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Naspers und Bertelsmann: Was eine richtige Strategie bedeutet

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Das südafrikanische Unternehmen Naspers wurde 1915 gegründet und war über Jahrzehnte als nationales Verlagshaus auf Zeitungen und Zeitschriften konzentriert, die zum Teil zu den Unterstützern der Apartheid zählten. 1985 erweiterte das Management das Portfolio um Aktivitäten im südafrikanischen Pay-TV, bevor es dann ab 1997 konsequent eine Digitalisierungsstrategie verfolgte.

2001 investierte Naspers in das bis dahin unbekannte chinesische Internet-Start-up Tencent und erwarb 30 Prozent des Unternehmens für 34 Millionen US-Dollar. Zum heutigen Zeitpunkt besitzt allein diese Beteiligung einen Wert von 130 Milliarden US-Dollar. Tencent ist trotz seines enormen Erfolges in China großen Teilen der westlichen Bevölkerung immer noch kaum bekannt. Das rasante Wachstum dieses Unternehmens wird vor allem beim Vergleich der Marktkapitalisierung mit Facebook deutlich. Abbildung 3 zeigt beeindruckend, dass Tencent weitestgehend mit Wachstumsvolumen und -geschwindigkeit von Facebook mithalten kann, obwohl der Konzern (heute noch) hauptsächlich in einem einzigen Land aktiv ist. Dieser Umstand verdeutlicht das scheinbar endlose Marktpotenzial Chinas und den hohen Stand technologischer und digitaler Entwicklungen dort, den man in Europa und Amerika scheinbar nicht wahrhaben will.


Abbildung 3: Kursentwicklung von Facebook und Tencent seit ihrer Gründung.

Naspers hat Ende 2019 seine Internet-Beteiligungen in der Holding Prosus zusammengefasst und an der Euronext in Amsterdam gelistet. Seitdem hat sich Prosus bei der Marktkapitalisierung zum zweitgrößten europäischen Technologieunternehmen entwickelt – hinter der SAP AG. Neben der Beteiligung an Tencent hält Prosus unter anderem Beteiligungen an Start-ups im Bereich der Food-Lieferdienste, etwa Delivery Hero oder Lieferando, aber auch an dem indischen Lieferdienst iFood und seinem brasilianischen Pendant swiggy. Zu weiteren Prosus-Beteiligungen zählen die russische Internet- und Satelliten-Plattform Mail.Ru, die wiederum an Facebook beteiligt ist.

Der Erfolg der Naspers-Strategie ist eindrucksvoll. Wir kennen kein anderes Medienunternehmen, das in der Lage war, gegen die Vorherrschaft der amerikanischen und chinesischen Internetkonzerne auch nur ansatzweise vergleichbare Wertsteigerungen zu erzielen und sich eine Wettbewerbsposition zu erarbeiten, die es unabhängig macht von den amerikanischen Playern und deren Monopol bei den Endkunden-Kontakten. Die Wertsteigerungen entstanden ab 1997 mit dem Start von Naspers’ erstem eigenen Internetservice Mweb. Heute ist das Unternehmen in mehr als 130 Ländern tätig und damit der am stärksten internationalisierte Medienkonzern der Welt.

Besonders erstaunlich ist, dass die Grundlage für die erfolgreiche Naspers-Entwicklung 2002 gelegt wurde, nämlich genau in jenem Jahr, in dem die Bertelsmann AG konsequent fast alle Internetgeschäfte beendete und die dort beschäftigten Talente aus dem digitalen Bereich vom Hof jagte. Oder anders ausgedrückt: Die Grundlage für den heute so eindrucksvollen Erfolg von Naspers wurde genau zu Beginn des für die deutschen Konzerne verlorenen Jahrzehnts gelegt.

Ähnlich wie Naspers hat der mit Abstand größte deutsche Medienkonzern Bertelsmann seine Wurzeln im Printgeschäft und investierte später in Free- und Pay-TV. Drei Jahre früher als Naspers, nämlich schon 1994, hatte Bertelsmann erste Internetinvestitionen getätigt. Das waren damals vor allem die Beteiligung an AOL Inc., das Joint Venture AOL Europa und das mit diesem verbundene Netzwerkgeschäft Mediaways.

Bertelsmann verhielt sich ab 2002 völlig anders als das Naspers-Management, das konsequent auf Digitalisierung und Internationalisierung setzte. Trotz der zuvor erwirtschafteten hohen Gewinne aus dem Verkauf von Internet-Assets stoppte der Vorstand ab 2002 die Investitionen in Internet-Start-ups. Während Naspers sich Ende 2001 mit 34 Millionen US-Dollar an Tencent beteiligte, entschied sich Bertelsmann sechs Monate später, im Juni 2002, dagegen.

Mit seinem damaligen chinesischen Partner Bruno Wu war ein Joint Venture unter dem Namen „Bertelsmann of China“ verhandelt und vereinbart. Bertelsmann sollte 25 Millionen US-Dollar in cash einbringen sowie seine kleineren Aktivitäten in China, wie ein Druckerei- und ein Buch-Club-Projekt. Der chinesische Partner wollte seine Beteiligungen an Sina.com, Sun-TV und ein 10-Prozent-Paket an dem damals noch unbekannten Tencent einbringen, das mit den 25 Millionen von Bertelsmann finanziert werden sollte. Es war vereinbart, „Bertelsmann of China“ an der Börse in Hongkong zu listen, um so die weitere Finanzierung von chinesischen Internet-Start-ups sicherzustellen. Der Aufbau dieses chinesischen Internetgeschäftes hätte die Gütersloher Konzernkasse deshalb nicht weiter belastet.

Im August 2013 rechnete Bruno Wu in einem Interview mit dem Manager Magazin dem Gütersloher Management mit erkennbarer Wut im Bauch vor, welchen Wert allein das damals vereinbarte Joint Venture heute auf Basis der damaligen Vereinbarungen und ohne weitere Akquisitionen gehabt hätte: 12 bis 15 Milliarden US-Dollar. „Bertelsmann of China“ wäre nach seiner Meinung heute nichts weniger als der führende asiatische Internet- und Unterhaltungskonzern.

Doch dazu kam es nicht. Dieses Projekt wurde vom damals verantwortlichen Bertelsmann-Vorstand ebenso eingestellt wie Napster, das mit seinen 90 Millionen Usern frühzeitig auf das Sharing von (Musik)-Inhalten setzte, zwei Jahre bevor Apples iPhone der Marktdurchbruch gelang und einige Jahre vor dem Markteintritt von Netflix.

Obgleich Bertelsmann zu Beginn des verlorenen Jahrzehnts die ungleich besseren Startvoraussetzungen für eine weitere Digitalisierungsstrategie besaß als Naspers, setzte der Konzern – anders als Naspers – ab 2002 wieder auf wenig zukunftsträchtige Print- und Dienstleistungsgeschäfte. Bei einem Vergleich, welche Werte die beiden unterschiedlichen Strategieansätze für den jeweiligen Konzern schaffen konnten ergibt sich kein vorteilhaftes Bild für Bertelsmann. Der mit Abstand ertragreichste Bereich von Bertelsmann ist die Mehrheitsbeteiligung an der RTL Group, die weit mehr als 50 Prozent des Bilanzgewinns beisteuert. Selbst wenn man diesen Wert der RTL-Beteiligung großzügig verdoppeln würde, um einen Gesamtunternehmenswert für Bertelsmann zu ermitteln, das nicht börsennotiert ist, kommt man als Unternehmenswert für Bertelsmann auf ca. 15 – 20 Prozent des Wertes der Prosus-Beteiligung von Naspers.


Abbildung 4: Kursentwicklung von Prosus (bis 2019 Teil von Naspers) und RTL Group (Teil von Bertelsmann) über den Zeitraum von 20 Jahren. Schraffierte Fläche: „Goodwill“, der die Einschätzung des zukünftigen Wachstums von Umsatz und Ertragskraft des Geschäftsmodells widerspiegelt.

Zwischen 2002 und heute verabschiedete sich Bertelsmann Schritt für Schritt aus der Weltelite und wird zwischenzeitlich nur noch auf Platz 15 der Rangliste der größten Medienkonzerne geführt. Kritischer als das Umsatzranking sind die Dimensionen zu bewerten, mit denen die (digitalen) Wettbewerber Bertelsmann enteilt sind: Google, obgleich erst seit 1998 aktiv, macht rund das Achtfache des Bertelsmann-Umsatzes, der Umsatz von Disney ist zwischenzeitlich um den Faktor vier größer und der Umsatz von Amazon – allein im Medienbereich – liegt um etwa 50 Prozent höher als der von Bertelsmann. Mittlerweile ist bereits der Deutschland-Umsatz von Amazon größer als der weltweite Umsatz von Bertelsmann.

Geht es um die Finanzkraft, sieht das Bild für Bertelsmann nicht besser aus. Wie der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe Anfang Mai 2020 in einem FAZ-Interview versicherte, verfügt der Konzern über eine Liquidität von etwa 4 Milliarden US-Dollar, deren Zusammensetzung in dem Interview etwas vage blieb. Wie eingangs erwähnt, beträgt allein die Cash Position von Google 121 Milliarden. Dies entspricht in cash mindestens dem 30-fachen dessen, was Bertelsmann heute finanzieren könnte. Und auch die Finanzkraft von Comcast (Nr. 4 im Ranking) in Höhe von 127,4 Milliarden US-Dollar oder Walt Disney (Rang 5) in Höhe von 123,9 Milliarden bewegen sich zwischenzeitlich in völlig anderen Sphären als die des Bertelsmann-Konzerns.

Apple verfügt über einen Barbestand auf seinen Konten in Höhe von mehr als 130 Milliarden US-Dollar. Das ganze Drama, das sich für die Wettbewerbskraft von Bertelsmann seit dem Crash des Neuen Marktes und dem nachfolgenden Rückzug aus dem digitalen Geschäft abgespielt hat, beschreibt ein einziger Satz: Der Google-Gewinn war im Jahr 2019 größer als der Bertelsmann-Umsatz!

Damit scheidet die Vorstellung aus, Bertelsmann könne zukünftig als Konsolidierer in der digitalen Medienwelt auftreten. Vorstellbar sind allenfalls Akquisitionen in reifen Medienmärkten, die den Handlungsspielraum des Konzerns nicht überfordern, weil dort die Kaufpreismultiplikatoren üblicherweise niedriger sind als in Wachstumsmärkten.

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