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a) Musterberufsordnung 2004

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Der 107. Deutsche Ärztetag hatte im Mai 2004 in Bremen unter dem Eindruck des am 1.1.2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetz – GMG[62] die Musterberufsordnung (MBO),[63] insbesondere im Hinblick auf die beruflichen Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit einschneidend geändert. Ziel dieser Änderung war einmal die Wettbewerbsfähigkeit freiberuflich tätiger Ärzte gegenüber anderen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen zu verbessern und zu stärken, dann aber auch den ärztlichen Berufsträgern die Möglichkeit zu erhalten, die vom Gesetzgeber im Rahmen des GMG geschaffenen, neuen institutionellen Möglichkeiten unter Wahrung der Freiheit ärztlicher Entscheidungen nutzen zu können.[64] Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Umsetzung in das Berufsrecht der jeweiligen Landesärztekammern.[65] Einige Änderungen konnten je nach Bundesland erst dann in Satzungsrecht der Landesärztekammern umgesetzt werden, nachdem der Landesgesetzgeber zuvor die Heilberufe-Kammergesetze geändert hatte.

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Eine weitere Änderung betraf den Problembereich der Teilgemeinschaftspraxis. Im Zuge der Einführung der Teilgemeinschaftspraxis (TGP) im Jahre 2004 ist es nämlich in der Praxis vermehrt zu Kooperationsformen gekommen, deren Hintergrund weniger die ärztliche Zusammenarbeit, sondern vielmehr die Bemäntelung der unzulässigen Zuweisung gegen Entgelt als angeblicher Gesellschaftsgewinn gewesen ist.[66] Deshalb wurden diese Systeme vornehmlich in der Zusammenarbeit zwischen methodendefinierten Fächern (und hier in erster Linie Radiologen, aber auch Laborärzten[67]) und Zuweisern etabliert, also Geschäftsbeziehungen, die schon bislang von Hause aus für „Anfütterungspraktiken“ besonders anfällig waren und sind. Man findet sie aber auch innerhalb einer Arztgruppe, wenn es zwischen hochspezialisierten Angehörigen dieser Arztgruppe zu den sonstigen Ärzten ein starkes Einkommensgefälle gibt, wie etwa zwischen ophtalmologischen Kataraktoperateuren und ausschließlich konservativ tätigen Augenärzten. Die TGP dient dann dazu, Honoraranteile aus der operativen Tätigkeit an die vormaligen Überweiser als „Gesellschaftergewinn“ zu transferieren. Daneben gibt es dann noch eine Art „Publikums-TGP, in der eine Vielzahl von Praxen für eine geringe Eintrittsgebühr zusammengeschlossen werden, um wirtschaftlich ein Zuweiserkartell zu bilden.[68] Die Dreistigkeit, mit der diese Modelle am Markt platziert wurden, war erstaunlich. Langsam begannen die Kammern zu merken, was sich hier abspielte. Durch Beschluss[69] vom 24.11.2006 hatte der Vorstand der Bundesärztekammer § 18 Abs. 1 MBO entsprechend angepasst. Nach dem neuen Wortlaut in § 18 Abs. 1 kann sich der Zusammenschluss zur gemeinsamen Ausübung des Arztberufs zwar auch zum Erbringen einzelner Leistungen erfolgen, sofern er nicht lediglich einer Umgehung des § 31 MBO dient. Diese Regelung war im Grundsatz rechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn der BGH[70] den insoweit wortgleichen § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. der baden-württembergischen BO wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG für nichtig erklärt hatte.

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Im Mittelpunkt der Entscheidung des BGH stand aber nicht das Zuweisungsverbot gegen Entgelt gemäß § 31 MBO, sondern die Unrechtsvermutung in § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. BO Ba-Wü, wonach eine Umgehung insbesondere dann vorliegt, wenn sich der Beitrag der Ärztin oder des Arztes auf das Erbringen medizinisch-technischer Leistungen auf Veranlassung der übrigen Mitglieder einer Teil-Berufsausübungsgemeinschaft beschränkt oder der Gewinn ohne Grund in einer Weise verteilt wird, die nicht dem Anteil der von ihnen persönlich erbrachten Leistungen entspricht. Nur diese Einschränkung hielt der BGH für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. § 18 Abs. 1 S. 3 2. Alt BO und § 18 Abs. 1 S. 4 BO, wonach die Anordnung einer Leistung, insbesondere aus den Bereichen der Labormedizin, der Pathologie und der bildgebenden Verfahren, keinen Leistungsanteil i.S.d. S. 3 darstellt, wurden ausdrücklich nicht beanstandet. Im Gegenteil wurde dem Berufungsgericht, an das der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen wurde, aufgegeben, die vertraglichen und tatsächlichen Abläufe durch entsprechende Beweiserhebungen zu klären. Damit hat der BGH keineswegs, wie von interessierte Seite in ersten Bewertungen des Urteils behauptet, als zu restriktiv empfundene Zuweisungspraktiken erleichtert. Das OLG hat im Ergebnis den Unterlassungsanspruch bestätigt, weil die gesellschaftsrechtliche Konstruktion auch nach Wegfall von § 18 Abs. 1 S. 3 1. Alt. BO gegen § 18 Abs. 1 S. 2 und 4 sowie S. 3 2. Alt. BO verstoße.[71] Als Konsequenz der Entscheidung des BGH hat die Baden-Württembergische Landesärztekammer den vom BGH beanstandeten Passus aus ihrer Berufsordnung gestrichen. In der MBO wurde diese Änderung nachvollzogen.

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In zwei Entscheidungen vom 25.3.2015 hat das BSG eine eigene vertragsarztrechtliche Bewertung vorgenommen. In einem Verfahren ging es um eine Teil-ÜBAG zwischen ophtalmologischen Kataraktoperateuren und einem ausschließlich konservativ tätigen Augenarzt.[72] Im Ergebnis führte die Vertragsgestaltung dazu, dass der konservativ tätige Augenarzt seine Praxis unverändert in E. ausübte. Die ophtalmologischen Operateure führten die präoperative Diagnostik, die Operationen wie auch die Nachsorge bei Patienten, die den Erstkontakt in E. hatten, ebenfalls in der Praxis in E. aus, hatten ihre eigene Praxis aber in Sch. Ihre Tätigkeit an von dem konservativ tätigen Augenarzt zugewiesenen Patienten unterschied sich bis auf den Ort des Eingriffs nicht von der zuvor gelebten Überweisungspraxis. Dennoch waren alle Gesellschafter am Betriebsergebnis paritätisch beteiligt. Der Berufungsausschuss genehmigte diese Teil-ÜBAG nicht. Das BSG bestätigte diese Entscheidung. Die überdurchschnittliche Gewinnbeteiligung des konservativ tätigen Augenarztes an deutlich besser bewerteten operativen Leistungen bei von ihm ursprünglich behandelten Patienten spreche dafür, dass es sich um unzulässige Zuweisungen gegen Entgelt handele. Hier liege im Übrigen schon begrifflich keine Teil-BAG vor, weil der konservativ tätige Augenarzt seine gesamte Praxis eingebracht habe. Eine Teil-BAG setze voraus, dass bei dem Einbringenden noch ein Rest verbleibe, den er eigenständig vertragsärztlich ausführen könne. Ob das BSG den Erwägungen des BGH in dessen Entscheidung vom 15.5.2014 in allen Punkten folge, wurde ausdrücklich offen gelassen, da sich der zu beurteilende Sachverhalt unterscheide. Das BSG schrieb allen Interessierten für die Zukunft noch folgendes ins Stammbuch: Vertragliche Regelungen für eine Teil-BAG müssen vertraglich klar fixiert werden. Es müsse dem Vertrag zu entnehmen sein, welche Gebührenziffern des EBM als konkretisierte Leistungen Bestandteile der gemeinsamen Berufsausübung sein sollen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Antragsteller. Größere strukturelle Vertragsänderungen während des gerichtlichen Verfahrens bewirken keine Heilung. Für die in § 15a Abs. 5 BMV-Ä aufgestellte Forderung, die Teil-BAG müsse medizinisch erforderlich sein, um Patienten gemeinsam zu versorgen, gebe es allerdings keine Rechtsgrundlage.

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In der zweiten an diesem Tag verkündeten Entscheidung grenzte das BSG die vollständige Einbringung einer Praxis in eine Teil-BAG von der Einbringung eines vollständige Leistungskomplexes ab. Letzteres stünde einer Genehmigung einer Teil-BAG nicht entgegen.[73] Beide Ärzte (eine Internistin und ein Allgemeinarzt) waren Hausärzte und nahmen jeweils am DMP Diabetes Typen I und II. Die Internistin erbrachte überwiegend aber nicht ausschließlich diabetologische Leistungen. Der Allgemeinarzt hatte neben den diabetologischen Leistungen noch einen wesentlichen Anteil außerhalb der Diabetologie. Beide Ärzte wollten sich zu einer überörtlichen Teil-BAG zum Zwecke der diabetologischen Versorgung einschließlich Fußambulanz zusammenschließen. Zulassungs- und Berufungsausschuss lehnten die Genehmigung ab; die hiergegen gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Leistungen, die zur Behandlung bestimmter, im Gesellschaftsvertrag vorgesehener Krankheitsbilder erforderlich sind, können in einer Teil-BAG vergesellschaftet werden.[74] Das BSG schränkt dies aber gleich wieder ein. Führe ein Arzt z.B. in den Fächern Innere Medizin oder Chirurgie eine Schwerpunktbezeichnung, die ja fachgebietsähnlich verselbstständig sei, könne er kaum Partner einer Teil-BAG sein, weil jenseits seines Schwerpunkts, wenn er diesen einbringe, kein maßgeblicher vertragsärztlicher Rest mehr verbliebe.[75] Nach diesseitiger Auffassung müsste es aber möglich sein, dass ein Kardiologe und ein Radiologe eine Teil-BAG hinsichtlich des Kardio-MRT gründen, wenn die sonstigen kardiologischen und radiologischen Tätigkeiten nicht vergesellschaftet werden.

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Wer schon bislang Ziel und Schutzzweck von §§ 18, 31 MBO verinnerlicht hat, hat mit dieser Konkretisierung durch das BSG keine Schwierigkeiten. Auch wenn das BSG § 15a Abs. 5 BMV-Ä mangels Ermächtigungsgrundlage für nichtig erklärt, wird insbesondere durch die Ausführungen in der Entscheidung zum diabetologischen Leistungskomplex deutlich, dass es Schnittmengen geben sollte. Was man in der Vergangenheit vielleicht nicht in dieser Deutlichkeit gesehen hat (oder auch nicht sehen wollte), ist der Umstand, dass die Zuweisungsproblematik auch innerhalb einer (Teil-)BAG virulent werden kann. Gesellschaftsrechtlich wird sich hier sicherlich Widerspruch regen, weil bislang die Gewinnverteilung eindeutig der freien vertraglichen Vereinbarkeit zugerechnet wurde. Man darf gespannt sein, wie die Kautelarpraxis damit umgeht. Das BSG fordert Transparenz bei der Vertragsgestaltung. „Weiche“ Formulierungen bergen das Risiko, nicht vor den strengen Blicken aus Kassel zu bestehen. Das Risiko trägt der Klauselverwender (und ggfls. der den Vertrag gestaltende Berater). Was ist mit dem Regressrisiko, wenn der Zulassungsausschuss nach Vorlage des Vertrages die Teil-BAG (bestandskräftig) genehmigt hat, im Rahmen späterer Verfahren aber gerichtlich festgestellt wird, dass diese Teil-BAG nicht genehmigungsfähig war? Ein erster Reflex geht sicherlich dahin, Honorarnachteile nur für die Zukunft anzunehmen. Ob diese Hoffnung trägt, mag man angesichts der Rechtsprechung des BSG bezweifeln.[76] Seit in krafttreten der §§ 299a, 299b StGB wird man auch berücksichtigen müssen, dass derartige Fallgestaltungen im Lichte dieser Vorschriften geprüft werden können. Steuerlich ist zu bedenken, dass Gewinne aus unzulässigen gesellschaftlichen Beteiligungen gewerbliche Einkünfte darstellen mit allen sich daraus ggf. zu ziehenden Konsequenzen.[77]

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Der Gesetzgeber hatte für den Bereich der GKV ebenfalls reagiert und mit dem VÄndG zum 1.1.2007 in § 33 Abs. 2 S. 3 Ärzte-ZV eine TGP zwischen Ärzten, die nur auf Überweisung in Anspruch genommen werden können und anderen Ärzten, gänzlich untersagt. Eine Umgehung durch Anstellung dieser Ärzte war wiederum im BMV-Ä (für den EKV gab es eine vergleichbare Regelung) mit Wirkung zum 1.7.2007 ausgeschlossen worden (galt aber nur bis zum 30.9.2013). Durch das GKV-VStG ist § 33 Abs. 2 S. 3 Ärzte-ZV abermals geändert worden. Das strikte Verbot einer TGP mit Ärzten der methodendefinierten Fächern wurde aufgehoben und durch eine Regelung ersetzt, die sich im Lichte des ebenfalls geänderten § 73 Abs. 7 SGB V an den berufsrechtlichen Vorgaben des § 18 Abs. 1 MBO orientiert. Damit ist wieder ein Gleichklang zwischen Vertragsarztrecht und Berufsrecht hergestellt. Jetzt wäre z.B. eine der wenigen sinnvollen Kooperationsformen zwischen Radiologen und Kardiologen im Rahmen eines Kardio-MRT vertragsarztrechtlich als TGP zulässig, wenn es sich um eine echte fachlich gelebte Kooperation handelt.

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Bezüglich der anderen Änderungen der MBO 2004 haben mittlerweile fast alle Landesärztekammern die hier angesprochenen Vorschriften übernommen. Dies gilt insbesondere für § 23a MBO. In denjenigen Landesärztekammerbereichen, in denen dies nicht der Fall ist, kann sich die Nummerierung der einzelnen Vorschriften von der Nummerierung in der MBO an dieser Stelle unterscheiden. Zumeist handelt es sich nur um die Differenz einer Position.[78] Dies hat folgenden Hintergrund. § 18 MBO n.F. verwendet nämlich den im Ergebnis offeneren Begriff der „für den Arztberuf zulässigen Gesellschaftsformen“, wenn die unabhängige und nicht gewerbliche Berufsausübung gewährleistet ist. Auch nach der Neufassung bleibt es jedoch dabei, dass sich die Frage der Zulässigkeit grundsätzlich nach Landesrecht richtet.[79] Gemäß § 23a MBO ist für Berufsausübungsgemeinschaften die Möglichkeit eröffnet, sich in Form einer juristischen Person des Privatrechts, also in erster Linie der GmbH (auch in der seit 1.11.2008 möglichen „Unternehmergesellschaft“) oder als AG zu organisieren. Einige Heilberufsgesetze der Länder untersagten dies früher ausdrücklich (mittlerweile nur noch Bayern Art. 18 Abs. 1 S. 1 HKaG). In einigen Landesärztekammerbereichen so z.B. in Niedersachsen sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine juristische Person des Privatrechts positiv formuliert, § 32 Abs. 2 HKG (vermittelnd § 4a Abs. 5 BerlinerKG). Allerdings soll nicht übersehen werden, dass auch diejenigen Länder, die früher ein derartiges Verbot – in unterschiedlicher Ausprägung – in ihren Heilberufs-Kammergesetzen verankert hatten, mittlerweile darangegangen sind, diese Haltung aufzugeben. So heißt es z.B. in § 29 Abs. 2 HeilberufsG NRW „Die Führung einer Einzelpraxis oder einer Praxis in Gemeinschaft in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts setzt voraus, dass die Kammern in der Berufsordnung Anforderungen festgelegt haben, die insbesondere gewährleisten, dass die heilkundliche Tätigkeit eigenverantwortlich, unabhängig und nicht gewerblich ausgeübt wird.“ Die BO der ÄK Nordrhein enthält eine derartige Regelung bislang nicht, die BO der ÄK W-L hingegen schon. Maßgeblich sind jedenfalls die Regelungen in den Heilberufs-Kammergesetzen[80].

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Das Verbot, ambulante ärztliche Heilkunde in Form einer Kapitalgesellschaft auszuüben, hatte zumindest in den Ländern einer Überprüfung standgehalten, in denen dies im HeilberufsG selbst geregelt ist.[81]

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