Читать книгу Die Bruderschaft Christi - Ulrich Hefner - Страница 31
Jerusalem, Ausgrabungsstätte an der Straße nach Jericho ...
ОглавлениеJetzt sollte die Grabplatte endlich angehoben werden. Sie schien fest und solide und wies keinerlei Risse auf. Aber es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die knapp zwei Meter lange, etwa einen Meter breite und zirka zehn Zentimeter starke Platte aus Kalkstein bei der kleinsten Verspannung zerbrach. Jonathan Hawke hatte den ungeduldigen Chaim Raful davon überzeugt, dass sie alle Vorkehrungen treffen mussten, um die Grabsteinplatte an einem Stück zu bergen. Auf dem Lastwagen war alles vorbereitet, um das Artefakt sicher zu verstauen. Weiche Decken, Styroporplatten und Luftpolster waren vorbereitet worden. Aaron Schilling hielt die Fernbedienung des Flaschenzuges in der Hand und wartete, bis er von Gina Andreotti das Zeichen zum Anheben bekam.
Als man die Grabplatte zum ersten Mal leicht angehoben hatte, um ein mit dem Haken des Flachenzugs verbundenes Netz aus Stahlgeflecht darunterzuschieben, hatte Jonathan Hawke einen flüchtigen Blick in das Innere des Sarkophages werfen können. Dunkel schimmerndes Metall hatte sich im Strahl der Taschenlampe abgezeichnet, doch der etwa drei Zentimeter große Spalt hatte ihn nur erahnen lassen, was sich im Sarg befand. Ein modriger Geruch war dem Professor in die Nase gestiegen, ehe er sich wieder erhoben hatte.
Die beiden Arbeiter, die das Stahlgeflecht am Haken befestigt hatten, prüften noch einmal kritisch die Verbindungstrossen, dann nickten sie Gina zu. Der Lärm des Generators übertönte jedes Wort. Gina hob die Hand zum Zeichen, dass die Verankerung hielt. Aaron drückte den kleinen gelben Hebel nach unten, und wie in Zeitlupe hob sich die Grabplatte in die Höhe. Zentimeter um Zentimeter. Gespannte Gesichter blickten auf den Sarg, der in wenigen Sekunden sein tausendjähriges Geheimnis preisgeben würde. Einer der anwesenden Helfer richtete einen Scheinwerfer auf den Sarkophag.
»Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte Chaim Raful, doch seine Bemerkung verebbte im lauten Getöse des Generators.
Im Sarg lag ein Ritter. Die dunkle verlederte Haut hatte beinahe die Farbe seiner verrotteten Rüstung aus Eisen angenommen. Der Ritter hielt seine Hände in Höhe der Brust gefaltet. Er trug Brustharnisch, Beinschienen und Kettenhemd. Auf dem Kopf eine Kesselhaube, unter der lange, gelbliche Haare hervorquollen. Rechts neben ihm lag die Schneide eines Schwertes, dessen hölzerner Griff die Jahrhunderte wohl nicht überdauert hatte. Links neben ihm befand sich ein tönernes Gefäß, einer langen und schlanken Amphore gleich. Sie reichte vom Knie des Ritters bis hinauf zu seinem Kopf.
»Das ist phantastisch«, rief Gina laut. Jonathan Hawke nickte und warf einen kritischen Blick auf die Grabplatte, die etwa zwei Meter hoch über dem Sarg schwebte und bereits den oberen Rand der Gruft verlassen hatte.
Der Rest verlief reibungslos. Aaron steuerte den Ausleger direkt über den Lastwagen, wo vier Gehilfen die Steinplatte in Empfang nahmen und so ausrichteten, dass sie sanft auf ihrem weichen Bett landete.
In der geöffneten Grabkammer herrschte staunendes Schweigen. Aaron schaltete den Generator ab und stieg über die Leiter hinab in die Gruft. Neben Tom blieb er stehen.
»Das ist unfassbar«, sagte er leise, um die Andacht nicht zu stören. »Er ist nicht verwest, er ist ein Mensch geblieben.«
Tom nickte. »Die warme und salzhaltige Luft hier drinnen hat seinen Körper ausgetrocknet und mumifiziert.«
Ein Gewirr aus Fasern umschlang den Körper des Toten.
»Der Mantel hat die Zeit nicht überstanden«, kommentierte Tom Aarons neugierigen Blick. »Und die Rüstung ist porös und verrostet. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir sie vom Körper lösen. Sonst zerfällt sie zu Staub.«
»Wie viel wiegt der Sarg ungefähr?«
Tom musterte den steinernen Sarkophag. »Ich schätze etwa eine Tonne.«
»Und was ist das für ein Köcher, der links neben dem Leichnam liegt?«
Tom zuckte mit den Schultern. Professor Chaim Raful, der in der Nähe stand, wandte sich zu den beiden um.
»Es ist ein Tongefäß, so etwas habe ich schon einmal gesehen«, sagte er. »Vielleicht eine Art Wegzehrung für den langen Weg ins Paradies.«
»Sie meinen, darin könnte sich Nahrung oder so etwas befunden haben, Herr Professor?«, antwortete Tom. »Bei einem Christenmenschen?«
»Das könnte doch sein«, entgegnete Raful und trat an den Rand des Sarges. Er griff nach einer Brechstange, die neben dem Sarg lag, und hob sie auf. Vorsichtig schob er das dunkle Gewölle auseinander, das wohl einmal der Mantel des Ritters gewesen war. Ein Teil einer tönernen Scheibe kam zum Vorschein. Vorsichtig legte Chaim Raful die Applike frei. Sie ähnelte der Scheibe, die er vor kurzem in Tel Aviv der Presse präsentiert hatte, doch sie war in der Mitte zerbrochen. Er schob die beiden Teile zusammen.
Lautes Gemurmel erhob sich unter den Anwesenden. Die Scheibe zeigte an der Oberseite den Himmel, der in zwei Hälften geteilt war, so als habe er sein Tor geöffnet. Eine Figur auf einer Wolke schwebte darüber und hielt einen langen Stab in der Hand. Unterhalb dieser Darstellung, auf einem Berg, war ein Scheiterhaufen aufgebaut, aus dem die Flammen dem Himmel entgegenschlugen.
»Schnell, einen Pinsel«, forderte Chaim Raful.
Gina beeilte sich und reichte ihm einen Pinsel mit weichen Borsten. Vorsichtig strich Chaim Raful über den kleinen runden Teller. Im Scheiterhaufen wurde eine Gestalt sichtbar, die ihre Hände dem Himmel entgegenstreckte.
»Das ist der endgültige Beweis«, sagte Chaim Raful laut. »Diese Gestalt ist Jesus, und er liegt auf einem Scheiterhaufen. Er ist nicht aufgefahren in den Himmel. Sein Körper hat nie ein Grab gesehen, denn er wurde verbrannt.«
Jonathan Hawke trat an Rafuls Seite und schaute ihn fragend an. »Du hast gewusst, was wir darin finden würden«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete.
Chaim Raful lächelte. »Das wird Rom nicht gefallen, was ich hier in meinen Händen halte.«