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2. Kapitel Europäisierung des StrafrechtsVI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht › 2. Rechtsstaatliche Unionsgrundsätze und ihre Wirkung auf das nationale Strafrecht

2. Rechtsstaatliche Unionsgrundsätze und ihre Wirkung auf das nationale Strafrecht

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Im Wesentlichen gelten für das Recht der Europäischen Union sehr ähnliche Grundsätze wie in den meisten nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten. Es handelt sich – soweit es das Strafverfahren betrifft – vielfach um die gemeinsamen Grundwerte:

Das Primärrecht bindet jede Durchführung von Unionsrechts an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Geltung der GRCh. Daher haben alle Organe der Union ebenso wie diejenigen mitgliedstaatlichen Organe, die Unionsrecht durchsetzen, die Unionsgrundrechte zu beachten. Nach Art. 2 S. 1 EUV gehört die Rechtsstaatlichkeit zu diesen Grundwerten der Union. Zwar ist der Begriff der Rechtsstaatlichkeit von sehr abstrakter Natur, doch hat ihn die Rechtsprechung des EuGH in einer langjährigen Judikatur näher zu bestimmen versucht.[1]

a) Vertrauensschutz und Rechtssicherheit

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Zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit werden insb. die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, wie er in steuerrechtlichen Entscheidungen des EuGH stets betont worden ist.[2] Einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes hat der EuGH etwa dann angenommen, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer, der alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass er nicht in ein Mehrwertsteuerkarussell einbezogen wird, steuerliche Nachteile erleidet, wenn er nun schuldlos doch in eine Hinterziehungsstruktur verwickelt wird.[3] Der EuGH hat es zudem mit dem Gebot der Rechtssicherheit für unvereinbar erklärt, wenn ein Steuerpflichtiger bei völlig sorgfaltsgemäßen eigenem Verhalten für fremde Steuerschulden in Anspruch genommen wird. Der sorgfältig handelnde Unternehmer dürfe steuerrechtliche Vorteile, die sich aus seinem Verhalten ergeben, stets in Anspruch nehmen. Der Bürger müsse die Möglichkeit haben, die Rechtsfolgen seines Handelns mit einer gewissen Sicherheit abschätzen zu können.[4]

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Diese Feststellungen können im Umsatzsteuerstrafrecht über die Strafbarkeit entscheiden. So darf der Unternehmer, der in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden war, die Steuerbefreiung weiterhin geltend machen, auch wenn er im Nachhinein seine Beteiligung an der kriminellen Konstruktion erkennt, solange er ohne eigenes Verschulden Teil der Missbrauchsgestaltung geworden ist. Da dem Steuerpflichtigen für den Zeitpunkt der Lieferung kein Vorwurf zu machen ist, ist damit auch die Steuerbefreiung entstanden und nicht durch die spätere Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des fremden Geschäfts wieder weggefallen.[5]

b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 49 Abs. 3 GRCh)

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Auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sieht der EuGH als Grundlage rechtsstaatlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung an.[6] Darauf, dass Sanktionen stets verhältnismäßig sein müssen, hat der EuGH insb. in der Entscheidung Griechischer Mais[7] hingewiesen: Die Verhältnismäßigkeit stellt eines der drei Elemente der vielzitierten Mindesttrias dar. In der Entscheidung Calafa[8] hat der EuGH ebenso wie in der Entscheidung Federation of Technological Industries[9] deutlich gemacht, dass jede Entscheidung mit Sanktionscharakter streng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen ist. Das führe unter anderem dazu, dass die Frage, ob ein Steuerpflichtiger von der kriminellen Zweckrichtung eines Umsatzes gewusst hat, zwar an objektiven Kriterien beurteilt werden dürfe, es sei jedoch unzulässig dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu nehmen, den Gegenbeweis zu führen.[10]

c) Nullum crimen sine lege (Art. 49 Abs. 1 S. 1 GRCh)

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Das Gesetzlichkeitsprinzip ist auch nach unionsrechtlichem Verständnis die Basis eines rechtsstaatlichen Straftatsystems.[11] Daher gelten die Prinzipien des Bestimmtheitsgrundsatzes, des Analogieverbots und des Rückwirkungsverbots auch für die Durchführung des Unionsrechts; ferner gilt das Schuldprinzip.[12] Der EuGH hatte sich insofern zunächst auf Art. 7 Abs. 1 EMRK gestützt. Hierzu heißt es in einer Entscheidung des EuGH vom 12.12.1996:

Wenn es darum geht, den Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu bestimmen, die sich aus speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften ergibt, verbietet es der Grundsatz, wonach ein Strafgesetz nicht zum Nachteil des Betroffenen extensiv angewandt werden darf, der aus dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen und, allgemeiner, dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Dieser Grundsatz, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, ist auch in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen verankert, u.a. in Artikel 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten . [13]

Mittlerweile ist das Gesetzlichkeitsprinzip in Art. 49 Abs. 1 S. 1 GRCh garantiert. Der europäische Grundsatz nullum crimen sine lege verlangt jedoch nicht ausdrücklich ein geschriebenes Gesetz, so dass die Common-Law-Staaten weiterhin auch Strafen verhängen können, die auf ungeschriebenen, aber feststehenden Gesetzen basieren.

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Das im Gesetzlichkeitsprinzip enthaltene Bestimmtheitsgebot[14] fordert vom Gesetzgeber, dass er Strafgesetze so hinreichend deutlich und klar fasst, dass zum einen der Bürger erkennen kann, bei welchem Verhalten ihm welche Strafe droht und zum anderen der Gesetzgeber und nicht der Rechtsanwender die Frage der Strafwürdigkeit entscheidet.[15] Der Bestimmtheitsgrundsatz wurzelt im Gebot der Vorhersehbarkeit von Strafe und damit in der Garantie der Rechtssicherheit. Diese Garantie gilt auch dann, wenn der nationale Strafgesetzgeber auf blankettausfüllende Normen des Unionsrechts verweist. Die Reichweite und Intensität des europäischen Bestimmtheitsgebots sind jedoch keineswegs eindeutig. Während der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung deutlich gemacht hat, dass er den Bestimmtheitsgrundsatz einheitlich und für das Strafrecht nicht strenger als im übrigen Recht auffasst, heißt es in der Halifax-Entscheidung, dass Rechtsakte, die Regelungen beinhalten, welche zu einer finanziellen Belastung des Bürgers führen, in besonderem Maße bestimmt sein müssen.[16] Ferner hat der EuGH ausgeführt, die Anforderungen der Gesetzesbestimmtheit seien nur erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mithilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen …[17] Damit gilt auch im europäischen Recht ein dem deutschen Verfassungsrecht angenäherter Bestimmtheitsgrundsatz, wenn auch im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des EuGH abzuwarten ist, wie der Gerichtshof den Bestimmtheitsgrundsatz in Zukunft fortentwickeln wird.[18]

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Ein weiteres wichtiges Prinzip des Unionsrechts ist das Verbot der täterbelastenden Analogie (Analogieverbot).[19] Es ist unzulässig, eine strafbegründende oder strafschärfende Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden, auch wenn der Rechtsgedanke der entsprechenden Strafvorschrift diese Anwendung tragen sollte und das betroffene Verhalten auch strafwürdig und strafbedürftig erscheint. Daraus ergibt sich auch, dass selbst eine europäische Missbrauchsrechtsprechung dann keine strafrechtliche Sanktion begründen darf, wenn die Anwendung dieser Judikatur entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes erfolgen müsste.[20] Die Missbrauchsrechtsprechung kann daher nur im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung berücksichtigt werden, nicht aber den Wortlaut des nationalen Strafgesetzes überwinden.

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Der EuGH hat ferner bereits im Bosch-Urteil[21] festgestellt, dass es sich beim Rückwirkungsverbot um eine elementare Ausprägung des Gesetzlichkeitsprinzips handelt, die auch im Unionsrecht – hier entschieden für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht – Geltung beansprucht. Diese Entscheidung wurde auch in dem Fall Regina/Kirk Kent[22] noch einmal bestätigt.[23] Hier hatte sich der EuGH insb. auf Art. 7 EMRK berufen und festgestellt, dass auch eine rückwirkende Inkraftsetzung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts keine nationalen Strafsanktionen rechtfertigen könne.[24]

d) Lex mitior (Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh)

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Anders als das deutsche Verfassungsrecht garantiert die europäische Grundrechte-Charta das Milderungsgebot (Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh). Dieser auch lex mitior genannte Grundsatz ordnet die Verhängung der strafrechtlichen Sanktion aus dem mildesten Gesetzes an.[25] Der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung des mildesten Strafgesetzes gehört nach Auffassung des EuGH zur gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten.[26] Dabei kommt es auf die günstigste Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung an.[27] Relevant sind auch günstigere Zwischengesetze, selbst kürzeste ungeregelte Zeiträume können hier zu einer Milderung, sogar zur Straffreiheit führen. In der Entscheidung Berlusconi hat der EuGH[28] weiterhin festgestellt, dass das Milderungsgebot auch dann gilt, wenn sich durch seine Anwendung Beeinträchtigungen der Ziele des Unionsrechts ergeben; in diesen Fällen überwiegt das Gebot der Rechtsstaatlichkeit das Interesse an der Verfolgung der jeweiligen Unionspolitik.

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Unionsrechtliche Regelungen, die wegen des Anwendungsvorrangs zu einer Milderung der nationalen Strafrechtslage führen, sind als Minderungen auch i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen. Das gilt sowohl für Verordnungen, die Blankette ausfüllen, als auch für Richtlinien und Rahmbeschlüsse, die begünstigend für den Täter wirken.[29]

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