Читать книгу Die Liebe stirbt im Weinberg - Ute Dombrowski - Страница 5

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Kommissarin Emma Gröhninger von der Polizeidirektion Rheingau-Taunus stand an ihrem Auto und tauschte die weißen Turnschuhe gegen rote Gummistiefel mit gelben Sternen. Das Gewitter der letzen Nacht hatte den Boden des Weinbergs aufgeweicht. Sie stapfte durch die Reihen, bis Robert Rengsinger von der Spurensicherung sie aufhielt. Er arbeitete heute allein. Meist gab es in dieser Gegend nur Einbrüche oder andere kleinere Delikte, um die sich die Kommissare kümmerten. Die großen Fälle gingen direkt nach Wiesbaden.

„Eine riesige Sauerei ist das hier!“, rief er erbost.

Der kleine dicke Mann mit Halbglatze und randloser Brille meinte damit keineswegs den Toten und das Blut, sondern die vom Regen verdorbenen Spuren.

„Starkregen und Hagel. Ha! Dass ich nicht lache“, wetterte er weiter. „Ausgerechnet in so einer Nacht muss der Typ einen umbringen.“

„Wissen wir denn schon, dass es Mord war?“

Emma hatte gar keine Lust, an einem Sonntag das volle Programm durchzuspielen, aber sie hatte nun mal Dienst und sich mürrisch auf den Weg gemacht, als der Anruf von der Zentrale kam.

„Mord? Ha! Natürlich war es Mord. Oder denkst du, ein Wanderer trabt nachts durch die Weinberge und schneidet sich selbst die Kehle durch? Ich hätte an einem Samstagabend etwas anderes zu tun.“

Emma musste grinsen. Sie wusste, dass Robert samstags mit einem Bier und Chips vor dem Fernseher hockte und nichts weiter zu tun hatte, seit seine Frau das Weite gesucht hatte. Er tat immer so, als würde es ihm nichts ausmachen, aber Emma wusste, dass er unter der Trennung litt. Er war ein ausgezeichneter Kollege, doch außerhalb des Dienstes wusste er nichts mit sich anzufangen.

„Was wissen wir über den Mann?“

„Ein Mann halt. Dreißig plus minus würde ich sagen. Er ist nass wie eine Katze. Ein Wunder, dass er nicht mit Wasser vollgelaufen ist. Aber das liegt sicher daran, dass er auf dem Bauch lag. Der Winzer hat ihn heute früh gefunden, als er schauen wollte, ob das Gewitter irgendwelche Schäden angerichtet hat. Er hat ihn umgedreht und zwischen die Weinstöcke gekotzt. Danach ist er zusammengeklappt. Die Sanis haben ihn ins Krankenhaus gebracht.“

Na prima, dachte Emma, auf Kotze hatte sie jetzt so gar keine Lust. Schließlich hatte sie noch nicht gefrühstückt. Ein Kaffee musste morgens reichen. Sie strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht und trat zu dem Opfer. Emma kniff die blauen Augen ein wenig zusammen, als Robert den Reißverschluss des Leichensackes aufzog. Er reichte ihr einen Zettel mit dem Namen des Winzers.

Emma wandte sich schnell wieder ab. Eine tiefe Wunde klaffte am Hals des Opfers. Sie schüttelte sich. Eigentlich hatte sie, obwohl sie erst achtundzwanzig Jahre alt war, schon einige Leichen gesehen, aber es berührte sie immer noch heftig, dass es Menschen gab, die andere so grausam zurichteten. Sie war froh, dass sie noch nicht abgestumpft war. Wenn sie eines Tages nichts mehr empfand als Gleichgültigkeit, würde sie sich in den Innendienst versetzen lassen.

Ein Auto hielt unterhalb des Weinberges. Es war der rote Sportwagen ihres Partners Paul Schegerts. Er war vor einigen Wochen dreißig geworden und dachte seitdem, dass das Leben bald vorbei ist. Da­rum hatte er sich vorgenommen, jedes Wochenende ausgiebig zu feiern. So, wie er aussah, hatte er das gestern auch getan. Er hatte Mühe, die braunen Augen mit den langen Wimpern offen zu halten. Sein kastanienbraunes Haar, das bis zu den Schultern reichte, hatte er auf die Schnelle mit einem Gummi zusammengebunden. Der Dreitagebart war eher fünf Tage alt. Mit seinen weißen Turnschuhen trabte er durch den Matsch und Emma hört ihn schon von Weitem fluchen.

Eigentlich sah Paul sehr gut aus. Er war ein schlanker, durchtrainierter Kampfsportler, dem die Frauen hinterherschauten. Aber heute Morgen war er ungepflegt und roch so abgestanden und ranzig wie ein schales Bier neben kalt gewordenen Zigarettenstummeln. Emma runzelte die Stirn und hielt unmerklich die Luft an.

„Scheiße“, sagte er.

Emma stieß ihm unsanft in die Seite.

„Ja, auch schön, dich zu sehen. Guten Morgen! Wir haben einen ermordeten Mann.“

„Na toll, konnte man den nicht unter der Woche ermorden? Ich hatte gestern so viel Spaß wie lange nicht mehr.“

„Das sieht man. Und man riecht es. Konntest du denn schon Auto fahren mit dem Restalkohol?“

„Quatsch nicht. Sag mir lieber, was hier los ist!“, ranzte Paul seine Partnerin an.

Emma fasste kurz zusammen, was sie schon wusste. Dann ging sie zum Auto zurück, schlüpfte aus den Stiefeln, steckte sie in eine Tüte, damit ihr Kofferraum nicht schmutzig wurde und zog die Turnschuhe an.

Paul war hinter ihr her gelaufen. Er klopfte seine schmutzigen Schuhe gegeneinander, nachdem er sich auf eine Bank am Wegesrand gesetzt hatte. Zu spät bemerkte er, dass das Holz vom Regen durchtränkt war und fasste sich fluchend an den nassen Hintern.

„Was für ein Scheißtag“, murmelte er sauer.

„Komm, du Wrack, wir gehen Kaffee trinken“, forderte Emma ihn auf. „Danach fahre ich ins Krankenhaus und du gehst am besten duschen.“

Hintereinander fuhren sie ins Büro. Nach einer großen Tasse mit starkem Kaffee und viel Zucker sah die Welt für Paul schon wieder besser aus. Er trank aus, spülte die Tasse, trocknete sie ab und stellte sie wieder ins Regal. Paul wusste, dass Emma allergisch gegen Unordnung war. Er dachte immer: Wer weiß, was sie damit kompensieren muss. Sie arbeiteten schon fünf Jahre zusammen, aber er wusste fast nichts über ihr Privatleben. Sie lebte allein und war damit glücklich und zufrieden. In ihrem Job war man allein sowieso besser dran. Und obwohl Emma eine atemberaubend schöne und kluge Frau war, hatte er noch nie einen Annäherungsversuch unternommen. Sein Motto war: Niemals auf der Arbeit ficken. Das brachte nur Unruhe.

Die beiden kamen gut miteinander aus. Emma arbeitete gerne mit Paul zusammen. Mehr kam für sie nicht infrage. An einer Beziehung oder auch nur an Sex war sie nicht interessiert. Wenn sie nach Hause kam, wollte sie entspannen. Sie las viel, schaute ger­ne Horrorfilme und ging ab und zu essen oder etwas trinken.

Mona war ihre beste und einzige Freundin, seit sie Kinder waren, aber sie hatte einen Mann und zwei Kinder. Damit fehlte ihr oft die Zeit für einen Frauenabend. Ab und zu trafen sie sich zum Kaffeetrinken, aber entweder war Mona in Eile oder die Kinder waren dabei. Das ging Emma dann schnell auf die Nerven, denn die beiden sechs- und achtjährigen Jungen wurden antiautoritär erzogen und bestimmten das Leben ihrer Eltern wie kleine Terroristen. Man tat, was die Kinder wollten. Emma atmete jedesmal auf, wenn sie wieder ihre Ruhe hatte.

Die Liebe stirbt im Weinberg

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