Читать книгу Floria Tochter der Diva - Ursula Tintelnot - Страница 17

Nur ein Sturz

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Floria hatte sich bei der Therapeutin angemeldet, nachdem sie festgestellt hatte, dass ihre gewohnten Stimmübungen ihr nicht weiterhalfen. Ihr fielen die Worte der Callas ein: ‚Nur ein glücklicher Vogel kann singen.’

Nein, sie war nicht glücklich. Sie machte lange einsame Spaziergänge über Stoppelfelder, vorbei an Feldern, die sich schon wieder grün von der Wintersaat färbten. Ganz selten ging sie in Stadt, wenn Emma sie bat, etwas zu besorgen. Oft saß sie in ihrem Zimmer und las oder hörte alte Aufnahmen. Sie schlief lange und ließ sich von Emma verwöhnen.

Das Haus roch vertraut nach Weihnachtsgebäck, Zimt und Vanille, Bienenwachs und dem Feuer im Herd.

Floria war so mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, wie schwer Emma manches fiel.

Eine Woche vor Weihnachten stürzte die alte Frau.

Floria hörte ihren Schrei und den blechernen Lärm des Eimers, mit dem sie Briketts aus dem Schuppen geschleppt hatte.

Sie sprang auf und hastete die Treppen in den Hof hinunter.

»Emma!« Julian und Katja waren noch vor ihr bei Emma. Ramses umrundete sie nervös.

»Sitz!« Der Hund gehorchte Katja sofort.

Der Blick, mit dem Julian ihr entgegensah, war ein einziger Vorwurf. Katja fing an zu weinen.

»Ist nicht schlimm, Katie, nur ein Sturz.« Emma lächelte mühsam.

Julian blaffte: »Stehen Sie nicht rum, rufen Sie einen Krankenwagen.«

»Keinen Krankenwagen, Julian, bitte!«

Julian betastete Emma vorsichtig, bevor er seinen Mantel über sie legte. »Wo tut es weh?«

»Nur die Hand. Ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist.«

»Das werden wir sehen.« Er hob Emma auf die Arme und trug sie ins Haus.

»Nein, Julian, nicht ins Bett. Bring mich in die Küche«, befahl Emma. Ihre Stimme klang schon wieder fester.

»Ich komme sofort«, hatte Thomas Floria versprochen und seinen Worten Taten folgen lassen. Zehn Minuten später stand er in der Tür. Das Stethoskop baumelte über der dicken offenen Winterjacke, den Arztkoffer stellte er neben dem Sofa ab.

Der Blick, mit dem er Floria bedachte, nachdem Julian erklärt hatte, dass Emma beim Brikett holen gestürzt war, konnte mit dem Julians durchaus mithalten.

Floria schwebte zwischen Scham und Wut. Sie fühlte sich Unrecht angegriffen. Emma hätte sie bitten können, die Briketts zu holen.

Aber ihr Gewissen sagte ihr: Du hättest besser auf sie achten müssen. Das hättest du freiwillig übernehmen können.

Da sie nicht gefragt war, beschloss sie Kaffee zu machen.

Sie überwand sich und fragte Katja: »Möchtest du einen Kakao?«

»Oh ja, bitte.«

»Emma, du musst deine Hand in den nächsten Tagen schonen. Ich gebe dir eine Schlinge, damit du sie hochhalten kannst. Du hast großes Glück gehabt.«

»Deine Enkelin …«, er sah Floria ziemlich unfreundlich an, »… kann sich um dich kümmern.«

Floria schwieg und ignorierte ihn.

»Jemand Kaffee?«

»Ja, bitte, Floria.«

»Nein, du nicht, Emma. Dein Blutdruck ist zu hoch. Da hast doch bestimmt einen Tee, der ihn ein wenig senkt?«

»Weißdorn, Melisse, Mistel«, kam es prompt von Floria. Vier Köpfe fuhren zu ihr herum.

»Bist du auch eine Heilerin, Floria?« Katja saß am Tisch und hielt ihren Kakaobecher mit beiden Händen fest.

»Nein, Katja.«

»Aber du bist auf dem besten Wege, Flo.«

Oh nein, Emma. Ich bin Sängerin. Floria wusste in diesem Augenblick, dass sie zumindest versuchen würde, wieder eine zu werden. Eine Begabung ist auch ein Verpflichtung, Floria Mura.

Alex kam, kurz nachdem Thomas gegangen war.

»Warum musstest du denn Briketts holen? Du heizt doch den Herd mit Holz?« Seine Sorge um Emma verbarg er hinter seinem Gepolter.

»Weihnachten wollte ich, wie jedes Jahr, im Esszimmer einheizen. Und der Ofen braucht nun mal beides«, fügte sie widerspenstig hinzu.

»Du rührst bis Weihnachten keinen Finger mehr, Emma. Die Vorbereitungen treffen Floria und ich. Ist das klar?«

»Aber …«

»Schweig und gehorche.« Er küsste Emma auf die Stirn und streichelte ihre Hand.

Alex hatte Floria keinen Vorwurf gemacht, weder mit einem Blick, noch mit Worten. Aber er hatte klargestellt, was in den nächsten Tagen zu geschehen hatte.

»Wen hast du denn dieses Jahr eingeladen?«

»Wie jedes Jahr, Alex. Julian und Katja, Thomas und dieses Jahr ist unsere Flo endlich wieder mal dabei.«

Ja, dachte Floria, in den letzten Jahren hatte sie an allen Festtagen des Jahres auf der Bühne gestanden. Das wäre mit einer Familie nicht zu vereinbaren. Familie, wünschte sie sich eine?

»Außerdem kommt Gisbert nach seiner Predigt. Diesmal lässt er den jungen Pastor die Mitternachtsmesse halten.«

Alex lachte. »Lässt er den Armen auch mal ran?«

»Ja, und mit Gisbert, dir und mir sind wir sieben.«

Floria zog einen Stuhl zum Sofa und setzte sich zu Emma und Alex.

»Ich habe noch nie eine Gans gebraten, Emma.«

»Dann wird es ja Zeit, Kind.«

Alex war für den Rest des Jahres in Emmas Haus gezogen. Er wollte bei ihr sein.

Seiner Meinung nach wäre diese unvernünftige Frau imstande, Dahlien und Gladiolenknollen aus der Erde zu ziehen und im Keller zu lagern.

»Das habe ich längst getan, Alex. Damit wartet man nicht bis Weihnachten.«

Auch wenn sie so tat, als sei es nicht nötig, dass er blieb, spürte Floria, wie sehr Emma sich über Alex Anwesenheit freute.

Nun saßen sie abends zu dritt oder zu viert in der Küche. Emma beschäftigte sich mit ihren Katalogen und bat Floria aufzuschreiben, welche Pflanzen sie für das nächste Jahr bestellen wollte. Die rechte Hand trug sie unter Alex strengen Blicken brav in der Schlinge. Thomas kam täglich, um nach Emma zu sehen und mit Alex Schach zu spielen.

Floria dachte: Du kommst auch, um nachzusehen, ob ich mich genügend um Emma kümmere.

Doktor Müller beobachtete, wie sehr sich Floria veränderte. Jetzt saß sie neben ihrer Großmutter und schrieb auf, was Emma ihr diktierte.

Von der hocheleganten, erfolgreichen Sängerin aus dem Hochglanzmagazin, das ihm Doktor Mendel gegeben hatte, war nur noch selten etwas zu sehen.

Wenn sie nicht gerade in karierten Männerhemden steckte, trug sie dicke Pullover über bequemen Hosen. Die wattierten Jacken aus der Gartenkammer, die sie für ihre langen Spaziergänge oder im Garten überzog, mussten uralt sein. Um den Kopf hatte sie ein buntes Tuch geschlungen, das ihre Haare bändigte. Ihr Gesicht bekam wieder Farbe. Er fragte sich, ob sie sich vernachlässigte oder einfach auf das ländliche Leben ohne Glamour einließ. Der Arzt in ihm sah jedenfalls mit Genugtuung, dass sie sich erholte. Nur die Melancholie in ihren Augen war nicht verschwunden.

»Wenn du dich mal auf unser Spiel konzentrieren könntest?«

Alex sah vom Schachbrett hoch.

»Oder willst du mich gewinnen lassen?«

»Entschuldige. Ich war in Gedanken.«

»Welche Richtung deine Gedanken nehmen, ist ziemlich leicht zu erkennen.«

Alex nickte. »Mir gefällt sie so auch besser.«

Eine leichte Röte überzog Thomas Gesicht.

Floria Tochter der Diva

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