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Karl Ressler stand in seiner Londoner 2-Zimmer-Mansarden-Wohnung, die er sich vor einigen Wochen bei seinem letzten London-Trip gemietet hatte, und bügelte. Hier im Stadtteil Soho, wo 24 Stunden am Tag das Leben brodelte, konnte Ressler, dank seiner perfekten Tarnung, ein und aus gehen. Sein fast schon natives Englisch, das er sich über die Jahre in der Gefängnispsychiatrie angeeignet hatte, half ihm ebenfalls sehr dabei. Schnell hatte er Kontakte geknüpft, zum Beispiel zu Jerry, dem Besitzer des Kiosks in der Goodge Street, wo Karl seine heiß geliebten Marshmallows mit Karamellgeschmack bekam. Gut, vermutlich bekam er sie auch in jedem x-beliebigen Supermarkt, aber in Jerry erkannte Karl eine Art Seelenverwandten. Nicht, dass Jerry auch ein Faible für heranwachsende Mädchen hatte, im Gegenteil: Jerry war schwul und lebte seit Jahren mit Martin, einem extrem gut aussehenden Physiotherapeuten, in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammen. In Soho gab es eine ansehnliche Schwulen- und Lesbenszene, die sich allabendlich in den einschlägigen Klubs traf und nun zu Karls Ersatzfamilie geworden war. Jerry liebte die Bee Gees mindestens ebenso wie Karl. Gleich bei Karls erstem Besuch in Jerrys Kiosk lief im Hintergrund „How Deep Is Your Love“, und irgendwie hatte Jerry direkt gemerkt, dass Karls Reaktion auf den Song eine besondere war. Der verklärte Blick, das Mitsingen der Textzeilen, all das wies daraufhin, dass da ein „Gibbling“ in seinem Laden stand. „Gibbling“, so nannten Jerry und seine Freunde, die allesamt „Gibblings“ waren, die Hardcore-Fans der Gebrüder Gibb. „Als Take That den Song damals coverten, organisierte ich eine Demo mit meinen Mädels, um zur BBC zu marschieren.“ Jerrys Grinsen wurde breiter und breiter. „Wir hatten uns die engsten Hosen und buntesten Accessoires angezogen, um bloß irgendwie aufzufallen. So eine stümperhafte Coverversion durfte nicht ungestraft bleiben, nein, sie sollte sogar von jeder Radioplaylist verbannt werden!“ Karl hielt sich den Bauch vor Lachen. Kaum zu glauben, dass er, nur zwei Tage nachdem er die Flucht nach London angetreten hatte, bereits jemanden kennengelernt hatte, mit dem er unbeschwert würde reden können, ohne dass auch nur irgendein müder Verdacht auf ihn fallen würde. Warum auch? Sie hatten eine großartige Gemeinsamkeit entdeckt. Jerry lud Karl noch am selben Abend in die Salsa-Bar von Soho ein, wo Karl dem bunten Treiben seiner schwulen Freunde beiwohnte. Und seltsamerweise dachte er auch nicht im Traum daran, irgendeine Frau in der Bar anzuquatschen, obwohl es ihm die eine oder andere, alleine schon durch die Art, Salsa zu tanzen, deutlich angetan hatte. Karl war umgeben von gut einem Dutzend Schwulen, die ihn in ihre Clique aufgenommen hatten, obwohl sie alle wussten, dass er hetero war. Keiner von Jerrys Freunden hatte es je gewagt, ihn anzubaggern, obwohl natürlich der eine oder andere Spruch fallen gelassen wurde. Aber eben so, wie sich Freunde nun mal gegenseitig foppten. Ja, man könnte meinen, dass Karl Ressler nun zum allerersten Mal in seinem Leben einen Freundeskreis gefunden hatte. Man vertraute ihm, er selbst erzählte Jerry und den anderen Dinge, die er nie zuvor anderen Menschen erzählt hatte. Natürlich achtete er darauf, dass er das Ende der jeweiligen Geschichte etwas abwandelte, denn ein Mord ist und bleibt ein Mord, egal ob man ihn in London oder in Unna begeht.

Nun stand Ressler in seiner Wohnung und bügelte das Kleid von Silke, das sie in ihrer letzten Nacht getragen hatte. Er hatte es nach der Tat sorgsam gewaschen, ihr Duft haftete jedoch immer noch daran. Ressler zog das Kleid über seinen Kopf, ließ es dicht auf seinem Gesicht liegen und atmete tief ein. Sein Refugium, das er sich in London aufgebaut hatte, half offenbar nicht dabei, seinen Trieb zu unterdrücken. Wieder spukten Dinge in seinem Kopf herum, die aus Karl Ressler ein unkontrollierbares Monster machten.

Karlchen

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