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1.3 Afghanistan – ein neuer Staat entsteht

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Die Anfänge der Staatlichkeit Afghanistans gehen auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Freilich, die Erhebung der Ghilzai gegen die Safawiden kann noch nicht als eine Art erster Schritt in Richtung auf die Entstehung eines eigenständigen Staatswesens auf afghanischem Territorium gewertet werden. Dies geschah erst Jahrzehnte später. Durch die Geschichte war das Land am Hindukusch, für das im 19. Jahrhundert die Bezeichnung »Afghanistan« aufkam, abwechselnd der östliche Teil der einander ablösenden Staaten auf dem Boden Persiens, bzw. der westliche Teil zentralasiatischer Reiche oder das nordwestliche Glacis von auf indischem Boden errichteten Herrschaften gewesen. Stets aber befanden sich Teile des Landes in den Händen von mächtigen und selbstständigen Stämmen und Stammesverbänden. Wie auch noch in der Gegenwart bildeten unter ihnen die Paschtunen die größte Gruppe. Die Stammeskonföderationen der Abdali in Südwestafghanistan und der Ghilzai in Südostafghanistan vereinten jeweils mehrere der großen Stämme. Sie sind überwiegend Sunniten, Paschtu ist ihre Sprache. Die zahlenmäßig zweitgrößte Volksgruppe stellten die Tadschiken. Diese Bezeichnung wird bis heute für alle Persisch sprechenden Sunniten und jene Teile der Bevölkerung verwendet, die sich keiner ethnischen Kategorie zuordnen lassen. Weitere größere Gruppen waren die turko-mongolischstämmigen schiitischen Hazara sowie Usbeken, Turkmenen und Belutschen.

Die Kämpfe um die Nachfolge Nadir Schahs und die fortschreitende Schwäche der Mogulherrschaft in Indien ließen in Afghanistan ein politisches Vakuum entstehen. Damit war Raum für eine eigenständige Staatsgründung zwischen Iran, dem indischen Subkontinent und dem Kaleidoskop staatlicher Gebilde in Zentralasien entstanden. Noch im Jahr 1747 wählte die herkömmliche Versammlung paschtunischer Stämme, loya jirga (dschirga), bei Kandahar Ahmad Khan (geb. 1722) zum ersten »König der Afghanen«. Er entstammte dem Zweig der Sado innerhalb der Stammeskonföderation der Abdali. Unter Nadir Schah hatte er dessen Leibgarde befehligt und sich als Feldherr einen Namen gemacht. Seinen Beinamen, durr-e daran (»Perle der Ländereien«), den er während dieser jirga erhalten haben soll, soll er eigenmächtig in den Titel durr-e durran (»Perle unter Perlen«) umgewandelt haben. Damit habe er seine bescheidene Stellung als primus inter pares zum Ausdruck bringen wollen. Aus dieser Selbstbezeichnung sollte sich künftig der Name der ganzen Stammesföderation der Abdali ableiten: Durrani. Die loya jirga von 1747 gilt in der nationalafghanischen Geschichtsschreibung als der Beginn des afghanischen Staates. Andere Quellen freilich wissen nichts von einer loya jirga, sondern beschreiben die Machtübernahme Ahmad Khans als Ergebnis kühner Machtpolitik.

Ahmad Schah Durranis Herrschaft ist durch eine endlose Folge von Kämpfen und Kriegen gekennzeichnet. Als er 1772 starb, erstreckte sich »afghanisches« Territorium nahezu auf das gesamte Gebiet zwischen dem Amu-Darya und dem Indischen Ozean sowie zwischen Delhi und Nischapur. Er hatte keine verbindliche Regelung seiner Nachfolge getroffen, so dass unter seinen Söhnen ein Kampf um die Nachfolge entbrannte. Auch hinterließ er kein gefestigtes, zentral regiertes Staatswesen; sein »Reich« entsprach einem lockeren Herrschaftsverbund paschtunischer und nicht-paschtunischer Stämme, die er nur indirekt beherrschte. Timur Schah (1748–1793), einer seiner Söhne und sein Nachfolger, konnte das Reich nur notdürftig zusammenhalten. Er verlegte die Hauptstadt nach Kabul. An der Wende zum 19. Jahrhundert bestiegen gleich mehrere Herrscher wiederholt den Thron. Das Durrani-Reich zerfiel in einzelne Machtzentren wie Herat, Kandahar und Peschawar, die Kabul herausforderten.

1823 war die Herrschaft der Sadozai erloschen. An ihrer Stelle etablierte sich eine andere Linie der Durrani-Föderation: die Mohammedzai. Dost Mohammed (geb. 1793), der 1826 Kabul und die angrenzenden Gebiete eroberte, wurde ihr erster Herrscher. Es gelang ihm, die staatliche Gewalt wieder zu stabilisieren; 1834 erhielt er in Kabul den Titel Emir. Dann zogen dunkle Wolken in Gestalt des sich verschärfenden britisch-russischen Gegensatzes über dem Land auf. Davon wird weiter unten zu sprechen sein. Nach dem Scheitern der ersten Invasion der Briten (1839–1842, S. 71) übernahm Dost Mohammed 1843 abermals die Herrschaft. In zahlreichen Feldzügen unterwarf er sich Teile »Afghanistans«, die zum Teil seit dem Ende der Sadozai ein politisches Eigenleben geführt hatten. Bei seinem Tode im Jahre 1863 hatte er das Land wiedervereinigt. Erst nach einem Jahrhundert, das über weite Strecken durch äußere Einmischung und innere Machtkämpfe gekennzeichnet sein sollte, wurde der Herrschaft der Durrani 1973 ein Ende bereitet.

Tradition und Erneuerung im Ringen um die Zukunft

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