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Schauspielerei

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Keiner kannte mich näher. Niemand wusste wer ich war. Weder kannten sie meinen Alltag noch die geringsten Auszüge aus meiner Vita. Da ich stets unterwegs, unsichtbar, überall und nirgendwo gleichzeitig war, die Taktik der Tarnung und des Pirschens, des Ein- sowie Abtauchens, des sich Auflösens und des flexiblen Schauspiels unter jeder mir nur erdenklichen Beeinflussung und Beobachtung beherrschte, fiel es mir nicht sonderlich schwer, ihnen das Bild zu bieten, dass sie von mir brauchten, um sich nicht näher um mich zu scheren. Jedenfalls ging die Taktik auf. Ich galt ihnen wohl unbewusst als Unberührbarer. Zwar jederzeit angreifbar und doch immun, für Tratsch zu wenig Inhalt und Angriffsfläche bietend, dem Dorf zu entfernt um präsent zu sein, tilgte mich die Flur wie ein Gemälde, an dessen Rand sich ein unscheinbarer Fleck festgesetzt hatte. Kurz: Meine Hütte lag außen vor und so gestattete mir dieses abseitige Lebensumfeld in unmerklichem Geschick dem Urteil der Außenwirkung zu entrinnen. Demnach sollte auch niemand mein Verschwinden bemerkt haben. Sicher, mein Auto stand oben am Parkplatz, nicht vor meinem bescheidenen kleinen Miethüttchen. Ein Durchreisender war ich geworden, immer schon gewesen, ein innerer Nomade, der sich hier und da zuweilen festgesetzt, verrannt und durchgeatmet hatte, bevor er wieder weiter zog. Und während ein digitaler Finanzkomplex das Land ausquetschte, trieb ich weiter von Nische zu Nische. Ziellos. Und doch hatte ich mich bis vor kurzem noch der Erwerbswirtschaft angebiedert und rein ideell mit der Subsistenzwirtschaft geliebäugelt.

Jedes Geschehen verfolgte ich und fand doch stets Kritikpunkte, die mein Fernbleiben rechtfertigten. In direkte Aktion zu treten war fast unmöglich geworden. Ich bleibe verstreut, vereinzelt, tätig auf theoretischen Umwegen. Das zu erkennen ist schmerzlich und diesen Schmerz will der Mensch nicht auf sich nehmen. Den Schmerz, den eine stillschweigende Mittäterschaft in der Seele hervorzurufen vermag. Und unter dem derzeitigen Coronaszenario hatte sich dieser Schmerz in mir zugespitzt, ja er schrie förmlich nach Gewissensbereinigung, nach der Tat, nach dem Umschwung, dem Umbruch. Muss also erst - laut den radikalen Vertretern des gelebten Primitivismus - alles in sich zusammen brechen, also dessen Sturz beschleunigt und begünstigt werden oder aber ist ein Neuwerden bereits im Prozess des Schwindens, naturgemäß als eine Art evolutionärem Ausgleichs angeboten? Wie auch immer - sollte nicht ein jeder seine Scheinempörung in einen kreativen Akt inneren Aufschwungs transformieren? Was richtet diese chronische Gesellschafts-Ambivalenz für Schäden an der Seele eines jeden Einzelnen an, eines Volkes, einer Nation, einer Gemeinschaft. Steigert und stählt sie die kollektive Frustrationsgrenze, etabliert sie kollektive Ohnmacht? Was wenn nicht das beuyssche Kunstverständnis der sozialen Plastik, kühn aus dem Innern eines jeden einzelnen in die Welt tretend, sollte die gerissenen Wunden noch heilen können, um letztlich die kollektive Seele einer an sich selbst erkrankten Gesellschaft zu balsamieren.

Handlungsunfähigkeit. Gebe dich ihr hin. Sie nährt die Agenda der Entscheidungsträger. Nehme Corona dankbar an wie einen letzten Rettungsschirm. Vertraue deinem Herzen. Der freie Flug bietet optimale Voraussetzungen für wahre innere Einkehr. Besinne dich auf das Wesentliche. Werde unabhängig. Autark. Sei ganz du selbst. Bei Dir, individuell, mit Herz, Intellekt, Seele und Verstand. Lausche deiner inneren Stimme. Sei unabhängig. Nachhaltig. Ergiebig. Wo auch immer du bist. Jetzt.

War inneres sowie äußeres Wachstum allein durch Verschuldung möglich? Sollte ein Unvermögen des Geistes das politische sowie spirituelle Prinzip unseres gemeinschaftlichen Beisammenseins stellen und die gegenwärtige Verschuldung tatsächlich über die Abhängigkeiten zukünftiger Generationen entscheiden?

Kunst und Kultur bewarb sich masketragend um Hilfsfonds, ausgebreitete Rettungsschirme und ausgeschüttete Töpfe. Die Asozialen und sprachlich Verwahrlosten ätzten sich in Rage, worauf ihre Energien im Sumpf berauschender Gefühle erloschen. Und auch die Akzeptanz gegenüber des freien Diskurses stand auf der Kippe, das Ertragen der Meinung des Anderen, die Kerngrundlage demokratischer Anteilnahme und Souveränität - all das führte seinen Krieg gegen den gesunden Menschenverstand, brachte Massen junger Menschen zum Erliegen wie Coronamaßnahmen die Nation unter dem Lockdown. Wo waren nur die wahren Altruisten, Ärzte, die den hippokratischen Eid über die Moral der Gesinnungs- und Gesundheitskontrolle stellten? Füge vorerst keinen Schaden zu, solange die Diagnose unklar ist. Immerhin geht es hier um nichts weniger als um unser aller Gesundheit. Was sollten sie also tun? Was außer den Maßnahmen hatte die Epidemiologie zu bieten? Glaubt an den starken Retter. Er tut alles für eure Gesundheit, Sicherheit, euer Wohl. Er wird alles tun um euch zu retten. Auf Amazon werdet ihr bestellen, denn die Fahrt in die Innenstadt wird zu teuer und kompliziert sein. Und Schwarzfahren ist nicht drin. Bargeldlos korrekt wird es ablaufen. Und auch die Liebe zur Natur wird den obsessiven Freizeitkolonnen noch - etwa durch Trekking-Klimaschutz-Apps - abtrainiert werden. Das Parken wird zu teuer, gar unmöglich sein. Parkplätze werden renaturiert, virtuelles Wandern nachhaltig gefördert und letztlich, als klimaschonende Alternative zur zerstörerischen Echt-Tat - wie etwa ein Badeverbot im Bereich eines Brutgebietes oder schützenswerten Schilfgürtels - auf allgemeine Akzeptanz stoßen.

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