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Kapitel 10: Malcolm, der Alchemist

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Malcolm pfiff fröhlich vor sich hin. Seit er in seiner frühesten Jugend in das fleckige Gesicht seines verstorbenen Vaters geblickt hatte, hatte ihn der Gedanke beherrscht, dass der Geschmack des Todes das Leben verdirbt. Die Fülle des Lebens ist wundervoll. Doch was nutzt das, wenn der Mensch nach einem flüchtigen, kurzen Glück wenige Jahre später zu einem ausgebrannten Wrack wird, seine Muskeln erschlaffen, seine Zähne ausfallen und seine Kerze erlischt? Er konnte nicht begreifen, wie es die Menschen fertig brachten, nach Reichtum und Macht zu streben, sich zu schmücken und zu dekorieren, zu heiraten, Kinder zu zeugen, zu arbeiten, zu reisen, sich zu vergnügen, Bücher zu schreiben und zu lesen, zu heilen, zu lehren und zu predigen, wo doch ihr Leben jeden Augenblick zu Ende sein oder höchstens einige Jahrzehnte dauern konnte. Immer wieder sahen sie bei Beerdigungen im Antlitz der Toten ihr eigenes Todesurteil, aber sie lebten unbeeindruckt weiter, blieben in ihren Häusern, bei ihren Familien und ihrer Arbeit. Niemand brach auf, um irgendwo nach dem Elixier zu suchen, das ewige Jugend und Lust verleiht. Was ist diese ganze Welt wert, wenn man sterben muss, fragte er sich. Egal, wie schwer es auch sein mochte, es zu bekommen, wenn es schwerer sein sollte, als die größten Schätze der Erde zu erringen oder die höchste Macht zu erlangen, er würde es sich beschaffen.

Er hatte keine Ahnung gehabt, was und wo er suchen sollte, bis ihm eines Tages in der Bibliothek seiner Universität das Buch „De Alchimia“ in die Hände gefallen war. Da war eine Tür für ihn geöffnet worden, durch die er mit klopfenden Herzen gegangen war und auf dem dahinter liegenden Pfad er bis heute wandelte. Er hatte sich eine asketische Lebensweise angewöhnt, die sich ausschließlich auf Gemüse und Obst beschränkte und absolvierte täglich im Morgengrauen schwierige Konzentrationsübungen wie das Erzeugen eines minutenlangen Gedankenstillstands. Viele Nachmittage, Abende und Nächte verbrachte er in seinem geheimen Labor in einer Höhle unter seiner Burg, von dessen Felsendecke teure Spiritusbrenner baumelten, deren Flammen all die Tiegel aus gebranntem Ton, die Wasserkessel, Erzgefäße, Rührgeräte, Feuerzangen, Säurebehälter, die Gefäße voll von Blei, Eisenspänen und Zinnober, die Dampfleitungen und Blasebälge, all diese Gerätschaften, mit denen er stundenlang experimentierte, in ein gleißendes Licht tauchten.

Eines Nachts, als er bereits hundemüde war, ein Experiment aber unbedingt noch beenden wollte, war es passiert: er hatte einen Tiegel überhitzt, der war explodiert und flüssiges, siedend heißes Blei war ihm ins Gesicht gespritzt. Der Schmerz war höllisch gewesen. Schlimmer noch waren jedoch die furchtbaren Narben, die von da an sein Gesicht entstellten. Doch dieser Unfall hatte ihn erst recht angespornt, weiter zu machen. In alle Teile Europas reiste er, um sich mit anderen Alchemisten zu treffen und Bücher über Geheimlehren und Alchemie aufzuspüren. Durch jahrelange Studien und Experimente hatte er sich mit verschiedenen Arten der Magie und der Kabbala vertraut gemacht. Indische- und tibetanische Yoga-Übungen hatte er so lange trainiert, bis sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen waren und er jederzeit den Zustand der absoluten Entspanntheit erreichen konnte, der unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg der Transmutation war.

Erst nach vielen, trotzdem vergeblichen Versuchen hatte er begriffen, wie wichtig für das Gelingen der Erzeugung des Elixiers auch jener Zeitpunkt war, an dem die „Empfängnis“ im Rahmen der richtigen kosmischen Konstellationen stattfinden konnte. Auch war ihm klar geworden, dass vor dem großen Ereignis auch bei ihm selbst eine Transmutation auf allen drei Ebenen stattfinden musste. Nach den Adepten der Alchemie muss alles sterben und verwesen, bis es auferstehen kann. Auf physikalischer Ebene ist die Transformation das Gegenteil der Zeugung und Geburt. Dazu ist die Verbindung des femininen und maskulinen Prinzips erforderlich, die chemische Hochzeit. Sie schließt in der Materia Prima den Geist aller physischen und astralen Fähigkeiten des Magiers ein und dieser Geist wird ihm dienen und alle Wünsche erfüllen. Malcolm wusste, dass er nur dann den Stein der Weisen erzeugen können würde, wenn er das Streben nach Macht und die selbstsüchtige, bedingte Liebe vollständig abgelegt hatte.

Endlich hatte er es geschafft und das Prinzip der vierten Ebene realisiert, die bedingungslose Liebe, indem er sie mit Akira leben konnte. Sie hatte sein selbstloses Angebot angenommen. Damit war er bereit für die fünfte Ebene, die ihn zum Magier werden lassen und ihm die Fähigkeit zur Erzeugung des Steins der Weisen verleihen würde. Sie waren jetzt offiziell verlobt, und in drei Tagen sollte die Hochzeit stattfinden. Sogar Robert McLeod war ganz begeistert von ihrer Verbindung, besonders, seit Malcolm ihm zugesichert hatte, ihm großzügig unter die Arme zu greifen und die zusätzliche Steuer für ihn zu zahlen. Die Zahlung der willkürlich vom Earl festgesetzten Nachzahlung hätte ihn sonst ruiniert.

Während er versonnen einen Kolben mit bernsteinfarbiger Flüssigkeit im Sonnenlicht schwenkte, bemerkte er, dass sich die Melodie seines gepfiffenen Liedes verändert hatte und schwermütig zu werden drohte. Er verstummte, schüttelte den Kopf und wies sich selbst zurecht. Nein, es gab keinen Grund für Melancholie.

Zwar wusste er, dass Akira ihn nicht liebte. Es waren Sympathie und Freundschaft, die sie verbanden. Aber ihr Herz gehörte Iain McCrimmon. Das war Malcolm während all der Jahre, in denen er sie beobachtet hatte, nicht entgangen. Und dass sie in die Ehe mit ihm so schnell eingewilligt hatte, hatte nur seinen Verdacht bestätigt, dass diese junge Liebe auch ihre körperliche Erfüllung gefunden hatte und Akira schwanger war. Malcolm war ein aufmerksamer Beobachter und hatte ihre tiefe Verzweiflung nach Iains Verschwinden ebenso bemerkt wie ihr körperliches Aufblühen in den vergangenen Wochen. Es machte ihm nichts aus, einen in Liebe gezeugten Sprössling der Frau, die er liebte, wie seinen eigenen aufzuziehen. Er liebte sie tief und aufrichtig und selbstverständlich auch die Frucht ihres Leibes, wobei es ihn nicht im Geringsten störte, dass nicht er den Samen dazu gespendet hatte.


Kapitel 11: Der Heiratsantrag des Alchemisten Selten hatte ein Tag auf der Isle of Skye so drückend begonnen. Tief liegende Wolkentürme dämpften sogar das Zwitschern der Vögel, als Akira in einem prachtvollen Kleid zusammen mit Malcolm vor den Altar der Kapelle trat. Eine gewaltige Menschenmenge hatte sich im Burghof versammelt, um bei offener Kapellentür mitzuerleben, wie die beliebte Tochter Robert McLeods dem allseits geschätzten Nachbarn das Ja-Wort gab. Im großen Saal wurde die Festtafel bereitet, während die im Hof stehenden Gäste sorgenvoll die Blitze beobachteten, die den Himmel über dem Firth durchzuckten. Vor dem Altar lächelte Malcolm Akira aufmunternd zu. Doch seine wunderschöne Braut mit den zu einer kunstvollen Hochfrisur geformten wallenden schwarzen Haaren war sowieso ganz ruhig. Akira hatte ihre spontane Entscheidung in Ruhe noch einmal überdacht und sich mit ihr angefreundet. Ihr Los als uneheliche Mutter hätte weitaus schlimmer sein können als den sie liebevoll ansehenden Malcolm zum Ehemann zu bekommen. Am Tag nach dem fluchtartigen Rückzug des Earls hatte sie Malcolm bei einem Spaziergang ihre Schwangerschaft verraten. Schon der Umstand, dass es möglich war, ihm zu beichten, dass sie ein Kind von Iain unter dem Herzen trug, war ein Geschenk, das dadurch umso größer wurde, weil er ihr ruhig antwortete: „Meine Liebe, ich danke dir für deine Offenheit und dein Vertrauen, das ich niemals missbrauchen würde. Mir ist vollkommen bewusst, welches Risiko du eingegangen bist, wenn ich dich zurückweisen würde.“ Akira errötete, denn eine Zurückweisung hatte sie durchaus gefürchtet. Nur – mit einer Lüge wollte sie ihre Ehe nicht beginnen. In dem Fall wäre sie noch heute von Dunvegan geflohen. Allerdings wusste sie genau, dass die Aussichten für ein alleine herumziehendes junges Mädchen in diesen rauen Zeiten alles andere als rosig waren, zumal mit einem dicken Bauch. Niemand stellte gerne eine Magd mit einem unnützen Esser ein. Gespannt wartete sie auf seine nächsten Worte. „Ich wusste es bereits. Ich habe dich immer im Auge gehabt, weil ich dich seit langem liebe, jede noch so winzige Veränderung habe ich registriert. Natürlich sind mir auch dein kleines Bäuchlein und der schwellende Busen nicht verborgen geblieben. Nichts ändert sich an meinem Entschluss, dich zu heiraten und alles zu tun, um dich glücklich zu machen. Deinem Kind werde ich ein so guter und liebevoller Vater sein als wäre es mein eigenes. Und dir so viel Ehemann, wie du zulässt.“ Akira hatte ihn angestrahlt und ihn spontan umarmt. Er küsste sie sanft auf die Wange. Sie blickte in seine warmen Augen und ihr war klar geworden, dass sie großes Glück gehabt hatte, einen so wundervollen Mann zu finden. So sagte sie voller Überzeugung: „Ja, ich will“, als der Priester sie fragte, ob sie vor Gott bereit sei, die Ehefrau des Malcolm McCullum zu werden. Auch Malcolm sprach feierlich diese Worte. Akira bot ihm mit geschlossenen Augen ihre Lippen zum Kuss und fühlte seine schmalen leicht ihre vollen berühren. In diesem Augenblick ließ ein gewaltiger Donnerschlag die Mauern der Burg erzittern und der Himmel öffnete alle Schleusen.


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