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Matrjoschka

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Glaubt man der Matrjoschka, dann ist das Leben eine Rolle rückwärts in den Mutterleib. Im Zentrum der russischen Welt ein Embryo. Alles Übrige ist Verhüllung, Prana, Verschleierung. Was für tolle Weiber große Matrjoschkas auch sein mögen, sie sind oberflächlich und selbstgefällig. In ihnen sitzt die statische Eitelkeit des Lebens.

Nimmt man eine Matrjoschka in die Hand, kann man nicht aufhören, sie aufzudrehen und auseinanderzunehmen. Man möchte bis zur Wahrheit vordringen. Die Matrjoschka basiert auf dem primären Spiel, das schon das Kleinkind kennt und an dem sich auch der wesentliche sexuelle Effekt von Kleidung festmacht – dem Versteckspiel. Die Wahrheit ist im Geheimnis begraben. Die Wahrheit fordert Opfer. Die großen Matrjoschkas sind schwanger mit den kleinen wie mit ihrem eigenen mehrfachen Tod. Sie quietschen, die Köpfe fliegen zum Vergnügen. Je weiter nach innen, desto weniger Farben, schwächer die Fantasie, müder der Künstler. Die Matrjoschka ist Zeichen von chronischer Übermüdung und Lichtscheu. Das kleinste Figürchen, der aus Platzmangel schlecht bemalte, winzige hölzerne Embryo, hat das Rührende eines »Kindchens«. Ein kurzes Aufwallen von Rührung. Verlangen nach den Eltern. Im Gesicht keine Falten, sondern irgendein Spinngewebe, wie Reibeisen die Hände. Man weiß nicht, handelt es sich um eine Frau oder einen Mann. Die rauen mütterlichen Hände möchte man küssen und die väterlichen Falten glätten. Aber die russische Integrität ist zu winzig für Emotionen, die Intaktheit hilflos, all das sind nur Fantasien, und die kleinste Puppe rollt jedes Mal unter den Tisch.

Enzyklopädie der russischen Seele

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