Читать книгу Freiheit hinter Gittern - Thomas Milleker - Страница 10
7. Enthüllung
ОглавлениеMit meinem Fensterplatz war ich richtig glücklich. Der Start war ein erhebendes Gefühl; wie man zuerst durch die Beschleunigung in den Sitz gedrückt wird, um dann gleich darauf völlig losgelöst und frei über den Wolken zu schweben. Ach, das Leben konnte schön sein. Einen letzten Blick warf ich noch auf Amsterdam, bevor die Wolkendecke unter uns die Sicht vollends versperrte und gleißendes Sonnenlicht unser Flugbegleiter wurde. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen sagt man, blieben darunter verborgen und dann …“, summte es in meinem Kopf und ich lehnte mich zurück.
Heiko hatte für uns beide zwei doppelte Whiskeys bestellt. Wir prosteten uns zu und der Alkohol brannte sich die Kehle hinunter. Gerade wollte ich mich meinen Tagträumen hingeben, als mein Freund das Gespräch eröffnete. Obwohl, sagte ich Gespräch? Es war doch mehr ein Monolog, den er in der nächsten halben Stunde hielt. Er wolle mit mir reden, meinte er, weil er mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Mit einem Mal war ich hellwach. Irgendetwas an der Art, wie er mit mir sprach, ließ meine inneren Alarmglocken läuten. Er habe mir nicht die ganze Wahrheit gesagt, als es um Brasilien ging, wolle aber nun doch reinen Tisch machen.
Und dann öffnete er das ganze Fass seines Lebens und mir war, als würde ich von dem Schwall, der nun folgte, ergriffen und hinweggeschwemmt. Er sei ein Drogenhändler, der bereits laufende Geschäftsbeziehungen in Brasilien habe. Er habe im letzten Jahr schon mehrere Drogenkuriere zwischen Recife und Amsterdam eingesetzt, um herauszufinden, ob die Route clean sei oder ob die Polizei ihnen auf die Spur kommen würde. Die Testpersonen hätten kleine Drogenlieferungen von Brasilien nach Holland gebracht und wären nie dabei erwischt worden. Ja, und wenn sie doch von der Polizei geschnappt worden wären? Nun, dann hätten sie wohl Pech gehabt, erklärte mir Heiko und fügte lachend hinzu: „Das ist das Risiko des Lebens!“
Und der Mann, mit dem er noch kurz im Amsterdamer Flughafen gesprochen habe, sei der Holländische Schneekönig gewesen, der die Lieferung in den Niederlanden dann in Empfang nehmen würde. Ein sehr erfahrener und erfolgreicher Drogenbaron!
Wo war der Boden unter meinen Füßen? Ich sank innerlich immer tiefer und suchte nach Halt. Irgendwie hatte ich schon geahnt, dass es hier auch um Drogen ging. Und doch hielt ich den Traum von einer Kebab-Kette in Brasilien immer noch für eine grandiose Geschäftsidee, die ich eigentlich gerne verwirklichen wollte.
Das sollte alles nur Tarnung gewesen sein? Trotz meiner Vorahnung war ich enttäuscht und mein Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Gut, dass mein Freund kein Unschuldslamm war, war mir ja klar gewesen. Auch ich war kein Kind von Traurigkeit, aber war er wirklich ein abgebrühter Drogenbaron im großen Stil? Ich suchte in Heikos Gesicht nach einer Antwort. Seine Züge verhärteten sich und die Geldgier starrte mir aus seinen Augen entgegen. Es ginge um zweihundert Millionen D-Mark, machte er mir klar, und ich musste schlucken. Hatte ich richtig gehört? Ich versuchte mir die Nullen vorzustellen: 200.000.000,00! Mir wurde schwindelig und im selben Moment hatte die Geldgier mich angesteckt – eine schreckliche Krankheit, die, wenn sie nicht richtig behandelt wird, zum Tod führen kann.
Der Holländer am Flughafen Schiphol sei der niederländische Drahtzieher gewesen, gegen den die holländischen Behörden wohl bereits 1989 wegen der illegalen Einfuhr von 200 Kilo Kokain ermittelt hätten. Er habe sich aber mittlerweile ein so klug durchdachtes Lügengeflecht zusammengesponnen, dass ihm niemand etwas nachweisen könne. Heiko lachte laut auf und ich lachte mit. Wir lachten und lachten und lachten: Über die dummen holländischen Behörden, über zweihundert Millionen D-Mark und über die Tatsache, dass ich nun vollends Bescheid wusste. Heikos Skrupellosigkeit stand mir direkt vor Augen und ich stand vor der Frage, ob ich bei diesem Jahrhundertdeal mitmachen wollte. Ich ließ mich darauf ein, in schwindelerregender Höhe, über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos schien. Doch dass Reinhard Mey mit seinem Lied vollauf recht behalten würde, erlebte ich, als alle Ängste und alle Sorgen uns in Recife bald schon wieder einholten.