige Figur wies ihn als Läufer aus, und tatsächlich hatte er es bereits mehrfach geschafft, die Marathondistanz in deutlich unter drei Stunden zu laufen.

Aber er war auch ein Einzelkämpfer und nicht bereit, die Meinung anderer zu akzeptieren. So verhielt er sich auch seinen Vorgesetzten gegenüber, und die Folge war, dass ihm nach etwas mehr als einem Jahr unter dem Vorwand eines Datendiebstahls, aber letztendlich aufgrund seiner fehlenden Kooperationsbereitschaft gekündigt wurde. Seitdem wuchs sein Ehrgeiz noch mehr, und er begann auf eigene Faust weiterzumachen. Zwar fehlte ihm die Möglichkeit, seine Theorien durch Experimente zu überprüfen, aber er war sich seiner Sache so sicher, dass er meinte, darauf verzichten zu können. Er hatte insofern Recht, weil er ein brillanter Mathematiker war und in der Lage war, in kürzester Zeit auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen und logisch nachzuvollziehen. Aber auch die besten Mathematiker, ja selbst Genies wie Albert Einstein arbeiteten zunächst mit Annahmen, die es galt zu beweisen. Dass sie allein in der Theorie ohne Widerspruch waren, reichte in manchen Fällen, aber doch eben nicht immer.

Er hatte noch immer Kontakte zum CERN, aber keine detaillierten Einblicke mehr. Er war aber über die diversen Veröffentlichungen sehr gut informiert und konnte sich so zusammenreimen, was dort passierte. Die Grundlagenforschung an dem großen Teilchenbeschleuniger waren für ihn ganz klar Versuche, ein künstliches schwarzes Loch zu erzeugen. Seinen Theorien zufolge aber wäre das der Anfang vom Ende, denn ein schwarzes Loch besitzt eine dermaßen starke Anziehungskraft, dass selbst das Licht nicht entweichen kann, daher auch der Name. Demnach würde, stark vereinfacht ausgedrückt, ein selbst noch so kleines schwarzes Loch beginnen, alles um sich herum in sich aufzusaugen und dabei immer größer werden. Er traute den beruhigenden Aussagen seiner ehemaligen Kollegen nicht, und auch die starken magnetischen Abschirmungen, die genau das verhindern sollen, überzeugten ihn in keinster Weise. Also begann er, an die Öffentlichkeit zu gehen, die Presse einzubinden. Aber die war nicht zu gewinnen, und so fing er an, seinen Befürchtungen in Form von Demonstrationen vor dem CERN-Gelände Ausdruck zu geben.

Bei einer dieser Demos wurde er doch tatsächlich zu einem Gespräch in das Hauptgebäude gebeten und saß dort dem Pressesprecher Francois Delandre gegenüber. Anfangs war das Gespräch, welches die beiden unter vier Augen führten, durch die beiden gegensätzlichen Positionen sehr kühl und formal. Aber je mehr Richard seine Beweggründe durch Theorien untermauerte, desto mehr beeindruckte er Francois. Dieser aber war Profi genug, um sich zunächst nichts anmerken zu lassen. Aber innerlich kamen ihm dann doch Zweifel, ob das, was dort an Experimenten durchgeführt wurde, nicht doch sehr gefährlich sein konnte.

Sie trafen sich noch zweimal in dieser offiziellen Form, dann aber wollte Francois doch mehr wissen, und sie begannen, sich in unregelmäßigen Abständen abends zu treffen. Auf diese Weise erfuhr Francois viel über die Hintergründe der Experimente, die ihm als gelerntem Journalisten nur sehr oberflächlich bekannt waren. Und für Richard war es der Kontakt zu einem Insider, den er so dringend brauchte.

Auf diese Weise erfuhr Richard auch, dass in der Nähe ein merkwürdiger Stein gefunden wurde, der offenbar ganz einmalige Eigenschaften hatte. Es dauerte nicht lange, bis er ihn mit nicht ganz legalen Mitteln in seinen Besitz gebracht hatte. Dieser Stein faszinierte ihn nicht nur, er wurde zum Mittelpunkt seines Lebens. Er wurde fast magisch von ihm angezogen. Instinktiv spürte er, dass in diesem ziemlich normal aussehenden Kiesel eine wissenschaftliche Sensation steckte.

Ihm war klar, dass er erst Gras über die Sache wachsen lassen musste. Die Leute, allen voran die Presse, waren noch viel zu sensibel und würde jedes noch so kleine Anzeichen sofort aufgreifen, was ihm nur hinderlich sein würde. Aber dann konnte er endlich dem CERN zeigen, was sie an ihm verloren hatten. Nicht nur das, er wollte es der ganzen Welt zeigen. Dieser Gedanke bestimmte alles, was er tat.

Delandre war ein notwendiger Mitspieler, den er brauchte. Zumindest jetzt noch. Und dann dieser Bartels, der von Delandre den geheimen Auftrag bekommen hatte, den Stein zu untersuchen. Beide musste er um jeden Preis unter Kontrolle halten, denn er wollte derjenige sein, der mit Hilfe des Steins als erster kontrolliert zwischen den Parallelwelten hin- und herreisen wollte, er allein. Alle sollten zu ihm aufschauen. Und er würde reich werden, unvorstellbar reich. Es stand unglaublich viel auf dem Spiel, und je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm das Risiko, das von Delandre ausging. Was wäre, wenn der plötzlich ausstieg? Das musste er auf jeden Fall verhindern. Er rief ihn an, und sie verabredeten sich für den folgenden Vormittag.

Francois war gespannt, was Richard so dringendes zu besprechen hatte. „Es hat doch einen Grund, warum du mich so schnell sprechen willst“, wollte er wissen. „Geht es vielleicht um diesen Stein?“

„Ja, es geht um den besagten Stein.“ Mehr sagte Richard nicht.

Francois sah in durchdringend an, konnte aber in der versteinerten Mine von Richard nichts erkennen. Er dachte an das letzte Gespräch das er mit Richard hatte. In dem er ihn auf geheimnisvoller Weise von einem Fundstück berichtet hatte, das auf keinen Fall in falsche Hände geraten sollte. Aus dem sich aber auch ungeahnte Möglichkeiten ergeben würden. Francois hatte natürlich tausend Fragen zu den Hintergründen, aber Richard blockte alle kategorisch ab. Er versprach Francois aber den Durchbruch seines Lebens, wenn er mitspielte.

Francois hatte viel darüber gegrübelt. „Ich finde, dass mittlerweile ziemlich viel auf dem Spiel für mich steht. Wenn das hier rauskommt, bin ich meinen Job los. Und vielleicht noch mehr.“

„Keine Sorge, wir sind doch Partner.“ erwiderte Richard. Er sah ihn freundlich an. „Ich habe mittlerweile darüber ein wenig in Erfahrung bringen können.“

Er machte eine wohl dosierte Pause. Francois wurde langsam nervös.

Richard sagte mit leise, fast beschwörerischer Stimme: „es ist nicht nur ungewöhnlich schwer, wie du ja schon mitbekommen hast. Aber es besitzt offenbar auch ganz einmalige Eigenschaften.“

Als er Francois hochgezogenen Augenbrauen bemerkte, fuhr er fort: „So unglaublich das klingt, aber man kann damit unvorstellbare Entfernungen überwinden und in andere Welten reisen. Nochmal: Ich weiß, das klingt absurd und nach Science-Fiction.“

„Wenn du jemanden verarschen willst, such dir jemand anders! Ich kenne das Ding, und ich hab gesehen, was dann passiert. Das ist für mich nichts Neues“, unterbrach ihn Francois und wollte schon aufstehen. Das ging für seine Verhältnisse nun doch zu weit. Aber der ernste Gesichtsausdruck seines Gegenübers ließ ihn zögern und wieder auf den Stuhl zurück sinken.

Richard ging nicht auf seinen Ausbruch ein und fuhr statt dessen fort: „Ja, setz dich wieder hin. Pass auf, es gibt mehrere Leute, die das am eigenen Leib erlebt haben und unversehrt wieder zurück gekommen sind. Ein kleiner Junge aus der Gegend hier. Er will sogar ein fremdartiges Lebewesen gesehen haben. Und seine Mutter mit so einem Journalisten. Alle drei sind zurückgekehrt, wurden aber zu strenger Geheimhaltung verpflichtet. Selbst welche von der Armee sind mit schwerer Ausrüstung durch das, ich nenne es mal Portal, gegangen. Von denen ist aber keiner wiedergekommen. Vielleicht haben sie mit ihrer Erscheinung den dortigen Bewohnern so viel Angst eingejagt, dass sie sie vorsorglich umgebracht haben. Wir müssen versuchen, diese Vorgänge zu verstehen und zu kontrollieren. Dann eröffnen sich uns ungeahnte Möglichkeiten!“

Francois schüttelte den Kopf. Er sah Richard in die Augen. „Deine Horrorgeschichten kenne ich, und ich weiß auch, was daran wahr ist. Aber zu deinem Vorhaben kann ich nur eines sagen: Du spinnst.“

„Jetzt hör aber auf. Ich verbitte mir das!“, sagte Richard in einem scharfen Tonfall. „Du hast keine Ahnung, um was es hier geht. Das wäre eine wissenschaftliche Sensation, sogar nach den Maßstäben des CERN!“

Francois wurde nun doch langsam klar, dass sein Gegenüber es wirklich ernst meinte. Und gerade vor ein paar Tagen hatte ihn Richard unmissverständlich aufgefordert, die Existenz und alle Informationen zu dem Stein geheim zu halten und keinem Menschen etwas davon zu erzählen. Er sollte auch Dr. Bartels, der die Untersuchungen leitete, zu strengster Vertraulichkeit verpflichten, koste es, was es wolle.

„Nun sag mir endlich, wie du an dieses magische Relikt gekommen bist.“ forderte er.

Richard zögerte einen Moment. „Ein Schulfreund von mir ist bei der Armee. War bei der Armee“, korrigierte er sich. „Er hat sich des Steines bemächtigt. Das Wie tut hier nichts zur Sache. Er hat ihn mir gezeigt und alles, was er darüber wusste, erzählt. Ich sollte ihm helfen, Kapital daraus zu schlagen. Leider hatte er darauf einen schweren Autounfall. Ich allein konnte aber auch wenig mit dem Stein anfangen, und deshalb habe ich mich an dich gewendet. Ohne eure Gerätschaften komme ich nicht weiter.“

Francois dachte daran, wie er vor ein paar Tagen Dr. Bartels zu sich gerufen hatte und ihm hinter verschlossenen Türen sehr deutlich klar gemacht hatte, um was es hier ging. Es war sicherlich ein glücklicher Umstand, dass er sich ausgerechnet jetzt an die Laborantin rangemacht hatte. Francois war abgebrüht genug, um sich diesen Umstand ohne zu zögern zu Nutze zu machen. Er brauchte die Experten des CERN und Laborleute, die die Arbeit machten. „Ich bin mir bewusst, was du von mir erwartest“, begann er. „Aber vergiss nicht, dass wir das gemeinsam durchziehen. Du kannst ohne meine Hilfe nicht weiterkommen. Was immer dabei herausspringt, ich will dabei sein.“

Richard ignorierte die letzte Bemerkung. Für ihn war längst klar, dass er Delandre nur so lange bei Laune halten musste, wie er auf ihn und seine Beziehungen zum CERN angewiesen war. Aber das brauchte dieser Idiot ja nicht zu wissen. „Ich verlasse mich auf dich. Oder höre ich da raus, dass was schiefgelaufen ist?“

„Nein, nein, alles wie abgesprochen“, antwortete Francois hastig. „Bartels hält dicht. Der will keine Scheidung riskieren. Jetzt, wo er auf dem Weg ganz nach oben ist.“

„Gut. Ich dachte schon, ... Aber lassen wir das. Wenn wir wissen, was es ist und wie es herzustellen ist, lassen wir es patentieren. Dann gehört alles uns. Und um Bartels werde ich mich kümmern. Er hat ja schließlich einen riskanten Job, bei dem es leicht zu einem Unfall kommen kann.“

Bei dem letzten Satz zuckte Delandre innerlich zusammen. Er hätte nie gedacht, dass Richard so weit gehen würde. Seine Gedanken wirbelten. Er malte sich aus, was wohl alles passieren könnte. Was Richard vorhaben könnte. Solange alles lief, kein Problem. Wer aber garantierte ihm, dass dann nicht auch er zufällig einen „Unfall“ haben könnte? Er schob den Gedanken beiseite. Es gab kein Zurück mehr. Er steckte ganz tief mittendrin. Wenn er etwas erreichen wollte, dann ging das nicht ohne Risiko. Und hier ging es nicht nur um „etwas“, sondern um weitaus mehr.

Mygnia - Die Begegnung

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