Читать книгу FAITH - Ursula Tintelnot - Страница 26
Waldlauf
ОглавлениеRichard blieb neben ihr, als sie loslief, um zur Bushaltestelle im Dorf zu gelangen.
Auf keinen Fall wollte sie heute noch einmal diesem Wolf begegnen.
Das Mädchen und der Junge liefen einträchtig im selben Rhythmus nebeneinander her. Sprachlos hingen sie ihren Gedanken nach.
Sie bemerkte nicht die Blicke, die ihnen folgten, aber Richard wusste, dass etwas ganz schief lief. Er war ganz bestimmt nicht hierhergekommen um dieses Mädchen zu beschützen. Und doch hatte er keine Sekunde gezögert, genau dies zu tun, als er sie im Wald sah.
Sie war ein Wunder, so schön und anmutig in seinen Augen, dass es wehtat. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er, seit er zum ersten Mal die Klasse betreten hatte, den Blick nicht mehr von ihr lassen konnte.
Und jetzt brachte er sie zum Bus, weil er Angst um sie hatte.
Was war nur in ihn gefahren, er kannte sich selbst nicht mehr. Aber wie sie da so selbstverständlich und vertrauensvoll neben ihm herlief, konnte er sie nicht der Gefahr überlassen, die im Wald zweifellos gelauert hatte.
„Vater“, dachte er.
Nachdem er Faith sicher zum Bus gebracht hatte, lief Richard zurück in den Wald. Seine Laufschuhe knirschten auf dem glitzernden Schnee, er war glücklich, wie immer, wenn er laufen durfte.
Er liebte den Wald, den Sonnenschein und die kalte, klare Luft, die ihn umgab. Im Gegensatz zu seinem Vater konnte er dem „Schattenreich“, das dieser bevorzugte, gar nichts abgewinnen.
Als er den Wolf fand, lag das Tier tief geduckt im Schnee und leckte eine Wunde am rechten Hinterlauf. Richard hockte sich neben ihn. „Hat er dich gefunden?“
Der Wolf fiepte leise. Er hob den Kopf, um ihn auf Richards Knie zu legen. Murat sah ihn aus seinen gelben Augen an und leckte die Hand, die ihn beruhigend streichelte.
„Einer wie der andere.“
Richard richtete sich auf und drehte sich um. Er hatte gewusst, dass er Leathan hier treffen würde. Die violetten Augen seines Vaters waren wütend und voller Verachtung auf ihn gerichtet.
„Kein Mumm in den Knochen. Heute hättest du sie mir bringen können. Wenn ich sie habe, werde ich auch Magalie besitzen. Warum hast du sie zum Bus gebracht, hatte ich mich nicht deutlich ausgedrückt?“
Richard schwieg, was hätte er auch sagen können. Wenn er seinem Vater von den Gefühlen, die er Faith entgegenbrachte, berichten würde, würde er ihn mit Hohn und Spott überhäufen.
Leathan kannte keine Gefühle außer Hass und den Wunsch zu besitzen, den er mit Liebe verwechselte. Gier nach Macht war sein Antrieb, gepaart mit einer dunklen Lust an Zerstörung.
Richard liebte seinen Vater dennoch, wie ein Mensch eben den Einzigen liebt, der ihm zur Verfügung steht. Eine andere Familie hatte Richard nicht. Aber jetzt fürchtete er, würde er sich entscheiden müssen.
Konnte er Faith verraten, sie einem so grausamen Schicksal wie dem Leben in der Dunkelwelt ausliefern? Leathan blickte seinen Sohn kalt und abwartend an.
Leathan, das wusste Richard, war noch reizbarer als sonst. In der Welt der Sterblichen waren seine magischen Kräfte beträchtlich eingeschränkt. Ohne diese Macht fühlte er sich unsicher.