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d) Handwerk und Hilfsmittelabgabe, verkürzter Versorgungsweg

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Lange Zeit bestanden unterschiedliche Auffassungen zwischen Vertretern der Gesundheitshandwerker-Berufe und Ärzten über die Frage, in welchem Umfang „Nicht-Handwerker“ Leistungen in diesem Bereich erbringen dürfen.[97] Maßstäbe hat diesbezüglich eine vom BGH[98] mit dem Schlagwort „verkürzter Versorgungsweg“ begründete neue Rechtsprechung gesetzt. Der Arzt übe bei der Anpassung des Ohrabdrucks ärztliche Tätigkeit und kein Handwerk aus. Verstöße gegen die Berufsordnung sah der BGH nicht. Durch die Zurverfügungstellung eines PCs und der Online-Verbindung sei der Arzt nicht gebunden oder gehindert, sich auch anderer Hörgeräteakustiker zu bedienen. Alleine die Schaffung der Möglichkeit eines Zusatzverdienstes durch die Vergütung des Ohrabdrucks durch den Hörgeräteversand sei für sich genommen nicht zu beanstanden, da er auf erlaubter HNO-ärztlicher Tätigkeit beruhe. Ein Verstoß gegen § 126 Abs. 1 SGB V a.F. (Beschränkung der Hilfsmittelabgabe auf zugelassene Leistungserbringer) liege nicht vor, da der HNO-Arzt die Hörgeräte nicht abgebe, sondern nur verordne. Abgeber im Rechtssinne bleibe das Versandhandelsunternehmen. In einer späteren Entscheidung hat der BGH[99] diese Rechtsprechung bekräftigt. Die Vorteile des verkürzten Vertriebsweges (günstiger Preis, keine „Laufereien“) sprächen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht gegen, sondern gerade für das Konzept. Mittlerweile wurde diese Argumentationsschiene auch für andere Vertriebsmodelle herangezogen. Noch weiter ging das OLG Celle[100] in einer weiteren Entscheidung zur Hörgeräteabgabe in der HNO-Praxis. Ein hinreichender Grund für die Empfehlung eines bestimmten Lieferanten i.S.v. § 34 Abs. 5 MBO (jetzt § 31 Abs. 2 MBO) liege schon dann vor, wenn dem Patienten aus Gründen der Bequemlichkeit ein weiterer Gang zum Hörgeräteakustiker erspart bliebe. Für den orthopädischen Hilfsmittelbereich würde mit dieser Argumentation auch die Abgabe vielfältiger Fertighilfsmittel (ohne Anpassungsbedarf) gerechtfertigt werden können, wenn ein Patient z.B. in seiner Mobilität eingeschränkt ist. In Abgrenzung zu dieser Rechtsprechung hat das OLG Stuttgart entschieden, dass ein Vertriebssystem von Brillen über Augenarztpraxen unzulässig ist.[101] Die Auswahl einer Brille erfolge nur in Ausnahmefällen nach medizinischen Gesichtspunkten. Statt medizinischer ständen eher ästhetische und handwerkliche Überlegungen im Vordergrund. Auf den Patienten könne ein unangemessener Druck ausgeübt werden, wenn ihm „sein“ Augenarzt ein derartiges Produkt anbiete. Der Arzt nehme bei diesem Verkauf eher die Position eines Gewerbetreibenden ein. Im Lichte der Entscheidung des BGH[102] v. 13.1.2011 entspricht die Linie des OLG Celle nicht mehr dem Stand der Rechtsprechung. Diese Linie wurde vom BGH mit seiner Hörgeräte III-Entscheidung abermals bestätigt.[103]

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Der erst am 1.4.2009 durch das GKV-OrgWG eingeführte neue § 128 SGB V ist im Rahmen der 15. AMG-Novelle (BGBl. 2009 I, S. 2015) erneut deutlich verschärft worden. Die Änderungen sind am 23.7.2009 in Kraft getreten. Durch das GKV-VStG ist § 128 SGB V mit Wirkung zum 1.1.2012 abermals verschärft worden, an den Regelungen zu den Vertriebswegen hat sich jedoch nichts weiter geändert. Die bisherigen Modelle des „verkürzten Versorgungsweges“ mussten rechtlich zum 31.3.2009, jedenfalls für den GKV-Bereich, auslaufen.[104] Wurden sie über den 31.3.2009 hinaus fortgeführt, verstoßen sie gegen ein gesetzliches Verbot mit der Folge unheilbarer Nichtigkeit.[105] Neben der Gefahr der Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB können die Sanktionen gem. § 128 Abs. 3 und Abs. 5 SGB V auch für bis zum Stichtag zulässige Versorgungsformen greifen. Ziel der Regelung ist Transparenz. Einen Vertrauens- und/oder Bestandsschutz gibt es nicht. Schließlich wird die strafrechtliche Dimension derartiger Verhaltensweisen zunehmend diskutiert.[106] Zu beachten ist ferner, dass Verstöße gegen formale Vorgaben des § 128 SGB V zum Verlust des Kostenerstattungsanspruchs führen können, was dann wiederum eine Strafbarkeit nach § 263 StGB nach sich ziehen kann.[107]Während andere Wirtschaftsbereiche nach zugegebenermaßen leidvollen Erfahrungen ihre Lehren zu ziehen beginnen[108], ist das Problembewusstsein bei manchen Ärzten, Krankenhäusern aber auch Kostenträgern im Hinblick auf die Angreifbarkeit derartiger „Belohnungssysteme“ noch entwicklungsfähig. In der berufsgerichtlichen Rechtsprechung sind entsprechende Verurteilungen aber eher selten.[109]

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Schließlich ist § 31 MBO zu beachten. Schutzzweck der Norm ist u.a., dass sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist oder zur Diagnose hinzuzieht, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet, sondern diese Entscheidung allein auf Grund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten trifft. Im Übrigen will § 31 nicht nur den Patienten vor sachfremden Erwägungen des ihn unmittelbar behandelnden Arztes bewahren. Die Vorschrift soll darüber hinaus verhindern, dass sich Ärzte durch Vorteilsgewährung ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Berufskollegen verschaffen. Dieser Schutzzweck gebietet, jede Art der Patientenvermittlung gegen Entgelt oder sonstiger Vorteile, die ihren Grund nicht in der Behandlung selbst haben, als verbotswidrig anzusehen. Aus diesem Grunde wendet sich § 31 sowohl an den Vorteilsgewährer als auch an den vorteilsannehmenden Arzt. Letztlich passt § 31 gut in den aktuellen Kontext der Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen, weil Ziel der Vorschrift auch die Marktgerechtigkeit ist. Ihre strafrechtliche Entsprechung findet die Vorschrift in §§ 299, 299a ff., 331 ff. StGB. Zusätzliche Klarheit wurde durch die Einführung neuer Regelungen zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen geschaffen.[110]Wer sein bisheriges Verhalten nicht ändert, wird sich in der Zukunft darüber hinaus verstärkt wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen ausgesetzt sehen. Das Ventil „verkürzter Versorgungsweg“, das nicht wenige genutzt haben, um einigermaßen legale Kundenbeziehungen zu pflegen, ist geschlossen. Der Umstieg im Hilfsmittelmarkt vom Zulassungssystem auf das Vertragssystem gemäß § 126 i.V.m. § 127 SGB V wird den (Verdrängungs-)Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern verschärfen. Es werden sich Lager bilden: diejenigen, die unbeirrt mit einer „Augen zu und durch“-Mentalität die alten Pfade begehen und denjenigen, die versuchen sich gesetzeskonform zu verhalten. Sehen letztere sich dadurch ins Hintertreffen geraten, sind wettbewerbsrechtliche Notwehrmaßnahmen (von – anonymen – Meldungen anderer Art zu schweigen) naheliegend.

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