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Jerusalem, Rockefeller Museum, Suleiman Street ...

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Jonathan Hawke beugte sich zu dem gläsernen Sarg hinab und blickte auf den mumifizierten Leichnam, dessen Haut im rötlichen Kunstlicht beinahe schwarz wirkte. Die Funde aus der Gruft waren allesamt in ein Labor am Westflügel des Rockefeller Museums gebracht worden. Der Weg nach Tel Aviv wäre für den Leichnam zu weit gewesen, denn die vertrocknete Haut des Tempelritters hätte die lange Fahrt nach Tel Aviv kaum unbeschadet überstanden. Deswegen hatte Professor Chaim Raful ein kleines Labor und einen Lagerraum im Museum angemietet, das keinen Kilometer von der Ausgrabungsstätte entfernt lag.

»Jonathan«, sagte Raful. »Das ist ein erhebender Anblick. Selbst nach der tausendsten Grabung ist es immer wieder aufs Neue ein Ereignis, das einem die Gänsehaut über den Rücken jagt.«

»Und dies ist ein ganz besonderer Leichnam«, bestätigte Jonathan Hawke spitz.

Der Tonfall in seiner Stimme machte Chaim Raful stutzig. Er wandte sich dem amerikanischen Kollegen zu. »Wie soll ich das verstehen?«

»Kommen Sie, Chaim«, entgegnete Hawke. »Tun Sie nur nicht so, als wäre das alles Zufall gewesen. Die Scherben, die römische Garnison, die Ausgrabungen unterhalb des Ölbergs. Das war doch alles nur Fassade.«

Chaim Raful zuckte mit der Schulter. »Ich verstehe nicht.«

Hawke deutete auf den Leichnam. »Deswegen haben wir dort gegraben, und Sie haben gewusst, dass wir auf sein Grab stoßen würden. Ich sah es Ihren Augen an. Nur hinter dem Grab des Templers waren Sie her. Und alles nur, um an diesen unseligen Wandteller zu gelangen, damit Sie Rom erneut einen schmerzhaften Stoß versetzen können. Na, wann wird es so weit sein, wann haben Sie die Journalisten zur Pressekonferenz gebeten? Morgen schon oder erst in ein paar Tagen?«

Chaim Raful kam näher und versuchte Hawke die Hand auf die Schulter zu legen, doch er wich dem Versuch aus.

»Sie haben mich missbraucht«, fuhr Hawke fort. »Sie haben mich zu Ihrem Werkzeug gemacht und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Jerusalem gelockt, damit ich Ihr Grab finde, das Sie bisher vergeblich gesucht haben.«

Chaim Raful hob entschuldigend die Hände. »Ich hatte nur ein paar Fragmente, nichts Schlüssiges. Nur ein paar vage Hinweise. Jonathan, Sie gehören zu den besten Archäologen unserer Zeit, und Ihr Team hat hervorragende Arbeit geleistet, ich stehe tief in Ihrer Schuld. Aber ich habe Ihnen nichts Falsches erzählt. Vor zweitausend Jahren gab es am Fuße des Ölberges eine römische Garnison. Betrachten Sie das Grab des Templers als Dreingabe. So können wir beide zufrieden sein. Sie graben weiter und legen die Garnison frei, und ich habe ebenfalls bekommen, was ich mir wünschte. Ist damit nicht uns beiden gedient?«

»Sie haben mich benutzt, um der römischen Kirche zu schaden. Woher kommt nur all Ihre Abneigung gegen Rom?«

Raful hob abwehrend seine Hände. »Die römische Kirche ist eine Hure, sie schläft mit den Mächtigen«, entgegnete Raful scharf. Seine Adern an der Schläfe traten hervor und zeugten von seiner Wut. »Sie hat meine Familie auf dem Gewissen.«

Jonathan Hawke schaute Raful fragend an.

»Mein Vater, meine Mutter und meine beiden Schwestern starben in Bergen-Belsen, nur ich konnte entkommen. Die römische Kirche schaute tatenlos zu und ließ Hitler gewähren. Im Gegenteil, sie unterstützten ihn sogar dabei, sein blutiges Regiment weiterzuführen. Sie hielten das Volk still. Sie feierten heilige Messen mit dem Blut der Geschundenen. Dafür steht diese Kirche. Sie hat nichts Menschliches an sich, sie trachtet jedem nach dem Leben, der nicht zu den Ihrigen gehört. Sie duldet nur ihre eigene Wahrheit.«

Jonathan Hawke schüttelte den Kopf. »Das ist Jahre her, wir können unser gesamtes Leben nicht damit verbringen, uns dem Hass hinzugeben. Das Heute ist die Gegenwart und unser Blick muss in die Zukunft gerichtet sein.«

»Sie sagen das so leicht, mein Freund«, entgegnete Chaim Raful. »Damals, als die Schriften am Toten Meer gefunden wurden, gehörte ich einem Team von jungen Wissenschaftlern an. Wir erhielten von der Jordanischen Regierung die Erlaubnis, nach weiteren Höhlen zu suchen. Doch dann kam Rom und schickte seine Schergen aus. Pater De Vaux und die Kirche. Die École-Bibliothek, diese Dominikanerbrut aus Paris, vertrieb uns, und wir mussten zuschauen, wie Fremde unsere eigene Geschichte aus den Höhlen trugen. Damals habe ich mir geschworen, dass ich mich nie mehr vertreiben lasse.«

»Aber die Ergebnisse der Ausgrabungen sind doch längst veröffentlicht«, widersprach Hawke.

Raful lachte auf. »Nein, mein Lieber, so naiv sind selbst Sie nicht. Sie glauben doch nicht, dass wirklich alle Schriften erschienen sind? Sie werden keine Schriften oder auch nur Fragmente finden, die sich kritisch mit der Kirche auseinandersetzen. Die Schriften, die beweisen könnten, dass Jesus nie existiert hat. Zumindest nicht in der Form, wie es die römische Kirche uns glauben machen will.«

»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Hawke.

»Ich weiß es, weil ich solche Schriften selbst zu Augen bekommen habe, bevor man uns aller Artefakte beraubte und uns in die Wüste jagte«, antwortete Raful. »Sehen Sie, woher hätte ich sonst von den Appliken wissen können?«

Hawke runzelte die Stirn. »Was hat es eigentlich mit diesen Wandtellern auf sich, die Ihnen so wichtig erscheinen?«

Raful trat einen Schritt zurück und setzte sich auf einen Stuhl. »Es ist eine lange Geschichte«, sagte er, »aber ich will sie Ihnen nicht vorenthalten, mein Freund. Vor fünfzehn Jahren erwarb ich auf dem Basar in Haifa von einem arabischen Händler das Fragment einer Papyrusrolle. Sie war in althebräischen Zeichen verfasst. Und sie stammte aus einer der Höhlen von Qumran, dafür verbürgte sich der Händler. Tatsächlich schien sie sehr alt zu sein. Ich zahlte ihm beinahe fünfhundert Dollar, doch die Investition hat sich gelohnt. Sie enthielt Hinweise auf eine weitere Höhle, die sich westlich der Siedlung und der bislang gefundenen Höhlen befinden sollte. Beinahe zwei Jahre habe ich gesucht. Dann fand ich unweit von Kalya in einer hoch aufragenden Wand den Eingang. Er lag versteckt und war verschüttet vom Staub der Jahrhunderte. Es befanden sich die gleichen Tonkrüge in der Höhle, wie man sie auch in Qumran fand, doch leider ist das Gebiet empfänglicher für Feuchtigkeit. Der Inhalt der Behälter war bereits verrottet. Doch ich fand noch etwas: eine Kupferrolle, die der Verwitterung getrotzt hatte. Es war nicht leicht, die Rolle, die in Latein verfasst war, zu entschlüsseln. Ich musste Stück um Stück abtrennen, aber es gelang. Der Verfasser, ein gewisser Flavius der Altere, war ein römischer Schriftgelehrter und Künstler, der von einem gewissen Jeschua sehr angetan war, dessen Leben er mit Interesse verfolgte. Flavius fertigte insgesamt sechs Appliken an. Sie gehörten zu einem Wandschmuck, der die alten Wirkungsstätten Jeschuas zeigte. Ich fand lediglich vier in der Höhle. Aber ich entdeckte Jahre später in einer mittelalterlichen Schrift einen Hinweis auf eines der beiden verbliebenen Artefakte.«

Jonathan Hawke atmete tief ein. »Wo befinden sich diese Artefakte jetzt, und was ist mit dem sechsten Wandteller?«

»Der sechste Teller ist weiterhin verschollen, aber er ist nicht wichtig. Es war der fünfte Teller, den ich suchte.«

»Der Teller im Grab des Ritters«, murmelte Jonathan Hawke.

Chaim Raful lächelte. »Es befindet sich alles in Sicherheit, und Sie werden bald einen Blick darauf werfen können. Auch auf die Rolle, die leider nur noch in einzelnen Streifen vorhanden ist. Aber nun ist meine Sammlung vollständig.«

»Diese Teller«, fragte Jonathan Hawke zögerlich. »Was zeigen sie, was sind das für neue Erkenntnisse, die Sie uns präsentieren wollen?«

»Sie zeigen Jeschuas Taufe, sie zeigen ihn, wie er zu Menschen spricht, bei seinem Einzug nach Jerusalem. Auch das Mahl mit seinen Getreuen wird dargestellt, doch nicht nur zwölf sitzen zu seiner Seite, es gibt eine weitere Person, die unmittelbar neben Jeschua sitzt. Aber das werden Sie alles noch zu Gesicht bekommen. Die beiden weiteren Wandteller kennen Sie ja schon. Jeschuas Kreuzigung und die Verbrennung seines Leichnams. Ich denke, das wird Rom nur wenig gefallen.«

»Weshalb?«, fragte Jonathan Hawke. »Weil er möglicherweise nach seinem Tod verbrannt wurde?«

»Das Bildnis ist eindeutig, doch wie heißt es so schön in den Briefen der Korinther, Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift; er wurde begraben; er wurde auferweckt am dritten Tage nach der Schrift; er wurde gesehen von Kephas, danach von den Zwölf. Danach wurde er gesehen von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal – von denen die meisten heute noch leben, während einige schon gestorben sind. Danach wurde er gesehen von Jakobus; danach von allen Aposteln. Kurzum, wenn sein Leichnam verbrannt wurde, dann gibt es kein Grab, dann gibt es auch keine Auferstehung, damit ist dieser Farce ein für alle Mal der Garaus gemacht.«

Jonathan Hawke schüttelte den Kopf. »Machen Sie es sich nicht ein wenig einfach?«, fragte er. »Gott beherrscht nicht nur die Seele, er ist auch Herr über die Materie. Konnte Jesus nicht sogar durch Wände gehen und verschlossene Räume aufsuchen?«

Raful lächelte. »Die Geschichte ist hier erst am Anfang und Geistwesen gibt es in jeder Mythologie, aber warten Sie nur ab. Eine kleine Anmerkung zu Ihrer These: Legte nicht der ungläubige Thomas nach dem Johannesevangelium seine Finger in die Wunden des Erlösers, weil er nicht an die Auferstehung glauben wollte? Kann man das, bei einem Geistwesen? Nein, Jonathan, ich zeige Ihnen die Beweise, und Sie werden staunen, alter Freund. Und Ihr Name wird untrennbar mit dem Vermächtnis des Templers verbunden sein. Ich bin Ihnen unendlich dankbar, Jonathan, und es zeigt mir, dass meine Wahl, die Leitung der Ausgrabungen an Sie und Ihre Crew zu vergeben, kein Fehler gewesen ist.«

Mit einer Handbewegung schnitt Jonathan Hawke Raful das Wort ab. »Ich bin hier, um eine römische Garnison freizulegen, und nicht, um mir weiterhin diesen Humbug anzuhören. Ich will von dieser Templergeschichte nichts wissen und ich will auch nicht damit in Verbindung gebracht werden. Haben Sie mich verstanden, Chaim! Ihr Konflikt mit der Kirche ist allein Ihre Sache.«

»Jonathan, alter Freund, es tut mir leid. Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Weswegen soll Ihr Name nicht mit dem wichtigsten Fund der Jerusalemer Gegenwart in Verbindung gebracht werden? Schließlich hat es die Welt Ihrer Gründlichkeit zu verdanken, dass wir wieder um einige Erkenntnisse reicher sind.«

Jonathan Hawke zog die Luft tief in seine Lungen. »Weil ich Christ bin und mich deswegen nicht schäme«, antwortete er und wandte sich um.

»Aber Sie sind auch Wissenschaftler, und die einzige Verpflichtung, die uns Wissenschaftlern gegeben ist, bleibt die Wahrheit. Nur deswegen sind wir auf der Suche nach Spuren unserer Vergangenheit. Erst wenn wir wissen, woher wir kommen, werden wir auch begreifen, wohin wir gehen.«

Jonathan Hawke hatte die Tür zum Labor bereits geschlossen. Rafuls Worte verhallten ungehört.

Die Bruderschaft Christi

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