Читать книгу Floria Tochter der Diva - Ursula Tintelnot - Страница 21
Klavierunterricht
ОглавлениеDieses gesunde kräftige Kind ließ sich gerade von Floria hoch in den Himmel schaukeln.
Emma schmunzelte. Sie sah den beiden zu.
»Floria, darf ich jetzt Klavierspielen?«
»Wenn du möchtest.«
»Weißt du, im Kindergarten darf ich manchmal auch spielen.«
»Ach ja? Dann weißt du schon, wie es geht?«
»Aber nur ein bisschen.« Katja hopste von der Schaukel. »Emma, kommst du mit?«
»Nein Katja, ich will im Garten bleiben. Mach die Fenster auf, damit ich dich hören kann.«
Gleich darauf flogen die ersten Töne zu ihr hinaus. Hänschen klein. Im ersten Moment glaubte sie, Floria spielen zu hören.
»Das kannst du aber schon sehr gut.« Florias Stimme.
Wo hatte das Kind das gelernt? Emma schüttelte verwundert den Kopf. Sie wusste von der Abneigung Julians, Klaviermusik zu hören. Sie erinnerte ihn zu sehr an Ines.
Floria dachte, wenn dies das Ergebnis weniger Stunden im Kindergarten war, würde Julian es nicht schaffen, Katja vom Klavier fernzuhalten. Das Mädchen glühte vor Begeisterung. Sie spielte das einfache Kinderlied nicht nur herunter, sie begann zu interpretieren, spielte mal langsamer, mal schneller.
Ich muss dich davon überzeugen, dass du solch ein Talent nicht einfach brachliegen lassen darfst, mein Lieber. Sie beschloss mit Julian zu sprechen.
»Zeigst du mir noch mehr?«
»Ganz bestimmt, Katja. Aber erst will ich mit deinem Papa sprechen.«
»Er wird es nicht erlauben.«
Oh, doch meine Kleine. Glaub mir, er wird, wenn ich mit ihm fertig bin!
» Komm jetzt, Katie. Es ist Zeit, das Abendessen zu machen.« Vor der Zimmertür saß Ramses. »Was tust du hier? Du musst draußen bleiben.« Normalerweise gehorchte der Hund. Er durfte selten mit ins Haus.
»Er wollte die Musik hören. Er hat Mamá immer zugehört.«
»Deine Mamá hat Klavier gespielt?«
Katja nickte und schob die Küchentür auf.
»Emma, soll ich den Tisch decken?«
»Wenn du magst, kannst du mir dabei helfen.«
»Hast du die Musik gehört?«
»Ja, es war wunderhübsch.«
»Darf ich bei dir essen? Bei Dad gibt’s immer nur Nudeln.«
»Aha, du magst also meine Nudeln nicht?« Julian stand mit Florias Kleidertüte in der Tür.
»Oh, doch, aber nicht jeden Tag. Schau, Emma hat wieder Kartoffelsuppe gekocht.« Katja deutete auf ein Schneidebrett. »Und da liegen Würstchen. Die reichen für uns alle.«
»Hast du Emma gefragt?«
Dem Blick, mit dem Katja zu Emma aufschaute, hätte niemand widerstanden.
»Julian, es reicht für uns alle, wenn nicht, halte ich den Topf unter den Wasserhahn.« Emma zog ein Messer aus dem Block. »Eigentlich wollten auch Alex und Thomas noch kommen.«
Wie aufs Stichwort hörte man ein Auto vorm Haus halten und gleich darauf Türen schlagen.
Katja rannte los, um die Besucher zu begrüßen.
»Du verwöhnst sie«, sagte Julian.
»Ja«, meinte Emma, »dafür sind Großmütter da.«
Floria stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Sie dachte an das, was Katja ihr gesagt hatte. Ramses musste demnach mindestens fünf Jahre alt sein. Sie würde Emma fragen. Vielleicht wusste sie, warum Julian so ablehnend auf den Wunsch seiner Tochter reagierte.
Ihr Handy vibrierte. »Ich bin gleich da, wartet nicht mit dem Essen auf mich.«
Floria lachte. »Längst erledigt. Bis gleich, Susan.«
»Wann kommt Susan zurück?« Emma saß mit Julian am Küchentisch. Zwischen ihnen standen einige halbvolle Gläser und eine Flasche Rotwein. Daneben lag verwaist das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das sie mit Katja gespielt hatten.
»Sie sitzt im Taxi auf dem Weg hierher.«
Alex und Thomas hatten sich für ihre Schachpartie an den Tisch vor dem Sofa zurückgezogen, auf dem Katja inzwischen eingeschlafen war.
Thomas fragte: »Wer ist Susan?«
»Florias Freundin«, grummelte Alex. »Und nun konzentriere dich bitte auf deinen Zug. Du wirst mal wieder verlieren.«
Ramses schlug kurz an.
»Meine Güte, was für ein Monster. Haben Sie keine Angst, Julian, dass er Ihre Tochter eines Tages frisst?«
Susan stand in der Küchentür, erhitzt und strahlend. Sie entledigte sich ihrer hochhackigen Schuhe, indem sie einen nach dem anderen von den Füßen schüttelte, und warf den Mantel über den nächsten Küchenstuhl. Die Einkaufstüten ließ sie neben der Tür fallen.
Floria dachte, was für ein Auftritt. Du hast es wirklich drauf. Und du siehst aus wie eine Frau, die befriedigenden Sex oder einen ebenso befriedigenden Einkaufsbummel hinter sich hat. Ihr fiel der Tenor ein, mit dem sich ihre Freundin hatte treffen wollen. Vermutlich hattest du beides. Sie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
»Guten Abend, Emma.«
»Guten Abend, Liebes, wir haben eine Garderobe.«
Emma betrachtete die Unordnung, die Susan innerhalb von Sekunden um sich herum verbreitet hatte.
Susan lachte. »Entschuldige, Emma.«
Sie sammelte ihre Sachen zusammen und verschwand. Als sie wieder erschien, saß Thomas immer noch mit halb geöffnetem Mund auf seinem Stuhl. Das Schachspiel mit Alex hatte er vollkommen vergessen.
»Susan, das ist Doktor Müller, Emmas Hausarzt.«
»Thomas«, sagte er, als Susan ihm die Hand reichte.
»Susan.«
Julian schnappte sich seine verschlafene Tochter. »Nach Hause mit dir, mein Liebling.« Sie schlang ihre Arme um Julians Hals. Über seine Schulter hinweg sah sie zu Emma. »Darf ich morgen wieder kommen?«
»Ja, Katja, das darfst du.«
Floria begleitete die beiden bis zur Haustür. Ramses erhob sich und folgte Julian und Katja. Hatte er seine kleine Herrin adoptiert, nachdem ihre Mutter gestorben war? Rührend, dachte sie. Dieses graue Monster, wie Susan Ramses nannte, ließ Katja niemals aus den Augen, so, als argwöhnte er, er könne auch sie verlieren.
Floria schaute ihnen lange hinterher.
Mit Laura Sontheims Hilfe, der Unterstützung eines Stimmtrainers und eines Pianisten hatte Floria vor einigen Wochen begonnen, sich die Arien, die Christof ihr geschickt hatte, zu erarbeiten.
Zweimal in der Woche fuhr sie in die Stadt.
Wenn Laura nicht gewesen wäre, hätte sie aufgegeben. Die Lieder und Arien waren anspruchsvoll. Sie musste die Musik auswendig lernen, das dauerte lange und sie war nie mit sich zufrieden. Noch hatte sie mit Susan nicht darüber gesprochen. Sie wollte sicher sein, dass sie es schaffte, nicht aufzugeben, bevor sie es ihr sagte.
So als ob Christof sein Schicksal vorausgeahnt hätte, ging es, wie in den großen Konzertarien von Haydn, Beethoven, Mozart und Mendelsohn, um Sehnsucht und Liebe, Abschied und Tod. Komm zurück, mein Liebster.
Oft genug brach sie in Tränen aus, wenn sie die Texte las. Aber langsam brach ihr innerer Widerstand, sich der Realität seines Todes zu stellen.
Je mehr sie sich darauf einließ, desto besser ging es ihrer Stimme.
Dennoch, sie fiel immer wieder in tiefste Verzweiflung, was den Umgang mit ihr, weder für sie selbst, noch für ihre Umgebung, einfach machte.
Christof hätte sich gewünscht, dass sie sang. Und nun rang sie darum, seinen letzten Wunsch zu erfüllen.
Deine Stimme in meinem Herzen.
Die Straße vor ihr war leer. Sie stand noch vor der Tür und blickte in die Dunkelheit, in der Julian mit Katja und Ramses längst nicht mehr zu erkennen waren. Sie würde Katja vermissen. Die Klavierstunden mit ihr. Die Begeisterung dieses kleinen Mädchens hatte sie angesteckt. Sie erinnerte sie an die Leidenschaft, mit der sie selbst sich der Musik hingegeben hatte.
Alex und Thomas drängelten an ihr vorbei. »Gute Nacht, Floria.«
Floria verschloss die Haustür. Sie würde alle hier vermissen, wenn sie wieder anfinge zu arbeiten.
In der Küche hörte sie Emmas Gelächter.
»Ja, Susan, das solltest du tun. Ich habe auch den Eindruck, dass du ein ganz klein wenig heiser klingst. Thomas ist aber kein Hals-Nasen-Ohrenarzt.«
»Macht nichts. Ich werde mich morgen mal bei ihm anmelden.« »Brich ihm nicht das Herz.«
»Ich werde sehr vorsichtig sein, Emma. Versprochen.«
Ach Susan, dachte Floria. Du verliebst dich jeden Tag neu.