Читать книгу Enzyklopädie der russischen Seele - Viktor Jerofejew - Страница 11

Genius Loci

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Eine Woche später rief morgens Pal Palytsch an. Verschlafen wie ich war, kapierte ich nicht sofort. Er kam zu mir nach Hause, lobte beiläufig die Wohnung, zog unaufgefordert die Schuhe aus, ohne die Schnürsenkel zu öffnen, und marschierte geradewegs in mein Arbeitszimmer. Er spielte die Rolle des gestressten Funktionsträgers, der einhundertvierzigtausend brandeilige Sachen zu erledigen hat. Mit ihm tauchte ein Adlatus auf, zugeknöpft bis obenhin, entweder schwul oder einfach bloß ein eleganter junger Mann.

»Ich weiß nicht, womit ich Ihnen helfen kann«, sagte Pal Palytsch geschäftig. »Wollen Sie hundert OMON-Leute, meinetwegen auch zweihundert?« Er überlegte. »Einen Panzer vielleicht?«

»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich trocken und stellte mir lebhaft mich in einem Panzer vor.

»Unser Land«, sagte der Adlatus und hüstelte, »wird nicht vom Präsidenten, nicht von der Regierung und nicht, wie die Rentner behaupten, von der CIA regiert, sondern von eben jenem, wie soll ich mich ausdrücken, omnipräsenten Körper. Das ist kein Märchen«, fügte er eilig hinzu, als er meinen befremdeten Gesichtsausdruck sah.

»Wieso denn nicht?«, sagte ich so lässig wie möglich. »Russland ist ja ein Märchen.«

»Möglicherweise«, sagte der Adlatus nach einer wohlgesetzten Pause. »Manchmal wohnt er auf dem Wagankowo-Friedhof, wo Ihre Großmutter beerdigt ist.«

»Gehen Sie doch selber auf den Friedhof«, sagte ich und gab zu verstehen, dass ich das Gespräch für beendet hielt.

Pal Palytsch zog eiligst einen Umschlag aus seiner großen rostroten Aktentasche und überreichte ihn mir. Ich warf einen Blick hinein:

»Und da behauptet ihr, euer Staat hätte kein Geld.«

Pal Palytsch senkte generalsmäßig den Blick, welcher unwillkürlich an einem Regelverstoß hängen blieb:

»Da hat sie nicht aufgepasst!« Pal Palytsch zog verlegen den kleinen Zeh des linken Fußes zurück in seine khakifarbene Socke. »Meine Frau stopft nämlich Socken. Das ist ihr Hobby, wissen Sie.«

Der Adlatus sagte forsch:

»Polnische Socken, Mischwolle, Lubliner Fabrikat. Kaufen Sie die nicht mehr. Ein Scheiß.«

»Verstanden«, sagte der General. »Aber zur Sache.«

»Wenn Sie Kontakt aufnehmen«, wandte sich der Adlatus an mich, »versuchen Sie ihm klar zu machen …« – im Flur schlug mit einem Riesenknall die Tür zu –, »dass er uns in Ruhe lassen soll«, murmelte er.

»Durchzug«, sagte ich.

»Bei uns in Russland kann bereits ein Durchzug alles Mögliche auslösen, bis hin zum Bürgerkrieg«, brachte der Adlatus seine Befürchtungen zum Ausdruck.

»Warum ich?«, fragte ich den General.

»Sie haben da so was geschrieben über das Morgenrot einer neuen Offenbarung«, sagte er errötend.

»Es gibt da eine Interferenz«, fügte der Adlatus hinzu.

»So, wir gehen dann mal.« Pal Palytsch erhob sich vom Sofa. »Sascha«, nickte er in Richtung Adlatus, »untersteht Ihrem Kommando.«

»Halt! Sie sind nicht zufällig Idioten?«, fragte ich neugierig.

Enzyklopädie der russischen Seele

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