Читать книгу Love and Glory - Liebe und Ruhm - Uwe Woitzig - Страница 8

Kapitel 6: Bruder William

Оглавление

Mit diesen drei „Waffen“ lag er am frühen Morgen des nächsten Tages oberhalb von Loch Ness in einem Gebüsch. Sein Magen knurrte. Gestern Abend hatte er seine letzten Vorräte aufgebraucht. Der Anblick der tiefblauen, stillen Wasserfläche, die sich nicht enden wollend unter ihm zwischen den grünen Hügeln erstreckte, beeindruckte Iain sehr und lenkte ihn von seinem Hunger ab. Urquhard Castle, die ehemalige Residenz des dahin geschlachteten MacDonalds-Clans, nahm sich am Ufer unter ihm sogar aus der Ferne ausgesprochen imposant aus. So ein großes Schloss hatte er noch nie gesehen. Allerdings lag es leer und verlassen da, denn die letzte Garnison war 1692 daraus abgezogen worden.

Auf der Straße unter ihm, die von Inverness nach Fort Augustus führte, herrschte im Gegensatz zu der dortigen Stille reges Treiben. Die Straße war wie alle anderen in Schottland nicht gebaut worden, sondern einfach entstanden, weil immer genügend Menschen mit ihren Karren und Pferden zu einem gemeinsamen Ziel unterwegs waren. Auch heute zogen viele Fuhrwerke über den festgetretenen Pfad, die regelmäßig zwischen den Marktstädten pendelten. Iain sah schwere, schwankende Gefährte, die wenig schneller als Schrittgeschwindigkeit fuhren. Die Kaufleute hatten ihm erklärt, dass sie ihre Fahrgäste vor den Unannehmlichkeiten des Wetters schützten und oft von allein reisenden Frauen, Kranken, Alten und Behinderten benutzt wurden. Oder sie dienten zum Transport verderblicher Waren wie Obst, Fleisch und Gemüse. Diese Fuhrwerke wurden immer wieder überholt von einzelnen Reitern, die mit gemieteten Pferden unterwegs waren und ihr Gepäck per Wagen zu ihrem Zielort transportieren ließen. Einige Männer ritten an der Spitze von aneinander gebundenen Packpferden, die mit nicht verderblichen Waren wie Bücher oder Tuchballen beladen waren.

Kutschen sah er nicht. Wie Iain wusste, bewegte sich niemand mit einer solchen mehr als eine Tagesreise aus Edinburgh hinaus, weil die Wege über Land einfach zu schlecht waren. Iain musste zu der Straße hinunter, wenn er jemanden treffen wollte, der ihm zu Essen geben und ihn vielleicht sogar auf seinem Fuhrwerk mitnehmen würde. Ihm schien das zwar einem Wunder gleichzukommen, wenn ihm Beides gelänge. Seine Mutter pflegte immer zu sagen: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Er stand auf und stieg zu der Straße hinunter.

Er trat vorsichtig aus der Deckung der Bäume auf den ausgefahrenen Pfad. Plötzlich hörte er ein lautes Fluchen, das hinter einem liegengeblieben Karren hervorkam.

„Heilige Mutter Gottes und alle Verdammten! Ausgerechnet das. Womit habe ich das verdient?“

Ein hünenhafter Mönch, der verzweifelt seine Hände rang, stand neben einem voll beladenen Wagen, dessen linkes Vorderrad sich gelöst hatte und schräg an der Nabe hing. Die beiden Pferde in der Deichsel ließen geduldig ihre Köpfe hängen und hatten offenbar nichts gegen diese unverhoffte Rast.

„Wie um alles in der Welt soll ich …“

In dem Moment erspähte der in eine verschlissene braune Kutte Gewandete Iain und sah ihn prüfend an. Dann erhellte ein freudiges Lachen seine Züge, aus denen kluge blaue Äuglein blitzten.

„ Dem Himmel sei gedankt. Junger Freund, du wurdest im rechten Moment geschickt. Sei so gut und geh mir ein wenig zur Hand.“

Iain näherte sich zögernd. Der Mönch winkte Iain, sich zu beeilen.

„Komm schon. Es hilft nichts, wir müssen alles abladen.“

Er schnürte die Plane auf, die über seine Ladung gespannt war, und Iain erblickte einen Berg gebündelter Schafswolle.

„Fass mit an“, forderte der Mönch ihn auf.

Er stieg auf den Wagen und warf das erste Bündel auf die Straße. Iain sprang ebenfalls auf den Karren und half ihm. Einige Minuten lang schufteten die beiden schweigend nebeneinander, bis die Hälfte der Ladung auf dem Weg lag und der Mönch erklärte: „So, das könnte genügen. Jetzt heb ich den Wagen an, und du schiebst das Rad auf die Nabe.“

Mit dem Rücken zum Wagen ging er in die Knie und hob ihn einige Zentimeter vom Boden hoch. Iain packte das Rad und schob es wieder auf die Nabe. Der Mönch setzte den Karren langsam ab und strahlte ihn an.

„Sehr gut gemacht, mein Freund. Jetzt muss ich das Rad nur noch mit Hammer und Nägeln wieder fixieren. Du kannst schon mal mit dem Beladen anfangen.“

Iain seufzte. Sein Magen gab gurgelnde Geräusche von sich, und seine Knie waren weich. Dennoch machte er sich folgsam daran, die Wollbündel mit letzter Kraft wieder auf die Ladefläche zu hieven. Der Mönch holte aus einer Kiste unter dem Bock einen Hammer und begann an dem Rad zu nageln. Nachdem er fertig war, inspizierte er vorsichtshalber noch die anderen drei Räder, bevor er zufrieden das Werkzeug wieder verstaute und Iain beim Beladen half. Endlich waren alle Bündel wieder aufgeladen. Iain ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Nachdem der Mönch die Plane über der Ladung festgezurrt hatte, stellte er sich breitbeinig vor ihn hin.

„Jetzt möchte ich doch wissen, wer mir aus der Not geholfen hat. Wie heißt du?“

Iain sah auf, aber er war noch zu schwach um zu antworten. Der Mönch sah ihn durchdringend an.

„Junge, du siehst wirklich fertig aus und scheinst einen weiten Weg hinter dir zu haben. Von wo kommst du und wer bist du?“

„Ich heiße Ethan McLaughlin, Sir. Ich komme von der Isle of Skye und bin auf dem Weg nach Edinburgh, um meine Lehrstelle anzutreten.“

Der Mönch sah ihn scharf an. Iain meinte ein winziges Kopfschütteln zu bemerken. Dann fuhr er lachend fort:

„Nun gut, Ethan McLaughlin. Mein Name ist William Dawes, doch ich werde seit langem nur noch Bruder William genannt. Ich stehe im Dienst des Erzbischofs von York, Seiner Exzellenz John Sharp. Ich wurde hier hergeschickt, um in den Highlands Schafwolle für unsere Winterkleidung einzukaufen. Ich danke dir auf jeden Fall für deine Hilfe. Darf ich dich als Gegenleistung ein Stück des Weges auf meinem Fuhrwerk mitnehmen? Und dir eine kräftige Wegzehrung aus meiner Proviantkiste anbieten? Ich habe Brot und Haggis dabei.“

Iain traute seinen Ohren nicht. Auf Gott schien tatsächlich Verlass zu sein, wie sein Vater immer behauptet hatte. Er erhob sich mühsam und erwiderte demütig: „Vielen Dank, Bruder William, gerne und dankbar nehme ich euer großzügiges Angebot an. Gelobt sei der Herr.“

Nach einem köstlichen Imbiss aus kaltem Haggis und frischem Brot hatte es Iain sich auf dem Kutschbock neben dem Mönch bequem gemacht. Kurz nachdem die Pferde angezogen und in ihren gewohnten Trott verfallen waren, hatte er sich erschöpft an die breite Schulter Bruder Williams gelehnt und war eingeschlafen. Er erwachte erst wieder, nachdem das monotone Rädergerassel verstummt und der Wagen zu einem Stillstand gekommen war.

Iain schaute sich verwirrt um. Das Gefährt stand im Hof eines kleinen Gehöftes. Er vernahm Bruder Williams dröhnenden Bass, mit dem er den Farmer um Unterkunft für die Nacht bat. Eine freundliche Männerstimme sagte sofort zu, und kurz darauf machten sie es sich auf dem warmen Stroh in der Scheune bequem. Iain schlief sofort wieder ein.

Am nächsten Morgen erwachte Iain erfrischt und munter. Er fühlte, dass seine Kräfte zurückgekehrt waren. Sie verabschiedeten sich von ihrem Gastgeber und fuhren los. Auf den Taleinschnitten an den Seiten ihres Weges lag ein wabernder Nebel, der sich in seiner Trübseligkeit bergan wälzte wie ein böser Geist, der Ruhe suchte, ohne sie finden zu können. Er war feucht und ungemein kalt und bewegte sich in langsam aufeinander folgenden kleinen Wellenzügen, denen eines faulen Seestriches nicht unähnlich, durch die Luft. Iain und William saßen schweigend nebeneinander, bemüht, nicht zu viel von der nasskalten Luft in ihre Lungen zu atmen.

„Sag mal, wie heißt eigentlich dein Lehrherr in Edinburgh?“, fragte Bruder William plötzlich. Iain ließ sich blitzschnell einen Namen einfallen.

„Meister McCraine“, erwiderte er schlagfertig. „Warum fragst du, Bruder William?“

„Nun, ich könnte dich bei ihm abliefern und ein wenig Whisky bei ihm kaufen, was hältst du davon? Es würde ihm doch sicher gefallen, wenn du ihm gleich einen Kunden mitbringst, meinst du nicht?“

Iain sah ihn verwirrt an. Verdammt, er steckte in einer Zwickmühle. Williams Vorschlag konnte er nicht ablehnen. Dumm war nur, dass es gar keinen Lehrherren McCraine gab.In sein Schweigen hinein sagte William auf einmal mit einer völlig veränderten, schneidenden Stimme: „Iain McCrimmon, meinst du wirklich, dass du einen erfahrenen Gottesmann wie mich, der stets seine Augen und Ohren offen hält, täuschen kannst? Ich wusste von Anfang an, wer du bist. Jeder in den Highlands spricht von deiner verwegenen Flucht aus Dunvegan Castle. Die Reiter des Robert McLeod suchen dich überall. Auch mich haben sie gestern kontrolliert und nach dir gefragt. Du hast doch überhaupt keinen Lehrherren in Edinburgh, nicht wahr? Ich mache dir einen Vorschlag: ich halte dich für einen tapferen und klugen Jungen. Ich könnte mir vorstellen, dass in dir einige verborgene Talente schlummern. Deshalb meine ich, dass ich für dich in den Diensten des Erzbischofs von York eine Lehrstelle finden kann. Begleite mich nach York und dann sehen wir weiter. Du musst jetzt nicht sofort darauf antworten. Überleg es dir ruhig. Spätestens wenn wir heute Abend unser Nachtlager aufschlagen möchte ich eine Antwort.“

Iains Herz klopfte wie rasend. Als Bruder William ihn mit seinem Namen anredete war er innerlich zu Eis erstarrt vor Schreck. Doch seine folgenden Worte hatten ihn beruhigt und das Angebot erfreute ihn. Akira hatte ihm in den leuchtendsten Farben die Schönheit der Stadt York und das bunte Leben dort geschildert. Ihre alte Amme, die von dort stammte, hatte ihr fast jeden Tag von York vorgeschwärmt.

Iain fasste einen Entschluss. Warum denn nicht? In Edinburgh kannte er keine Menschenseele. William war ein Priester des Erzbischofs, der sich in York um ihn kümmern wollte. Und hatte sein Vater nicht immer gesagt, man solle alles zulassen, was das Leben bietet und auf Gott vertrauen?

Ein letzter Zweifel beschlich ihn und er fragte zaghaft:„Warum willst du das für mich tun? Ich bin ein Schotte, und hassen die Engländer nicht alle Schotten?“

William lachte dröhnend.

„Nein, das tun sie nicht. Im Gegenteil – sie fürchten und bewundern sie, weil sie so verwegen, klug und tapfer sind und so verdammt gut mit Geld umgehen können. Alle Finanzberater des Königs sind Schotten. So wie ich übrigens. Ich wurde in Edinburgh geboren“, erklärte er lächelnd. „Mir scheint, du hast es dir überlegt und bist einverstanden, oder? Wenn ja, dann schlag ein!“

William streckte ihm seine mächtige Pranke entgegen. Iain ergriff sie und drückte sie fest. „Du hast eine weise Entscheidung getroffen, Iain, willkommen in meinem Kloster. Jetzt muss ich dich nur noch unversehrt bis zur englischen Grenze bringen, dann hast du es geschafft.“

Fröhlich plaudernd setzten sie ihre Reise fort. Iain war heilfroh, dass er nicht mehr lügen musste, und erzählte dem aufmerksam zuhörenden William im Laufe des Tages alle Erlebnisse aus seinem Leben auf Dunvegan Castle. William sah ihn mit warmem Blick an, nachdem er geendet hatte: „Ich werde dir die Beichte abnehmen, wenn wir in York angekommen sind, Iain. Du hast nichts getan, was der Herr dir nicht vergeben wird.“

An diesem Abend kehrte der Mönch samt seinem jugendlichen Begleiter in einem der Gasthäuser ein, die überall die Straße nach York säumten. Iain war sehr beeindruckt von dem hohen Sevicestandard. Bei ihrer Ankunft wurden sie vom Wirt höchst persönlich freundlich begrüßt, von ihm in den Gastraum geführt und hatten innerhalb von wenigen Minuten eine köstliche Wildpastete und zwei Pints Ale vor sich stehen.

Ihr Wagen wurde inzwischen von einem Stallknecht in den Hof gefahren, der mit einem massiven Holztor, das von zwei Bewaffneten bewacht wurde, versperrt wurde. Ihre Pferde wurden ausgeschirrt und abgerieben. Dann wurden sie in zwei Boxen geführt und bekamen frisches Heu und Wasser. Sie schauten sehr zufrieden aus, als Iain und William nach dem Verzehr ihrer Pasteten nach ihnen sahen.

Der Wirt zeigte ihnen zwei gemütliche Zimmer, deren Betten mit makellosen Laken bezogen waren, in denen kein Mensch geschlafen hatte, seit sie aus der Wäscherei kamen, wie ihnen der Wirt versicherte. Er gab ihnen zwei Schlüssel zum Absperren ihrer Türen und lud sie herzlich zu dem Gemeinschaftsmahl ein, das 5 Pennies kosten würde und Fleisch, Käse, Brot und Bier beinhalte. William sagt ihr Erscheinen zu.

Nach dem opulenten Mahl, das von heiteren und spannenden Gesprächen der Gäste des Hauses begleitet worden war, sanken sie lange nach Einbruch der Dunkelheit leicht berauscht in ihre Betten. Iain fühlte sich so glücklich wie selten in seinem Leben. Zufrieden lächelnd schlief er ein. Fünfzehn Tage waren vergangen, und wieder einmal hatte Iain es sich nach einem fröhlichen Gemeinschaftsmahl in einem eigenen Zimmer mit einem frisch bezogenen Bett bequem gemacht und tief geschlafen. Er erwachte früh am Morgen, verließ sein Zimmer. und trat ins Freie hinaus.

Vor dem Gasthaus, in dem sie übernachtet hatten, blieb er stehen und schaute nach der aufgehenden Sonne, unter der sich ein Strich umgepflügten Landes ausdehnte. Ein Pflug stand noch an derselben Stelle des Ackers, an der man am Abend zuvor die Pferde ausgespannt hatte. Die Erde war kalt und feucht, der Himmel klar und die Sonne erhob sich in ruhiger Pracht. Jenseits des Feldes sah Iain ein Buschwäldchen. Am Horizont hinter dem Wäldchen erblickte er plötzlich die Türme einer mächtigen Kathedrale. „Das ist das Minster von York“, rief ihm Bruder William zu, der ebenfalls schon aufgestanden war, weil er die frühe Morgenstunde zu einem kleinen Spaziergang nutzen wollte. „Heute Mittag werden wir dort sein.“










Love and Glory - Liebe und Ruhm

Подняться наверх