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München, Bayrisches Landeskriminalamt, Dezernat 63 ...

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Kriminaloberrat Stefan Bukowski hasste es, wenn er in dem engen Fahrstuhl eingeschlossen war, in dem es immer ein wenig nach WC-Steinen duftete; er hasste es, wenn er nicht genau wusste, was ihn bei einer Besprechung erwartete; er hasste es, wenn er sich in das oberste Stockwerk, die Chefetage, begeben musste. Und seine Chefin, die Präsidentin des Landeskriminalamtes, konnte er ebenfalls nicht leiden. Diese Frau, die seit knapp zwei Jahren den Chefsessel im Amt innehatte, war nichts anderes als eine politische Galionsfigur. Eine Marionette, die an den Fäden der politischen Machthaber des Innenministeriums hing und von den schwarzen Wölfen der großen Volkspartei mit Ideen und Vorgaben gesäugt wurde. Aber von Polizeiarbeit hatte sie keine Ahnung.

Eigentlich sehnte Stefan Bukowski den Zeitpunkt seiner Pensionierung herbei, denn alle Veränderungen, die es in den letzten Jahrzehnten bei der Polizei gegeben hatte, waren weit davon entfernt, die Lage zu verbessern. Ganz im Gegenteil. Von Jahr zu Jahr, von Konzept zu Konzept, von Reform zu Reform, war alles bisher nur schlechter geworden.

Ruckartig stoppte der Fahrstuhl im vierten Stockwerk. Unter dem Dach gab es nur noch Aktenräume und ein paar Labors für die Techniker. Die Tür glitt unter Ächzen auf, und Bukowski stürmte hinaus in den Flur. Das Büro der Präsidentin, Frau Doktor Annemarie Hagedorn-Seifert, lag am Ende des langen Ganges. Die Zugangstür war wie immer verschlossen. Der einzige Weg ins Zentrum der Macht führte durch das Büro der Vorzimmerdame. Bukowski nannte diesen Teil der Etage manchmal scherzhaft die Werkzeugkammer, denn wo konnte man eine Beißzange und eine Schreckschraube schon so dicht beieinander finden.

Er klopfte. Ein barsches Moment ließ ihn innehalten.

Bukowski verzog das Gesicht. Er atmete tief ein und ließ sich auf einem der Stühle nieder, die gegenüber der Tür auf dem Flur platziert worden waren, wie im Wartezimmer eines Zahnarztes.

Zehn Minuten verstrichen, bis die Vorzimmerdame, eine blasse Mittvierzigerin mit einer Frisur, die Bukowski an einen blondierten Wischmopp erinnerte, ihren Kopf durch die Tür streckte.

»Der Herr Bukowski«, näselte die Frau. »Die Präsidentin wartet bereits.«

»So wie ich«, seufzte Bukowski und erhob sich.

Die Vorzimmerdame schleuste Bukowski durch ihr Reich und geleitete ihn in das geräumige Büro von Frau Hagedorn-Seifert. Die Präsidentin saß hinter ihrem Schreibtisch und blickte nur kurz auf, als er das Büro betrat. Bukowski wusste, dass sich der Name Seifert auf den verblichenen Kammergerichtspräsidenten und Ehemann bezog und sie ihn noch immer wie ein Prädikat hinter ihrem Geburtsnamen führte. Es war damals wohl mehr eine Akademikervereinigung zwischen den beiden als eine Ehe gewesen, denn die gewichtige Frau Hagedorn weilte damals die meiste Zeit in Berlin, als sie noch als Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten arbeitete.

Bukowski musterte die gleichaltrige, kleine und dickliche Frau mit den dunkel gelockten Haaren und wusste sofort wieder, warum er keinen Wert auf ein Eheleben gelegt hatte und alleine geblieben war.

»Setzen Sie sich, Herr Kriminaloberrat«, forderte die Präsidentin mit ihrer blechernen und unpersönlichen Stimme.

Bukowski ließ sich in dem gepolsterten Stuhl vor dem schweren Mahagonischreibtisch nieder und wartete geduldig, bis die Frau ihr Aktenstudium beendet hatte.

Sie blickte auf. »Es liegt eine Beschwerde gegen Sie vor, Herr Kriminaloberrat, und ich muss sagen, ich halte Ihre Vorgehensweise ebenso für befremdlich wie der Dienststellenleiter der Polizeiinspektion in Weilheim.«

»Sagen Sie doch einfach Herr Bukowski zu mir«, antwortete Bukowski, »ich lege keinen Wert auf Titel.«

Die Miene der Präsidentin wirkte abweisend. »Wie Sie wollen, Herr Bukowski, es gibt jedoch durchaus Titel, auf die man Wert legen sollte. Also, wie soll ich mir Ihr despektierliches und unkollegiales Verhalten erklären?«

Bukowski zuckte mit der Schulter. »Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, um was es genau geht. Dann werde ich mein Verhalten schon erklären.«

Frau Hagedorn-Seifert nahm ein Schriftstück aus dem Aktenordner und reichte es Bukowski. »Sie haben versucht, die Exhumierung eines verstorbenen Priesters anzuregen, und sich dabei auf schwere Ermittlungsfehler der zuständigen Kollegen aus Weilheim bezogen. Brauchen wir nicht strafprozessuale Gründe und Verdachtsmomente, um einen solchen Schritt anzuregen?«

»Ich arbeite an zwei Mordfällen im Kirchenmilieu und es liegen ausreichende Verdachtsmomente vor, dass der Priester, um den es sich hier handelt, ebenfalls ermordet worden ist. Die Kollegen aus Weilheim und der zuständige Rechtsmediziner haben schlampig gearbeitet und den Fall, beziehungsweise die Leiche, nur oberflächlich untersucht.«

»Hätten Sie nicht einfach nur Ihre Gründe darlegen können und nicht unseren Ruf bei der Justiz beschmutzen müssen? Herr Kriminaloberrat, wir arbeiten nicht so. Wir beurteilen nicht das Verhalten anderer Kollegen, sondern halten uns an Recht und Ordnung. Ich ersuche Sie, halten Sie sich an unsere Vorschriften und an meine innerdienstlichen Erlasse, sonst sehe ich mich gezwungen, disziplinäre Vorermittlungen gegen Sie einzuleiten.«

»Frau Hagedorn«, antwortete Bukowski laut. »Ich weiß, wann etwas zum Himmel stinkt, und ich hasse es, wenn sich unsere Kollegen schlampig verhalten und ihre Ermittlungen nicht ordentlich durchführen. Nicht ich hätte eine Maßregelung verdient, sondern die Kollegen und dieser neunmalkluge Rechtsmediziner, der schon längst hätte pensioniert werden müssen.«

»Ich bin Frau Doktor Hagedorn-Seifert, wenn ich bitten darf. Und werden Sie nicht laut in meinem Büro. Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe! Sehen Sie sich vor, Bukowski. Das ist nicht das erste Mal, dass Sie negativ auffallen. Ihre Methoden sind äußerst fragwürdig und bei weitem nicht mehr zeitgemäß. Oder glauben Sie vielleicht, man hat Sie aus Den Haag abgezogen und zu meiner Dienststelle versetzt, weil Sie so ein guter Mitarbeiter waren? Sie hatten nur das Glück, dass Ihnen zugesichert wurde, dass Sie sich Ihren Arbeitsplatz nach Ihrer Rückkehr aussuchen könnten. Aber bedenken Sie Ihren Rang und werden Sie sich darüber klar, wo Sie stehen. Sonst werden Sie mich bald richtig kennen lernen.«

Bukowski erhob sich. »Sehen Sie Frau Präsidentin, ich weiß genau, wo ich stehe. Ich habe noch drei Jahre vor mir, und selbst Sie können mich nicht hinauswerfen. Und übrigens bin ich solo und will es auch bleiben. Ich habe kein Interesse an einer näheren Bekanntschaft und schon gar nicht mit Ihnen.«

Die Präsidentin schaute Bukowski entgeistert nach, als dieser sie einfach in ihrer Sprachlosigkeit zurückließ.

»Einen schönen Tag noch«, raunte er der Vorzimmerdame zu, die fassungslos vor ihrem Schreibtisch stand. Offenbar hatte sie alles mit angehört.

Auf dem Rückweg nahm er die Treppe. Er fühlte sich befreit und seine Laune besserte sich mit jeder Stufe. Er hatte seiner Chefin längst schon einmal sagen wollen, was er von ihr hielt, und heute hatte er dazu die Gelegenheit genutzt. Mit einem Lächeln betrat er seine Abteilung im zweiten Stock.

Lisa Herrmann saß hinter ihrem Schreibtisch und blickte auf, als Bukowski an ihr vorüberging.

»Na, ist dir die Abreibung nicht gut bekommen«, sagte sie.

»Ich fühle mich glänzend«, entgegnete Bukowski im Vorübergehen. »Und ich wusste es schon immer, Weiber gehören an den Herd und nicht ins Büro.«

Er verschwand in seinem Büro und schlug die Tür hinter sich zu. Lisa Herrmann blieb verwundert zurück.

Eine halbe Stunde später tickerte der Gerichtsbeschluss zur Exhumierung des verstorbenen Pfarrers der Wieskirch über das Faxgerät. Lisa Herrmann erhob sich und nahm das Papier aus dem Ablagekorb. Mit großen Augen überflog sie das Fax.

»Ich verstehe das nicht ... dieser Kerl ... wie hat er nur ...«, stotterte sie.

»Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig«, sagte Bukowski, der unbemerkt aus seinem Büro gekommen war und ihr den Beschluss aus den Händen nahm. »Sag der Spurensicherung Bescheid, ich will einen Fotografen am Grab dabeihaben. Oder soll ich das auch selber machen?«

Lisa Herrmann war vollkommen perplex. Ihr Gesicht nahm eine hochrote Färbung an. Wortlos nickte sie.

»Morgen früh um zehn Uhr auf dem Friedhof, und pünktlich, wenn es geht«, sagte Bukowski noch, ehe er wieder in seinem Büro verschwand.

Peinlich berührt setzte sich Lisa Herrmann hinters Telefon. War es möglich, dass sie diesen cholerischen und trägen alten Mann unterschätzt hatte?

Die Bruderschaft Christi

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