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Ein als Weiser getarnter Kindermensch redet zu Waisenkindern

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„Aber was sollen sie auch sonst tun? Alle krank werden und Sterben lassen? Unser höchstes Gut ist nun mal die Gesundheit. Und die wollen sie schützen,“ quasselte der mürbgewordene Medizinmann, der doch nur Apotheker war.

„Und solange es eben keinen zuverlässigen Impfstoff gibt, gehen sie auf Nummer-Sicher. Das ist ihre Pflicht den Bürgern gegenüber.“

Was sollte man darauf schon antworten. Da mochte er richtig liegen. Gandalf aber wusste, wie solch flacher Argumentationslinie entgegenzuwirken war: „ Ja, da gebe ich dir Recht. Wenn wir es tatsächlich mit einer lebensbedrohenden Pandemie zu tun hätten, wäre es oberstes Gebot für einen jeden von uns, die Mitmenschen vor der Ansteckung zu schützen. Es liegt jedoch keine eindeutige Übersterblichkeit vor. Sie bekämpfen, anstatt sich zu verbrüdern, das ist das eigentliche Dilemma. Ihre Abwehrhaltung gegen das Leben selbst ist ihr Problem. Hinzu gesellt sich ihr Streben nach Anerkennung, nach dem Erhalt ihres Besitzes, ihrer Bevorzugungen, ihren errichteten Machtstrukturen. Da kommen sie nicht einfach raus und laden dich ein, ein Stück von ihrem Kuchen zu naschen. Nein, sie werden alles dafür tun, dich außen vor zu lassen. Und da ist Corona ihnen die Mutter aller Dinge, wenn schon der Vater Waffenruhe genießt.“


Der Medizinmann - wie ihn die Gemeinde augenzwinkernd nannte - schwieg nachdenklich. Bislang war der Apotheker mir nur aufgrund seines auffällig weiten Leinhemdes und des dichten lockigen Haares aufgefallen, das mich in irgend einem Moment an das dichte Geflecht von Wolle und Filz, das das Haupt meiner Exfrau zierte, erinnert hatte. Gandalf hatte des Apothekers Ängste subtil ausgestochen. Ein zustimmendes Flüstern machte die Runde.

„Aber falls du das anders sehen solltest, bitte, ich bin ganz Ohr!“

Der Apotheker verzog keine Miene. Sein linker Fuß wippte unruhig auf und nieder, etwa hundertzwanzig Beats in der Minute, wie ich unwillkürlich mitzählte. Seine in sich versunkene Mimik verriet sichtlichen Zweifel. Und doch wusste er das nicht direkt zu artikulieren.

„Heißt es nicht im Zweifelsfall für den Angeklagten? Noch liegt von meiner Seite ein beachtlicher Zweifel vor und voreilig Schlüsse ziehen...“ Gandalf unterbrach ihn barsch, „Schlüsse ziehen? Wir sind mittlerweile hier, um weiter zu gehen. Um nicht in dumpfen Beschränkungen und Verordnungen unserem Schicksal ohnmächtig und fiebernd entgegen zu starren! Wir sind in Aktion getreten, verstehst du, wir geben unser Bestes, während du weiterhin mit der Agenda der Regierung kokettierst und deine theoretischen Schlüsse ziehst, die dich komplett blockieren. Bitte, versuche es erneut, schließe dich ihnen an, ziehe deine Schlüsse. Sie sind ja alle noch da. Auch die Kunden werden dir nicht so schnell ausgehen. Und grüße sie recht herzlich von mir, falls du ihnen die Beratung über die bevorstehende Impfung abschlägst – wie seitens der Regierung dem Apothekerverband empfohlen. Zwanzig Minuten Fußmarsch, eine kleine Fahrt und du bist daheim. Ich glaube, du vermisst da etwas. Du bist doch frei und kannst jederzeit gehen. Was also hält dich bei uns? Wenn du doch so arge Zweifel hast. Na dann im Zweifelsfall eben für den Angeklagten, bitte. Die milde waltende Regierung und ihre gute alte Rechtsprechung. Hierin hege ich keinerlei Zweifel - von dieser Regierung ist nichts weiter als noch größere Enttäuschung zu erwarten. Und falls mir da was entgangen sein sollte, kannst du mir das bitte berichten. Ich würde mich wirklich sehr freuen, falls es dir gelingen sollte, irgend etwas Tröstliches zu entdecken, statt nurmehr einen Hilfsfond anzuzapfen.“ Hier blickte der Apotheker kurz auf, wobei er ein zustimmendes, wenngleich etwas geknicktes Lächeln in sein hageres Gesicht zauberte.

„In Kurzarbeit warst du ja bereits, wenn ich mich recht erinnere. Nachdem den Krankenhausapotheken die angekündigte Patientenwelle ausgeblieben war. Aber der Giftmischer ist und bleibt systemrelevant.“

Der Apotheker schwieg entschieden. Sein Fuß jedoch wippte weiterhin - mittlerweile auf ca. 140 Schläge in der Minute angekommen. An liebsten wäre er wohl auf der Stelle aufgestanden und nie wieder zurückgekehrt. Etwas aber schien ihn davon abzuhalten, was würde ihn da draußen erwarten?

Alles war noch da, hatte Bestand und Einfluss. Man nutzte bestehende Strukturen, ging weiter zu Arzt und Apotheker, sollten natürliche Heilverfahren nicht greifen. Alles ging seinen Weg. Parallel bildeten sich weitere ökologische Projekte, Stämme und Gegenkulturen. Nahe Immenstadt, Weiler, Niedersonthofen, Maierhöfen, regional, überregional, weltweit.

Noch war die gute alte Idee vom Pluralismus nicht aus unseren Köpfen zu bringen.

Das Fass brodelte. Schwankte so dahin und durchlief diverse Temperatursenkungen. Irgendwie regulierte sich die Masse an Menschen trotz ihrer Versprengung und Vielfalt wie in einem gespenstisch schleichenden Zersetzungsprozess. Noch war das Gesellschafts-Gebräu nicht gänzlich entmischt und abgelagert, noch hatten sich die Schwebstoffe nicht gesenkt. Noch lebte die Seele gemischter Verhältnisse. Und das war gut so.

Doch wie hatte Söder gesagt: Er sei begnadeter Pluralist. Da der Pluralismus nun an seine Grenzen stoße, sei es an der Zeit, das Ganze wieder etwas zentralistischer anzugehen. Pluralistische bzw. Föderalistische Bemühungen seien ja verständliche Entwicklungen. Doch man müsse das jetzt zeitgemäß betrachten. Die Aufklärung sei schließlich nicht am Ende angelangt.

Und wer demonstriert, der sollte dabei nicht vergessen, vielleicht auch sein Leben anzuzweifeln und gegebenenfalls auch bereit sein es zu ändern. Bei sich muss man das Drama suchen und angehen. Und Verrat sowie Denunziantentum sind keine eingeforderten Bürgerpflichten. Maßnahmen zu missachten ist in erster Linie eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat. Das Schlimmste jedoch: Anstand, Courage oder besser: die Achtsamkeit geht uns flöten. Wir erhöhen unser ach so löbliches Individuum vor dem Gegenüber, dem Nächsten. Das ist das eigentliche Ende der Zivilgesellschaft. Es gibt keine Solidarität im Geiste, Keine Wertegemeinschaft. Nur noch Einzelinteressen. Interessen, geknüpft an das Diktat des freien Marktes. Wir selbst sind die Sau, die wir durchs Dorf treiben, bevor die nächste Sau durchgetrieben wird. Sie könnte unser Nachbar sein, ein Freund. Doch meistens erkennen wir sie nur als das was sie ist - eine echte Sau. Entfremdung von uns selbst ist das Ergebnis. Wir erkennen uns nicht.

„Außer SoLaWi und Verschwörungstheorie ist nicht viel geboten. Vielleicht sollte man doch lieber nach Schweden emigrieren. Deutscher Corona-Diktatur-Emigrant werden. Einfach nach Schweden ins Exil. Bargeld zuhause und die Privatsphäre hinter sich lassen. Die Schweden, sind sie uns nicht weit voraus!? Diese herdenimmunen Draufgänger haben aus ihren Fehlern gelernt, gehen als Helden aus der Krise hervor. Ein plötzlicher Aufhänger und Hingucker, der sonst so unscheinbare Schwede. Aber so kommen wir nicht weiter. Mittlerweile steht es einer Weltreise mit all ihren Risiken in nichts nach, von Salzburg nach Garmisch zu reisen. Grenzen, die sich täglich verschieben. Wer will denn schon nach Skandinavien auswandern um zum Musterschüler Europas zu werden,“ Gandalf legte eine bedeutungsschwere Pause ein.

„Nein, wir bilden neue Stämme. Auf alten Höfen, in neuen Nullenergie-Vierteln und Gemeinschaftszentren werden wir uns wieder finden.

Gandalf erhob sich mit theatralischer Geste aus seinem Monolog, um eine Art kabarettistische Einlage darzubieten:

„Bewundern sie auf unserem Demeter-Hof echte horntragende Kühe. Eintritt 15€, incl. Kleiner Verköstigung aus regionaler Herstellung. Greifen sie zu. Unser Automat hat 24 Stunde für sie geöffnet.“

So töne die Zukunft, erklärte Gandalf weiter, wobei seine Haltung während der dargebotenen Einlage von Wort zu Wort immer lebendiger wurde.

„Sinnstiftenden Projekten gilt es zahlungskräftig beizuwohnen. Das nennt sich Benefiz-Beitrag der passiven, institutionalisierten Gewissensbereinigung und ist jederzeit von der Steuer abzusetzen. Dabei dürsten gewiss auch diese bewussten Konsumenten nach Austausch und Zugehörigkeit. Doch gegen was sich richten, für was Partei ergreifen? War es nicht einfacher, den scheinheiligen Automaten zu füttern als sein Leben zu reformieren. Haben sie nicht Angst vor der Wahrheit, nach der nur noch ein schwindend geringer Teil der Menschen trachtet. Selbst das Ende der Philosophie haben wir eingeleitet. Doch der Mensch irrt weiter durch den luftleeren Raum seiner Freiheit. Und jetzt greift er obendrein auch noch verstört nach der Maske. Das ist die erschaffene Realität. Und in dieser Realität weiter vor der Wirklichkeit den Kopf in den Sand zu stecken, ist die größte Zumutung unserer Zeit.“

Der Apotheker war - nachdem er der Rede beiwohnend zuletzt völlig verstummt war - im Dunkel des Waldes verschwunden. Niemand fragte nach seinem Verbleib.

Die Seichtheit, die mittelmäßige Seichtheit, hinter der sich zu viele einrichten und verstecken würden, dabei gleichzeitig nach einzigartiger Individualität trachteten, sei nur ein kräftezehrender Spagat, den ein jeder für sich zu meistern habe. Mittelmaß kontra Einmaligkeit, erklärte Gandalf mittlerweile wild gestikulierend. Das sei die Spaltung in uns, die Zerreißprobe, durch uns selbst erschaffen und nur durch uns zu überwinden. Davon sei er felsenfest überzeugt.

„Stets wollen wir mehr wert sein, als wir uns selbst an Wert beimessen. Aus diesem Spannungsfeld heraus entwickeln wir all die uns umgebenden, verhärteten Machtstrukturen. Doch von diesen alten Mustern loszulassen, bedeutet gleichsam den uns tragenden Strom zuzulassen. Dieser könnte uns schließlich mit sich reißen, uns in üppigere Gärten führen, uns ertränken und heilen zugleich. Aber uns ist das Risiko um das Loslassen zu hoch. Noch siegt der neue Pioniergeist nicht über die Ohnmachtsgebundenheit, über die Angst, das Ressentiment, die scheinheilige Verliebtheit in ein untergegangenes Phantom. Ein Phantom, das nie da war, uns zu einen. Es spaltet, treibt den Keil, lässt klaffen. Wunden werden sich nicht schließen, wo permanent Druck ausgeübt wird. Die Genesung ist ein abseitiger Prozess des Innehaltens. Kein marktschreierischer Wunsch nach mehr Außenwirkung im Bezug auf die verquere eigene Geschichte und die Verstimmungen einer traumatisierten Gesellschaft. Transformation ist kein Prozess, der sich der Realität überstülpen ließe. Ein Prozess, angestoßen durch einzeln sich artspezifisch hervorhebende Exemplare, wird nicht umzusetzen sein. Ein noch so gut gemeinter, künstlich eingeleiteter Beschleunigungsprozess, der den technischen Wandel, gekoppelt an die Lösung der sozialen Frage einzuleiten vermag, kann so nicht gelingen. Vielmehr ein aus der tiefsten Seele der Notwendigkeit hervorgehender Aufschwung überdrüssiger Gefühlswelten, der, genährt durch das willentliche Zutun eines jeden einzelnen, sich bestenfalls in günstiger Konstellation zu einer positiv sozialen Umstrukturierung entlädt. Die Gefahr von Auflehnung und Gewalt ist dabei unausweichlich. Was jedoch sein muss ist eine unbedingte und unmittelbare Gewahrwerdung der Ausmaße unseres bisherigen Handelns. Eine Bewusstwerdung des Kollektivs durch Innenschau eines jeden Einzelnen ist Voraussetzung für jeden noch so geringen Erfolg.“ Eine Begegnungsstätte – so schloss er seine Rede - habe er den Neuankömmlingen bereits bereitgestellt.

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