Читать книгу Freiheit hinter Gittern - Thomas Milleker - Страница 13
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ОглавлениеIch saß auf meinem Bett und wartete auf Heikos Anruf. Irgendwann zwischen 9.00 und 9.30 Uhr wollte er mich in meinem neuen Hotel kontaktieren, um mit mir zu besprechen, wie wir nun weiter vorgehen wollten. Es war Freitag, der 09.05.1997, und dieses Datum sollte sich tief in mein Gedächtnis einbrennen.
Von meinem Bett aus konnte ich das Meer sehen. Ruhig lag der Atlantik vor mir, der tiefblaue Himmel spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Recife … Der Name der Stadt bedeutet „Riff“. Parallel zur Atlantikküste ziehen sich Muschel- und Korallenriffe hin, durch die die Wellen in ihrer Wucht abgebremst werden. So bildet sich ein natürliches Becken, das auf der anderen Seite vom Strand begrenzt wird und sich wunderbar zum Schwimmen in ruhigem Wasser eignet. Nach dem Telefonat würde ich baden gehen, nahm ich mir vor.
Das Telefon klingelte. In seiner gewohnt lässigen Art erzählte Heiko mir, dass ich mich bereithalten solle. Melvin würde mich abholen, weil wir eine Aufgabe zu erledigen hätten. Ein Sportgerät solle zur Post gebracht werden, damit es von dort nach Amsterdam versandt werden könne. Ein sehr wertvolles Gerät wäre es, das unseren persönlichen Begleitschutz bis zum Postamt brauche, erklärte er mir und wir beide lachten. Nur zu gut wusste ich ja nun, dass es ganz sicher mit weißem Pulver gefüllt sein würde. Welchen Wert der Inhalt habe, wollte ich noch wissen. Im Vergleich zu dem ganz großen Deal, den wir mit der Planierraupe angehen wollten, hätten wir es bei diesem Paket mit Peanuts zu tun, erklärte Heiko. Das zu transportierende Sportgerät enthalte 14 Kilogramm Kokain zu einem Marktwert von mindestens 1,5 Millionen D-Mark. Pause. Die Information musste erst einmal sacken. Ich schnappte nach Luft, räusperte mich und antwortete mit fester Stimme: „Na, dann wollen wir mal!“
Schade, mit Schwimmen würde es dann wohl erst einmal nichts werden.
Ich zog mich an. Das etwas zu enge T-Shirt spannte an meinen muskulösen Oberarmen. Nicht schlecht, dachte ich. Meine Jeans brachte meine schmalen Hüften gut zur Geltung und ich fühlte mich rundum gut. Durch den gestrigen Tag hatte ich auch schon ein wenig Farbe im Gesicht. Eher rötlich zwar, aber der Sonnenbrand hielt sich noch in Grenzen.
Melvin wartete schon auf der Hotelauffahrt in einem Taxi, als ich zehn Minuten später hinunterkam. Eine kurze Begrüßung und los ging es. Wir hatten ja einen Auftrag zu erledigen. Im Kofferraum klapperte das Sportgerät unaufhörlich und wackelte in dem Karton, in den man es verpackt hatte, haltlos hin und her. So wird es viel zu viel Aufsehen erregen, sagte ich zu dem Surinamesen und schlug vor, es noch mit Klebeband zu umwickeln.
Melvin wies den Taxifahrer an, beim nächsten Einkaufszentrum anzuhalten, um Paketband kaufen zu können. Zuerst überlegten wir, das Fitnessgerät noch auf dem Kundenparkplatz versandbereit zu machen, verwarfen den Gedanken aber schnell, weil es uns zu auffällig erschien.
Nach kurzer Wegstrecke kam eine Tankstelle auf der rechten Seite, mitten auf einem großen, betonierten Platz. Wir baten den Taxifahrer, rechts ranzufahren. Der Platz vor der Tankstelle war gut belebt. Einige Autos parkten dort, andere wurden gerade an den Tanksäulen mit Benzin gefüllt. Hinter uns fuhr eine Kolonne Fahrzeuge auf den Rastplatz.
Melvin blieb sitzen und ich ging mit dem Klebeband zum Kofferraum, machte ihn auf und holte den hüfthohen Karton mit dem Sportgerät heraus, um ihn besser umwickeln zu können. Was dann geschah, passierte in solch einer rasenden Geschwindigkeit, dass mir kaum Zeit zum Luftholen blieb:
Plötzlich waren wir die Hauptfiguren eines Polizeieinsatzes. An die 50 brasilianische Polizeibeamte hatten uns umstellt, ihre MPs und Pistolen im Anschlag. Sie trugen Sturmhauben und schusssichere Westen und ich war mir mit einem Mal nicht mehr sicher, ob ich hier aus Versehen in Filmaufnahmen hineingeraten war oder ob dieser polizeiliche Übergriff real war.
Melvin wurde aus dem Auto gezerrt, sofort zu Boden gebracht und der Taxifahrer angeschrien, er solle aus dem Schussfeld verschwinden. Jemand warf mich zu Boden und fixierte mein Gesicht auf dem heißen Beton. „When you move, I shoot you!“, brüllte mich der Polizist an, der mir gerade seine Pistole an die Schläfe hielt. Doch selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich mich gar nicht bewegen können. Ich stand völlig unter Schock. Wo waren denn mit einem Mal die Polizeibeamten hergekommen? Woher wussten die überhaupt … In meinem Kopf drehte sich alles und mein Empfinden schaltete auf Zeitlupe.
Melvin und ich wurden in zwei verschiedene Polizeiwagen gezwängt. Ich wurde rechts und links von zwei Beamten eingequetscht, die mit Handschellen an mich gekettet waren. Hoffentlich haben sie Heiko auch verhaftet, dachte ich noch. Denn auf keinen Fall wollte ich hier in Brasilien alleine verrotten.