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Kolonialwaren und Kondensmilch – weshalb Nescafé von einem Schweizer Milchunternehmen entwickelt wurde (1866–1937) Vom Süden in den Norden – Kolonialwaren werden zu Industrieprodukten Die Verbreitung und kulturelle Aneignung von Kaffee, Tee und Kakao

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Kaffee, Tee und Kakao zählen heute zu den weltweit am meisten konsumierten Getränken.1 Gemeinsam ist ihnen, dass sie aus Früchten2 oder Blättern3 von Pflanzen gewonnen werden, die zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis heimisch sind4 und zum Selbstschutz vor pflanzenschädigenden Pilzen, Bakterien und Insekten Koffein enthalten.5

Ursprünglich stammen die drei Heissgetränke aus drei verschiedenen Kontinenten: Während die Kaffeepflanze vermutlich zuerst auf dem afrikanischen Kontinent im südlichen Äthiopien beheimatet war und von dort aus auf die arabische Halbinsel nach Jemen gelangte,6 wurde Kakao bei den Hochkulturen der Maya und Azteken in Mittelamerika konsumiert.7 Die Anfänge der asiatischen Teepflanze liegen im heutigen Grenzgebiet zwischen Myanmar, Thailand, Indien und China.

Von diesen Ausgangsorten aus begannen sich die drei koffeinhaltigen Getränke überregional auszubreiten. Während der Teeanbau neben China auch in Japan kultiviert wurde,8 kam der Kaffee durch die Eroberung der jemenitischen Tiefebene durch die Türken bald im ganzen Osmanischen Reich und Mittleren Osten in Mode, wo er in öffentlichen Kaffeehäusern und von Strassenhändlern angeboten wurde.9 Im 17. Jahrhundert gelangte das orientalische Getränk über venezianische Kaufleute und die Ostindischen Handelskompanien auch nach Europa und Nordamerika, wo um 1650 erste Kaffeehäuser eröffnet wurden.10

Nachdem es der niederländischen Ostindischen Kompanie 1616 trotz striktem Ausfuhrverbot gelungen war, einen Kaffeestrauch aus Jemen in die Niederlande zu schmuggeln,11 begann die weltweite Ausbreitung und Kultivierung des Kaffeeanbaus als «ein von europäischen Interessen diktierter Prozess»,12 wie Ulla Heise schreibt. Die niederländischen Kaufleute importierten die Kaffeepflanze in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ihre asiatischen Kolonien. Über Frankreich fand die afrikanische Pflanze 1715 den Weg nach Amerika und von dort unter dem Deckmantel der Diplomatie 1727 nach Brasilien. Die Spanier brachten den Kaffeebaum schliesslich in ihre Kolonien auf den Philippinen (1740) und Kuba (1748) sowie nach Mexiko und Kolumbien (1790).

Um 1800 waren damit wesentliche Anbaugebiete, die sich heute als Kaffeegürtel zwischen den beiden Wendekreisen um den Erdball ziehen, durch die europäischen Handelsgesellschaften und Kolonialmächte erschlossen worden.13 Dadurch formte sich ein vielfältiges Angebot an Kaffeesorten aus verschiedenen Regionen aus, denn ähnlich wie beim Wein bilden auch die Kaffeebohnen je nach Anbaugebiet und Kaffeesorte einen unterschiedlichen Geschmack aus: Die im Hochland angebaute Coffea Arabica l. entwickelt einen sehr differenzierten, aromareichen Geschmack, während sich mit der in tieferen Regionen angebauten Coffea Canephora l. ein scharfer und stark koffeinhaltiger Kaffee gewinnen lässt, dem allerdings im Vergleich zum Arabica-Kaffee die feine Geschmacksdifferenzierung fehlt.14

Trotz den wachsenden Anbauflächen auf den Kaffeeplantagen der europäischen Kolonien blieb der weltweite Kaffeekonsum in der frühen Neuzeit im Vergleich zu heute allerdings relativ gering.15 Dafür gab es im Wesentlichen drei Gründe:

Erstens wurde der Kolonialwarenhandel von mächtigen Akteuren wie Nationalstaaten und multinational agierenden Handelsgesellschaften16 geprägt: Während die britische Ostindienkompanie (EIC) im 17. Jahrhundert den Teehandel mit China zu dominieren begann,17 besass die niederländische Ostindienkompanie (VOC) im Kaffeegeschäft eine bedeutende Stellung,18 und die Seefahrernationen Spanien und Portugal entwickelten sich zu den wichtigsten Protagonisten im internationalen Kakaohandel.19 Dabei zeigten die staatlich privilegierten Handelsgesellschaften ein monopolistisches Marktverhalten,20 und die europäischen Nationalstaaten belegten die Kolonialwaren mit so hohen Steuern, dass sie für den Verbraucher Luxuswaren darstellten.21 Der Kaffee- und Teegenuss blieb daher der Ober- und Mittelschicht vorbehalten, während das Schokoladegetränk nur für die aristokratische Minderheit erschwinglich war.22 Ausserdem war der Konsum von Kaffee und Tee in vielen deutschen Ländern verboten, weil die Staaten aus merkantilistischen Wirtschaftsüberlegungen einen Abfluss grosser Geldmengen ins Ausland verhindern wollten.23

Zweitens gestaltete sich die Kaffeezubereitung im 17. und 18. Jahrhundert noch wesentlich zeitaufwendiger und komplizierter als heute. Die Kaffeebohnen mussten zuerst in Röstzylindern geröstet und anschliessend mit Kaffeemühlen zerkleinert werden.24 Das Kaffeerösten erforderte dabei grosses Fingerspitzengefühl: Der Kaffee war schnell verbrannt, was zu einem unangenehmen Geruch und auch einem schlechten Geschmack führte. Bei zu kurzer Röstung dagegen blieben die Bohnen im Innern roh, liessen sich kaum mahlen und hatten weder Geschmack noch Aroma,25 weil die hellgrüne Kaffeebohne ungeröstet noch praktisch geschmacklos ist.26 Kaffee wurde deshalb vorwiegend in der höfischen Aristokratie – wo Bedienstete vorhanden waren – und auswärts im öffentlichen Kaffeehaus konsumiert.27

Drittens war die physiologische Wirkung des Kaffees auf den menschlichen Körper umstritten,28 und das schwarze Getränk schmeckt für den Konsumenten, der mit ihm nicht vertraut ist, unangenehm und bitter. Erst der regelmässige Konsum sensibilisiert für seinen Geschmack, weshalb in der Wissenschaft auch von einem «angeeigneten Geschmack» gesprochen wird.

Entscheidend für die weltweite Verbreitung und Beliebtheit des Kaffees waren daher weniger sein Geschmack oder seine Physiologie, sondern vielmehr seine kulturelle Aneignung und Funktion:29 «Jede Nation hat fast ihre eigene Art, den Kaffee zu trincken»,30 vermerkte Krünitz im späten 18. Jahrhundert in seiner Ökonomischen Enzyklopädie. Während die Türken und Araber beispielsweise den Kaffee nach dem Rösten, Mahlen und Aufgiessen normalerweise samt dem Kaffeesatz zu sich nahmen, wurde im europäischen Raum der gefilterte Kaffee bevorzugt.31 Eine weitere Form der kulturellen Aneignung stellten Kaffeesurrogate wie der Zichorienkaffee dar. Aufgrund der Tee- und Kaffeeverbote wurde seit den 1770er-Jahren in verschiedenen deutschen Ländern aus den Wurzeln der Wegwarte ein geröstetes Pulver hergestellt, das in heissem Wasser einen ähnlichen Geschmack und Geruch wie Kaffee entfaltete.32 Sinnbildlich weist das Warenzeichen der ersten Zichorienfabrik in Braunschweig auf die wirtschaftspolitische und medizinische Begründung für den Konsum von Zichorienkaffee hin: «Ohne euch gesund und reich» stand auf einem Spruchband, während ein deutscher Landmann im Vordergrund Zichoriensamen aussäte und im Hintergrund ein mit teurem Kolonialkaffee beladenes Schiff vor einer Palmenlandschaft im Meer trieb.33 Dabei stellte der Zichorienkaffee eine Neuinterpretation des bereits existierenden Zichoriengetränks dar, dem man in jedem Fall Milch beigab, um den bitteren Geschmack zu mildern.34 Vielfach wurden solche Produkte von medizinischen Erörterungen begleitet, welche die schädliche Wirkung des koffeinhaltigen Bohnenkaffees darlegten und stattdessen das Surrogat als «Gesundheitskaffee» empfahlen.35 Analog dazu entwickelten sich Teesurrogate wie Früchte- oder Kräutertees, die ebenfalls zu Heilzwecken oder aus Gesundheitsgründen verwendet wurden.36

Kaffee- und Teesurrogate trugen wesentlich dazu bei, dass sich der Genuss von Kaffee und Tee als Statussymbol der Reichen und Mächtigen auch in den unteren Bevölkerungsschichten auszubreiten vermochte, indem die beiden Kolonialprodukte zur Verbilligung mit Zusatzstoffen gestreckt wurden. Bis Ende des 18. Jahrhunderts fand der Zichorienkaffee im Gebiet des heutigen Deutschland, in den Niederlanden, der Schweiz sowie in Frankreich und Grossbritannien Verbreitung.37

Die bedeutendste und offensichtlichste kulturelle Anpassung war jedoch, dass dem Kaffee, Tee und Kakao im europäischen Raum Milch und Zucker beigemischt wurde, um die Heissgetränke zu süssen und ihre Bitterkeit zu mildern.38 Ursprünglich tranken die Chinesen den Tee nämlich als Grüntee und ohne die Beigabe von Milch und Zucker. Als China im 17. Jahrhundert jedoch den aus Zentralasien einfallenden Mongolen in die Hände fiel und diese den Tee mit Milch mischten, erhielt der Schwarztee immer mehr Zuspruch. Da sich der Schwarztee auf den langen Seefahrten besser konservieren liess als Grüntee, bevorzugten auch die Engländer später die vollständig fermentierte Sorte mit Milch.39 Die mongolische Gewohnheit wurde also von den europäischen Chinareisenden nach Europa übertragen: «[…] schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts genossen etwa die Franzosen ihren Tee ‹à la Chinoise›, was bedeutete, dass Milch nach der Art der Mongolen hinzugefügt wurde»,40 schreibt Martin Krieger. Die Empfehlung, Tee und Kaffee mit Milch zu mischen, findet sich ebenfalls in den Briefen der Marquise de Sévigné Ende des 17. Jahrhunderts wieder. Da unverarbeitete Milch rasch verdirbt, wurde sie damals wohl noch als Sauermilch beigegeben.41

Ebenso scheint die bittere Trinkschokolade nach aztekischer Art – bei welcher der Kakao zusätzlich mit Gewürzen gemischt wurde – den spanischen Kolonisten wenig geschmeckt zu haben. Nur zögerlich begannen sie das mittelamerikanische Getränk zu konsumieren. Erst als ihm süsser Zucker, Zimt und Vanille beigegeben wurde, erhielt die Trinkschokolade grösseren Zuspruch. Weil sie einen hohen Fettgehalt aufwies, der oft Verdauungsprobleme verursachte, wurde ihr gegen Ende des 17. Jahrhunderts ebenfalls warmes Wasser oder Milch beigegeben, damit das Getränk bekömmlicher wurde.42

Erst mit Milch und Zucker gemischt, konnten die drei aus den Tropen stammenden Getränke in Europa und Amerika grössere Verbreitung gewinnen.43 Seither existiert eine starke Verbindung zwischen der Milch und den drei Heissgetränken Kaffee, Tee und Kakao, welche die weitere Entwicklung der vier Produkte prägte.

Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt

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