Читать книгу Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt - Thomas P Fenner - Страница 14
Quellenlage und Quellenkritik
ОглавлениеDie Quellenlage zur Geschichte von Nestlé und Nescafé ist allgemein gut, wobei es starke Unterschiede zwischen den einzelnen Zeitperioden gibt. Die grösste Sammlung an Quellen befindet sich in den Archives Historiques Nestlé (AHN) in Vevey. Daneben verfügen gewisse Tochtergesellschaften und Nestlés strategische Geschäftseinheiten (SBU) über kleinere Archive.
Die vorliegende Arbeit stützt sich vorwiegend auf Quellen aus den Archiven in Vevey. Der Blickwinkel beschränkt sich dadurch auf Vorgänge, die für den Hauptsitz relevant waren. Der Fundus gibt aber trotzdem eine ausgezeichnete Globalübersicht. Neben den öffentlichen Jahresberichten wurden in dieser Arbeit vier verschiedene Quellensammlungen ausgewertet, welche die Geschichte von Nestlé und Nescafé aus der Innensicht des Unternehmens beleuchten:
Die erste Quellensammlung bilden die Berichte an den Verwaltungsrat (Rapports au Conseil d’Administration). Sie sind im Untersuchungszeitraum zwischen 1921 und 1980 – mit einigen Ausnahmen in der Zwischenkriegszeit – durchgängig vorhanden. Sie geben wichtige Anhaltspunkte über die allgemeine Geschäftslage des Unternehmens, gehen aber oft nicht über einen groben Überblick hinaus. Für die Zeit zwischen 1921 und 1945 stellen die Verwaltungsratsberichte die wichtigste interne Informationsquelle dar. Der Grund dafür liegt darin, dass bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Teile des Nestlé-Archivs einerseits in die Vereinigten Staaten transferiert wurden und von diesen nur ein Bruchteil wieder zurück kam, andererseits ein Teil als Vorsichtsmassnahme vor einer Invasion der Deutschen vernichtet wurde. Bereits 1950 stellte ein Nestlé-Mitarbeiter fest, dass die Nestlé-Akten aus den 1930er-Jahren unvollständig seien.112
Quellen mit detaillierteren Informationen findet man erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dossiers der Generaldirektion (SG), wobei in der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen der Generaldirektion der Unilac in Stamford und derjenigen in Vevey unterschieden wird. Die Dossiers der Generaldirektion sind nach einzelnen Ländern und Themenbereichen geordnet und enthalten Korrespondenzen zwischen den einzelnen Abteilungen des Hauptsitzes in Vevey und den weltweit verteilten Tochtergesellschaften des Unternehmens sowie Berichte über die Marktverhältnisse in den einzelnen Ländern. Sie geben wichtige Aufschlüsse über Probleme, mit denen das Unternehmen auf den einzelnen Märkten zu kämpfen hatte. Abgesehen von einigen Aktien, die aus Platzgründen vernichtet wurden, sind die Dossiers der Generaldirektion durchgehend bis in die 1980er-Jahre erhalten geblieben.
Eine wichtige Quellensammlung ist ebenfalls diejenige der Marketing-Zirkulare (Circulaires Continent, Circulaires Export und Communication Marketing). Über diese Schriften leitete die Marketing-Division in Vevey Marktinformationen weiter: Erfahrungen aus einem bestimmten Land wurden mit ihnen auch den Nestlé-Tochtergesellschaften in anderen Ländern zur Verfügung gestellt. Die Marketing-Zirkulare enthalten wichtige Informationen zur konkreten Vermarktung der einzelnen Markenprodukte und vermitteln Beispiele und Ideen von erfolgreichen Werbeaktionen aus verschiedenen Ländern. Aus historischer Sicht ist mit diesen Quellen insofern kritisch umzugehen, als sie vorwiegend positive Beispiele erwähnen und deshalb zu einer ausgewogenen Betrachtung oft einer kritischen Ergänzung bedürfen.
Stark verbunden mit der Vermarktung ist ebenfalls die Werbemittelsammlung. Sie dokumentiert Nestlés Werbekampagnen zwischen den 1930er-Jahren und 1990. Ab den 1990er-Jahren wurde diese Werbesammlung nicht mehr zentral in Vevey, sondern dezentral in den einzelnen Archiven der Tochtergesellschaften oder denjenigen der strategischen Geschäftseinheiten abgelegt. Dies führte zusammen mit der Tatsache, dass durch den zunehmenden elektronischen Informationsaustausch immer weniger Fakten auf Papier festgehalten werden, zur paradoxen Situation, dass die Vorgänge in den letzten 20 Jahren oftmals schwerer zu rekonstruieren waren als in den Jahren zuvor. Trotzdem liess sich anhand von Akten im Archiv der «Strategischen Geschäftseinheit Getränke» (SBU) und Interviews mit Angestellten die jüngere Geschichte der Marke Nescafé in groben Zügen nachzeichnen. Sie wird aber – auch aufgrund der Archivschutzfrist von 30 Jahren – weniger eingehend dargestellt werden können.113
Um die interne Sicht zu kontrastieren, wurden zudem auch externe Quellen beigezogen: dazu zählen Zeitungsartikel über Nestlé aus dem Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel (SWA) sowie Quellen aus den Unternehmensarchiven der Wander AG und den Archives de la Ville de Neuchâtel (AVN), welche die Sicht der Konkurrenz dokumentieren.
Ergänzt werden die qualitativen Quellen durch quantitative Daten, mit welchen sich das Ausmass von Veränderungen erst richtig einschätzen lässt. Die Angaben über Umsätze und Marktanteile sind allerdings mit der nötigen Vorsicht zu handhaben.114 Zudem geben Nestlés Geschäftsberichte aufgrund der komplexen Unternehmensstruktur, teilweise fehlender Informationen während des Zweiten Weltkriegs sowie der minimalistischen Berichterstattung bis etwa 1970 nur bedingt Einblick in den tatsächlichen Zustand des Unternehmens. Nestlé weigerte sich noch in den 1960er-Jahren standhaft, konsolidierte Konzernbilanzen vorzulegen – ganz zum Ärger der Aktionäre: Laut dem US-Magazin «Forbes» war Nestlé gegenüber der Öffentlichkeit «so informativ wie ein Grammophon ohne Schallplatte!».115 Das Schweizer Lebensmittelunternehmen konnte sich diese Informationspolitik jedoch leisten, da ihre Finanzpolitik abgesehen von der Kapitalerhöhung 1959 von einer strikten Selbstfinanzierung geprägt war.116