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Tim

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Am nächsten Morgen weckte Katjas helle Stimme Floria. Gestern, in Alex’ und Emmas Gesellschaft, hatte sie für Stunden ihr Unglück vergessen können. Jetzt überkam sie die Angst vor der Zukunft mit aller Macht. Sie war allein. Nie wieder würde Christof sie in die Arme nehmen. Mit ihm hatte sie ihre Stimme und ihre Zukunft verloren.

Du musst aufstehen, es nützt nichts, dir das Kissen über den Kopf zu stülpen.

Sie hörte ihr eigenes Kinderlachen, wenn sie am Morgen mit Emma in den Garten ging. Vorbei an der Sandkiste und der hohen Schaukel, die auch jetzt noch an dem alten Apfelbaum hing. Floria konnte hören, dass Katja darauf saß. Das leise Knarzen der Seile am Ast des Baumes verriet es ihr.

»Wir müssen sie für den Winter abnehmen, Katja.«

»Warum, Emma?«

»Damit die Seile, wenn es friert, nicht brechen.«

»Kannst du da hochklettern?«

Emmas Lachen.

»Nein, Katja. Tim nimmt sie ab, und nächstes Jahr im Frühjahr hängt er sie für dich wieder auf.«

Jedes Jahr hatte Floria sehnsüchtig auf die Schaukel gewartet. Der Baum, glaubte sie damals, wartete mit ihr. Er sah doppelt kahl aus, ohne seine Blätter und ohne die starken Seile, die ihre Schaukel hielten.

»Sei ruhig, Ramses. Das ist doch nur Tim.«

Katjas Stimme wurde leiser. Das Bellen des Hundes brach ab.

»Moin, Emma.« Die tiefe Stimme des Gärtners klang wie immer, fröhlich und gelassen.

»Moin, Tim.«

»Wir kriegen Schnee.«

»Wann?«

»In den nächsten Tagen.« Tim war so wortkarg wie alle hier.

»Du musst meine Schaukel abnehmen, Tim, hat Emma gesagt.«

»Dann wollen wir mal, Mädchen. Nimm mir den Höllenhund von den Füßen, damit ich die Leiter anstellen kann.«

»Mach auch gleich den Schnitt.«

»Alles klar, Emma.«

»Tut das weh?«

»Ne, Mädchen, ist wie Haare schneiden.«

Floria hörte das metallene Scheppern der Leiter, die Tim unter dem Baum aufbaute. Tim, dachte sie, war schon immer Emmas Helfer gewesen.

Er konnte alles und ihn als Gärtner zu bezeichnen, griff viel zu eng.

Er strich Emmas Haus an, deckte das Dach, falls es durchregnete und kümmerte sich um alles, was anfiel. Tim hatte ihr auch gezeigt, wie man Würmer ausgrub und auf den Angelhaken spießte.

Wenn sie einen oder zwei winzige Fische aus dem Kanal gezogen hatte, schabte Emma die Schuppen ab, nahm sie aus, rieb sie mit Kräutern und Gewürzen ein und briet sie in Butter. Floria lief unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen.

Die Haustür ging auf und klappte wieder zu. Floria warf Kissen und Daunendecke zur Seite und stellte die bloßen Füße auf den kalten Fußboden.

In der Küche roch es nach Hefeteig und schwarzem Kaffee. Frische Rosinenschnecken standen auf der Anrichte und die Kaffeekanne stand dampfend auf dem Tisch.

»Guten Morgen.«

Floria küsste Emma auf die Wange. Sie war eiskalt.

»Du bist ja ganz kalt, Emma.«

»Kein Wunder, ich war bis eben draußen. Tim ist da.«

»Ich weiß, hab Katja und ihn gehört.«

Emma stellte die Schnecken auf den Tisch und schenkte Floria Kaffee ein.

»Wir müssen den Garten auf den Winter vorbereiten.«

»Ja, den Apfelbaum beschneiden, Rosen abdecken und sicher hast du noch ein oder zwei Zwiebeln im Keller, die vor dem Frost in die Erde müssen?«

Emma sah ihre Enkelin amüsiert an. »Du hast ja doch aufgepasst.«

Floria sah Emma nach. »Ich will nur eben noch Tim ein bisschen unterstützen.«

Sie kannte diesen Satz. Wenn Emma ‚ein bisschen’ in den Garten ging, konnte das bedeuten, dass sie erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder hereinkam.

Sie aß eine der Rosinenschnecken und trank ihren Kaffee. Floria blätterte durch die Gartenprospekte auf dem Tisch. Ganz zuunterst fand sie eine Zeitschrift.

Trauer um Christof Corman

Die Schlagzeile flimmerte vor ihren Augen. Sie sah nach dem Datum des Artikels. Die Zeitschrift war drei Wochen alt. Exakt der Tag, an dem sie in ihren Fieberträumen versank. Die Trauerfeier hatte in seiner Heimatstadt ohne sie stattgefunden. Sie hatte sich nicht einmal verabschieden können. Schwerfällig stand sie auf. Warum hatte niemand sie benachrichtigt?

Floria Tochter der Diva

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