Читать книгу Floria Tochter der Diva - Ursula Tintelnot - Страница 4
Kapitel 1 Ein Albtraum
ОглавлениеNachdem Floria über dem Leichnam ihres Geliebten, Mario Cavaradossi, zusammengesunken war, klatschten die Zuhörer frenetisch. Cavaradossi lag in seinem Bühnenblut vor einer gemauerten Brüstung, über die sich Floria als Tosca in den Tod stürzen sollte. Aber die Sopranistin wusste, dass ihr die Kraft fehlte, zu tun, was Puccinis Oper von ihr verlangte. Diesmal würde Tosca sich nicht aus Kummer über den Tod des Malers von der Mauer der Engelsburg stürzen. Diesmal musste man sie von der Bühne der Metropolitan Opera tragen. Ihre Stimme hatte sie verlassen. Noch nie hatte dieses präzise arbeitende Instrument sie im Stich gelassen.
Nur langsam begriff das Publikum, was gerade geschehen war. Gemurmel erhob sich, das sofort wieder verstummte, als der General Manager auf die Bühne trat.
»Es tut mir leid, ich muss Ihnen mitteilen, dass Floria Mura …, dass unsere Sopranistin erkrankt ist. Ein momentaner Ausfall der Stimme. Dieses lebendige Musikinstrument ist diffizil und lässt sich nicht stimmen wie die Saite einer Violine. Wir wünschen Madame Mura eine schnelle Genesung.«
Jetzt senkte sich der schwere Vorhang langsam. Die Lichter im Saal gingen an.
Floria lag auf einer abgewetzten Couch in ihrer Garderobe. Ihr dichtes blondes Haar hatte sich gelöst. Der Theaterarzt war bei ihr. Ängstlich sah sie zu ihm auf. »Werde ich wieder singen können?«
Ausgerechnet in einer ihrer Paraderollen hatte sie versagt. Der Albtraum einer jeden Sängerin war Wirklichkeit geworden. Wenigstens hatte sie bis zum Ende des letzten Aktes durchgehalten. Ein schwacher Trost.
Sie versuchte sich aufzusetzen.
»Bleiben Sie noch ein wenig liegen.« Der Arzt drückte sie sanft auf die Kissen zurück. »Sie müssen sich jetzt schonen, keine Aufregungen.«
Floria lächelte matt.
Sie sollte sich nicht aufregen? Musik war ihr Leben. Singen brauchte sie wie die Luft zum Atmen.
Die Diagnose ihres Spezialisten war niederschmetternd gewesen.
»Sagen Sie mir, was Sie bedrückt.« Ihr Arzt sah sie an. John war nicht nur ihr Arzt, sondern auch ein verschwiegener Freund.
»Sie wissen, Floria, auch Ihre seelische Verfassung kann Ihre Stimme angreifen.« Sie wusste, worauf er anspielte.
Christof Corman, ein junger Komponist, war wenige Tage zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Kurz nach der Vollendung einiger Konzertarien, die er ihr auf den Leib geschrieben hatte.
Sie hatten sich bei einer Operngala kennengelernt. Es hatte buchstäblich auf den ersten Blick zwischen ihnen gefunkt. Sie war seine Geliebte geworden. Ein dreiviertel Jahr später war er tot. Und sie bekam einen Tag nach dem Absturz ein Paket, mit den für sie komponierten Arien. Der Brief an sie begann mit den Worten: Deine Stimme in meinem Herzen …
Sie hatte sich zusammengerissen, war trotzdem auf die Bühne gegangen, mit dem Erfolg, dass sie zusammenbrach und ihre Stimme versagte. Vor drei Tagen noch hatte sie seinen lebendigen Körper an ihrem gespürt. Sie hatten kein Geheimnis aus ihrer Liebe gemacht. ‚Nie wieder’, war ein furchtbarer Gedanke.
Floria weinte nicht, als sie den Arzt anblickte. Er hatte ihr, ohne sie zu unterbrechen, zugehört.
»Sie sollten Ihren Kummer nicht unterdrücken, nicht gegen Ihre Trauer angehen. Solange Sie das tun, Floria, werden Ihre Wunden nicht heilen.«
Jetzt sah sie New York unter einer Dunstglocke verschwinden. Ein langer Flug lag vor ihr. Sie nahm nur ungern Abschied von dieser aufregenden Stadt, aber Aufregung jeglicher Art hatte man ihr verboten.
»Wenn Sie wieder singen wollen, nehmen Sie eine Auszeit.« Johns Aussage war eindeutig gewesen. Floria hatte schweren Herzens sämtliche Termine für die nächsten Monate abgesagt. Sie drückte Christofs Partitur an sich, als handelte es sich um ihn selbst, aber weinen konnte sie nicht.