Читать книгу Love and Glory - Liebe und Ruhm - Uwe Woitzig - Страница 6
Kapitel 4: Ursache und Wirkung
ОглавлениеAkira saß in ihrem Turmzimmer in sich versunken über ihre morgendliche Näharbeit gebeugt, als sie plötzlich einen ungewöhnlichen Lärm im tief unter ihr liegenden Hof vernahm. Sie hörte Waffen klirren und vernahm das wütende Gebrüll ihres Vaters, dessen Stimme sie sofort erkannte, obwohl sie sich vor Zorn fast überschlug. Schnell eilte sie ans Fenster und sah zu ihrem Entsetzen, wie Iains Vater gefesselt und von zwei Folterknechten gehalten vor ihrem Vater stand, der vor ihm stand und ihn anbrüllte. Sie verstand nur einzelne Wortfetzen, die keinen Sinn ergaben, und hatte keine Ahnung, was los war. Sie ließ das Hemd ihres Vaters, an dem sie gerade nähte, fallen und rannte die Turmtreppe hinab. Kurz darauf kam sie atemlos im Hof an. Entsetzt wurde sie Zeuge, wie die beiden Folterknechte Iains Vater zum Pranger zerrten und ihn dort festbanden. Sie zerrissen ihm sein Gewand und entblößten seinen Rücken.
Einer von ihnen entrollte eine Peitsche von seinem Gürtel und stellte sich seitlich neben den Delinquenten. Der Scherge blickte erwartungsvoll zu McLeod, der sich vor dem Pranger aufgebaut hatte, während immer mehr Bewohner des Schlosses zusammenliefen und einerseits fassungslos und entsetzt andererseits auch seltsam fasziniert die Szene beobachteten. Der Hof hatte sich restlos gefüllt und alle Bewohner waren anwesend. McLeod nickte mit dem Kopf. Sofort holte der Knecht aus und ließ die Peitsche auf den Rücken von Iains Vater knallen, auf dem sich sofort ein blutiger Striemen zeigte, als die Haut aufplatzte. Weiter 29 Hiebe folgten, die die im Hof versammelte Menge laut mitzählte.
Akira beobachtete voller Abscheu, wie die Augen ihres Vaters lustvoll glitzerten, wenn wieder einmal die gnadenlose Peitsche die Haut zerfetzte. Doch unvergesslich würde ihr immer das sanfte Lächeln auf den Zügen von Iains Vater bleiben, der die Tortur ohne einen Schmerzenslaut ertrug und den ab dem 9. Hieb eine gnädige Bewusstlosigkeit von seinen Qualen erlöste. Suchend blickte Akira sich um und sah Brian, den Koch, der ihr einziger Vertrauter aus dem Umfeld ihres Vaters war.
Sie eilte zu ihm.
„Was ist hier los? Was hat Iains Vater getan?“ fragte sie ihn leise.
„Er hat seinem Sohn bei seiner Flucht geholfen, der anscheinend heute Nacht weggerannt ist“, flüsterte dieser zurück und sah sie traurig an.
Akira gefror das Blut in den Adern. Was für eine entsetzliche Nachricht. Iain geflohen? Das durfte nicht wahr sein. Sie fühlte wie ihre Augen feucht wurden. Durch ihren Tränenschleier sah sie, wie Iains Vater bewusstlos ins Haus des Feldschers getragen wurde. Verzweifelt wie sie war, schwor sie sich, dass Iain das niemals erfahren durfte. Auch wenn er es immer vor ihr zu verheimlichen versucht hatte, hatte sie wohl bemerkt, wie seine Augen jedes Mal vor Hass gefunkelt hatten, wenn er ihren Vater erblickte. Da musste es ein dunkles Geheimnis geben und irgendwie ahnte sie, dass er aus welchen Gründen auch immer ihren Vater für den Tod seiner Mutter verantwortlich machte. Wenn er jemals erführe, dass ihr Vater seinen Vater hatte auspeitschen lassen, würde er bestimmt versuchen, ihn umzubringen. Und das durfte sie auf keinen Fall zulassen, wobei ihr durchaus klar war, dass es ihr weniger um ihren Vater, sondern vielmehr um die Konsequenzen für Iain ging. Besorgt sah sie, wie sechs Reiter ihres Vaters in vollem Galopp zur Burg hinaus ritten, offensichtlich, um die Verfolgung Iains aufzunehmen. Während sie langsam zu ihrem Turmzimmer hinaufstieg, betete sie, dass sein Vorsprung ausreichen würde, um ihnen zu entkommen, und sie schwor sich, dass sie ihm bei der erstbesten Gelegenheit folgen würde. Sie würde ihn schon finden, denn sicher hatte er ihr um ihrer leidenschaftlich entflammten Liebe willen eine Botschaft hinterlassen. Sie dachte an den Tag vor ein paar Wochen, an sie nach einem Wettrennen lachend und keuchend in der Wiese lagen. Iain hatte sich über sie gebeugt und ihr einen Kuss gegeben, den sie zärtlich erwidert hatte. Beim staunenden Erkunden des Gegenübers mit Mund und Händen war es nicht geblieben. Etwas linkisch, aber voller Zärtlichkeit hatten sie erstmals den Gipfel der Leidenschaft erklommen und von da an bei jeder Gelegenheit diese wundervolle Erfahrung wiederholt. Akira lächelte glücklich bei der Erinnerung daran und flüstere leise: „Ich werde auf dich warten und dich immer lieben, Iain.“
Weder Akira noch sonst jemand hatte Leslie bemerkt, der am Erkerfenster seiner Wohnung entsetzt die Vorgänge im Hof beobachtete und stumm in sich hinein schluchzte. Seine heile Welt war vollkommen auseinander gebrochen. Der geliebte Bruder war geflohen und sein Vater deswegen öffentlich ausgepeitscht worden. Leslie wusste gerade nicht, wen er deswegen mehr hassen sollte: seinen Bruder, der die Ursache war, oder den Clanchef, der seinen unschuldigen Vater so grausam bestrafte. Leise schluchzend legte er sich auf das Bett Iains, atmete dessen Körpergeruch ein und weinte, bis er sanft in einen unruhigen Schlaf hinüberdämmerte.