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Zu Ehren des Vaters gedacht

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Schwarze Wolke, die bleibt? War denn der Häuptling während des dramatischen Infektionsverlaufes bei allem Überfluss auch noch senil geworden? Sprach er da im übertragenen Sinne etwa vom Virus oder hatte er im Fieber Dinge gesehen, die auszudrücken ihm in seinem geschwächten Zustand einfach nicht gelingen wollten, sodass ihm größtenteils nur zusammenhangloses Zeug entfuhr? Oder knabberte tatsächlich bereits der erste braune Nagezahn der Demenz an den staubigen Büchern im morschen Regal voll Lücken und unwiderruflich dahin gestreuter Überreste, die noch aus dem einstigen Wissen einer abhanden gekommenen Geschichte in des Häuptlings Hirn klafften? Sicher, was er da sagte, war nicht durchweg von der Hand zu weisen und somit auch nicht auszuschließen. Sprach er auch - wenngleich etwas unzusammenhängend - von subtil verborgenen Machenschaften, die womöglich hinter dem dichten Wulst an Grundrechtseinschränkungen stecken mochten, der derzeit über uns herrschte, so war er doch ein gezeichneter Mann, der nur knapp dem Tode entronnen, der Intensivmedizin sein Überleben zu verdanken und auf seinen Sohn, der sich schon zu seiner Zeit um ihn kümmern würde, zu hören hatte. Keine Frage - ein harter Schlag musste es für ihn gewesen sein. Er, der Häuptling, der doch nur, wenn es einmal so weit sein sollte, auf natürlichem und unverblümtem Wege abtreten wollte. Ohne den Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen und allerhand technischem Schnickschnack. Vorüberwehen und vergehen, hatte er in den letzten Jahren vermehrt in der ihm üblichen poetischen Manier gewitzelt. Was er da aus seinem Krankenbett heraus angesprochen hatte, bildete gleichzeitig seine ureigene Meinung ab, das Resultat einer wilden Lebenserfahrung, am nahenden Ende eines langen Korridors individuellen Empfindens. Sein Anliegen, schnellst möglich entlassen zu werden, war nur allzu gut zu verstehen, ein allzu menschliches Verlangen. Wer ihn kannte, wusste, dass das, was er von sich gab, nicht alles für bare Münze genommen werden durfte und folglich auch nicht zwingend als nostradamisch befunden werden sollte. Und doch hatte sein Vater trotz der Erkrankung eine seinem gesunden Verstand gerecht werdende Weissagung dargeboten, kodiert im eigensinnigen Schlüssel vom Alter gekennzeichneten Lettern.

Den Brenner hatten die Italiener bereits gesperrt. Oder war er mittlerweile wieder offen? Egal, es war nicht weiter von Belang. Weder wollte er in nächster Zeit verreisen, noch ritt ihn irgendeine Vorliebe für italienische Importware. Die große schwarze Wolke jedoch, sie kannte keine Grenzen. Ob die Grenzen zu Italien und Österreich nun geschlossen waren oder nicht - der Wolke war das egal. Weiterhin würde sie - satt, schwer und jederzeit bereit zur Entladung ihrer Anstauung - über unseren Köpfen schweben.

Alle hielten sich noch etwas geduckter als sonst. Die Lauten schrien etwas lauter und die Gläubigen wühlten sich einmal mehr durch die Apokalypse. Verborgen. Irgendwo. Zuhause. In den sozialen Medien. Menschen auf der Wartebank, abgestellt und endfunktionalisiert, Satan oder wem auch immer in die hässliche Fratze starrend. Auf Yogamatten und Hometrainern, in ihren Elfenbeintürmen und Türmchen, adeliges Bürgertum, neoliberaler Mittelstand, sportiv auf Überlebensmodus getrimmt, zwangsentschleunigt, beurlaubt, unbefristet oder befristet auf Halbmast hängender Wettbewerb. Menschen, ruhig gestellt, latent eingelullt, besprenkelt und berieselt mit phobokratischem Feinstaub und von propagierter Raffinesse einer allabendlichen Panikbebilderung gelähmt, chronisch Desinfektionsmittelbäder nehmend, online viral surfend, Gassi gehend, falls sie denn einen Hund als Alibi vorführten und ihn nicht gleich in den Keller machen ließen. Plastiktüten zum Eintüten hatten sich in unseren Haushältern zu genüge angereichert. Plastik war ja bekanntlich das Uran der kauflustigen Endverbraucher-Jetztzeit. Und das nicht erst seit gestern.

Alles lief bisweilen vorsichtiger, verhaltener und verunsicherter ab. Bei all der bescheidenen Sehnsucht nach Normalität sollte man nur nichts runter spielen, es ernst nehmen. Die Alten und Schwachen, also die Vorbelasteten schützen. Eindämmung der Ausbreitung, Unterbrechung der Ansteckungsketten undsoweiter. Kontakt sei Gefahr. Würde das so weiter gehen, konnte er sich den nächsten Besuch beim Häuptling abschminken. Und das herbstliche Fluten würde sein Vater bestenfalls vom Fenster aus beobachten können. Ein Mammutakt abgeforderter Volkssolidarität stand uns bevor. Der Schrei nach mehr Zentralismus und Autorität und auch das Jammern ob der ausgehebelten Menschenrechte wurde zunehmend lauter. Was den Empörten als Notstandsregime daherkam, bildete für die Mehrheit der Wähler zu diesem Zeitpunkt noch eine solide und zufriedenstellende Regierungs- sowie Koalitionsarbeit ab. Überall jedoch umgaben einen diese gefährlichen Menschen, lauerten einem förmlich auf, diese gefürchteten Grippesymptome, der schleichende Tod durch den unsichtbaren Feind, der Krieg gegen Terror, die eingeknickte Demokratie und die drohende Tröpfcheninfektion. Dazu die von oberen Regierungsorganen in eilig gebildeten Gremien abverlangte Solidarität - all das drohte nach Vergeltung. Aber Solidarität? Mit wem oder was? Etwa mit den Nachbarn, der Schwiegermutter, den Arbeitskollegen, der Gesellschaft, der Weltbevölkerung, der deutschen Bank? Dem Kegelverein, den amerikanischen Drohnenangriffen? War hierin der ein oder andere nicht bereits deutlich und wohlgemerkt aus der Übung?! Also ab ins Grüne. Immer auf Abstand, halte Abstand, bitte Abstand halten, sei sozial. Sozial asoziales Individualglück suchen inmitten von Schneisen maschineller Mordlust geschlagener Wälder voll aggressiv schreiender Motorsägen einer arbeitswütigen, vor den Hausdrachen und dem Virus sich auf der Flucht befindenden männlichen Landbevölkerung. Oh du deutscher Forst, gespalten wie das Volk, in Parzellen und Effizienz aufgesplittete Stangenware. Naherholungsgebiet. Selbst die unschuldig und unbeeindruckt daliegende Natur hatte ordentliche Seitenhiebe einstecken müssen. Die Invasion der coronös geschädigten Urlaubsrechtler hatte das Umland deutlich geschwächt, Mutter Natur ihrer heilsamen Kräfte, die auf das Wohl der menschlichen Psyche doch unmittelbar Einfluss nehmen sollten, beraubt und nahezu gänzlich entledigt. Da konnte sich sein Vater ja geradezu glücklich schätzen. Wo wenn nicht auf der Intensivstation konnte man sich in solch einer verrückten Zeit noch vom Drama des Untergangs des ehrwürdigen und altersschwachen Rechtsstaates erholen und soweit möglich sicher fühlen, wenn doch selbst seine heißgeliebten und abseitigen Rückzugsorte längst von einem Heer durchgeknallter Coroniäros vollgeschissen und somit weitgehend entweiht worden waren?

Herbstlicht?

Liberale sowie radikale Splittergruppen organisierten im Laufe des Sommers zunehmend sogenannte Hygienedemonstrationen, wurden jedoch durch divers bimmelnde Frühwarnsysteme als Covidioten, ja gar als rechtsradikale Antisemiten erkannt. Guerillia-Protestaktionen aus der ad acta gelegten Kunstszene verwiesen zu Anfangs noch demonstrativ auf die Harmlosigkeit des neuartigen Virus, beispielsweise durch das Abschlecken von Laternen, Ampeln sowie Türknäufen. In Wahrheit sei der Virus nur ein weiterer Vorwand zur Schwächung der EU durch imperiale Vormachtstellungskriege - mit allen Mitteln wurde aufgewartet und aus jeden Blickwinkel geschossen. Aber auch damit war es dann bald vorbei und die Kunst und Kulturszene verschwand hinter einem dichten Schleier kollektiven Schweigens. Kollateralschäden: Mittelstand und Prekariat. Inmitten platzender Blasen, fallende Kartenhäuser, rascher Dominoeffekt, gefolgt von Chaos. Rettungsangebot: Digitalisation im finalen Ausbau, gekoppelt an den finalen Rückbau der Grundrechte. Und das alles nur, da es zur Zeit noch keinen Impfstoff gab? Würde der Spuk mit dem Geschäftsmodell Impfstoff also ein für allemal vorbei sein und in durch Steuergelder gespendeter Sicherheit enden? Davon war der als entfesselt erachtete Pöbel nur ungern zu überzeugen. Eher ging das ganze in Richtung Radikalisierung und Volksbewaffnung, oder eben in Richtung bedingtes Grundeinkommen, zentralistische Zentralbankkapazitäten und schließlich in die freiheitliche Sackgasse. Zwar würde die vorgeschobene Staatsfürsorge in Milliardenhöhe temporär für Entspannung sorgen und doch wäre das Dilemma um die Freiheit mit einer nie dagewesenen Neuverschuldung nicht gelöst.

Ein ministraler Krisenstab wurde einberufen, Notfallpläne nochmals überarbeitet, mit den Grünen weiterhin widerwillig koaliert, präventive Hamsterkäufe weiterhin getätigt, ja selbst knüppelharte Exfrauen trugen den Vätern ihrer Kinder - desinformierten und desolaten Exmännern, Aussteigern und Ökoaktivisten im peripheren Abseits - geradezu aufnötigend Lidleinkäufe hinterher. Aus einstigem Beisammensein, aus einer Intuition heraus, quasi. Dann die ersten Fälle im Inneren. Schweigen am Rande, Aufruhr in den Zentren. Was gestern Abend noch Science-Fiction war, ist plötzlich Realität. Totalkollaps, unaufhaltsames Sterben, Niedergang. Ein quälendes Neuwerden steht uns bestenfalls bevor. Keine Rücksicht auf niemanden, Kinder, nahe Verwandte. Kahlschlag. Beginn einer Pandemie. Rote Zonen. Alarmismus und gewollte Panikmache. Das alles mochte sein Vater soweit schon richtig sehen. Also folgten als erster Angst-Impuls Hamsterkäufe, wohl als eine Art intuitiv angelegte Vermeidung von drohender Massenhysterie. An den Toren der Marken-Discounter, hin zur Grundversorgung, würde sich die neue Normalität abbilden.

Steckte da etwa der Chinese, Trump persönlich oder doch zuletzt wieder der Russe dahinter? Die gute alte Wilhelm Tell Nummer, der Akt mit dem platzenden Apfel. Die gute alte grauer Vorhang - Kalter Krieg Story. War das Ding wieder einmal mehr politisch motiviert, wie bei SARS verfälscht und gedeckelt? War da nicht schon einmal was mit Romsfeld, Antrax und vernichteten Impfstoffen? Wie auch immer, die Infektionsketten waren ebenfalls wie Informationsketten gerissen und nicht weiter nachvollziehbar, die Notfallpläne über Nacht überarbeitet und obendrein hatte es auch noch seinen Vater erwischt. Die Gefahr, sie war zumindest real, was jedoch keine Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung all der drakonischen Maßnahmen sein sollte. Doch die Schotten konnten sie jederzeit und auf Gutdünken wieder dicht machen. Das die Maßnahmen legitimierende Gesetzespapier lag bereits vor. Sozusagen war die Sache längst in festen Händen sowie Papieren. Der bayrische Minister, der deutsche Gesundheitsminister und das RKI würden nicht lange fackeln.

Wenigstens würden wir mal wieder was Neues erleben. Adrenalin würde uns durch die Adern jagen wie einst in prähistorischen Gefilden der Jugend. Die Menschheit würde sich verjüngen, zumindest der Rest einer solchen. Theoretisch - also rein ideologisch - war das ja auch zu begrüßen. Praktisch jedoch Zumutung für Haus und Hof, Familie und Status Quo. Solange man nicht zur sogenannte Risikogruppe zählte, sollte ja nichts... wobei? Was war mit den Meldungen von den am Virus verstorbenen jungen Frauen und Kindern und kerngesunden Männern in ihren besten Jahren? Es war nicht auszuschließen - den neuesten Kenntnissen nach konnte ein jeder jederzeit der grassierenden Seuche zum Opfer fallen. Nur in einer Gesellschaft, wo das Allgemeinwohl überall und vielerorts für den eigenen Lifestyle gelyncht und gemeuchelt wird, steht es um die Disziplin und solidarische Voraussetzung, das Überleben in Zeiten des drohenden Elends gemeinsam zu schützen, nicht gerade rosig. Da konnte man hamstern wie man wollte, sich die Atemschutzmaske obsessiv überstreifen, ja gar in einem blumigen Anfall aus in Lebensratgebern empfohlener Kreativität selber nähen oder zumindest ein den eigenen Lifestyle repräsentierendes Obligat erstehen, direkten Kontakt mit Mensch und Türklinke meiden, bestenfalls Handschuhe tragen, in die Armbeuge oder gleich in die Achselhöhle niesen, sich selbst in die Verbannung katapultieren um sodann ausschließlich in den social-medias zu brillieren, zu transformieren und um neue Lebensreformmodelle buhlen oder eben wieder einmal mehr sich gänzlich im Datenwulst neu zu materialisieren, ja sinnbildlich zu verkörperlichen.

Und wenn der Wind erst über das Land zieht und den Samen mit sich trägt, ja - und die große schwarze Wolke über dem Grünten steht - dann, ja dann ist Achtsamkeit, Innehalten und bedachte Überlegung für ein jedes Individuum erforderlich. Letztlich, wenigstens im gesunden Sinne des eigenen Überlebens, sollte es doch zumindest in Zeiten der Krise dazu fähig sein, eine Einheit mit allen weiteren freien Individuuen zu bilden. Einen verbindlichen Zustand zu erreichen, der sich intakte Gesellschaft nennen ließe. Das Sandkorn bildet die Wüste, der Wassertropfen das Meer. Mein Vater bildete ebenso Wüste und Meer zugleich. Jeder war Wassertropfen, war Sandkorn. Sollte er nun etwa abdanken, da ihm die Idee oder der Fakt des Transhumansimus zu fremd, fern, ja zu einfordernd erschien? Die Infektion mit der folgenden Lungenentzündung würde der alte Raucher überleben. Soviel war sicher. Und die Transhumanz hatte er, als alter Hirte und Nomade, selbst gelebt. Ob er nun dem Transhumanismus gewachsen sein würde, das stand auf keinem mir bekannten Blatt. Wie konnte sich schon ein alter konditionierter Geist - stark, stur und starr, ein in sich abgeschlossenes und schlüssiges System - mit der grenzenlosen Entfaltung des menschlichen Hirns durch transzendentale Technikmythologien einen? Wie musste man sich das vorstellen? Gestern noch hatte der Mensch mit seinen Pranken Gott erschlagen, weitere standen noch aus und nun sollte man von Heut auf Morgen liebäugelnd mit einer rasanten technischen Entwicklung flugs ein smartes Leben führen im Glauben auf ewig regenerative Innovation eines künstlichen Ersatzangebotes?! Wenn der Mensch es selbst doch nicht wagt, Gott zu werden, so entwickelt er nunmal eine Technik, die ihm einen neuen Gott anbietet. Dieser Gott hatte sich, während wir ach so begeistert dem wahnwitzigen Geschehen beiwohnten, uns angebiedert und schließlich in unser aller Interesse wie verselbstständigt. Wieder hatten wir eine Instanz erschaffen, die uns beflügeln und zugleich begrenzen konnte, die uns Glauben schenkte, Verantwortung abnahm und obendrein einen grandiosen Ablasshandel mit all unseren Daten betrieb. Eine Instanz, erschaffen durch unseren nach Erlösung strebenden Geist, eine Macht, die uns in Schranken weist, manipuliert, steuert, lenkt, abscannt und folglich bereits besser kennt, als wir uns selbst je kennen lernen würden. Eine Macht, die all unsere Sünden katalogisieren und auf ewig verwalten würde, bevor wir uns selbst unsere Verfehlungen verzeihen und auf ewig vergeben konnten.

Wer konnte oder wollte sich denn selbst noch vergeben und dabei vertreten was er tat? Oma war als SUV-Umweltsau enttarnt, die Eltern als opportune Industrieproduktunterrührer und ewig gestrige Zombies entlarvt. Alles war längst aufgedeckt und erneut unter dem agilen Banner der Fridays for Future Bewegung aufgeflogen, durchgekaut, beigemengt, homöopathisch potenziert und wieder aufgeschüttelt, aufgerührt, aufgegossen, abgesiebt und nochmals erhitzt worden. Die Blase war erneut geplatzt, die gute alte klaffende Schere der sozialen Spaltung endgültig in zwei Hälften gebrochen: in die der rein Vermögenden und solche, die nicht rein von ihrem Vermögen zerrten. Nun konnte man sich das ängstlich ausweichende, zu Lifestyle-Gunsten zurecht gemogelte und geschmückte Gefasel der Mitwelt weiter anhören. Wie sie ihre Rechte einklagten und sich dabei nur flehentlich um sich selbst drehten und für das Wahren ihres gut unterfütterten Standards ihr Weltbild spirituell zurecht zu mogeln versuchten - ja, all das musste man sich anhören. In einer intakten Demokratie musste das genaue Hinhören geradezu als erste Bürgerpflicht geltend gemacht werden. Kritik war dabei auch und vor allem auf sich selbst zu richten. Gerade das eigene Ausweichen und Einlenken, das sich der eigenen Verantwortlichkeit durch infantil anmutende Glaubenssätze weit von sich weisende und selbstbetrügerische Entziehen - diesem in still schmachtender Ohnmacht und blind loyaler Passivität eingehüllten Schweigen galt es sich zu entziehen.

Die inneren Klagemauern, sie mussten entgültig eingerissen werden und Taten folgen. So wie sein etwas verwirrter Vater gefordert hatte. Hatte der Häuptling ihn nicht geradezu aufgefordert, unbedingt wachsam zu bleiben!? Dem Alten zu Ehren hier nun ins indianische übersetzt, bedeutete jeder Aktivismus wie etwa der der Fridays for Future Bewegung, immer noch die größtmögliche Blöße des gestutzten Adlers durch das mündig sich erhebende Reifen der eigenen Küken. Wenn die Nachhut nun auch noch nachhaltig zu fliegen lernen würde, so wären wohl jegliche Erziehungsfragen ad absurdum geführt. Demnach war es dem Häuptling durchaus ernst, wenn er davon sprach, dass Großmutters zu hoher Spritverbrauch erst einmal von YouTube-süchtigen Kids enttarnt als Attentäter gegen die eigene Zukunft vom Markt geschleudert wäre, so käme wieder Hoffnung auf und die schwarze Wolke, die der Häuptling in seiner senilen Sekunde heraufbeschworen hatte, würde sich vielleicht für einen tröstlichen Moment lichten und ein neuer großer marktaffiner Slogan käme aus dem Zenit des werdenden Morgens über uns wie die göttliche Verheißung des herbstlichen Lichts und nicht dieser nixige Corona-Virus. Und dann musste dieser Virus ironischerweise auch noch den robusten Alten befallen.

Das Dilemma der Geistwerdung in der Welt zu verinnerlichen bedeutet sich selbst für die Idee des Geformten und Gewordenen hinzugeben, ja wenn nicht gar aufzuopfern. Und das ohne jede Idee und Alternative, weder getragen von einem Traum noch begründet durch einen konstruktiv erbrachten Gegenvorschlag.

Liebe ist weder einförmig noch stromlinienförmig. Sie schwingt sich auf, bewegt ihr Bein mal nach links, mal nach rechts, nach hinten wie nach vorn. Oh, schenkt sie uneingeschränkt euren Kindern und verlasst endlich den Turm, ob mit oder ohne SUV, ob barfuß oder auf eines Esels Rücken. Hühnerstall, Motorrad und Chor, mit dem Elektroroller in eine strahlende Zukunft. Doch vor dem eingeleiteten Golfstrom-Polkappen-Klima-Drama nun erst einmal dieses ätzende Viral-Intermezzo und somit die Frage: Soll ich mein Wellnesswochenende durchziehen oder lieber abblasen, mal daheim bleiben, mal Fünfe gerade sein lassen, der Gesundheit, dem Arterhalt, ja auch dem Klima zuliebe. Obendrein für das Gute zum nichts tuenden Antihelden verkommen und das Sofa und das Büro zum Schlachtfeld erheben, zur Schaustätte eines Frontkrieges gegen einen unsichtbaren Feind im Innern. Oder sollte man noch schnell - nur für alle Fälle - vor dem großen Crash, etwa sein Tattoo fertig stechen lassen? Der Tätowierer war doch auch so ein cooler Typ und außerdem ist da ja noch eine Rechnung offen: Man muss doch die kleinen und regionalen Unternehmen stärken und unterstützen. Regionale Ware konsumieren, global denken, glokal handeln. Gerade jetzt, wo es quasi fast zu spät ist. Früher oder später werden wir sowieso bei Amazon Kunde sein. Sammelbestellungen werden wir aufnehmen, falls wir doch noch zueinander finden sollten, zu unseren Nächsten, den diffamierten Nachbarn. Falls irgend ein Anlass uns das abverlangen sollte, einen Vorteil hierin zu erkennen, so würde es auch wieder mit dem Nachbar klappen. Schließlich sind wir ja der Souverän.

Er musste sich gedulden und in der Ruhe bleiben. Der Häuptling würde das schon schaffen. Und falls nicht - er selbst sponn ja bereit die selben abstrusen Gedanken wie sein Vater. Wirre Häuptlingsgedanken.

Zu hinterfragen – zumindest das hatte sein Vater ihm beigebracht. Würde der Häuptling - wie er ausdrücklich erbeten und geradezu eingefordert hatte - noch ein letztes Mal das intensive Fluten der herbstlichen Abendsonne erleben dürfen, so wäre das für ihn das größte Geschenk. Vom abendlichen Herbstlicht geblendet sich auflösen in dessen grellen Fluten. Das ist der Zustand, nachdem der Häuptling trachtet. Das ist der Zustand, nachdem das Abendland trachtet.

Wir sind das Volk, tönt es durch gewisse Teilbereiche des Abendlandes, darüber viel Expertise, noch mehr Tests und noch mehr Tests, unterstützt von duldsamen Schweigen. Und ja, es ist und bleibt ein Kampf, ein latenter Kampf, das Leben. Selbst und gerade dort, wo mit dem Leben gespielt wird. Komprimiert zeigt es sich unter der Fratze des Todes, in qualvoll künstlich-beatmeter Todesagonie. Der Schlauch eines Beatmungsgerätes trennt die Linie zwischen Leben und Tod. Da blenden sich die weltweiten Kollateralschäden des Lockdowns in unserem Bewusstsein wie von selbst aus und die Angst erreicht uns unmittelbar. Wenngleich der wahre Krieger nicht mehr kämpft, so nimmt er doch zu viel hin und fordert mehr Betten für das am besten aufgestellte Gesundheitssystem der Welt, das derzeit seinen Vater künstlich über Wasser hielt und mit feister Früherkennungssensorik an ein fragwürdiges Dasein fesselte, das er so nicht weiter leben wollte.

Die Niedertracht der Achtlosigkeit gegen das Leben selbst müsse endgültig ausgemerzt werden – hierin waren sich die Nationen und selbst die EU diesmal einig. Tränengas an den Außengrenzen, Abstand und organisiertes Misstrauen im Innern! Die Gesundheit sei schließlich unser höchstes Gut. Nein, der neue Krieger kämpft nicht mehr. Er gehorcht den sich neu bildenden Mächten, denen er sich auch in Zukunft treu unterwerfen wird. Hierin war er ganz bei seinem Vater.

Wenn wir nicht innehalten! So mahnen jene, die stets zu instrumentalisieren wissen, sich für ihren Zweck zur Empörung aufschwingen und unter aufwieglerischem Affekt noch selbst die einfachsten Vorkehrungen missachten. Welche Wahrheit und Recht gepachtet und die im Kampf um ihr großes Ziel bereits den nächsten Sieg vorbereiten haben – stets sind sie ihren selbsternannten Widersachern einen Schritt voraus.

Wenn da der Häuptling mit seinem ungesund gezüchteten Kulturpessimismus nicht richtig liegen mochte: Da kann uns jetzt nur noch unser friedlich umkämpftes Selbst oder eben die ersehnte starke Hand retten. Die schwarze Wolke hängt tief über den Bergen. Sie hängt fest. Der SUV ist getankt, Klopapier sicher verstaut. Totgesagte leben länger. Es kann losgehen...

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