Читать книгу Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt - Thomas P Fenner - Страница 7
Vorgehen und theoretische Einbettung Markengeschichte als Unternehmensgeschichte aus der Produktperspektive
ОглавлениеNestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt wurde bisher vor allem auf erfolgreiche Fusionen und Übernahmen zurückgeführt:25 «Das enorme Wachstum von Nestlé ist zu einem grossen Teil mit durchwegs erfolgreichen Fusionen und Akquisitionen bewerkstelligt worden – was angesichts der Tatsache, dass solche Zusammenschlüsse oft scheitern, bemerkenswert ist […]»,26 beschrieben beispielsweise Gerhard Schwarz und James Breiding 2011 die erstaunliche Entwicklung des Unternehmens. Wenig beachtet wurde dagegen, dass Nestlé mit seinen Markenprodukten auch ein starkes internes Wachstum aufwies, obwohl das Unternehmen aus Vevey immer wieder betonte, dass dem internen Wachstum der strategische Vorrang gegeben werde.27
Darstellung 1: Trotz den drei «Fusionspeaks» von 1971 (Ursina Franck), 1985 (Carnation) und 1988 (Buitoni/Rowntree) verlief Nestlés Unternehmenswachstum zwischen 1950 und den 1990er-Jahren erstaunlich konstant, was auf ein starkes internes Wachstum hinweist.
Kennzeichnend für diese innere Unternehmensdynamik steht die Marke Nescafé in der Geschäftseinheit der löslichen Pulvergetränke oder Instantgetränke, die sich mit der Herstellung von Kaffee-, Tee- und Kakaopulver beschäftigt. Als Nestlé in den 1970er-Jahren zum weltweit grössten Lebensmittelkonzern aufstieg, erwirtschaftete sie etwa einen Drittel des Umsatzes und über die Hälfte des Unternehmensgewinns.28 Pulvergetränke waren damit sowohl die umsatzstärkste als auch die gewinnbringendste Produktgruppe innerhalb des Konzerns, wobei Nescafé etwa drei Viertel zu dieser aussergewöhnlichen Bilanz der Abteilung beisteuerte.29 Aus dieser Erkenntnis leitet sich die Hypothese der vorliegenden Arbeit ab, dass die aussergewöhnliche Unternehmensentwicklung von Nestlé in bedeutendem Masse mit Nescafé als sehr gewinnbringendes Hauptprodukt oder «Flaggschiff» des Unternehmens zusammenhängt.
Diesen Überlegungen folgend, wird Nestlés Geschichte aus der Produktperspektive von Nescafé dargestellt und das Wachstum des Schweizer Unternehmens anhand seiner Markenprodukte erklärt. Die Sichtweise verbindet die Unternehmensgeschichte über das Markenprodukt mit der Konsumgeschichte und positioniert die Marke am Schnittpunkt zwischen Wirtschaftsund Kulturgeschichte. Zentral sind dabei die Fragen, wie sich Nescafé und dessen Vermarktung im Lauf der Zeit veränderten, warum sich die Marke weltweit verbreiten konnte und welche Verbindungen zwischen Nestlés Produkten bestehen.
Eine solche Unternehmensgeschichte aus der Produktperspektive kann nur dann wissenschaftlich fruchtbar sein, wenn sie interdisziplinär und theoriegeleitet vorgeht.30 Während die Geschichte und Theorie der multinationalen Unternehmen seit den 1980er-Jahren vor allem im angelsächsischen Raum vorangetrieben wurde,31 stellt die Marke in den Geschichtswissenschaften ein noch wenig erforschtes Gebiet dar. Immerhin sind in den letzten Jahren im Bereich der Marketing-Geschichte verschiedene Publikationen32 erschienen, die grundsätzlich zwei Zugänge zur Markengeschichte erkennen lassen: auf der einen Seite ein eher unternehmensgeschichtlicher Zugang, wie ihn beispielsweise Robert Fitzgerald in seiner Publikation über Rowntree33 einnimmt oder die Darstellung zur Geschichte der Toblerone zu ihrem 100-jährigen Jubiläum,34 welche anhand von Marketing-Strategien des Unternehmens die Markengeschichte des süssen Dreizacks nachzeichnet. Andererseits näherten sich verschiedene Autoren dem Gegenstand auch von der kulturgeschichtlichen Seite an. Erwähnenswert sind hierzu Roman Rossfelds Arbeit zur kulturellen Konstruktion der «Schweizer Schokolade»35 oder die zur Jahrtausendwende erschienenen Publikationen zu Werbebildern als Abbilder des Konsum- und Gesellschaftswandels.36
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden Marken und multinationale Unternehmen in der vorliegenden Arbeit sowohl mit wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten (Transaktionskosten, Grössenvorteilen, Produktlebenszyklus) als auch mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen untersucht, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.