Читать книгу Love and Glory - Liebe und Ruhm - Uwe Woitzig - Страница 13
Kapitel 12: Iains neue Welt
Оглавление„Du darfst bei allen Transaktionen niemals die Zinsen und Zinseszinsen aus dem Blick verlieren. Alles Geld, das du bewegst, ist nicht nur die Summe, die auf dem Papier steht. Es geht um viel, viel mehr. Das ist wie im Leben auch – jede deiner Entscheidung hat Auswirkungen auf vielen Ebenen, ebenso verhält es sich bei finanziellen Transaktionen, die sogar den Tod eines Menschen verursachen können. Entscheidend für das Ergebnis sind daher immer die Motive deines Handelns.“
Iain liebte es, wenn Bruder William ins Dozieren geriet, dabei mit den Händen fuchtelte, sich sein strammer Bauch schüttelte und er seine Lebensweisheiten verbreitete, die zwar in keinem der Lehrbücher standen, ihm aber vieles klarer werden ließen. Was hatte er nicht schon alles gelernt in den vergangenen Jahren, seit er am Hofe des Erzbischofs von York aufgenommen worden war. Gut, der Erzbischof hatte ihn nur als Novizen ohne Lohn akzeptiert, doch Bruder William hatte ihm erklärt: „Du hast freie Kost und Logis und wirst gut gekleidet. Du musst auch kein Priester werden. Der Erzbischof hat dich mir als Schüler zugeteilt und ich werde dich gemäß deinen Talenten in das weltliche Wissen und das Finanzwesen einführen. Die zusätzlichen Gebete und theologischen Studien werden deiner Entwicklung sicher nicht schaden.“
Iain hatte eingewilligt, nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen. Schon nach kurzer Zeit war er sich bewusst, dass er es hätte weitaus schlechter treffen können. Schon bald war ihm der Tagesablauf in Kloster, dessen Rhythmus von den Gottesdiensten bestimmt wurde, in Fleisch und Blut übergegangen. Allzu viel Schlaf bekam er dabei nicht ab. Um 5 Uhr war die Nacht vorbei. Die Mönche und Novizen trafen sich zum Morgengebet und anschließenden Exerzitien, die bis 9 Uhr dauerten und die Iain mit knurrendem Magen durchhalten musste. Das machte ihm inzwischen nichts mehr aus, wurde er doch durch die sagenhafte Anzahl der Bücher entschädigt, die ihm nach dem Frühstück in der erzbischöflichen Bibliothek zur Verfügung standen. Eine solche Ansammlung von Wissen hätte Iain sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, und dabei hatte William ihm versichert, dass diese Bibliothek bei Weitem nicht die größte der Welt, nicht einmal die größte Englands sei. Iain fühlte sich mit einem Mal wie ausgehungert. Nicht etwa körperlich, denn das Essen, das drei Mal täglich im Refektorium aufgetischt wurde, war nahrhaft und reichlich. Sein Geist verzehrte sich nach Nahrung, die ihm auf Dunvegan Castle nur sehr spärlich von seiner bemühten, doch im Verhältnis zu den hier vorhandenen Erkenntnissen über das Leben und die Welt eher bescheiden gebildeten Mutter vermittelt worden war.
Neben Bruder William gab es noch Bruder Donald, der die Bibel und kanonisches Recht unterrichtete, sowie drei weitere Brüder, die Iain als Lehrer zur Verfügung standen. Er hielt sich dennoch weitgehend an William, der offensichtlich der Belesenste war und von seinen Mitbrüdern oft zu Rate gezogen wurde. William war es auch, der die überragenden mathematischen Fähigkeiten seines Schützlings entdeckt hatte.
„Iain, du wirst ab sofort zwei Drittel deiner Studienzeit damit verbringen, die Geheimnisse des Finanzwesens zu erlernen. Du hast eine außergewöhnliche Begabung für Mathematik“, hatte William daraufhin entschieden.
Iain war sofort einverstanden gewesen. Er hatte es auf Dunvegan Castle hautnah erlebt: Geld verlieh Macht. Nie würde er Robert McLeods Hilflosigkeit und Entsetzen vergessen angesichts der Verkündigung des Earl of York, dass er sofort die Steuern zu bezahlen habe, anderenfalls er seinen Besitz pfänden würde. Er stellte sich gerade maliziös grinsend vor, wie der mächtige Clanchef ihm eines Tages ebenso unterwürfig gegenüberstehen würde, als ihn die dröhnende Stimme Bruder Williams aus seinen Gedanken riss: „Iain McCrimmon, wo bist du? Glaubst du tatsächlich, du könntest träumen, während ich mich bemühe, logische Gedanken in dein Hirn zu bekommen?“
Iain fühlte sich ertappt, wurde rot und beeilte sich angesichts der wütenden Miene Bruder Williams, eine Entschuldigung zu stammeln. Der gutmütige Mönch hatte sich wieder beruhigt und winkte ab.
„Genug für heute. Du bekommst jetzt Gelegenheit, mich zum Earl of York zu begleiten, dem obersten Steuereintreiber seiner Majestät. Er war gerade auf einer Reise durch Schottland und hat vermutlich auch die Isle of Skye Station besucht. Ich werde ihn für dich ein wenig ausfragen, um zu hören, was es dort für Neuigkeiten gibt. Du aber sagst kein Wort, verstanden, Ethan McLaughlin?“
Bruder William rief ihm ins Gedächtnis, dass er es für angebracht gehalten hatte, nur dem Erzbischof die wahre Identität Iains zu offenbaren. Für den Rest der Welt, die bis jetzt nur aus seinen Mitbrüdern bestand, war er Ethan, Sohn eines Braumeisters aus einem kleinen Nest am Loch Ness. Wenig später ging der hoch aufgeschossene Iain in seiner braunen Novizenkutte hinter dem schwarz gewandeten William über den Hof. Was für ein Zufall, dass er soeben noch an den Earl gedacht hatte. Was würde er wohl zu berichten haben?
Iain dachte daran, wie er den Earl das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, als er damals mit seiner Eskorte in den Festsaal von Dunvegan geritten war. Er hatte nie mit ihm gesprochen. Anders als Akira. Doch die hatte jedes Mal verächtlich die Nase gerümpft und geschwiegen, wenn er sie nach dem Earl ausfragen wollte.
Akira! Sie fehlte ihm so sehr. Vor allem abends, wenn er auf seiner harten Pritsche lag, quälten ihn die Gedanken an ihre weichen Lippen und ihren warmen Körper. Auch ihre fröhlichen und harmonischen Gespräche vermisste er, und er sehnte sich nach ihrer Schlagfertigkeit und ihrem schwarzen Humor. Schnell konzentrierte er sich wieder auf die bevorstehende Begegnung und verdrängte die schmerzlichen Erinnerungen an sie.
*
Bruder William stieg die Stufen zu den Empfangsräumen des Bischofs hinauf und ließ sich von einem vor der Tür postierten Wächter ankündigen. Jemand rief ihre Namen und sie betraten den Raum. Der Erzbischof und der Earl saßen an einem Tisch in der Mitte des Raumes und sahen ihnen erwartungsvoll entgegen. William verbeugte sich. Iain tat es ihm gleich und beobachtete aus den Augenwinkeln, dass William nur leicht den Oberkörper neigte. Der Erzbischof hatte es ebenfalls bemerkt: „Bruder William, plagt Euch wieder der Hexenschuss? Ihr solltet unverzüglich Bruder Peter in seiner Apotheke aufsuchen und Euch eine seiner Wundersalben geben lassen. Jetzt kommt näher und stellt unserem alten Freund euren Begleiter vor.“
„Darf ich Euch meinen Novizen vorstellen, verehrter Earl? Sein Name ist Ethan McLaughlin, ein sehr begabter Mathematikus. Wenn er weiterhin so fleißig studiert, wird er einmal zu einem wichtigen Berater in allen Finanzbelangen des Klosters werden.“
Iain verbeugte sich erneut. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, fand er ein zusammengekniffenes Augenpaar in einem einer Ratte nicht unähnlichen Gesicht auf sich gerichtet, das ihn prüfend und misstrauisch musterte.
„McLaughlin heißt der Junge?“ sagte der Earl mit seiner hohen Fistelstimme gedehnt. „Ein Schotte also. Es freut mich, dass Ihr endlich einen Mann gefunden habt, der Euren hohen Ansprüchen in Sachen Finanzwesen genügt, Bruder William. Auch wenn er noch recht grün hinter den Ohren zu sein scheint.“
„Bruder Ethan ist 20 Jahr alt“, erwiderte William, und wieder sah der Earl Iain mit seinen verschlagenen Augen prüfend an. „Sein Verstand gereicht manch Älterem zum Vorbild. Doch jetzt erzählt von Euch. Wie war Eure Reise durch Schottland? Habt Ihr den geleerten Beutel des Königs wieder anständig auffüllen können?“
„Das habe ich in der Tat.“
Der Earl nahm begierig sein Lieblingsthema auf. „Die erneute Erhöhung der Malz- und Whiskysteuer belebt den Staatshaushalt nicht unmaßgeblich. Der König ist mir sehr dankbar für diese Idee und meine Tatkraft und Entschlossenheit bei ihrer Umsetzung. Zwar treffen wir immer öfter auf Widerstand von zahlungsunwilligen Schotten. Bisher ist es uns noch immer gelungen, sie durch unsere Übermacht von gut gerüsteten Soldaten zu überzeugen. Ein störrischer Esel muss eben geprügelt werden, damit er sich bewegt.“
Sein affektiertes Englisch irritierte Iain. Nach einem boshaften Lächeln über seinen Vergleich fuhr er fort: „Dass dabei meine Beliebtheit bei ihnen ein wenig gelitten hat, gehört zu den Risiken, die nun einmal mit meinem Amt verbunden sind. Sie fürchten und sie hassen mich. Einen besonders widerspenstigen Clanchef mit Namen Robert McLeod, haben mein Erscheinen und meine ihm verkündete Steuernachzahlung derart aufgeregt, dass er vor Wut nur knapp am Schlagfluss vorbeiging. Wir hatten ich, einen überraschenden Besuch abgestattet, bei dem ich mit meiner Eskorte auf der Isle of Skye in die Verlobungsfeier seiner Tochter platzte, die diese mit einem anderen Feind der Krone, einem gewissen Malcolm McCullum, bei einem großen Bankett und vielen Gästen feierte. Nachdem ich McLeod mitgeteilt hatte, dass er innerhalb von einer Woche eine erkleckliche Nachzahlung zu leisten habe, griff er sich ans Herz und wurde schreckensbleich. Dabei hätte er sich gar nicht so aufregen müssen. Sein Schwiegersohn hat alles für ihn bezahlt. Zu seinem Glück. Hätte ich die Steuersumme nicht bekommen, hätte ich sein Schloss angegriffen und es dem Erdboden gleich gemacht, nachdem ich vorher alles herausgetragen hätte, was einen Wert besaß.“
Iain war völlig verblüfft, als er den Hass spürte, der aus den Worten des Earls sprach. Dann versteinerte er innerlich, als er begriff, dass es um Akira ging, die sich anscheinend verlobt hatte. Der Erzbischof, den die von Wut und Stolz triefende Tirade des Earls über seine Heldentaten langweilte, unterbrach den Earl.
„Ihr habt sicher sehr spannende Geschichten zu erzählen, von denen wir gerne noch mehr hören wollen. Allerdings nicht hier. Im Nebenraum wartet eine reich gedeckte Tafel auf uns.“
Ein Diener öffnete eine Tür, und der Erzbischof führte sie zu einem reich gedeckten Tisch, auf dessen mit Schnitzereien verzierten Stühlen sie sich nieder ließen.
Als sie alle ihre Plätze eingenommen hatten, sagte der Erzbischof, um ein neues Thema anzuschneiden: „Es kommt die Menschen immer hart an, wenn es darum geht, sich von ihren weltlichen Dingen zu trennen. Unser Herr lehrt uns durch sein Beispiel das Prinzip des Loslassens.“
Er wollte das gerade erläutern, da bemerkte er, dass Iain kalkweiß geworden war und ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
„Bruder William, Ethan scheint es nicht gut zu gehen.“
Tatsächlich saß Iain wie zur Salzsäule erstarrt in seinem Stuhl. Eine leichenhafte Blässe überzog sein Gesicht und seine Augen blickten starr und unbeweglich auf einen imaginären Punkt an der Holzdecke des Raumes. William packte ihn am Arm und schüttelte ihn sanft. „Ethan, du hast zu lange gearbeitet heute Nacht und scheinst total übermüdet zu sein. Ich halte es für das Beste, wenn du sofort aufstehst und dich ins Dormitorium begibst. Geh zu Bett und schlaf dich aus. Wir sehen uns morgen Früh beim Gottesdienst.“
Iain nickte dankbar. Er stand auf, verbeugte sich, durchquerte wie in Trance den Saal und ging zur Tür hinaus. Der Earl sah ihm nach. Dann wandte er sich an William.
„Ihr scheint ihn recht hart ranzunehmen, Euren Schützling, Bruder William, wenn dieser derart erschöpft ist. Jetzt lasst uns unsere Angelegenheiten besprechen. Ich hoffe, dass ihr auf meine Vorschläge für die Pacht einiger Felder des Klosters eingeht.“
„Ich hasse es, mit dem arroganten, hasserfüllten Zwerg Kompromisse eingehen zu müssen“, entrüstete sich der Erzbischof eine Stunde später, als der Earl mit zufriedenem Gesicht gegangen war.
„Ich nicht weniger, Exzellenz. Nun, vielleicht kann er uns eines Tages von Nutzen sein“, seufzte Bruder William.