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2.2 Der Angriff auf Ägypten

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Ein militärischer Angriff markiert die neue Qualität der Beziehungen zwischen Europa und seiner nahöstlichen Nachbarschaft. Er setzt zugleich tiefstgreifende Wandlungsprozesse im Raum zwischen Nordafrika und Persien in Gang. Am 1. Juli 1798 landete eine französische »Expedition« bei Alexandria auf ägyptischem Boden. Ihr Führer: General Napoleon Bonaparte, der im Auftrag des seit 1795 in Paris herrschenden Direktoriums handelte. Hinter dem Unternehmen stand ein imperialistisches Design: Der Rivale England sollte im Mittelmeer getroffen, sein Seehandel geschädigt und ihm der Landweg nach Indien, seinem reichsten Besitz, versperrt werden. Frankreich würde einen Stützpunkt für seine weitere Expansion im Orient gewinnen und eine neue Kolonie, die die kolonialen Verluste auf dem amerikanischen Kontinent wettmachen würde. Zwei Wochen nach der Landung bei Alexandria kam es an den Pyramiden bei Kairo zur Schlacht. Die kurze Ansprache, die Napoleon vor Eröffnung der Schlacht hielt, ist berühmt geworden; sie macht die Tragweite des Geschehens aus französischer Sicht deutlich:

»Soldaten! Ihr seid in diesen Landstrich gekommen, um ihn der Barbarei zu entreißen, die Zivilisation in das Morgenland zu bringen und diesen schönen Teil der Welt dem Joch Englands zu entreißen. Wir werden kämpfen. Denkt daran, dass von diesen Monumenten 40 Jahrhunderte auf euch herabblicken.«

Die Schlacht dauerte nur wenige Stunden. Der Haufen der verrotteten mittelalterlichen »Mamluken« war kein ernst zu nehmender Gegner einer modernen europäischen Armee.

Dieses Ereignis ist in vieler Hinsicht bedeutsam für die Geschichte des Vorderen Orients insgesamt seither. Zunächst einmal bestätigte die militärische Unterlegenheit gegenüber einer europäischen Macht die Schwäche der politischen Herrschaft und ihrer Institutionen als solcher. Seit 1517 war Ägypten Teil des Osmanischen Reichs und seither hatte sich dort politisch nichts Grundlegendes verändert. Eine schmale turko-tscherkessische Militäraristokratie der »Mamluken« machte die Herrschaft unter sich aus; die Zeit der großen Mamlukensultane, die das Land am Nil seit der Mitte des 13. Jahrhunderts beherrscht und einer Epoche den Namen gegeben hatten, war lange vorbei. Die Hohe Pforte, d. h. die Regierung in Konstantinopel, überließ die ständig miteinander rivalisierenden politischen und militärischen Faktionen in Kairo weitgehend sich selbst, wenn nur die jährlichen Abgaben eingingen.

Neben der politischen und militärischen Schwäche war die Tatsache schockierend, dass der französische Vorstoß nicht mehr Randgebiete des Osmanischen Reichs betraf, von denen es in den vergangenen hundert Jahren, bereits zahlreiche verloren hatte – vor allem an Russland und Österreich. Der europäische Vorstoß zielte diesmal auf ein Kernland, das über Jahrhunderte dessen islamische Identität bestätigt hatte. Noch immer zog die theologische Lehrstätte der Azhar (gegründet 972) Studenten aus allen Teilen des Reichs an. In gewisser Weise war deshalb mit der Eroberung Kairos ein Teil der Legitimation des Sultans (und Kalifen) in Konstantinopel weggebrochen.


Abb. 3: Die »Schlacht bei den Pyramiden« am 21. Juli 1798. »Europa« stößt das Tor zum »Orient« auf.

Kennzeichnend für die Wahrnehmung, mit der Europa künftig seiner islamischen Nachbarschaft gegenübertreten sollte, war der »Stil«, in dem das militärische Unternehmen in Gang gesetzt, ja gleichsam inszeniert wurde. Dem Ego des kommandierenden Generals entsprach die Vorstellung, auf den Spuren Alexanders des Großen und Cäsars zu wandeln. Neben den etwa 25 000 Soldaten führte er einen Tross von Wissenschaftlern mit, unter denen sich bedeutende Orientalisten, aber auch Geographen und Statistiker befanden. Ihnen war die Aufgabe gestellt, den unbekannten Orient für die europäische Wissenschaft zu erschließen. Die Gründung des Institut d’Egypte (1798), der 1802 die Veröffentlichung der Description de l’Egypte folgte, die zu einem Markstein bei der entstehenden Orientalistik werden sollte, war Ausdruck eines Interesses, das über das politische hinausging, zugleich aber auch einer kulturellen Erhöhung Europas, das den Orient bereits als Objekt geistiger Vereinnahmung betrachtete.

Nach anfänglichen Erfolgen sollte die »Expedition« kläglich scheitern. Der weitere Vorstoß nach Syrien, bei dem die französischen Truppen auch brutale Grausamkeiten an osmanischen Soldaten begingen, kam an der Feste Akkon (Saint-Jean d’Acre) nach zwei Monaten vergeblicher Belagerung im Frühjahr 1799 zum Erliegen. Der Rückmarsch geschah unter großen Strapazen und war von der Tatsache überschattet, von der Heimat abgeschnitten zu sein, nachdem die Engländer unter Admiral Nelson bereits im August 1798 die französische Flotte bei Abukir in der Nähe von Alexandria vernichtet hatten. An diesem Ort ging im Juli 1799 auch ein osmanisches Entsatzheer mit 18 000 Soldaten an Land. Noch einmal sollten sich das militärische Genie Napoleons und die moderne europäische Kriegführung überlegen zeigen: 5000 Mann Infanterie und 1000 Mann Kavallerie bereiteten dem osmanischen Heer am 25. Juli eine vernichtende Niederlage. Eine geschickte Propaganda verklärte Napoleon in der Heimat zum Helden. Vom Direktorium zurückgerufen, ging er am 23. August heimlich an Bord. Am 9. Oktober landete er in Fréjus, wo er als Hoffnungsträger begeistert empfangen wurde. Am 9. November 1799 stürzte er durch einen Staatstreich das Regime des Direktoriums und öffnete den Weg, auf dem er »Konsul auf Lebenszeit« und 1804 »Kaiser der Franzosen« wurde. Seine in Ägypten im Stich gelassene Armee kapitulierte 1801 gegen ein englisches und osmanisches Entsatzheer und wurde – auf englischen Schiffen – nach Frankreich zurückgebracht.

Bonaparte verlor keine Zeit, am Nil eine französisch geprägte Zivilisation zu schaffen. Die Gründung des Institut d’Egypte war u. a. mit dem Auftrag verbunden, den Ägyptern das Licht der Aufklärung zu bringen. Zwei französische Blätter erschienen, welche die Vorzüge des Fortschritts und die Verdienste des Fortschrittsbringers priesen – aber nur von wenigen Einheimischen gelesen und verstanden wurden. Die Feudalordnung, die Napoleon auch hier zerschlagen wollte, war im Morgenland viel fester mit dem Islam verbunden als in Frankreich das Ancien Régime mit der Kirche. Auch wenn er einen Burnus (einen nordafrikanischen Kapuzenmantel) anlegte und sich »Ali Bounabardis« nennen ließ, blieb er ein Ungläubiger und ein Fremdling, auf den der Zorn Allahs herabgefleht wurde.

Das Dokument, das der Nachwelt die Schärfe des Zusammenstoßes zwischen dem Modernisierungsfuror Napoleons und seiner Umgebung auf der einen und der tiefen Verwurzelung der Ägypter in ihrer – nicht zuletzt religiösen – Tradition verdeutlicht, ist die Chronik des Historikers und Schriftstellers Abd ar-Rahman al-Dschabarti (1754–1829).13 Napoleon war nicht nur als Vorkämpfer eines französischen Imperialismus im Mittelmeerraum oder als Mann, der seine politischen Ambitionen wissenschaftlich beflügelt wissen wollte, gekommen. Er kam ganz wesentlich auch als Propagandist der Werte der Französischen Revolution und damit einer Moderne, die den globalen Anspruch erhob, jene Ordnungen und Wertvorstellungen zu stürzen, die in der Wahrnehmung eines aufgeklärten Europäers keinen Bestand mehr hatten. Imperialistisches und propagandistisches Design gingen Hand in Hand. Nach dem Bericht al-Dschabartis hatte Napoleon bereits in einer Bekanntmachung nach der Landung in Alexandria verkündet, er sei gekommen, das Recht aus der Hand der Unrechttuer zu befreien – womit er expressis verbis die Herrschaft der Mamluken ansprach. Ausdrücklich verwahrte er sich gegen den Vorwurf, die Religion der Ägypter zerstören zu wollen; die Franzosen seien ebenfalls echte Muslime. Den Schluss dieser Bekanntmachung bildeten Befehle und Weisungen an die ägyptische Bevölkerung. Wie ein roter Faden durchzieht die tiefe Kluft zwischen der Besatzungsmacht und den Einheimischen den Bericht des Gelehrten. Auch wird immer wieder deutlich, wie wenig die Ägypter von den Segnungen der »modernen« französischen Verwaltung hielten. Die französische Kokarde als Zeichen des ihnen vonseiten des französischen Generals entgegengebrachten Respekts weisen sie zurück: »Doch unser Ansehen bei Gott und unseren Brüdern, den Muslimen, wird sinken«. Auch das Versprechen, die korrupte und verrottete osmanisch-mamlukische durch eine gute und gerechte Verwaltung zu ersetzen und für allgemeinen Wohlstand zu sorgen, konnte die Ägypter nicht versöhnlich stimmen. »Man sagte: ›Ein gesegnetes Jahr und ein glücklicher Tag, wenn die ungläubigen Hunde fortziehen!‹« Zwei Mal, im Oktober 1798 und im Juni 1800, kam es zu Erhebungen gegen die Besatzungsmacht. Dabei kam es auch zu Übergriffen gegen einheimische Christen, die der Kollaboration beschuldigt wurden. Am 14. Juni 1800 wurde General Kléber ermordet, den Napoleon als Oberkommandierenden zurückgelassen hatte. Für einen Augenblick taucht so etwas wie anerkennende Verwunderung über die Art und Weise auf, wie die Franzosen, »dieses Volk, das sich durch die Vernunft regiert und nicht von der Religion leiten lässt«, das Gerichtsverfahren durchführen: nämlich auf der Grundlage sorgfältiger Beweisaufnahme und eines differenzierten Urteils, das sogar einen der Verdächtigen freispricht.

Tradition und Erneuerung im Ringen um die Zukunft

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