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Jerusalem, Rockefeller Museum, Suleimanstraße ...

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Jonathan Hawke eilte durch die Gänge des Rockefeller Museums und strebte dem Ausgang zu. Er war verärgert und durch das Verhalten von Chaim Raful zutiefst gekränkt. Er war keine Marionette, die man einfach nach Bedarf tanzen lassen konnte. Er hatte Chaim Raful immer als Wissenschaftler und Archäologen geschätzt, doch die Kirchenmanie dieses Mannes war beinahe schon krankhaft. Am liebsten hätte Jonathan Hawke seine Koffer gepackt und wäre einfach abgereist, so sehr widerte ihn das Verhalten seines Kollegen an. Andererseits war er der Grabungsleiter des Gesamtkomplexes, und unter der Erde des Kidrontals, östlich des Ölbergs, verbargen sich immer noch die Überreste einer zweitausend Jahre alten römischen Garnison.

»Jonathan! Warten Sie«, hallte es durch den langen Flur.

Jonathan Hawke setzte seinen Weg unbeirrt fort. Er hatte keine Lust auf eine weitere Unterhaltung.

»Jonathan, bitte warten Sie auf mich!«, tönte es erneut. »Wir sollten nicht im Streit auseinandergehen. Geben Sie mir noch eine Chance. Ich bitte Sie.«

Jonathan Hawke verlangsamte seine Schritte. In Höhe eines Fensters blieb er stehen und blickte hinaus. Unter ihm im Tal lagen die kleinen Häuser der Jerusalemer Altstadt, in der Ferne glänzte die goldene Kuppel des Felsendoms. Die ganze Stadt erschien so friedvoll und voller Idylle. Er atmete tief durch.

Professor Chaim Raful eilte herbei. Vor Jonathan blieb er stehen.

»Entschuldigen Sie meine Unbeherrschtheit«, bedauerte Raful seine barschen Worte. »Ich wollte Sie nicht kränken, und ich wollte Ihnen nicht Ihren Glauben zerstören. Es liegt mir fern, den Menschen ihre Illusionen zu rauben, aber ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet. Der einzigen Wahrheit, dem wissenschaftlichen Beweis. Und ich mag es nicht, wenn Männer des Glaubens versuchen, anderen ihre Ideologien einzupflanzen wie Mediziner ihren Patienten ein fremdes Herz.«

Hawke wandte sich um. »Ich habe eher den Eindruck, dass es ein persönlicher Feldzug ist, den Sie gegen Rom führen.«

»Sicher, lieber teurer Freund«, antwortete Raful, »es mag persönliche Hintergründe haben. Aber ich bin auf Hinweise gestoßen, dass Jesus Christus nicht derjenige Mensch war und nicht das Leben führte, das Ihnen die Kirche glauben machen will. Jeschua war zweifellos ein Prophet, er war zweifellos ein weiser und sehr intelligenter Mann, und er trug viel von der Ideologie eines menschenfreundlichen Gottes in sich. Er lehrte die Güte, er lehrte Erbarmen und Mitgefühl, aber er war ein Mensch, und er war nicht Gottes Sohn.«

»Das alles mag sein«, antwortete Hawke. »Aber beinahe ein Drittel der Weltbevölkerung gehört dem Christentum an. Ob Katholiken, Protestanten, Orthodoxe oder freie Gemeinden. Das Christentum hat unser Weltbild bestimmt. Es ist zu einer Grundeinstellung geworden, die man nicht einfach zerstören darf. Niemand hat das Recht dazu.«

»Aber lieber Freund«, entgegnete Chaim Raful und legte Jonathan Hawke die Hand auf die Schulter. »Eine Lüge wird doch nicht zur Wahrheit, nur weil sie über Jahrhunderte von vielen kirchlichen Gelehrten und Geistlichen zum Glauben von Millionen geworden ist. Wir können unsere Geschichte doch nicht einfach konstruieren oder besser noch aus vielen Vorlagen diejenige auswählen, die uns am besten gefällt, weil sie in unser Weltbild passt.«

»Sie spielen auf den kirchlichen Kanon an?«

»Richtig, werter Freund und Kollege«, bestätigte Raful. »Kann man wirklich aus einer Vielzahl von Schriften diejenigen auswählen, die für die Kirchenväter normative Bedeutung haben, und die anderen abwerten, indem man ihnen eine untergeordnete Rolle als Sprüche oder Lieder oder Apokryphen zuweist?«

»Muss man sich nicht irgendwann entscheiden?«, fragte Hawke. »Ist es falsch, dass man aus den vielen neutestamentarischen Schriften die vier Evangelien auswählte, die sich im Konsens nicht widersprechen? Es wurde nichts vergessen, es wurde nichts verheimlicht. Die übrigen Schriften sind ebenfalls öffentlich. Nur sie widersprachen sich zum Teil, oder es waren lediglich unzureichende Auszüge aus den bestehenden Evangelien ohne jeglichen Offenbarungscharakter.«

»Was ist mit dem Thomasevangelium?«, fragte Chaim Raful. »Der Mensch ist, wenn auch ›trunken‹, das heißt unwissend, doch göttlichen Ursprungs, er ist nach göttlichem Bild geschaffen. Wir sind also alle Kinder Gottes, so wie Jeschua. Und bei Thomas finden wir keine Auferstehung. Doch wir finden Worte, wir finden Sprüche, die uns sehr stark an Qumran erinnern. Aber Thomas passte nicht ins Bild, das der Konvent von Triest vor 460 Jahren als endgültigen Kanon des Neuen Testaments der römisch-katholischen Kirche festlegte. Er wurde einfach vergessen. Doch der Mensch irrt zuweilen. Ist das nicht auch aus den heiligen Schriften zu entnehmen?«

»Sind das nicht Fragen, die Sie dem Papst stellen sollten und nicht mir?«

»Geht uns die Wahrheit nicht alle an?«, erwiderte Chaim Raful.

»Wer sagt uns denn, was die Wahrheit ist, wenn wir bislang nur Bruchstücke davon gefunden haben? Wir haben ein paar kleine Tropfen eines riesigen Ozeans an Überlieferungen entdeckt. Und nun versuchen wir, jeder für sich, sein eigenes Bild zu schaffen. Und die Lücken füllen wir mit Thesen, Annahmen und Deutungen, die nichts Wissenschaftliches an sich haben, sondern einzig und alleine Ursprung unserer eigenen Phantasien sind. Soll das am Ende die Wahrheit sein, ist das Ihr Ernst, Herr Kollege?«

Raful nahm die Hand von Jonathan Hawkes Schulter. Mit ernster Miene sagte er: »Ich kenne die Wahrheit, und sie ist gefährlich, denn sie zerstört die Macht von einigen Mächtigen auf dieser Welt.«

Jonathan Hawke schüttelte den Kopf. Chaim Raful war ein hoffnungsloser Fall.

»Sie tun mir leid, Professor«, antwortete Jonathan Hawke nach einem Augenblick des Schweigens. »Nehmen Sie Ihren Fund und werden Sie glücklich damit. Aber lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich bin hier, um eine römische Garnison zu finden, und nicht, um mir weiter Ihre verbohrten Hirngespinste anzuhören.«

Raful blickte Jonathan Hawke mit starrer Miene ins Gesicht, schließlich lächelte er gekünstelt und streckte Hawke seine Hand entgegen.

»Abgemacht«, sagte er geheimnisvoll. »Sie suchen die Garnison, und ich behalte den Kreuzritter und alles, was sein Grab enthält. Und ich werde Ihnen nicht mehr zur Last fallen. Im Gegenteil, ich werde die Arbeiten nach wie vor unterstützen.«

Jonathan Hawke ergriff zögerlich die Hand des Professors. »Nehmen Sie den Ritter, ich habe daran kein Interesse, und ich werde keine Ihrer Thesen öffentlich unterstützen, dessen müssen Sie sich klar sein.«

Professor Chaim Raful nickte. »Dessen bin ich mir heute klar geworden, werter Freund.«

Die Bruderschaft Christi

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