Читать книгу Widersehen in Berlin - Victoria Benner - Страница 11

3.

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Müde schlurfte Charlotte aus dem Aufzug und kramte den Schlüssel zu ihrer kleinen Wohnung im siebten Stock des Hochhauses hervor.

Als sie die Tür hinter sich zuzog und in dem kleinen fast viereckigen Flur stand, kam ihr Jackie entgegen. „Schon?“, fragte sie leise.

Aus dem kleinen Zimmer gegenüber dem Flur war Regans leises Schmatzen zu vernehmen. Charlotte nickte geknickt. Dann brach sie wieder in Tränen aus, presste die Hände panisch vor den Mund. Wenn sie so weiter machte würde sie nur Regan und ihre Freundin wecken.

Jackie, nahm ihr die Sporttasche ab und bugsierte sie in das links gelegene Wohnzimmer in dem sich auf einem kleinen Sofatisch Stapel an Papierkram häuften.

„Na nu komm erst mal Mäuschen. Ist doch allet halb so schlimm. Was war denn los?“, erkundigte sie sich bei der immer noch von einem Heulkrampf geschüttelten Charlotte.

„Er war da“, kiekste Charlotte. Sie konnte kaum atmen, der Kummer lag ihr wie tausend Steine auf der Brust.

„Wer war da?“, fragte Jackie und zog Charlotte in den Lichtschein der Sofalampe. „Oh man siehst du scheiße aus“, teilte sie ihr dann wahrheitsgemäß mit.

Charlotte lächelte traurig. „Tom war da“, flüsterte sie dann.

„Wie jetze? Tom? Dein Tom?“

Charlotte nickte.

Jackies pinkfarbener Kurzhaarschopf glühte im gelben Licht der Lampe und sie zog die Brauen zusammen. „Wat macht der n da? Kellnert der och?“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein, er kellnert nicht“, sagte sie mit zitternder Stimme.

Jackie zog die Augenbrauen hoch. „Charlie“, sagte sie in einem warnenden Tonfall und Charlotte seufzte, als sie sah, wie Jackie sie anstarrte. „Was hast du verjessen mir zu erzähln?“, fragte Jackie.

„Wenn ich es dir sage, versprichst du mir dann, dass du nicht ausflippst und es für dich behalten kannst?“, flüsterte Charlotte und beäugte die andere misstrauisch.

Jackie nickte. „Klar doch“, sagte sie.

„Tom Donoghue“, sagte Charlotte. Mehr nicht.

Jackie sah sie fassungslos an. "Momentchen mal! Du willst mir ehrlich erzählen, du hattest wat mit Tom Tod aller Frauen Donoghue?“ Jackies Augen waren groß wie Unterteller. „Du hattest wat mit nem Star?“, wiederholte sie.

Charlotte nickte.

Jackie pfiff. Dann stand sie auf und lief eine Weile im Wohnzimmer auf und ab, wobei sie immer wieder stehen blieb und Charlotte kopfschüttelnd ansah.

„Dit is doch“, murmelte sie in einer Tour, „dit glob ick jetz nich. Brat ma einer nen Storch! Da haste wat mit nem Star und dit sagste mir nich?“

Charlotte zuckte die Schultern. „Wie hätte ich das denn sagen sollen?“, meinte sie leise. „Das ist nichts was man mal eben so zwischen Tür und Angel sagt.“

„Allerdings!“, schnaubte Jackie „Allerdings. Dit is n Ding.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ist die Kleene etwa auch von ihm? Hat se deswegen son Namen?"

Charlotte schüttelte stumm den Kopf und starrte auf ihre Hände. „Nein. Tom war nach Regans Geburt. Vor nicht ganz einem Jahr.“

„Ah“, sagte Jackie und nahm ihren Parcours im Wohnzimmer wieder auf. „Und nu?“, fragte sie Charlotte.

„Was und nun?“

„Wat willste nun machen?“, fragte Jackie.

Charlotte starrte sie eine Weile an. „Nichts“, sagte sie dann. „Was sollte ich schon machen wollen?“

Jackie zuckte die Schultern. „Ick wees nich. Ick mein, wir reden hier von Tom Donoghue! Musste da nich irgjendwat machen?“

Charlotte dachte nach. „Nein“, sagte sie. „Warum sollte ich?“

Jackie überlegte: „Wees er das du hier bist?“

Charlotte fuhr schuldbewusst zusammen. „Oh ja, davon kann ich ausgehen“, sagte sie und sah Jackie´s Stirnrunzeln.

„Warum sagste dit so komisch? Is wat passiert?“, wunderte sie sich.

„Och, nichts“, antwortete Charlotte. Sie wusste sie sollte den Mund halten. Andererseits spätestens morgen würden die Bilder der Party überall zu finden sein und dann, spätestens, würde Jackie eins und eins zusammen zählen. Also lieber ehrlich sein. Was sie an die Kette in ihrer Hosentasche erinnerte.

Missgestimmt kramte sie das silberne Kettchen hervor und zog ihren heiligen Anhänger davon ab. Sie ließ ihn lange in ihrer offenen Hand liegen, betrachtete das kühle Funkeln des Aquamarins darin.

Jackie warf einen interessierten Blick darauf. „Is schön. Was ist das?"

„Mein Lieblingsanhänger. Mein Glücksbringer. Der gehört nicht an den Hals der blöden Obertrulla.“

„Bitte?“ Jackie guckte erschrocken. „Das Teil haste ner anderen abgenommen? Ist jetzt nich dein Ernst.“

Charlotte ging zur Schrankwand und kramte in einem der Schubfächer nach einem Lederband, dann knotete sie sich das Band mit der kleinen Flocke um den Hals. Jetzt fühlte sie sich gleich besser.

„Doch, ich hab es seiner neuen Flamme abgenommen. Morgen wirst du die Aktion vermutlich groß und breit in den Zeitungen und im Klatschfernsehen bewundern können.“

„Seiner neuen Flamme?“, wiederholte Jackie ungläubig.

„Außerdem werde ich vermutlich einen neuen Job brauchen. Das Catering fällt nach der Aktion flach.“

„Da haste dir aber was erlaubt.“

Charlotte nickte und wieder rollten Tränen ihre Wangen herunter. „Tom“, sagte sie leise.

„War er dit wert?“, fragte Jackie mit schief gelegtem Kopf.

Charlotte zuckte heulend die Schultern, was Jackie zum lachen brachte.

„Oh man, der hat dich mal echt ruiniert, wenn de wegen dem so austickst. Mensch Mädel. Du sollst dich doch von solche Typen fernhalten! Hat dir das noch keener jesacht? Aber mal ehrlich, wie war er denn so, wenn ick fragen darf“, wollte Jackie wissen.

Charlotte atmete tief durch und dachte nach. Wie war er gewesen? „Anfänglich tierisch nervtötend. Und diese Locken, diese ätzende Haarfarbe! Hast du die mal gesehen?“, kicherte Charlotte. „Aber dann, dann war er hinter mir her, was natürlich schmeichelt, bis zum Umfallen.“

Jackie war ganz Ohr.

„Und dann sind wir aneinander geraten. Wegen Sania. Ich hätte ihm fast eine gelangt.“

„Du hast Donoghue eine verpasst? Das kommt nicht gut“, meinte Jackie.

„Nur fast. Bis auf heute. Heute hab ich es geschafft ihn zu erwischen.“

„Moment, du hast es “heute" geschafft? Wat meinst du damit?"

„Das ich ihn erwischt habe. Er hat mir den Anhänger abkaufen wollen. Er wollte mich bezahlen. Es war total peinlich. Und schmutzig. Irgendwie ein scheiß Gefühl. Als wäre ich käuflich. Und da…“, Charlotte wischte kurz und prägnant mit der Hand durch die Luft.

„Verstehe“, sagte Jackie entgeistert.

„Wie konnte er sich bloß so aufführen? Und seine komische Freundin hättest du mal sehen sollen! Sie ist so schön und trotzdem so furchtbar! Sie hat uns alle behandelt wie Luft, oder schlimmer! Hochnäsig. Die braucht unbedingt einen Schirm, sonst regnet rein, so hoch wie die ihre Nase trägt!“

„Ja aber, wat ick immer noch nich auf die Reihe kriege is, wie der Typ an deine Kette kommt. Und warum hat seine Freundin die?“

„Ich hab die Kette bei ihm naja, sagen wir mal vergessen?“

„Vergessen. Schon klar.“ Jackie sah sie zweifelnd an, bis ihr ein Licht von der Größe eines Flakscheinwerfers aufging. „Ohhhh du meinst… Verstehe! Aber, wenn du und er, wenn ihr, warum sitzt du dann hier? Ich mein, solltest du nich da auf der Party an seiner Seite tanzen? Was ist passiert?“

Ja, dachte Charlotte, was war passiert?

Charlotte wärmte ihre kalten Finger an ihrem Hals und lauschte den Geräuschen, die ihre Tochter im Schlaf machte und dem leisen Schnarchen Isabelles. Noch mal so jung sein, alle Türen stünden noch offen. Sie würde so manches anders machen. Bestimmt. Besonders das mit ihm. Wenn sie damals nur eine Nachricht hinterlassen hätte. Wenn sie nicht gegangen wäre, sondern bei ihm geblieben wäre. Sie hätte nur gegen ihre Panik kämpfen müssen. Mehr nicht. Dann säße sie nicht hier in diesen zwei Zimmern im siebten Stock eines hässlichen Plattenbaus.

„Was passiert ist? Ach, das übliche. Das was immer passiert.“

„Er hat dich belogen und betrogen? Oder dich ausgenutzt, hat dein Konto geplündert und ist mit deinem Sparbuch und deiner Cousine durchgebrannt?“, schlug Jackie vor.

„Nein. Nicht so. Ich war nur dumm. Ich bin zu ihm geflogen. Er hat fast ein Jahr auf mich gewartet und dann sind wir in der Kiste gelandet. Am nächsten Morgen hielt ich es nicht mehr aus und musste ne Runde gehen.“

„Wie jetzt du hast es nicht mehr ausgehalten? Meinst du er hats nicht hin bekommen und war ne Enttäuschung?“

Charlotte prustete vor Lachen und rutschte in Richtung Heizung um ihre kalten Hände da aufzuwärmen. Seit sie in Berlin war fror sie entsetzlich.

„Nein.“, gähnte sie, „Das meinte ich nicht. Was ich meine ist, dass ich Panik bekam, es könnte echt gut laufen und am Ende stünde ich wieder allein da. Und das könnte ich nicht ertragen. Da bin ich eben abgehauen, um den Kopf klar zu kriegen. Und er hat es als Witz aufgefasst, meinte ich spiele mit ihm und seinen Gefühlen. Als ich wieder zu ihm zurück wollte hat er mich rausgeworfen.“ Charlotte studierte die Mimik der Freundin, um zu sehen ob sie verstand wovon sie sprach.

„Dat heißt du machst gern mal einen auf Eiserne Jungfrau?“, erkundigte sich Jackie.

„Eiserne Jungfrau?“

„Ja, unverwundbar, hinter Mauern verschanzt, so das dir keener was kann“, erklärte Jackie.

Charlotte nickte zögernd. Ja, das traf es ziemlich gut. Sollten andere sich doch den Schädel an ihr zerbrechen, Hauptsache war, dass sie unverletzt blieb.

„Zombi is nie gut“, hörte sie Jackies Stimme. „Mädel, ick weis ja nich, wat bei dir genau schief jelaufen is, aber wenn du dich hinter Mauern versteckst wird es nich besser werden. Die Schangse deines Lebens haste ja schon verloren.“

„Danke für den dezenten Hinweis“, schniefte Charlotte. Jetzt war ihr wieder zum Heulen zumute.

„Na wird schon. Immerhin hat er sich doch noch an dich erinnert. Sonst hätte er dich wohl kaum erkannt und mit dir gesprochen. Wer weeß, vielleicht geht da noch was.“

Charlotte schüttelte den Kopf und gähnte wie ein Löwe. „Hey, nimms mir nicht übel, aber ich bin ziemlich fertig.“

„Schon klar. Ich geh mal. Ich hole Isabelle dann am Nachmittag ab?“

Charlotte nickte, brachte Jackie zur Tür und huschte wieder in das kleine Wohnzimmer zurück, um das Sofa für die Nacht auszuziehen. Müde und gerädert kuschelte sie sich in ihre Decke. Vor dem Einschlafen sah sie noch mal Tom vor sich. Allerdings nicht den Portemonnaie zückenden Kerl, der sie heute tödlich beleidigt und lächerlich gemacht hatte, sondern ihren Tom, mit den sanften Augen, der mit den Lachfältchen und der schönen Stimme.

Widersehen in Berlin

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