Читать книгу Mygnia - Die Begegnung - Thomas Linz - Страница 13
Mygnia
ОглавлениеDie Ylim-Yr waren seit dem frühen Morgen in der Luft. Die Abstände zwischen den Pausen wurden nun immer kürzer. Zu groß war die Erschöpfung bei allen. Die Landschaft hatte sich im Verlauf der letzten Stunden wieder verändert. Anstelle der kargen Steppe mit nur wenigen markanten Punkten, an denen sie sich orientieren konnten, tauchte nun wieder üppigere Vegetation auf. Büschelartige Moose bildeten große Teppiche, in denen hin und wieder größere Farne und Sträucher wuchsen. Die Blüten verströmten einen leichten, nicht unangenehmen Duft, der die Stimmung der Gruppe spürbar verbesserte. Nach und nach waren auch die ersten trichterförmigen Ramsfarne zu sehen, aber auch höheren Pflanzen und Bäume in mannigfaltigen Formen, von denen sie keine einzige kannten. Bei manchen Exemplaren waren sie sich nicht einmal sicher, ob es Pflanzen oder Tiere waren, da sie sich leicht bewegten, vergleichbar mit der Anemonen der irdischen Unterwasserriffe.
Aber vorrangig war allein der Gedanke, dass es bei einem solch üppigen Bewuchs irgendwo Wasser geben musste. Nur hatte keiner von ihnen bislang einen Fluss oder ein stehendes Gewässer gesehen. Offenbar versorgten sich die Pflanzen hier aus dem Grundwasser.
Da sie nicht in großer Höhe flogen, bekamen sie auch die vielfältigen Geräusche zu hören, die große und kleine Tiere von sich gaben. Sie sahen eine Herde Salrons, große Pflanzenfresser, die sich trotz ihres Gewichtes springend fortbewegten. Sie waren an sich harmlos, nur wer ihnen im Weg stand, wurde gnadenlos umgerannt, da sie sehr schlecht sehen konnten. Dazwischen wuselten viele kleinere Tier umher, und die Luft um die Salrons herum wimmelte von moskitoartigen Insekten, die ihren großen Opfern manchmal so zusetzten, dass sie unvermittelt ein paar große Sprünge zur Seite machten und sich alles um sie herum erschrocken in Sicherheit brachte. Außer diesen Blutsaugern gab es kaum andere Spezies an Insekten, und es gab sie nur in der Nähe von großen Tieren.
Etwas weiter weg war offenbar eines dieser mächtigen Tiere verendet, und eine Gruppe Walluts machte sich über den Fleischberg her. Diese dackelgroßen Wesen waren immer in größeren Gruppen anzutreffen und verfügten über eine recht hohe Intelligenz, mit der sie ihre Beutezüge und selbst Angriffe auf größere Tiere wirksam koordinierten. Sie sahen aus wie zu große geratene Spitzmäuse, hatten ein furchtbares Gebiss und waren durch einen breiten Stachelkamm auf dem Rücken gegen Angriffe aus der Luft weitgehend geschützt.
Der Gestank des verwesenden Tieres raubte den Ylim-Yr fast den Atem, und so flogen sie noch ein Stück gegen den Wind weiter, bevor Dan´iod die anderen aufforderte zu landen. Seine Stimme klang nun deutlich fester und zuversichtlicher, als er sich an die anderen wandte: „wir sind auf dem richtigen Weg. Ich spüre es. Und ich werde uns in unsere neue Heimat führen!“ Diese Worte klangen für ihn im Nachhinein fast befremdlich, aber sie zeigten Wirkung. Wieder einmal wurde ihm klar, dass die Gruppe ihn brauchte. Es war ein aufgeregtes Gemurmel und Pfeifen zu hören, und die Blicke wurden zunehmend offener und aufmerksamer. So als ob jeder der erste sein wollte, der genau die Stelle fand, an der sie sich für die Zukunft niederlassen würden.
Aber so weit war es noch nicht.
Es galt zunächst, Wasser zu finden. Die Ylim-Yr waren zwar sehr genügsam, aber auch das hatte irgendwann seine Grenzen. Als Dan´iod sie darauf hinwies, erhob sich die Gruppe und flog in der ursprünglichen Richtung weiter. Nach einer Weile bemerkte Dan´iod, das sich Ak´lia zunehmend nach rechts orientierte, weg von der Gruppe. Was hatte das zu bedeuten? Überkam sie nun doch die Trauer, so dass sie für sich allein sein wollte? Noch während der darüber nachdachte, kam sie in einem weiten Bogen zurück und rief: „ich glaube, ich habe Wasser gefunden. Lasst uns nach rechts hinüber fliegen. Ich habe dort ein Rauschen gehört, welches ganz so klingt wie der Wasserfall bei uns zuhause!“ Bei dem letzten Wort stockte sie. Sie spürte, dass es auch den anderen sehr weh tat, daran erinnert zu werden. Dieses Zuhause gab es nicht mehr und würde es so nie wieder geben.
Dennoch folgten ihr die anderen ohne weitere Fragen. Nach einer Weile war das Geräusch deutlicher zu hören. Ihr ausgeprägtes und selbst für eine Ylim-Yr extrem scharfes Gehör hatte sie nicht getäuscht. Nur etwas stimmte nicht. Sie konnte es nicht erfassen und zuordnen.
Dann tauchte am Horizont ein heller Streifen auf. Nach weiteren Minuten wusste sie, was an dem Geräusch falsch war. Dieses rhythmische Auf und Ab war neu. Dieser Rhythmus kam nicht von einem Wasserfall, sondern von der Dünung des offenen Meeres.
Sie kannten das Meer nur von den vielen Erzählungen ihrer Vorfahren. Aber es hatte noch nie jemand gewagt, sich auf den langen Weg zu machen. Nun waren sie zufällig darauf gestoßen.
Wie auf ein Kommando ließen sich alle in sicherem Abstand zum Wasser im Sand nieder. Jeder hatte schon einmal Geschichten von schrecklichen Tieren gehört, die hier im Meer leben sollten. Aber natürlich waren diese über Generationen hinweg immer weiter erzählt worden, und bei jedem Mal wurden sie etwas verändert. So konnte jetzt keiner mehr sagen, was wirklich wahr sein könnte und was der Phantasie der vielen Erzähler entsprungen war.
Nach dem Angriff in der letzten Nacht waren alle auf der Hut und übervorsichtig. Doch die Erschöpfung war mittlerweile so groß, dass sie neben ein paar angeschwemmten Bäumen mitten auf dem Strand hocken blieben. Hier würden sie über Nacht bleiben müssen. Keiner dachte daran, dass sie schon von Weitem gesehen werden konnten. Und ebenso dachte keiner daran, Wachen aufzustellen.