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Die Deutsche Bank und die FinTech-Industrie: Warum Größe nicht vor Dummheit schützt
ОглавлениеMit einer Bilanzsumme von 1,491 Trilliarden Euro im ersten Quartal 2020 und rund 90.000 Mitarbeitern versteht sich die Deutsche Bank seit Jahrzehnten als das Vorzeigeunternehmen des Landes und bemüht sich auch heute noch, so zu agieren.
Tatsächlich aber kämpft das ehemals namhafte Institut nicht nur um seinen Ruf, sondern vielmehr darum, ein tragfähiges zukünftiges Geschäftsmodell zu finden, und damit verbunden um seine wirtschaftliche Eigenständigkeit. Aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Marktkapitalisierung gilt die Bank an den Kapitalmärkten schon seit längerer Zeit als Übernahmekandidat, ähnlich wie dies im Automobilsektor für Daimler gilt. Allerdings glauben wir, dass sich selbst bei einem negativen Kaufpreis kein renommierter Käufer für diese Bank finden würde; zu groß sind die Risiken. Denn die Deutsche Bank war 2016 noch weltweit in etwa 7.800 Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und Zivilprozesse involviert.
Wer hierzu mehr erfahren will, sollte das Buch von David Enrich lesen, eines Reporters der New York Times, das sich wie ein Thriller liest: Dark Towers: Deutsche Bank, Donald Trump, and an epic trail of destruction (Harper Collins, 2020). Wer ein Buch in deutscher Sprache bevorzugt, dem sei Bad Bank, Aufstieg und Fall der Deutschen Bank (DVA 2018) von Dirk Laabs ans Herz gelegt.
Conny begleitet die Entwicklung der Finanztechnologie-Industrie bis heute eng, weil er bereits zu einem frühen Zeitpunkt als Investor von dem Potenzial dieser Unternehmen überzeugt war. Ähnlich wie in der Musikindustrie war es eigentlich völlig offensichtlich, dass das gesamte weltweite Bankgeschäft relativ kurzfristig ohne größere Probleme in digitaler Form würde abgewickelt werden können. Nicht so offensichtlich jedoch für das Management der Deutschen Bank. Regelmäßig versuchte Conny Geschäftskontakte zwischen der Deutschen Bank und jungen Start-ups aus dem FinTech-Bereich zu entwickeln. Leider zeigte sich deren Management damals wenig interessiert. Gesprächsvorschläge wurden mit dem Argument negativ beschieden, diese kleinen Start-ups seien zwar „nett, bewegten aber den Puls eines solch großen Konzerns nicht“.
Stattdessen konzentrierte sich die Deutsche Bank während des verlorenen Jahrzehnts vornehmlich auf den Auf- und Ausbau des Investmentbanking und versuchte sich mit der Übernahme von Bankers Trust und unter Einsatz aller anderen nur denkbaren Mittel als bedeutender Player an der Wall Street zu etablieren. Wirtschaftlich gesehen endete diese Strategie in einem Fiasko. Die Deutsche Bank konnte sich im angelsächsischen Bereich nicht nachhaltig erfolgreich als Investmentbank etablieren und verlor im Wettbewerb in dieser Disziplin vor allen Dingen gegen Banken wie JPMorgan oder Goldman Sachs. Verdeutlicht wird dieser Sachverhalt am Verlauf des Aktienkurses der Deutschen Bank im Vergleich mit JPMorgan und Goldman zwischen 2000 und 2020.
Abbildung 5: Kursentwicklung von JP Morgan, Goldman Sachs, Crédit Agricole und Deutsche Bank über den Zeitraum der letzten 20 Jahre.
Aufgrund der Fokussierung auf das Investmentbanking und der Verwicklung in eine Unzahl an Rechtsstreitigkeiten vernachlässigte die Deutsche Bank zugleich die Digitalisierung des Bankgeschäfts, die Entwicklung des Onlinebanking und das dramatische Wachstum des Mobile Payment, was sich als Folge des verlorenen Jahrzehnts nach unserer Einschätzung noch stärker rächen wird als der vergebliche Versuch, sich als bedeutende Investmentbank zu etablieren. Eine analoge Entwicklung wie in der Automobilindustrie, wo durch die Verwicklung in „Dieselgate“ die Fokussierung auf alternative Antriebsformen verpasst wurde.
Aktuell will sich das Management der Bank zwar verstärkt auf das Privatkundengeschäft konzentrieren, das vor allen Dingen über die frühere Postbank betrieben werden soll. Tatsächlich spielt diese aber bei den weltweiten Online- und Mobile-Transaktionen nur eine untergeordnete Rolle bei einem weltweit verschwindend geringen Marktanteil. So gesehen hat die Deutsche Bank nicht nur die falsche Priorität verfolgt, sondern zugleich die Zukunft im Bereich des Digital Banking verspielt.
Während neue Wettbewerber aus dem Fintech-Bereich, die vollständig digitalisierte Geschäftsmodelle betreiben, seit der Jahrtausendwende immer mehr Vertrauen von Kunden und Investoren gewinnen, fällt es der Deutschen Bank als Folge des verlorenen Jahrzehnts zunehmend schwer, mit diesen neuen Wettbewerbern Schritt zu halten.
Das digitale Geschäftsmodell von Finanztechnologie-Unternehmen gewinnt zunehmend Marktanteile im Bankensektor, und dies weltweit. Hierzu zählen heute beispielsweise Anbieter wie Klarna, Raisin, N26, Revolut und PayPal oder WeChat Pay und Alipay in China, die sich dort als Zahlungsabwickler oder Onlinebank am Markt etablieren konnten und hohe Wachstumsraten aufweisen. Dies war bereits lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein Fakt und wurde durch diese weltweit nochmals beschleunigt.
Klarna beispielsweise verfolgt das Ziel, durch Digitalisierung den finanziellen Alltag seiner Kunden so einfach und transparent wie möglich zu gestalten. Das Zinsportal Raisin verfügt hingegen nicht nur über eine Banklizenz, sondern hat 2019 auch die MHB-Bank, Frankfurt, übernommen. Nach unserer Beobachtung ist dies das erste Mal, dass ein FinTech-Startup die Bank übernommen hat, die sie bislang finanzierte. Dies ist auch insofern eine bemerkenswerte Entwicklung, weil üblicherweise Banken junge Start-ups übernehmen, um auf diesem Wege die Digitalisierung ihrer eigenen, internen Prozesse zu beschleunigen und um Know-how einzukaufen – und nicht umgekehrt.
Dieser Schritt könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Techfirmen, die Schritt für Schritt in das Bankgeschäft vordringen wollen, sich benötigtes Know-how oder auch Marktanteile durch gezielte Akquisitionen von Banken erschließen können. Es ist für uns durchaus vorstellbar, dass ein Unternehmen wie beispielsweise Amazon oder Apple eine Großbank übernehmen könnte, die sich vor allen Dingen auf den Bereich der Zahlungsabwicklung konzentriert hat. Die Übernahme der Commerzbank, die am 8. Juli 2020 eine Marktkapitalisierung von 5,66 Milliarden Euro hat, wäre für Apple – ähnlich wie eingangs in unserem Beispiel „Global Lift“ beschrieben – bei einer Marktkapitalisierung in Höhe von über 1 Trillion US-Dollar und einem Cash-Bestand von über 130 Milliarden US-Dollar ohne Anstrengung darstellbar. Und dasselbe gilt auch für Amazon. Und auch die Übernahme der Deutschen Bank würde, rein theoretisch betrachtet und unter Vernachlässigung der rechtlich toxischen Risiken, weder für Apple noch für Amazon ein größeres Problem darstellen.
Die Fintech-Startups positionieren sich weltweit vor allen Dingen an der Schnittstelle zwischen Endkunden und Handel bei der Abwicklung von Zahlungsprozessen. Je stärker beispielsweise eCommerce wächst, wovon wir fest ausgehen, umso stärker wachsen Unternehmen wie Klarna.
Auch Wirecard hatte sich in diesem Bereich positioniert. Durch möglicherweise kriminelle Machenschaften seines Managements geriet das Unternehmen in die Insolvenz. Davon abgesehen hatte Wirecard die Deutsche Bank im Bereich der Abwicklung des Online-Zahlungsverkehrs weltweit überholt. Auch wenn bei Wirecard durch möglicherweise betrügerische Aktivitäten eine Profitabilität vorgetäuscht werden sollte, die es operativ so nicht gab, heißt dies natürlich nicht, dass nun alle FinTech-Startups „kriminell“ sind oder nicht wirtschaftlich operieren. Diesen offensichtlich typisch deutschen Reflex, das Kind mit dem Bade auszuschütten, der wie schon beschrieben auch nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes einsetzte, konnten wir unmittelbar nach der Insolvenz von Wirecard wieder einmal feststellen. Um diese offensichtlich eingeschliffene Sichtweise zu relativieren, greifen wir auf einen aktuellen Fall aus der Automobilindustrie, der Königsdisziplin der deutschen Wirtschaft, zurück: Auch wenn korrupte (Spitzen?-)Manager des VW-Konzerns mit illegalen Abschaltvorrichtungen bei Dieselfahrzeugen weltweit Käufer betrogen und einen Schaden von über 40 Milliarden Euro (!) verursacht haben, sind nicht alle Manager der Automobilindustrie kriminell.
Das Versagen der Führungsspitze von Wirecard bedeutet nicht, dass die Digitalisierung des Bankensektors hinfällig oder ein Trugschluss wäre. Interessant ist für uns, dass die Politik zwar nach dem Wirecard-Skandal umgehend mit Gesetzesinitiativen reagierte, diese Reaktion aber nach dem ungleich viel größeren Dieselskandal ausblieb. So funktioniert das System der Verstrickungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen in unserem Land.
Während innovative FinTech-Unternehmen wie Klarna, Raisin oder N26 durch die Effizienz ihrer digitalen Geschäftsmodelle enorme Wettbewerbsvorteile und attraktive Margen generieren können, verliert das klassische Bankgeschäft kontinuierlich an Ertragskraft und Bedeutung.
Zu Beginn des verlorenen Jahrzehnts, als andere Banken sich nach dem Crash des Neuen Marktes komplett aus dem Internet zurückzogen, nutzten PayPal oder Alipay mit einer klaren Strategie zielstrebig und konsequent die Chancen, die sich aus der Digitalisierung für den Bankensektor ergaben. Heute zählen diese Unternehmen zu den Pionieren des Geschäfts mit digitalen Zahlungsabwicklungen weltweit.
Abbildung 6 verdeutlicht das Wachstum, das gerade im Bereich des Mobile-Payment in China erzielt wird, wo es heute schon das Online-Banking und die Zahlung per Kreditkarte bei der Anzahl der Transaktionen deutlich überholt hat. Fachleute gehen davon aus, dass sich eine ähnliche Entwicklung in Deutschland vollziehen wird und Mobile Payment in Kürze das Onlinebanking via Laptop oder PC ablösen wird.
Abbildung 6: Meist genutzte Zahlungsmethoden in China (Mai 2016)8.
„Mit einem Transaktionsvolumen von 179.507 Millionen Euro in 2018 wird in China der weltweit höchste Wert im Segment Mobile POS Payments erzielt. Alipay hat mehr als die Hälfte Marktanteil der in China geleisteten mobilen Zahlungen, die für 2017 auf knapp 100 Billionen Yuan (13 Billionen Euro) geschätzt werden – Tendenz weiter stark wachsend.
Mit über 600 Millionen aktiven Nutzern weltweit ist Alipay die bisher erfolgreichste kontaktlose und mobile Bezahlmethode. Eine halbe Milliarde Menschen in China nutzt ihr Smartphone zum Bezahlen. Acht Billionen Transaktionen liefen in China in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres über mobile elektronische Zahldienste. Hinter Alipay selbst steht die Ant Financial Services Group, die zwar unabhängig von Alibaba agiert, aber Teil des Unternehmenssystems ist.
Sie deckt etwa die Hälfte des Markts ab, den es sich mit seinem Konkurrenten WeChat des Tencent-Konzerns teilt. Das amerikanische PayPal kam im gesamten vergangenen Jahr gerade einmal auf rund eine halbe Billion Zahlungsbewegungen. Somit ist Alipay zum Portemonnaie der jungen chinesischen Generation geworden.9
Ein eindrucksvolles Beispiel ist in diesem Zusammenhang der „Singles Day“ in China bei Alibaba (11. November jedes Jahr), – der zum größten Shopping-Tag der Welt wurde. Die Umsätze über Alibaba, die überwiegend über Alipay abgewickelt werden, sind mehr als nur beeindruckend. Alibaba erzielte einen Umsatz von 38 Milliarden US-Dollar. Die erste Milliarde wurde am 11. November 2019 nach nur 68 Sekunden generiert und die 10-Milliarden-Grenze nach einer halben Stunde überschritten.
Die Deutsche Bank hingegen hat die Digitalisierung im klassischen Bankgeschäft während des verlorenen Jahrzehnts komplett verschlafen. Ehemalige Mitarbeiter der Bank berichten – für Kenner wenig überraschend –, die IT-Systeme seien veraltet und undurchschaubar. Wir fragen uns: Welche Strategie und welche Digitalisierungsmaßnahmen verfolgte die Bank in den Jahren zwischen 2000 und 2010? Vielleicht sollten wir aber auch anders fragen: Mit welcher Kraft konnte das Management angesichts der Verstrickungen in internationale Skandale und dem Fokus auf das Investmentbanking überhaupt konsequent eine Digitalisierungsstrategie verfolgen? Es ist aus unserer Sicht beschämend, dass die Deutsche Bank die Hilfe von Google benötigt, um ihre IT-Infrastruktur modern auszustatten, wenn man den Pressemitteilungen vom 09. Juli 2020 Glauben schenkt.
Eine Umfrage des IT-Verbands Bitkom belegt, dass bereits 20 Prozent der Deutschen für die Erledigung ihrer Finanztransaktionen keine Bankfiliale mehr besuchen. Diese Zahlen dürften sich post-Corona nochmals deutlich zu Lasten der klassischen Banken steigern. Darüber hinaus geben 40 Prozent der Befragten an, dass sie bereit seien, ihre Finanztransaktionen über Apple, Google, Amazon oder Facebook zu tätigen. Während diese neuen potenziellen Wettbewerber der Deutschen Bank hohe Wachstumsraten aufweisen, über mehr Liquidität verfügen und eine um ein Vielfaches größere Marktkapitalisierung besitzen, schrumpft das Kerngeschäft der Deutschen Bank ebenso wie ihr Ranking im internationalen Wettbewerb.
Die Deutsche Bank erlitt – ebenso wie andere deutsche Geschäftsbanken – in den zurückliegenden Jahren einen hohen Wertverlust. Das Geld von Investoren fließt verständlicherweise in Wachstumsgeschäfte und dorthin, wo sie das notwendige Vertrauen in ein überzeugendes, digitales und skalierbares Geschäftsmodell und das dafür erforderliche Management haben. Investoren glauben an die Zukunft der FinTech-Branche, sie glauben an Fortschritt und Innovation ihrer Kunden und Investoren.
Wenn die deutschen Banken nicht schnell reagieren, werden sie große Teile des Privatkundengeschäfts an Online-Banken der neuen Generation oder an Facebook, Amazon, Apple oder Tencent verlieren. Denken wir an das Beispiel des Monopoly-Spiels: Diese neuen Player könnten schon bald stark genug sein, sich die „Schlossallee“ in Form des Postbank-Geschäfts der Deutschen Bank einzuverleiben. Dies sind globale Entwicklungen, die wir in allen Teilen der Welt beobachten.
Was für das Bankensystem gilt, trifft im Grundsatz natürlich genauso auf die Versicherungsbranche zu. Bereits heute deutlich erkennbar werden sich Versicherungsunternehmen in nur wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation befinden wie die Banken heute. Der Vertrieb der Policen erfolgt ebenso online wie die Schadensregulierung, und die Berechnung der Schadensquoten erfolgt auf Basis von Computermodellen. Die Aufgaben eines klassischen Sachbearbeiters in einem Versicherungskonzern werden durch diese Entwicklung hinfällig. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Prozessen ist nicht nachzuvollziehen, warum das verantwortliche Management nicht bereits vor vielen Jahren das damit verbundene Einsparungspotenzial erkannte.
Im Bankensektor ergibt sich für uns ein ähnliches Bild wie im Medienbereich, wenn es um die Frage geht, ob eine deutsche Bank zukünftig den internationalen Bankenmarkt konsolidieren wird.
Zusammengefasst müssen wir feststellen: Die größte Volkswirtschaft Europas arbeitet vergleichsweise mit dem schwächsten Bankensystem. Das ist eine schwerwiegende Folge des verlorenen Jahrzehnts und ein echter Standortnachteil für Deutschland.