Читать книгу Bin ich traumatisiert? - Verena König - Страница 26
ОглавлениеDie Weisheit des Körpers und der Psyche verstehen
»Safety is the presence of connection.«
STEPHEN PORGES
Wie kommt es dazu, dass bestimmte Erlebnisse so tiefe Spuren in unserem Inneren hinterlassen, dass unser weiteres Leben davon überschattet oder gar bestimmt sein kann?
Trauma ist der akute oder chronische Verlust von Sicherheit im eigenen Dasein und in der Welt. Ein Leben ohne Trauma ist ein Leben in fortwährender, umfassend empfundener Sicherheit.
Wir sind eine Spezies, die evolutionär erfolgreich bis in die heutige Zeit überdauert hat. Wir führen zwar ein sehr vergeistigtes und »entkörpertes« Leben und sind doch, wenn es darauf ankommt, sehr körperliche Geschöpfe. Unser gesamter Körper ist darauf ausgerichtet, das Überleben zu sichern. Auch wenn die menschlichen Sinne zunehmend verarmen, weil wir im Alltag nicht mehr durch dichte Blätterwälder schauen und unseren Blick über weite Ebenen schweifen lassen, sondern eher auf Bildschirme starren und unser Blick gegen Betonmauern prallt, so stehen sie doch bedingungslos in den Diensten des Lebens.
DIE SUCHE NACH SICHERHEIT
Das autonome Nervensystem ist in jeder Sekunde unseres Daseins damit beschäftigt, die Umgebung zu überprüfen und auf potenzielle Gefahren abzuscannen. Es ist also immer darauf ausgerichtet zu melden, wenn wir in Gefahr sind. Nur wenn wir uns gefühlt in einem Zustand der Sicherheit befinden, erleben wir innere Balance und äußere Verbundenheit. Die Überprüfung unserer Umgebung läuft vollkommen automatisch und unbewusst ab, ohne dass wir etwas dafür tun müssten.
Exterozeption
Damit wir erkennen können, ob wir in Gefahr sind oder nicht, haben wir unsere Sinne. Auf verschiedenen Wahrnehmungskanälen versorgen sie uns mit Informationen. Während wir sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen, bewerten wir unbewusst permanent die Situation oder Umgebung. Diese Fähigkeit, die Außenwelt wahrzunehmen, nennt man Exterozeption.
Auch komplexe Wahrnehmungen wie die der Stimmung zwischen Menschen oder der Atmosphäre einer Situation, beispielsweise auf einem Konzert oder einer Großveranstaltung, gehören dazu. Die Exterozeption als wichtiger Teil unseres inneren Sicherheitssystems trägt stark dazu bei, wie wir uns in der Welt fühlen. Je nachdem, welche frühen Kindheitserfahrungen wir in Bezug auf Sicherheit gemacht haben, ist unsere Exterozeption entweder entspannt aufmerksam oder übersteuert.
Interozeption
Damit die Exterozeption uns dienen kann, ohne uns dauerhaft in Atem zu halten, muss ein weiteres System in uns arbeiten. Die Wahrnehmung der Außenwelt steht daher in unmittelbarer Verbindung mit der Wahrnehmung unserer Innenwelt, also mit der Wahrnehmung unseres Körpers und seines Zustandes. So ist etwa ein Hungergefühl Teil der sogenannten Interozeption. Auch wenn wir ein Kratzen im Hals oder eine erhöhte Körpertemperatur wahrnehmen und spüren, dass eine Erkältung im Anmarsch ist, ist das ein Signal unserer Interozeption.
Etwas abstrakter verhält es sich mit der Interozeption von Gefühlszuständen, aber man kann davon ausgehen, dass auch die Wahrnehmung eigener Stimmungen sehr zum Erleben von Sicherheit im Hier und Jetzt beiträgt.
Neurozeption
Das Zusammenspiel aus Intero- und Exterozeption bezeichnet man als Neurozeption. Diese Fähigkeit ermöglicht es unserem Nervensystem, zwischen gefahrlosen, gefährlichen und lebensgefährlichen Situationen und Menschen zu unterscheiden. Die Neurozeption stellt eine Art zuverlässiges, vollautomatisch funktionierendes Sicherheitssystem dar, das komplexe neurobiologische Abläufe im Innern registriert und auswertet.
Was genau vom Unterbewusstsein eines erwachsenen Menschen als bedrohlich, lebensbedrohlich oder ungefährlich eingestuft wird, ist maßgeblich von seinen bisherigen Erfahrungen beeinflusst, genauer gesagt von dem, was er über Sicherheit und Gefahr gelernt hat.
Wie sicher sich ein Mensch in der Welt fühlt, hängt oft mehr von seinen frühen Prägungen ab als von der gegenwärtigen Situation.
SICHERHEIT IST EIN SUBJEKTIVES ERLEBEN
Die Interozeption, Exterozeption und Neurozeption eines Menschen entwickeln sich bereits im Mutterleib und bilden sich im Laufe der frühesten Kindheit weiter aus. Die Qualität dieser drei Systeme wird von unseren frühen Erlebnissen geprägt. Kinder, die Bedrohung durch die Umwelt erfahren, entwickeln eine Exterozeption, die angespannt und alarmiert ist. Kinder, die früh mit körperlichem Schmerz oder einer Krankheit konfrontiert werden, entwickeln eine Interozeption, die innere Wahrnehmungen schnell als bedrohlich einstuft. Und Kinder, die wenig körperliche Berührung bekommen und toxischem Stress ausgesetzt sind, entwickeln eine Neurozeption, die vermutlich beständig Gefahr meldet, weil die Welt gefühlt ein gefährlicher Ort ist.
Das grundlegende Empfinden von Sicherheit durch Neurozeption basiert also auf den Erfahrungen unserer frühen Kindheit, in denen wir durch unsere Bezugspersonen lernen, wie sich Sicherheit und Geborgenheit, aber auch ein Mangel dessen, also Gefahr, Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein anfühlen.
Das wiederum wirkt sich auf die sich entwickelnde Fähigkeit aus, wie wir mit Stress umgehen können.
Unsere frühen Erfahrungen prägen die Art und Weise, wie wir mit Stress umgehen und was wir überhaupt als Stress empfinden.
Lebendigkeit existiert nur in Sicherheit
Mithilfe dieses Trios (Interozeption, Exterozeption und Neurozeption) gelingt es zu erkennen, was eine echte Gefahr und was ein Zustand harmloser innerer Erregung ist. Es ist wichtig, dass wir als Kinder lernen, zwischen Erregung, beispielsweise durch ein aufregendes Spiel, und Gefahr, etwa durch ein heranrollendes Auto, unterscheiden zu können. Beide Situationen aktivieren unser Nervensystem, aber nur eine Situation ist gefährlich. Wenn wir hier nicht behütet und begleitet werden, wird unsere eigene Lebendigkeit für uns zur Bedrohung und sogar positive Gefühle lösen dann Angst aus. Dann ist jede Veränderung potenziell stressreich und jede Unsicherheit scheinbar eine Bedrohung. Oder aber wir erkennen Gefahren nicht und verhalten uns, als gäbe es sie nicht.
Diese Zusammenhänge erklären, weshalb verschiedene Menschen sich in ein und derselben Situation unterschiedlich sicher fühlen oder weswegen manche Menschen sich einfach nie sicher fühlen und entspannen können.
Die unwillkürlichen, autonomen inneren Interpretationen sind von Natur aus sehr stark, da sie nichts Geringeres sollen, als unser Überleben zu gewährleisten. Deshalb ist es manchmal unmöglich, durch eine Entscheidung oder eine Verhaltensmodulation ein Gefühl von Sicherheit und Entspannung herzustellen. Wenn wir mit unserem Verstand wissen, dass wir keine Angst haben müssten, aber unser Körper völlig in Aufruhr ist, hilft es nichts, sich einzureden, dass alles gut sei. Es beruhigt auch nicht, einen Ablauf hundertmal zu üben und zu trainieren, um eine tiefe Angst loszuwerden. Es braucht mehr als das. Es braucht eine Hinwendung zum Körper, der früh im Leben unter Stress Muster bilden musste.
Was nötig ist, damit sich dieses filigrane Sicherheitssystem optimal ausbilden und entwickeln kann und was die Folgen eines Mangels an Sicherheit sind, werde ich später genauer beleuchten.
WENN SICHERHEIT ZERREISST
Eine Erfahrung wird also dann zum Trauma, wenn sie die Bewältigungsstrategien eines Menschen überfordert. Wenn Ereignisse das Erträgliche und Begreifliche übersteigen, erlebt die betroffene Person existenzielle Hilflosigkeit und Ohnmacht. Das ist der Fall bei äußeren Ereignissen von extremem Stress, die jeden Halt und jedes Empfinden von Sicherheit zersprengen.
Stressreaktionen sind Überlebensreaktionen
Toxischer, also enorm bedrohlicher Stress, ruft starke Stressreaktionen hervor. Diese Reaktionen sind tief in unserer Biologie verwurzelte autonome Abläufe, die man schlicht als Überlebensreaktionen bezeichnen kann.
Unser Organismus ist auf Stress vorbereitet und dafür ausgestattet, mit ihm umzugehen. Wenn wir Stress erleben, meldet unser Nervensystem, das etwas uns bedroht und dringend unsere Aufmerksamkeit erfordert. Unser Körper antwortet darauf, indem er Energie bereitstellt. Wenn der Stress nicht extrem ist oder die innere Antwort darauf hilfreich, adäquat und lösend ist, greifen die Stressreaktionen optimal. Sobald die Situation abgeschlossen ist, beginnt die Verarbeitung des Erlebten. Akute Stressreaktionen sind also biologisch hoch sinnvolle Anpassungen an (potenziell) gefährliche Situationen.
Wenn jedoch der Stress ein so extremes Maß erreicht, dass die abgefeuerten Stressreaktionen nicht ausreichen, um die Situation zu bewältigen, werden aus Stressreaktionen Überlebensreaktionen. Dann verändern sich die Abläufe in Körper und Gehirn, was die Verarbeitung des Geschehenen sehr erschwert.
ESSENZ: DIE WELT WIRD ZU EINEM SICHEREN ORT, WENN WIR SICHERHEIT IM INNERN FÜHLEN
Innere Sicherheit ist ein Zustand tiefer Verbundenheit und Geborgenheit.
Wir versuchen Sicherheit herzustellen, indem wir verhandeln, Lösungen suchen, Strategien kreieren oder Regeln erstellen. Das Gefühl der Sicherheit kommt aber nicht aus unserem Verstand, sondern aus dem tiefen Selbst und aus unserem Körper.
Ein (durch Trauma) dysreguliertes Nervensystem hat es schwer, Sicherheit zu empfinden. Im Zustand latenter Alarmiertheit neigen wir dazu, uns sofort zu verteidigen, zu kämpfen, zu fliehen. Konflikte werden nicht befriedet, Reiz und Reaktion sind fast synchron.
Wenn wir uns Frieden auf dieser Welt wünschen, brauchen wir einen Zustand der Sicherheit in unserem Innern. Wir brauchen regulierte Nervensysteme, die in der Lage sind, Sicherheit zu spüren und zu kreieren.