Читать книгу Praxishandbuch DSGVO - Tobias Rothkegel - Страница 132
cc) Klares Ungleichgewicht
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Die Freiwilligkeit einer Einwilligung kann schließlich ausgeschlossen sein, wenn zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein klares Ungleichgewicht besteht. Das wird nach Erwägungsgrund 43 S. 1 insbesondere angenommen, „wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde handelt, und es deshalb in Anbetracht aller Umstände in dem speziellen Fall unwahrscheinlich ist, dass die Einwilligung freiwillig gegeben wurde“.
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Es entspricht indes nicht der Lebenswirklichkeit, bei einem Über-/Unterordnungsverhältnis von vornherein und starr von einem klaren Ungleichgewicht auszugehen. Es kommt vielmehr auf die konkrete Situation an, in der eine Einwilligung nachgefragt wird. Es existiert nicht bei jeder Behörde und unabhängig von der konkreten Situation Anlass für die Besorgnis, der Bürger könnte in Ehrfurcht vor der Institution erstarren und dem Ersuchen unter Ausschaltung seiner Besonnenheit und der Rationalität seiner Entscheidungsgewalt zwanghaft nachgeben. Denn die Verweigerung einer Einwilligung kann unter den jeweiligen Umständen auch keinerlei ersichtliche Nachteile zur Folge haben.448 Nur hierauf kann es aber ankommen, so dass Erwägungsgrund 43 S. 1 nicht nur etwas aus der Zeit gefallen, sondern für die Beurteilung der Freiwilligkeit ohne zusätzliche Heranziehung der Kriterien in Erwägungsgrund 42 S. 5 auch nicht sonderlich tauglich erscheint.
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Ebenso verhält es sich bei sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Obwohl die Europäische Kommission es in ihrem Verordnungsentwurf noch vorgeschlagen hatte,449 gilt das Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls auf dem Papier nicht mehr als Paradebeispiel für ein die Freiwilligkeit einer Einwilligung von vornherein ausschließendes Ungleichgewicht. Nach Ansicht des Europäischen Datenschutzausschusses ist es im Beschäftigungsverhältnis in der Regel aber unwahrscheinlich, dass die betroffene Person ihrem Arbeitgeber die Einwilligung in die Datenverarbeitung verweigern kann, ohne Angst zu haben oder wirklich Gefahr zu laufen, dass die Weigerung zu Nachteilen führt.450
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Eine freiwillige Zustimmung kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn sie nicht vorab in allgemeiner Form im Arbeitsvertrag, sondern anlassbezogen während des laufenden Arbeitsverhältnisses gegeben wird.451 So ist die Freiwilligkeit einer vor Einstellung eines Arbeitnehmers erbetenen Einwilligung weiterhin fraglich, wenn zwar theoretisch das Recht zur Verweigerung unbenommen, aber mit der beträchtlich nachteiligen und nicht unwahrscheinlichen Folge verbunden ist, die Chance auf die Stelle zu verlieren. Ganz anders verhält es sich in der Konstellation, dass keine gewichtigen Nachteile befürchtet werden müssen oder die Entscheidung für die Datenverarbeitung ohne übermäßigen Anreiz nur Vorteile verspricht, wie etwa bei der Registrierung für Personalkaufrabatte.
Nationale Regelungen in Deutschland
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Entsprechend dynamisch hat der deutsche Gesetzgeber die Einwilligungsmöglichkeit im Beschäftigungskontext auf der Grundlage der Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO in § 26 Abs. 2 BDSG geregelt. Danach kann Freiwilligkeit insbesondere vorliegen, „wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen“.452 Als Beispiele für Vorteile werden in der Gesetzesbegründung die Teilnahme an einem betrieblichen Gesundheitsmanagement zur Gesundheitsförderung oder die Erlaubnis zur Privatnutzung von betrieblichen IT-Systemen und für gleichgerichtete Interessen die Aufnahme von Name und Geburtsdatum in eine Geburtstagsliste oder die Nutzung von Fotos für das Intranet, bei der Arbeitgeber und Beschäftigter im Sinne eines betrieblichen Miteinanders zusammenwirken, genannt.453
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In diesem Sinne kann auch in einem von Marktmacht und Nachfrage geprägten Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher nicht an sich ein die Unfreiwilligkeit einer Einwilligung indizierendes klares Ungleichgewicht gesehen werden.454 Abzustellen ist vielmehr auf die Einzelfallfrage, ob der Verbraucher eine echte Wahl hat, zumal anderenfalls eine Einwilligung in dieser Beziehung generell als Rechtsgrundlage ausscheiden würde.455 Der Europäische Datenschutzausschuss scheint allerdings in freier Schöpfung, d.h. ohne Grundlage in Wortlaut, Systematik, Historie, Sinn und Zweck der einschlägigen Bestimmungen der DSGVO pauschal davon auszugehen, dass eine Einwilligung nicht freiwillig sei, wenn sie ein nicht verhandelbarer Teil von Geschäftsbedingungen ist.456 Dass diese Meinung nicht richtig sein kann, zeigen die Absätze 2 und 4 in Art. 7 DSGVO.